Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Goldberger, Emilie

* 17. Nov. 1858 in Buda (heute Budapest), † 20. Sept. 1942 in Theresienstadt, Pianistin und Klavierlehrerin. Ihre Eltern waren Chaje/Anna Goldberger geb. Haft (1824–1887) und Heinrich Goldberger (1821–1898), Lehrer für Französisch, Englisch und Italienisch. Ihren ersten Klavierunterricht erhielt Emilie in Wien in der Musikschule von Eduard Pirkhert, wahrscheinlich bei Emil Śmietański (1845–1886). Von 1873 bis 1876 war sie am Konservatorium der Musikfreunde Schülerin von Anton Door (1833–1919), der seine Ausbildung bei Carl Czerny erhalten hatte.

Für Auftritte in Schülerkonzerten erhielt Emilie Goldberger in der Wiener Presse ermutigende Kritiken, z. B. für die Interpretation von Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier und der Chromatischen Fantasie und Fuge von Joh. Seb. Bach sowie Klavierkonzerten von Beethoven (Es-Dur) und Mozart (c-Moll). Am 23. Nov. 1876 fand im kleinen Musikvereinssaal ihr erstes eigenes Konzert statt, unter anderem mit Präludium und Fuge a-Moll von Bach (in der Bearbeitung von Franz Liszt), der Sonate op. 110 von Beethoven und kleineren Werken von Schumann, Herzogenberg, Schubert und Chopin. „Schülerin Door’s, ist sie auch glückliche Erbin vieler von seinen guten Eigenschaften. Sie spielt klar, verständlich, ungesucht, vielleicht zu ungesucht für so junges Blut. Mitunter würde ein Anflug von Gefallsucht gar nicht so übel bekommen haben. Bei ihrer ernsten soliden Art liegt ihr Bach näher als Chopin: mit diesem Letzteren weiß sie vorderhand nicht viel anzufangen. Der Anschlag der jungen Dame ist prächtig, ihre Technik eine durchaus fertige, ihr Geschmack, wie es scheint, noch der des Lehrers, ein vortrefflicher, aber nicht der ihre. Zwischen Forte und Piano fehlt es mitunter an Uebergängen und verbindenden Mittelstufen. Alles in Allem ein Talent, das für die Zukunft Bedeutendes verspricht und in der Gegenwart Genügendes leistet, um Anspruch auf Beachtung erheben zu dürfen“ (Fremden-Blatt 29. Nov. 1876). Dass der Kritiker das Fehlen von „Gefallsucht“ bemängelt, gehört zur zeitgenössischen geschlechtsspezifischen Wahrnehmung und Beurteilung, also zu den Berufsbedingungen von Pianistinnen im 19. Jahrhundert. Auch die Wiener Zeitung gab zum selben Anlass entsprechende Empfehlungen: „Zu wünschen bliebe […], daß auch das junge Mädchen in ihr bald erwache und daß sein Erwachen dem achtbaren Ernste etwas weibliche Zartheit und Gefallsucht zugeselle. Diese an einer Dame ungern entbehrten Züge ließ sie uns ganz besonders im Vortrage Chopins ein wenig vermissen“ (Wiener Zeitung 1. Dez. 1876).

Es folgten Konzerte in Wien und Baden, teilweise gemeinsam mit ihrer Kusine, der Geigerin Bertha Haft, bevor Emilie Goldberger im Wintersemester 1878/79 ein zweites Studium am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a. M. aufnahm. Dort wirkte Clara Schumann in der Position der „ersten Lehrerin“ – von ihr unterrichtet zu werden, war eine Auszeichnung. Warum das Unterrichtsverhältnis nur sechs Monate dauerte, ist unbekannt.

Eine dreijährige „Konzertreise, auf welcher sie in Paris, Frankfurt, München, Würzburg und anderen Städten mit großem Erfolge concertirte“ (Neue Freie Presse 4. Okt. 1882), hat in der Fachpresse nur wenige Spuren hinterlassen. Immerhin gelang es ihr, in Paris zusammen mit dem Violoncellisten André Hekking und der ungarischen Sängerin Mme. de Varhalmy 1880 ein Konzert zu geben. „Une jeune pianiste viennoise, Mlle Emilie Goldberger, qui a donné un concert le 28 janvier à la salle Erard, a fait preuve de solides qualités de mécanisme et de style dans le trio en ré de Beethoven et des pièces diverses de Bach, Scarlatti-Tausig, Weber, Schubert, Chopin, Rubinstein, Saint-Saëns et Ketten. C'est une artiste bien douée et dont la facilité naturelle a été développée dans le meilleur sens (Eine junge Pianistin aus Wien, Mlle. Emilie Goldberger, die am 28. Januar in der Salle Erard ein Konzert gegeben hat, bewies solide technische und stilistische Qualitäten im Klaviertrio D-Dur von Beethoven und verschiedenen Werken von Bach, Scarlatti-Tausig, Weber, Schubert, Chopin, Rubinstein, Saint-Saëns und [Henri] Ketten. Sie ist eine recht begabte Pianistin, die ihre natürliche Leichtigkeit sehr gut zur Geltung gebracht hat“ (RGM 1. Febr. 1880). Im Karfreitagskonzert des deutschen Männergesangvereins „Teutonia“ hatte sie in Paris wiederum Gelegenheit, das Geistertrio von Beethoven zu präsentieren (Kölnische Zeitung 29. März 1880). Auf der Rückreise gab sie in Frankfurt a. M. am 8. Febr. 1881 ein „gut besuchtes Concert“ und „bot Beweise, daß sie ernstes Streben und eine für ihre Jugend schon ganz respectable künstlerische Reife besitzt“ (NZfM 1881, S. 305). Anschließende Stationen waren München und Augsburg.

Wieder zurück in Wien, hatte sie Gelegenheit, in einer Soirée des Streichquartetts von Jakob Grün mitzuwirken, und zwar mit Beethovens Trio B-Dur op. 97, „an welchem Fräulein Emilie Goldberger sich mit wechselndem Glücke versuchte“ (Wiener Allgemeine Zeitung 28. Nov. 1882).

Um diese Zeit scheint die Musikerin ihren Wohnsitz nach Göden (heute Hodonín) in Südmähren verlegt (Bahnhofstr. 18) und anschließend dort in kleineren Konzerten mitgewirkt zu haben. Ihre jährlichen Konzerte in Wien setzte sie mindestens bis 1904 fort und trat weiterhin in Veranstaltungen der Umgebung auf. Eine ausführliche Charakterisierung ihres Spiels gibt der Pester Lloyd nach einem Wiener Konzert „mit gut gewähltem Programm, in welchem Beethoven, Chopin, Schumann und Liszt vertreten waren. Ihre Technik ist gut entwickelt und die Door’sche Schule verleugnet sich nicht in ihrem kräftigen Anschlag und temperamentvollen Vortrag, der freilich von Manierirtheit und einem Stich ins Grelle nicht frei ist. Sie liebt die starke Farbengebung, ist mit dem Rubato und dem Pedal nicht eben sparsam und will manchen nur einfach begleitenden Stimmen eine Bedeutung unterschieben, die sie nicht besitzen: Mängel, die wohl mit zunehmender Abklärung verschwinden werden“ (Pester Lloyd 28. Okt. 1890).

Nach einem Konzert im Wiener Saal Ehrbar findet sich in der Presse 1904 eine letzte Charakterisierung ihres Spiels: Nebst einer vortrefflichen Technik und schönem Anschlag ist dieser Künstlerin ein tiefes musikalisches Empfinden eigen, welches in getragenen Piècen zu besonderer Wirkung kam“ (Neues Wiener Tagblatt 27. Jan. 1904).

Um 1900 mehren sich Anzeigen und Mitteilungen, in denen die Musikerin Klavierunterricht anbietet, auch während ihrer Sommeraufenthalte in Baden und Gmunden. 1889 wohnte sie in der Ferdinandstraße 13 in Wien, um 1900 wiederum in Göding, 1904 in Wien; 1911 war ihre Adresse ebendort Kegelgasse 2; 1930 wohnte sie in Purkersdorf, einem Vorort Wiens, Wienerstraße 45. „Ihr letzter Wohnort war das jüdische Altenheim in der Wiener Seegasse 9, aus dem sie 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde“ (Wosnitzka, S. 179). Dort starb sie am 20. Sept. 1942 laut Totenschein an „Marasmus, Enteritis, Altersschwäche, Darmkatarrh“.

 

LITERATUR

Bade- und Reise-Journal [Wien] 1877, 17., 24. Juni, 8. Juli, 26. Aug.

Badener Bezirks-Blatt 5. Aug. 1896

Cur- und Fremden-Liste des Curortes Baden bei Wien 4. Juli 1904

Deutsche Kunst- und Musikzeitung 1882, S. 415; 1884, S. 591, 599; 1892, S. 321

Deutsche Zeitung [Wien] 9. Juli 1874

Fremden-Blatt [Wien] 1871, 1. Juli; 1876, 29 Nov.

Gmundner Kurliste 1895, 24. Juli; 1899, 23. Aug.

Illustrirtes Wiener Extra-Blatt 1876, 22. Dez.; 1877, 20. Juni

Ischler Bade-Liste 1906, 9. Juli; 1927, 6. Sept.

Kölnische Zeitung 29. März 1880, Erstes Blatt, S. 2

Mährisches Tagblatt [Olmütz] 15. Nov. 1884

Musikalisches Wochenblatt 1876, S. 711; 1878, S. 75

Neue Freie Presse [Wien], 1871, 9. Aug.; 1874, 10. Juli; 1875, 25. Juni; 1876, 28. Juni, 28. Nov.; 1877, 6. März, 19. Apr.; 1882, 4. Okt.; 1883, 16. Mai; 1893, 23. März; 1896, 5. Nov.; 1905, 25. Okt.; 1906, 2. Okt.; 1911, 20. Sept.; 1930, 3. Okt.

Neues Fremden-Blatt [Wien] 1874, 15. Febr., 9. Juli; 1875, 17. Febr., 25. Juni

Neues Wiener Tagblatt 1884, 23. Nov.; 1901, 18. Dez.; 1904, 17., 27. Jan.;1909, 12. März; 1911, 16. Sept.; 1916, 4. Aug.

NZfM 1876, S. 353; 1881, S. 305

Österreichische Musiker-Zeitung [Wien] 1. Juli 1875, S. 6

Pester Lloyd 1877, 29. Juni; 1890, 28. Okt.

Die Presse [Wien] 1875, 20. Febr.; 1876, 22. Jan., 28. Juni, 17. Dez.; 1877, 9. Mai, 8. Aug.; 1878, 18. Jan.

Salzkammergut-Zeitung 31. Juli 1904

Signale 1876, S. 549 , 770; 1877, S. 5; 1896, S. 717

Das Vaterland [Wien] 20. Juli 1876

Wiener Allgemeine Zeitung 28. Nov. 1882

Wiener Montags-Journal 5. Dez. 1887

Wiener-Neustädter Zeitung 29. Sept. 1877

Wiener Salonblatt 1876, 8. Apr., S. 9, 29. Apr., S. 5, 7

Wiener Zeitung 15. Aug.  1871

Wiener Zeitung 1. Dez. 1876, Beilage zur Wiener Abendpost

Susanne Wosnitzka, „Emilie Goldberger – eine wiederaufgefundene jüdische Clara-Schumann-Schülerin“, in: It’s a Man’s World? Künstlerinnen in Europas Musik-Metropolen des frühen 20. Jahrhunderts, hrsg. von Sabine Meine u. Kai Hinrich Müller, Würzburg 2024, S. 169–179.

https://goldberger.susanne-wosnitzka.de/timeline, Zugriff am 2. Mai 2025.

https://goldberger.susanne-wosnitzka.de/en/repertoire-2, Zugriff am 2. Mai 2025.

 

Freia Hoffmann

 

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