Jahresbericht 2024

Wir müssen uns, bevor wir über unsere eigentlichen Anliegen sprechen, mit einem Thema beschäftigen, das in diesen Zeiten viele Menschen bewegt: Was können wir tun, um unser Klima nicht weiter mit CO2 zu belasten? Und was müssen wir tun, wenn das Institutshaus mit einer über 25 Jahre alten Gastherme beheizt wird? Seit vorigem Jahr haben uns dabei Architekten und Energieberater geholfen: Wie kann man ein 160 Jahre altes Haus (mit Stuck an der Straßenfront, einem Wintergarten an der Rückseite und 350 qm Wohnfläche) so isolieren und vorbereiten, dass es mit einer Wärmepumpe beheizt werden kann? Glücklicherweise entmutigen uns die Fachleute heute nicht mehr mit Fußbodenheizungen und anderen substantiellen Eingriffen, sondern helfen mit dem, was machbar ist. Die erste Errungenschaft war also eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach (siehe Foto), es folgten neue Fenster, und zurzeit wird die Wärmedämmung der rückwärtigen Fassade vorgenommen. Ich will unsere LeserInnen nicht mit Einzelheiten aufhalten – kurz gesagt: Ich schreibe lieber und schneller ein Buch, als mich mit all diesen Materialien, Arbeitsschritten und dem Hindernislauf durch staatliche und kommunale Förderungen zu quälen. Glücklicherweise haben wir kompetente, zuverlässige und gut gelaunte Handwerker.

Das Jahr 2024 war aber auch innerhalb der Mauern durchaus produktiv. Wir haben angefangen, uns mit unserem neuen Forschungsprojekt – Musikausbildung im NS-Staat – anzufreunden, was bei diesem durchaus wieder aktuellen Thema nicht einfach war. Aber die Beschäftigung mit der Frage, wie sich MusikerInnen und MusikpädagogInnen zu einem heraufziehenden totalitären Staatswesen verhalten, wie sie Musik als Rückzugsort oder auch als Katalysator zur Mobilisierung der Massen nutzen, ist auch jenseits der manchmal erschütternden Lektüren eine Tätigkeit, die durchaus fesseln kann. Und es ist ein bisher wenig erforschtes Gebiet, bei dem wir vorwiegend mit Archivalien und zeitgenössischen Quellen arbeiten können. Für neue Einsichten ist also gesorgt. Für die geplante Publikation sind Beiträge von Maren Goltz über die Hochschule/das Konservatorium in Leipzig sowie Erwin Strouhal und Severin Matiasovits über die „Reichshochschule“ in Wien vereinbart. Die übrigen Beiträge werden hier im Haus erarbeitet: die Berliner Musikhochschule von Philine Lautenschläger, die Stuttgarter Hochschule von Alexandre Bischofberger, die Hochschule in Köln von Christiane Barlag und Freia Hoffmann, die Akademie/Hochschule in Berlin von Freia Hoffmann. Ein zweiter Band ist in Aussicht genommen, wofür Frankfurt, München u. a. in Frage kommen.

 

Termine

Vom 29. Nov. bis 1. Dez. 2023 fand an der Universität Bremen eine Internationale Tagung zu Bremens postkolonialer Geschichte und Gegenwart statt. Alexandre Bischofberger nahm mit einem Referat teil: „Aber deren künstlerische Heimat ist Deutschland“. Spuren kubanischer Musicians of Color im Bremen des 19. Jahrhunderts.

Am 16. Februar 2024 hatten wir das Klavierduo Hayashizaki - Hagemann zu Gast. Einziger Programmpunkt: Das Grand Duo von Leopoldine Blahetka (1809–1885), ein „Juwel der vierhändigen Klavierliteratur“. In einem Gesprächskonzert präsentiert, mit Einzelheiten zu Blahetkas Biographie und ihrer Komposition. Ein eindrucksvoller Abend, der noch lange nachwirkte!

Am 2. Juli war Simone Jung (Hessischer Rundfunk) zu Filmaufnahmen im Institut. Das Thema: „Sol Gabetta auf den Spuren von Lise Cristiani“. Letztere, die erste öffentlich auftretende Violoncellistin (1840er Jahre), ist bekanntlich eines unserer bevorzugten Forschungsthemen.

Zu unserem Forschungsprojekt Musikausbildung im NS-Staat finden im Institut seit September nach Bedarf Kolloquien statt, ein regelmäßiger Gast ist dabei Prof. Dr. Alexander Cvetko von der Universität Bremen.

Zum 8. November waren wir nach Wien eingeladen zu einem Workshop an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien mit dem Titel „Provenienzforschung an der mdw“. Philine Lautenschläger hat in diesem Rahmen über unser NS-Projekt berichtet und einen Vortrag gehalten: „Musik und professionelle Musikausbildung im Nationalsozialismus - ein Forschungsbericht“.

An der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz fand vom 14. bis 16. November die Internationale Tagung „‚Es webt darin ein leidenschaftlich-männlicher Geist.‘ Neue Perspektiven auf Orchestermusik von Komponistinnen“ statt. Barbara Kollenbach hat dort unsere Datenbank „Orchesterwerke von Komponistinnen“ vorstellt, und Philine Lautenschläger referierte über „Orchesterwerke von Germaine Tailleferre (1892–1983): Die Ästhetik des Amusements“.

Am 19. November hat uns Prof. Dr. Veronika Busch (Universität Bremen) mit Studierenden besucht, die zurzeit bei ihr ein Seminar zu Genderaspekten in der Systematischen Musikwissenschaft besuchen. Wir haben sie über unsere Forschungsschwerpunkte informiert und mit ein paar Anregungen für eigene Forschungen entlassen.

Am 26. November hielt Prof. Dr. Katharina Hottmann (Folkwang Universität der Künste Essen) einen Vortrag mit dem Titel: „Die Ofenzange als Triangel und der kleine Tänzer auf Schweinsborsten. Musikalische Jungen- und Mädchensozialisation um 1900 im Spiegel von Jugendzeitschriften“. Mit vielen aufschlussreichen Abbildungen versehen, löste der Vortrag bei den zahlreichen HörerInnen eine lebhafte Diskussion aus, und, unterstützt von Buffet und dem einen oder anderen Getränk, wurde es ein langer, gemütlicher Abend.

Und schließlich fand am 4. Dezember wieder unsere jährliche Beiratssitzung statt. Thema waren die Finanzierung des Instituts, die laufenden Arbeiten, Pläne für das kommende Jahr, das Profil des Instituts und eine Erweiterung des Beirats. Wir sind sehr froh über die Unterstützung durch dieses Gremium (manche sind schon seit vielen Jahren dabei) und sind gespannt auf neue Mitglieder.

 

Publikationen

Barbara Kollenbach, „Die Grenzen der Entgrenzung. Anna Morsch und die Handlungsspielräume von Frauen um 1900", in: Entgrenzung. Beobachtungen, Analysen und Interpretationen zur (Musik-)Kultur (= Studien zur Musikkultur Bd. 11), hrsg. von Peter W. Schatt, Münster 2024, S. 181–193.

Philine Lautenschläger, „Von der ‚unbestritten deutschen Domäne‘ zur internationalen Wissenschaft: Tendenzen der Internationalisierung in der Zeitschrift Die Musikforschung“, in: Die Musikforschung 76. Jg., H. 4 (2023), S. 354–366.

Philine Lautenschläger, „Editionsgeschichte“, in: Schönberg-Handbuch, hrsg. von Andreas Meyer, Therese Muxeneder, Ullrich Scheideler, Kassel/Stuttgart 2023, S. 447–455.

Alexandre Bischofberger, „Eine koloniale Bühne? Konzerte in Bremen“, in: „Stadt der Kolonien“. Wie Bremen den deutschen Kolonialismus prägte, hrsg. von Norman Aselmeyer u. Virginie Kamche, Freiburg / Basel / Wien 2024, S. 138–142.

Alexandre Bischofberger: „Eine musikalische Dreiecksbeziehung. Zu den transatlantischen Voraussetzungen einer US-amerikanischen Musikerkarriere“, in: Music Across the Ocean. Processes of Cultural Exchange in a Transatlantic Space, 1800–1950, hrsg. von Carola Bebermeier, Clemens Kreutzfeldt u. Melanie Unseld, Bielefeld 2024, S. 263–275.

Luisa Klaus, „Das Erbe Robert Lachmanns? – Die Berliner Schule der Vergleichenden Musikwissenschaft in der Rezeption Edith Gerson-Kiwis in Israel“, in: Musikwissenschaftliche und musikalische ‚Schulen‘? Strukturen, Analyse, Dynamiken, online-Publikation zur Tagung des DVSM, September 2024.

 

Wir schließen diesen Jahresbericht mit einem herzlichen Dank für Ihr Interesse am Sophie Drinker Institut und den besten Wünschen, auch vom gesamten Team, für eine erholsame Weihnachtspause und ein Gutes Neues Jahr.

Ihre Freia Hoffmann

Prof. Dr. Freia Hoffmann, Geschäftsführerin
Sophie Drinker Institut gGmbH
Außer der Schleifmühle 28, 28203 Bremen
www.sophie-drinker-institut.de