Jahresbericht 2025
Im Jahresbericht 2024 hatten wir über die Arbeiten am Instituts-Haus berichtet – Photovoltaik und Dämmung – und bekamen dazu so viele positive Rückmeldungen, dass es jetzt eine kleine Fortsetzung gibt. Die kommunale Wärmeplanung ist ja in den Medien ein prominentes Thema, Bremen z. B. soll sich bis 2038 von Gas- und Ölheizungen verabschieden. Und wer das Scheitern der Klimakonferenz in Belém verfolgt hat, wer die Rolle rückwärts unserer jetzigen Regierung beobachtet, kann daraus eigentlich nur den Schluss ziehen, dass es mehr denn je auf die eigene Initiative ankommt. Das Sophie Drinker Institut, eine Villa aus dem Jahr 1864, natürlich ohne Fußbodenheizung, teilweise mit den alten Rippenheizkörpern, hat schon im vergangenen Winter durch neue Fenster im Wintergarten und die Dämmung der hinteren Fassade fast ein Drittel des Gasverbrauchs für die Beheizung eingespart. Und im kommenden Jahr wird es aufgrund der neuen Heizlastberechnung eine Wärmepumpe geben. Wir werden dann also emissionsfrei sein.
Ein zweites Thema hat ebenfalls mit der politischen Entwicklung zu tun, die wir täglich in den Medien verfolgen können: Alle bisherigen Versuche, nach den Katastrophen der Jahre 1933 bis 1945 politische Konflikte mit diplomatischen Mitteln zu lösen, durch internationale Vereinbarungen für einen Ausgleich von Interessen und ein friedliches Miteinander der Völker zu sorgen, werden zurzeit abgelöst durch kriegerische Aggression, durch das Recht des Stärkeren, also desjenigen, der die größten militärischen Mittel, die größte wirtschaftliche Macht und die größte mitmenschliche Skrupellosigkeit besitzt.
Dass wir seit 2023 das Thema „Musikausbildung im NS-Staat“ bearbeiten, hat vielleicht manche irritiert, die mit dem Sophie Drinker Institut vor allem musikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung verbinden. Das NS-Thema hat sich, vor allem durch die Initiative von Dr. Volker Timmermann, aus unserer Arbeit am „Handbuch Konservatorien“ entwickelt und dann in einer Art Eigendynamik immer mehr Raum eingenommen. Aber inzwischen sind wir der Meinung, dass es richtig ist, sich mit diesem Thema auch gegen die wachsende Bedrohung durch rechtsradikale Tendenzen in unserer Gesellschaft zu positionieren. Dass so viele WählerInnen der AfD die Lehren aus der NS-Geschichte nicht ziehen wollen oder zu wenig über diese Geschichte wissen, kann nur damit beantwortet werden, dass mehr informiert und aufgeklärt wird. Dazu können die Massenmedien beitragen (sie tun es auch teilweise), aber die Wissenschaft kann auch einen bescheidenen Beitrag dazu leisten.
Wir werden hoffentlich schon im nächsten Jahr den ersten Band der „Musikausbildung im NS-Staat“ publizieren. Er wird Beiträge zur Hochschule für Musik in Berlin (Philine Lautenschläger), zur Musikhochschule in Stuttgart (Alexandre Bischofberger), zur Reichshochschule in Wien (Severin Matiasovits, Erwin Strouhal) und zur Akademie/Hochschule für Musikerziehung und Kirchenmusik in Berlin (Freia Hoffmann) enthalten. Ein zweiter Band ist geplant, möglicherweise mit den Hochschulen in Frankfurt a. M., Köln, München, Lübeck und Karlsruhe. Das wird aber noch dauern.
Am 7. Oktober 2024 haben PD Dr. Philine Lautenschläger und Dr. Alexandre Bischofberger bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Musikforschung in Weimar ein Panel zum Thema veranstaltet, unter Beteiligung von PD Dr. Martin Rempe, Prof. Dr. Yvonne Wasserloos und Prof. Christoph Henzel. Gute Vorträge, ertragreiche Diskussionen, hilfreiche Anregungen.
Die Frauen- und Geschlechterforschung nimmt aber weiter ihren Lauf. Das „Lexikon Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts“ wird regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht und ergänzt, zuletzt durch einen Artikel über Elisabeth Caland; ein weiterer über Adela Verne wird Anfang 2026 folgen.
Mary Ellen Kitchens, seit 2013 Vorstandsfrau des Internationalen Arbeitskreises Frau und Musik, hat mit uns darüber beraten, wie die Datei gedruckter Orchesterwerke von Komponistinnen (auf unserer Homepage) noch benutzerfreundlicher aufbereitet werden kann. Über den Kontakt mit NFDI4 Culture (eines von 26 fachlichen Konsortien der Nationalen Forschungsdaten Infrastruktur, die helfen, Forschungsdaten vernetzbar und zugänglich zu machen) konnten wir einen Studenten aus Leipzig gewinnen, der im Rahmen seiner Bachelorarbeit unsere Datei zur Orchestermusik von Komponistinnen mit Hilfe von KI und verschiedenen Tools zu einer Datenbank umwandelt. Ziel ist es, im Anschluss die aufbereiteten Daten in unsere Homepage einzubinden, sodass eine detailliertere und filterbare Recherche zu Orchesterwerken von Komponistinnen möglich sein wird.
Ein neues Forschungsprojekt ist in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Sabine Giesbrecht, Osnabrück, verabredet: Wie hat sich die NS-Propaganda besonders an Mädchen und Frauen gerichtet, welche Rolle haben dabei Lieder gespielt? Davon hoffentlich im nächsten Jahresbericht Näheres.
Und nun die Chronologie des Jahres 2025:
Wir gratulieren Philine Lautenschläger zur Habilitation und Erteilung der venia legendi an der Universität der Künste in Berlin am 22. Januar und beglückwünschen Alexandre Bischofberger zu seiner Dissertation „Karriere im Transit. Musikerinnen und Musiker zwischen Kuba und Europa (1830–1920)“, die im Mai im Druck erschienen ist.
Am 19. Februar fand ein Konzert statt, das uns und allen Gästen noch lang in Erinnerung bleiben wird. Der mehrfach preisgekrönte Pianist Albert Lau aus Köln spielte auf unserem vielgelobten Flügel Klaviermusik von Fanny und Felix Mendelssohn, wir lasen dazu aus dem Briefwechsel der Geschwister. Vielen Dank an Albert Lau und Frank Pochert, den Inhaber der Konzertagentur Agrippina, für diesen eindrucksvollen Abend!

Am 6. März hat uns Jun.-Prof. Dr. Maria Behrendt, Leiterin des FMG (Forschungszentrum Musik und Gender) in Hannover, besucht. Wir haben uns gefreut, dass auch unter ihrer Leitung der Kontakt zwischen unseren Institutionen fortgeführt wird.
Der 4. April 2025, 80. Geburtstag der Institutsleiterin, war ohne deren Wissen monatelang sorgfältig und liebevoll vorbereitet worden. Zu Beginn versammelten sich KollegInnen und WegbereiterInnen zu einem Symposium und hielten Vorträge mit Bezug zu verschiedenen Forschungsinteressen der Jubilarin:
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Sabine Giesbrecht: Grußwort Ivo Berg: Lina Ramanns Konzeption eines instrumentalen Anfangsunterrichts in Kleingruppen Rebecca Grotjahn: „…In einem bis zum Ende fortsteigenden Climax“. E. T. A. Hoffmann, Beethoven und die Biologie Irène Minder-Jeanneret: Pauline Long (des Clavières), 1885–1923. Die zweit-erste Schweizer Musikwissenschaftlerin ossia Eine Schweizer Arlésienne Katharina Hottmann: „Komm, liebe Chloe, trink mit mir!“ Geschlechterverhältnisse in Trinkliedern verhandelt Alexandre Bischofberger & Philine Lautenschläger: „Im Gestus erbärmlich“. Musikhochschulen im NS-Staat Luisa Klaus & Claudia Schweitzer: „Nach einer Fuge über ‚Die Fahne hoch…‘ war nur noch Kaffeetrinken möglich – der Musikwissenschaftler Fritz Dietrich, ein Kind seiner Zeit Birgit Kiupel: Antisemitismus im deutschen Märchenwald. Wege zur Dramatikerin Elsa Bernstein alias Ernst Rosmer (1866–1949) Marion Gerards: „Das Patriarchat der Anderen“ in der Kulturellen Bildung Yuko Tamagawa: Instrument und Gender im heutigen Japan Alexander Cvetko & Barbara Kollenbach: Über die musikpädagogische Frauen- und Geschlechterforschung seit den 1980er Jahren und ihr Gewinn für die Gegenwart |
Das Fest wurde fortgesetzt mit dem feierlichen Abschluss einer Kooperationsvereinbarung mit der Universität Bremen, vorbereitet von Prof. Dr. Alexander Cvetko (Forschungsschwerpunkt Historische Musikpädagogik) und unterzeichnet von Prof. Dr. Jutta Günther (Rektorin). Die Vereinbarung sieht Kooperationen in der Lehre, in der Nachwuchsförderung und in der Forschung vor. Regelmäßige Besuche zu Kolloquien und Vorträgen, Mitwirkung in der Lehre, Unterstützung von Forschungsvorhaben, Zusammenarbeit im Beirat gehören schon lange zum Alltag des Instituts und sind nun auch langfristig vereinbart.
Klavier- und Kammermusik (Farrenc, Dinescu), ein episches Gedicht, ein prächtiges Buffet, ordentlicher Wein und viele muntere Gäste aus nah und fern sorgten schließlich für einen vergnügten Ausklang des Tages.


(Fotos: Doris Eickhoff)
Vom 26. August bis 31. August hat uns Yuko Tamagawa (Tokio) besucht. Sie hatte am 4. April per Zoom einen Beitrag zum Symposium geleistet und nutzte ihre Europareise, um mit unserer Mitarbeiterin Christiane Barlag die Veröffentlichung in der Online-Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts vorzubereiten. Der Text, „Instrument und Gender im heutigen Japan“, ist inzwischen als Band 5 unserer Schriftenreihe veröffentlicht – sehr lesenswert!
Am 17. November fand die diesjährige Beiratssitzung statt, zum ersten Mal mit Prof. Dr. Veronika Busch, Professorin für Systematische Musikwissenschaft an der Universität Bremen. Nützliche Ratschläge für laufende und zukünftige Vorhaben und eine ausführliche Diskussion zur Frage, ob und in welcher Weise NS-Musik tatsächlich propagandistische Ziele erreichen kann (siehe oben), wirkten tagelang nach – wir müssen das für die geplante Publikation unbedingt vertiefen.
Die letzte Veranstaltung dieses Jahres (26. November) war ein Filmabend mit dem Titel „Sol Gabetta auf den Spuren von Lise Cristiani“. Seit in Instrument und Körper (Hoffmann 1991) und weiteren Publikationen des Sophie Drinker Instituts die Geschichte und Wahrnehmung von Lise Cristiani erstmals dargestellt wurde, ist das abenteuerliche Leben dieser Musikerin inzwischen in Literatur, in Konzerten und weiteren Büchern gewürdigt worden. Nun hat sich zu ihren Fans auch die Violoncellistin Sol Gabetta gesellt, und Simone Jung hat 2024 diese Beziehung in einem Film für Arte geschildert. Wir haben das Glück gehabt, in Anwesenheit von Simone Jung den Film in der Langfassung zu zeigen. Es gab zahlreiche Gäste, einen kunstvollen Film, einen interessanten Bericht zu seiner Entstehung und eine lebhafte Diskussion.
2025 haben wir seit längerer Zeit im Sophie Drinker Institut wieder einmal PraktikantInnen gehabt. Die erste, von Januar bis März, war Adrienn Illés, ausgebildete Cembalistin und Pianistin und damit sehr geeignet, um das Leben von Elisabeth Caland (1862–1929) zu erforschen und für das Instrumentalistinnen-Lexikon darzustellen. Elisabeth Caland hatte in der Nachfolge von Ludwig Deppe eine spezielle Klaviertechnik auf anatomisch-physiologischer Grundlage entwickelt und verdient damit durchaus einen Platz im Lexikon.
Im März kam für zwei Monate Leon Mai, Student an der Universität Bremen, und half uns bei der Revision von vier Artikeln des Instrumentalistinnen-Lexikons. Für das NS-Projekt recherchierte er Parteizugehörigkeiten und politische Aktivitäten von Lehrkräften der Musikhochschulen in Berlin und Köln.
Und schließlich hatten wir mit Nicolai Gloe-Carstensen aus Osterholz-Scharmbeck auch einen Schüler, der bei uns vom 3. bis 14. November ein vierzehntägiges Betriebspraktikum absolvierte. Da Nicolai selbst Klavier spielt und gut Englisch kann, beauftragten wir ihn mit der Recherche zur englischen Pianistin Adela Verne (1877–1952). Sie war die Schwester von Mathilde Verne und Mary Wurm und sollte neben ihren berühmteren Schwestern auch einen Platz im Lexikon bekommen. Nicolai machte sich mit einem solchen Forscherinteresse und einem solchen Geschick an die umfangreiche Arbeit (477 Einträge in den British Periodicals!), dass er zum Abschied den Auftrag bekam, auch den Artikel zu formulieren. Das wird eine Premiere: Ein 17-jähriger Schüler schreibt für das Instrumentalistinnen-Lexikon!
Wir haben jetzt auch auf die Homepage gestellt, dass man bei uns Praktika machen kann, und schon erwarten wir für Januar die erste Interessentin.
Und etwas anderes können wir für das nächste Jahr noch in Aussicht stellen: Am 10. September 2001 (einen Tag vor nine-eleven!) ist die Sophie Drinker Institut gGmbH gegründet worden. Das wird am 11. und 12. September 2026 im Institut gefeiert.
Wie immer: Viele gute Wünsche für Weihnachten, das Neue Jahr und eine friedliche Zukunft, auch im Namen von Alexandre Bischofberger, Philine Lautenschläger, Christiane Barlag und Barbara Kollenbach.
Ihre Freia Hoffmann
Sophie Drinker Institut
Außer der Schleifmühle 28
28203 Bremen
