DDR: Berufsverbot für eine Pianistin
Schraubenfabrik statt Konzertsaal
Durch eine Nutzerin unseres Lexikons sind wir auf eine Pianistin aufmerksam gemacht geworden, die – Geburtsjahr 1900 – für ein Instrumentalistinnen-Lexikon des 18. und 19. Jahrhunderts nicht mehr in Frage kommt. Ihr Schicksal ist aber so bemerkenswert, dass wir ihr wenigstens unter „Neuigkeiten“ eine Seite widmen wollen.
Margarethe Winckler, auch Gretchen oder Grete genannt, wurde ab ihrem 17. Lebensjahr am Dresdner Konservatorium von Laura Rappoldi-Kahrer ausgebildet. In einem Schreiben der ehemaligen Liszt-Schülerin aus dem Jahr 1920 bürgt Rappoldi-Kahrer für das Talent der Pianistin und wünscht alles Gute für die weitere Karriere. Während ihrer Ausbildung gab Winckler ihr Debüt-Konzert in ihrer Heimatstadt Zittau, bei dem sie unter anderem die 13. Ungarische Rhapsodie von Liszt aufführte. Ihr Repertoire umfasste u. a. Werke von Chopin und Liszt, Fugen von Fach und mehrere Beethoven-Sonaten. Sie scheint eine Vorliebe für virtuose Klavierstücke der Romantik gehabt zu haben. Eine Lehrstelle in Detmold, die ihr durch Rappoldi-Kahrer vermittelt wurde, lehnte Margarethe Winckler auf Wunsch ihrer Eltern ab.
Margarethe Winckler im Jahr 1924
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sie in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR schwere körperliche Arbeit in einer Schraubenfabrik leisten. Ab 1954 nahm sie Unterricht bei Ingeborg Finke-Siegmund. Inzwischen verheiratet und unter dem Namen Margarethe Petermann, versuchte sie, ihre künstlerische Tätigkeit wieder aufzunehmen. Das wurde ihr allerdings behördlicherseits untersagt: Öffentliche Auftritte und das Erteilen von Unterricht wurden ihr verboten. Was blieb, waren gelegentliche Darbietungen in Volkshochschulkursen und die Teilnahme an Laienwettbewerben.
1954 nahm sie an einem Kurs „Blick in Konzertsaal und Oper“ an der Volkshochschule Dresden teil und ließ sich dort mit Werken von Liszt, Grieg und Beethoven hören. Teilnehmer*innen des Kurses wandten sich daraufhin am 20. Mai 1954 mit einer Resolution an die Behörde. Ganz im Sinn des vielzitierten Marxschen Leitsatzes beantragten sie, der begabten Musikerin in der jungen sozialistischen Gesellschaft eine angemessene Wirkungsmöglichkeit zu eröffnen:
„Wir sind der Meinung, dass nach dem Leitsatz ,Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Leistungen‘ dieser Frau von den dafür zuständigen und verantwortlichen Stellen unbedingt geholfen werden muss, ihre Kenntnisse fruchtbringend für die gesamte Gesellschaft anwenden und zur Verfügung stellen zu können.“
Der Antrag blieb erfolglos, Gründe für das Berufsverbot sind unbekannt. Ihren Lebensunterhalt verdiente Margarethe Petermann weiterhin in der Schraubenfabrik. Sie starb 1976.
Leon Mai
Für Informationen und Quellen bedanken wir uns bei ihrer Enkelin Elgin Petermann-Heym.
Reifezeugniß
Fräulein Grete Winckler aus Zittau hat seit ungefähr 3 Jahren meinen Unterricht genoßen, u hat während dieser Zeit ihr schönes Talent in erfreulichster Weise zur Entwicklung gebracht. Ihr Anschlag ist schön, weich und doch kraftvoll, die Technik in Läufen, Dopppelgriffen, Oktaven, Trillern etc. gut entwickelt. Dabei spielt sie sehr musikalisch u besitzt ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Ich wünsche ihr für die Zukunft alles Gute! Frl. W. hat bei mir Clementis Gradus ad Parnassum, sämtliche Chopin-Etuden, Bach, (mehrere Fugen) Beethoven Sonaten (appassionata, Mondschein-Sonate) kl. und größere Werke von Chopin und Liszt etc etc fertig studiert. Ihr Fleiß war musterhaft!
Dresden den 12 Juni 1920.
Laura Rappoldi-Kahrer
Kammervirtuosin,
Professorin der Musik,
Mitglied des Direktorsrates
am Königl. Conservatorium für Theater u Musik zu Dresden
