Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Milanollo, Clotilde, Klothilde, Klotilde (Maria Philomena), verh. Galliat

1. Nov. 1864 in Cuneo, † Okt. 1934 in Hamburg, Violinistin, Violinlehrerin. Sie war die Tochter von Carlo Antonio Milanollo (1831–1905) und Lucia Quaranta. Im handschriftlichen Stammbaum der Familie Milanollo (Teilnachlass Milanollo, Monacensia München) ist der Name der Mutter († 1866) nicht sicher zu lesen. Clotilde Milanollo hatte zumindest eine Schwester, Catharina Milanollo (1862–1901).

 

Milanollo, Adelaide, Adele, Adeleide (Maria), verh. Roeder, Röder

26. Sept. 1870 in Cuneo, † 30. Dez. 1933 in Witten, Violinistin, Violinlehrerin. Sie war die Tochter von Michele Antonio Milanollo (1807–1881), einem Tischler, und dessen zweiter Ehefrau Giovanna Christina Katharina Pasquale (1830–1905). Das Paar hatte drei weitere Kinder, davon zumindest zwei Jungen, Luigi Michele (1837–1909) und Giovanni Milanollo (1842–1869), ein dritter Name ist im handschriftlichen Stammbaum nicht lesbar.

Anders als in den Medien postuliert, waren die lange gemeinsam auftretenden Clotilde und Adelaide Milanollo keine Schwestern. Vielmehr war Adelaide die Tante von Clotilde Milanollo. Verwandtschaft zu den berühmten Milanollos bestand: Adelaide war die Cousine, Clotilde die Großnichte von Teresa und Maria Milanollo.

Nach einem unveröffentlichten Nachruf auf Clotilde Milanollo hatte diese zunächst von namentlich nicht genannten italienischen Lehrern Unterweisungen im Geigenspiel. Clotilde Milanollo wurde wohl die erste Lehrerin Adelaide Milanollos. Beide traten bereits in frühem Kindesalter in Oberitalien auf, die Kunde von neuen Milanollos erreichte bereits 1880 Deutschland. 1881 spielten sie in Rom. Den Quellen zufolge wurde die weitere Ausbildung beider Mädchen durch Teresa Milanollo initiiert und möglicherweise auch finanziert. Sie brachte die beiden am Pariser Konservatorium unter, wo sie u. a. von Lambert Massart (1811–1892) Unterricht erhielten.

Nach der Ausbildung, die vermutlich 1884 beendet war, gingen Clotilde und Adelaide Milanollo auf Konzertreisen. Dem unveröffentlichten Nachruf auf Clotilde Milanollo zufolge bereiste die Familie Frankreich, Belgien, Österreich, Ungarn, Russland, Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark und Deutschland. In der (teils ausführlichen) medialen Berichterstattung wurden Clotilde und Adelaide Milanollo in aller Regel im Kontext ihrer berühmten Verwandten wahrgenommen. „Wie wir erfahren sind es [Clotilde und Adelaide] nahe Anverwandte der noch in bester Erinnerung stehenden Geigenfeen Teresa und Maria Milanollo, welche in den 50er [sic] Jahren unsere Eltern und Großeltern in Extase zu versetzen wußten. – Und nun erscheinen diese Milanollo’s wieder auf der Bildfläche des Kunstlebens und sie sind ebenso jung und niedlich, ebenso frisch und künstlerisch angehaucht, wie vor 30 Jahren“ (Mährisches Tagblatt 17. Okt. 1885). In einigen Fällen orientierte sich die Wahrnehmung sogar direkt an der Rezeption der berühmten Vorfahren, etwa hinsichtlich der einst als gegensätzlich wahrgenommenen Spielcharaktere Teresa und Maria Milanollos. „Während Klotilde […] mit sicherer Technik und musikalisch fein ausgearbeiteter Behandlung die außerordentliche Delikatesse, Zartheit, elegante Glätte und Reinheit ihres Vortrages entfaltete, entzückte die kleine Adeleide durch bewegte heitere Innigkeit des Spieles“ (Prager Abendblatt 8. Juni 1885).

Anlässlich ihrer Auftritte wurden die Erinnerungen an Teresa und Maria Milanollo auch konkreter formuliert, etwa in Form von biographischen Abrissen oder in Anekdoten. Dabei wurden ältere KonzertgängerInnen, welche Teresa und Maria Milanollo einst selbst noch gehört oder zumindest die Begeisterung um sie miterlebt hatten, als besondere Zielgruppe ausgemacht. So zitiert das „Mährische Tageblatt“ die Leipziger „Illustrirte Zeitung“: „Wenn die ältere Generation bei einer Erinnerung an die ihr im Concertsaale vor dreißig, vierzig Jahren begegnenden, hochgefeierten Virtuosinnen betrachtend verweilt, so gedenke sie sicherlich mit ausgesprochener Vorliebe des Schwesterpaares Maria und Theresia Milanollo […]. Jetzt nun tauchten die Nichten jenes vielberühmten Schwesternpaares auf, zwei noch im jugendlichen Alter stehende Mädchen […], die nach allem, was sie bis jetzt an überraschenden Kunstleistungen in ihren Concerten geboten, berufen scheinen, das Erbe ihrer Tanten voll und ganz anzutreten“ (Mährisches Tagblatt 21. Okt. 1885). Die geigerischen Fähigkeiten werden dabei von der Kritik sehr unterschiedlich beurteilt, die Spanne zwischen hohem Lob und Verriss erscheint ungewöhnlich weit und mag auch dem stark unterschiedlichen Anspruch der berichtenden Blätter geschuldet sein. So urteilt die "Neue Zeitschrift für Musik": „Sie halten mit der Tua z. B. auch nicht entfernt einen Vergleich aus und ich bin überzeugt, daß sich auf den deutschen Conservatorien reichlich ein Dutzend Schülerinnen befinden, die weit besser Violine zu spielen verstehen, freilich aber das Unglück haben, nicht Milanollo zu heißen“ (1886, S. 482). Am ehesten mit sachlicher Distanz ordnet der Berliner Kritiker Heinrich Ehrlich ein: „Sie tragen den einst so gefeierten Namen Milanollo – aber der Name thut wenig zur Sache. Sie besitzen eine für ihr sehr jugendliches Alter sehr gute Technik; auch Spuren von Begabung für Vortrag konnten wir wahrnehmen. Aber es wäre besser gewesen, die Kinder noch lernen zu lassen, anstatt sie so unfertig in die Welt zu schicken mit so abgespielten wertlosen Compositionen, wie die, welche sie vortrugen“ (Die Gegenwart 1885, S. 238). Clotilde und Adelaide Milanollo spielten offenbar meist kürzere Virtuosenstücke, etwa von Hubert Léonard, Charles-Auguste de Bériot oder Niccolò Paganini.

Die Konzertreisen Clotilde und Adelaide Milanollos endeten um 1890. Clotilde Milanollo heiratete 1891 in Hamburg Franz Joseph Galliat (1865–1943). Das Paar hatte zwei Kinder, Herbert Ludwig Galliat (1902–?) und Gertrud Galliat (1906–1922). In Hamburg, wo Clotilde Milanollo-Galliat nun lebte, trat sie in Konzerten und in halböffentlichem Rahmen auf. Sie war zudem als Geigenlehrerin tätig. In späteren Jahren war sie offenbar nur noch hausmusikalisch aktiv.

Adelaide Milanollo heiratete 1890 in Dresden den Schriftsteller und Redakteur Ernst Philipp Roeder (1862–1897), dort wählte das Paar seinen Lebensmittelpunkt. Ab Ende 1893 vervollständigte sie ihre Ausbildung, sie nahm am Dresdner Konservatorium ein Violinstudium auf und wurde dort Schülerin von Eduard Rappoldi (1839–1903). In gelegentlich in den Dresdner Blättern zu lesenden Prüfungsberichten wird sie gelobt, anlässlich eines Konzertabends im Jan. 1897 schreiben die „Dresdner Nachrichten“, dass sie „sich als eine Geigerin erwies, der man das Attribut Schülerin nur noch bedingt geben darf“ (20. Jan. 1897). Im Sept. 1897, kurz nach Abschluss des Studiums, wurde Adelaide Milanollo-Roeder Violinlehrerin am Konservatorium in Dresden, sie unterrichtete dort in der zweiten (Vorbereitungs- und Laien-) Abteilung. Diese Stellung behielt sie bis 1907.

Schon während ihres Studiums und in stärkerem Maße ab 1900 etablierte sich Adelaide Milanollo-Roeder im Dresdner Musikleben. Markenzeichen war die Gründung des „Dresdner Damen-Trios“ in Klaviertrio-Besetzung, welches ab Herbst 1900 regelmäßig als lokales Ensemble in Dresden auftrat. Neben der Geigerin gehörten zur ersten Besetzung des Trios die Pianistin Clara Bräuer und die Violoncellistin Alla Pohle. Letztere wurde 1902 durch Agga Fritsche ersetzt, ab 1904 übernahm Rosa Button das Violoncello, später Eugenie Stolz. Regelmäßig konzertierte die Geigerin in der Triobesetzung, aber auch mit solistischen Beiträgen im Dresdner Musenhaus, in welchem die der Literatur der Moderne und der bürgerlichen Frauenbewegung nahestehende, von Adelaide Milanollos Ehemann Ernst Roeder geführte Dresdner „Litterarische Gesellschaft“ ansässig war. Diese Konzerte hatten inhaltlich und in ihrer Wahrnehmung wohl nichts mehr zu tun mit den Auftritten der Kindervirtuosinnen. Die vorliegenden Kritiken waren meist freundlich und beschrieben ihr Spiel „mit eleganter Bogenführung, gewandter Technik und gesundem, den Einfluß der Rappoldischen Schule bekundenden Ton“ (Dresdner Journal 5. März 1901).

Das Repertoire Adelaide Milanollo-Roeders erscheint in Gehalt und Anspruch gegensätzlich zu den Vortragsstücken, die sie mit Clotilde Milanollo in den 1880er Jahren aufgeführt hatte. Ihr Fundus enthielt insbesondere anspruchsvolle, oft neuere Werke. In der Triobesetzung spielte sie u. a. Klaviertrios von Ludwig van Beethoven (c-Moll op. 1,3), Franz Schubert (Nr. 2 Es-Dur op. 100), Robert Schumann (Nr. 1 d-Moll op. 63), Anton Arensky (Nr. 1 d-Moll op. 32), Camille Saint-Saëns (Nr. 1 F-Dur op. 18) und Ermanno Wolf-Ferrari (Nr. 1 D-Dur op. 5). Im Duo mit Klavier ließ sie beispielsweise Wolf-Ferraris Violinsonate g-Moll op. 1, Edvard Griegs Violinsonate Nr. 2 G-Dur op. 13, Richard Strauss’ Violinsonate Es-Dur op. 18 und eine Suite von Christian Sinding hören. Offenbar als Reminiszenz an ihre berühmte Vorfahrin enthielt das Repertoire Adelaide Milanollo-Roeders sonst in dieser Zeit nicht mehr gespielte Werke Teresa Milanollos (Grande fantaisie élégiaque op. 1 und Lamento op. 7).

Nach dem Tod ihres ersten Ehemannes Ernst Philipp Roeder heiratete sie ihren Schwager, den Ingenieur Julius Roeder. Mit ihm zog sie nach Bous a. d. Saar. Sie hatte einen Sohn aus erster Ehe, Ernst Julius Adolf Michael Roeder (*1891).

 

LITERATUR

Teilnachlass Milanollo (Monacensia München). Darin u. a. enthalten ein Nachruf auf Clotilde Milanollo (ohne Autor, Typoskript) sowie ein Stammbaum der Familie (ohne Autor, handschriftlich)

Allgemeine Kunstchronik. Illustrierte Zeitschrift für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater und Literatur 1885, 13. Juni, S. 4

Bade- und Reise-Journal [Wien] 1890, 10. Juli, S. 3

Berliner Börsen-Zeitung 17. Febr. 1885

Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung 5. Okt. 1885

Bock 1881, S. 167; 1885, S. 319

Bukowinaer Nachrichten [Czernowitz] 7. Dez. 1889

Deutsche Musik-Zeitung 1885, S. 555

Dresdner Journal 1892, 29. Okt.; 1893, 7. Jan.; 1896, 1., 24. Febr.; 1897, 19. Jan., 15. Sept.; 1900, 5., 29. Okt., 7., 20., 24., 27. Nov.; 1901, 13., 19., 25. Febr., 2., 5. März, 13. Mai; 1902, 10., 15., 27. Febr., 4. März, 1., 20., 21., 23. Okt.; 1903, 24. Okt.; 1904, 1., 11. März; 1906, 19. März, 2., 8., 12., 15. Okt.; 1908, 20. Juli

Dresdner Nachrichten 1890, 20. Nov.; 1893, 11. Jan.; 1895, 4. März, 31. Okt.; 1896, 2., 23. Febr.; 1897, 20. Jan., 16. Sept.; 1900, 14. Okt., 28. Nov.; 1901, 6. März; 1902, 12. Febr., 2. März, 19., 22. Okt.; 1904, 10. Jan., 21. Febr., 10., 12., 19., 20. März; 1906, 7., 15. Okt.

Düsseldorfer Volksblatt 25. Juli 1886

Fremdenblatt. Organ für die böhmischen Kurorte [Karlsbad] 24. Juli 1887

Fremden-Zeitung [Salzburg] 1. Juli 1890

FritzschMW 1885, S. 212, 383, 539

Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben 1885, S. 238

Grazer Volksblatt 1885, 17., 18., 19., 20. Juni

Hallesches Tageblatt 21. Apr. 1889

Kölnische Zeitung 2. Jan. 1934

Mährisches Tagblatt 1885, 18. Sept., 17., 20., 21., 22., 23., 26., 27., 29. Okt.

Musikpädagogische Blätter 1897, S. 265

Neue Freie Presse [Wien] 1885, 14. Febr., 11. Juni; 1885, 12. Dez.

Neue Illustrirte Zeitung [Wien] 1885, S. 350

Neueste Nachrichten [Dresden] 1900, 18. Nov.; 1902, 24. Okt.; 1906, 23. Sept.

Neues Wiener Tagblatt 1885, 11. Juni, 24. Nov., 10., 15. Dez.

NZfM 1880, S. 430; 1885, S. 246, 314, 393; 1886, S. 482; 1897, S. 413

Oesterreichische Badezeitung [Wien] 18. Juli 1886

Prager Abendblatt 8. Juni 1885

Prager Tagblatt 1885, 9. Mai, 6., 7. Juni

Die Presse [Wien] 1885, 11., 12., 15. Dez.; 1886, 3. Sept.

Risaer Tageblatt und Anzeiger 1901, 16., 20. Febr.

Sächsische Dorfzeitung und Elbgaupresse [Blasewitz/Dresden] 5. Okt. 1906

Sächsischer Landesanzeiger [Chemnitz] 24. Mai 1885

Sächsische Volkszeitung [Dresden] 13. Okt. 1906

Signale 1881, S. 666; 1882, S. 195, 201; 1885, S. 744, 874; 1886, S. 131, 553, 630; 1900, S. 1092

Steirische Alpenpost [Bad Aussee] 28. Juni 1885

Teplitz-Schönauer Anzeiger 13. Juni 1885

Wiener Allgemeine Zeitung 10. Dez. 1885

Wiener Presse 29. März 1885

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RudolphRiga, OeML

Deutschlands, Oesterreich-Ungarns und der Schweiz Gelehrte, Künstler und Schriftsteller in Wort und Bild, Leipzig 1908.

Bruno Volger, Sachsens Gelehrte, Künstler und Schriftsteller in Wort und Bild, Leipzig 1908.

Friedrich Jansa, Deutsche Tonkünstler und Musiker in Wort und Bild, Leipzig 1911.

 

Volker Timmermann

 

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