Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Ritter-Bondy, Emma, Emma Maria, geb. Bondy, Bondi

* 9. Jan. 1838 in Graz, † 23. Juni 1894 in Glasgow, Pianistin, Klavierlehrerin, Professorin und Konzertveranstalterin. Emma Bondy war das zweite von insgesamt sieben Kindern von Leopold Bondy (* 1799 in Neubidschau, heute Nový Bydžov, Tschechien) und Pauline von Vernáy (* 1814 in Jakobsdorf, in der Nähe von Bratislava).

Der erste Sohn des Ehepaares Bondy wurde 1835 in Ptuj im heutigen Slowenien geboren, da Leopold Bondy dort die Erziehung der Familie des Grafen Schönfeld im Schloss Thurnisch leitete. Die weiteren sechs Kinder von Leopold und Pauline Bondy erblickten in Graz das Licht der Welt, wo Leopold Bondy als Direktor einer renommierten und beliebten Sprach- und Erziehungsanstalt tätig war. Aus musikalischer Sicht besonders erwähnenswert sind neben Emma auch drei ihrer Geschwister: Moritz (1835–?), Camillo (1843–?) und Ida (1841–1903). Letztere heiratete den Grazer Komponisten und Musiklehrer Jakob Stolz (1832–1919), und sie wurden Eltern des Komponisten Robert Stolz (1880–1975).

 

Emma Ritter-Bondy, Photographie um 1890/92.

 

Über den ersten Musikunterricht von Emma Bondy und ihren Geschwistern ist nichts bekannt. Sehr wahrscheinlich erhielten jedoch alle sieben Kinder eine fundierte musikalische Ausbildung, denn einige von ihnen blieben im Musikleben aktiv. In den 1850er Jahren dürfte Emma Bondy Klavierunterricht von Josef Fischhof (1804–1857), Klavierprofessor am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, erhalten haben. Ein reguläres Studium am Konservatorium ist nicht belegt, es dürfte sich also um ein privates Unterrichtsverhältnis gehandelt haben.

Bereits in jungen Jahren wurden Emma Bondys Auftritte in ihrer Heimatstadt wiederholt in den Tageszeitungen wohlwollend erwähnt. Eine erste relevante Rezension findet sich in der Zeitschrift „Der Kosmopolit“ am 11. Jan. 1849, in der es um eine Konzertveranstaltung in Graz geht: „Ueberraschend war ganz besonders das Erscheinen zweier Kinder Moritz und Emma Bondi, die zwar schon bei ihrem ersten Debut im Jahre 1847 allgemeine Bewunderung erregten, deren Spiel aber diesmal ganz besonders das Vorwalten des Gesangelementes und ein ihrem Vortrage ganz eigentümlicher Wohllaut und Reiz charakterisirte. [...] Man kann hier nicht unerwähnt lassen, daß diese beiden Kinder nicht, wie es bei Künstlern so häufig geschieht, einseitig ausgebildet werden, sondern nebst Musik auch fleißig in den verschiedenen Wissenschaften und in der Erlernung fremder Sprachen geübt werden“ (Der Kosmopolit 11. Jan. 1849).

Auch in den folgenden Jahren erschienen zahlreiche Ankündigungen und Rezensionen in der Presse, sehr oft konzertierte Emma mit ihren Brüdern Moritz (Klavier, Physharmonika) und Camillo (Violoncello). Das Publikum war offenbar sehr angetan von den Geschwistern Bondy, häufig ist von ‚Wunderkindern‘ die Rede. So finden sich ihre Namen in den Programmen zu verschiedenen Musikvereins-Konzerten in Graz.

Emma Bonky war auch in einer der von Carl Evers veranstalten „Matinée musicales“ im Grazer „Saale der Ressource“ zu hören. Am 11. Dez. 1859 „wirkte […] auch Fräulein Bondi in der Hummelschen Sonate in ausgezeichneter Weise mit. Fräulein Bondi wandelt, nach den Proben zu urtheilen, die wir in jüngster Zeit hörten, auf dem Wege der wahren Kunst. Im Besitz einer gediegenen Schule beurkundet die liebenswürdige Pianistin in ihrem Spiele eben so viel Empfindung als richtiges Verständnis“ (Grazer Zeitung 13. Dez. 1859).

1860 übersiedelte Emma Bondy nach Wien. Dort heiratete sie den in Wien ansässigen Franz Ritter (1811–1879). Er wird in verschiedenen Dokumenten (Reisepass, Trauschein) als Portraitmaler, Bildhauer, Modelleur oder Wachsbossierer bezeichnet; Emma Ritter-Bondy arbeitete als Klavierlehrerin. Erste Konzertreisen führten das Paar ins Ausland, u. a. nach Konstanz, Bern, Stuttgart, Heidelberg und in weitere Städte. Der Tenor der Rezensionen zu Ritter-Bondys internationalen Auftritten war durchwegs positiv: „Frau Ritter-Bondy, aus Graz gebürtig, im Wiener Conservatorium unter Fischhof ́s Leitung gebildet, bewährte sich in der That als eine Pianistin ersten Ranges und erregte durch die congeniale Interpretation der von ihr vorgetragenen Piecen und die erstaunliche Virtuosität ihres herrlichen, die kühnsten, von Schwierigkeiten strotzenden Passagen mit Leichtigkeit überwindenden, von aller Effekthascherei gänzlich freien Spieles die Bewunderung aller Kunstkenner, und erntete darum auch den reichsten, wiederholt gespendeten Beifall des sehr zahlreichen Auditoriums“ (Würzburger Anzeiger 9. Jan. 1867).

Für ein Konzert Ritter-Bondys kam das Paar am 11. Nov. 1868 nach Koblenz, wo es daraufhin ihren Lebensmittelpunkt aufbaute und sich der Familiengründung widmete. Am 14. März 1874 wurde Tochter Ida Ritter geboren, am 3. Dez. 1875 folgte Sohn Camillo Ritter. Am 1. Jan. 1879 starb Franz Ritter, und vermutlich verdiente seine Witwe Emma Ritter-Bondy ihren Unterhalt für sich und ihre beiden kleinen Kinder durch Lehrtätigkeit am Königlichen Gymnasium zu Koblenz.

 

Die Geschwister Ida und Camillo Ritter, Photographie 1894.

 

1881 erfolgte der Umzug nach Glasgow in Schottland. Warum die Wahl auf diese Stadt fiel, ist nicht bekannt, Anhaltspunkte für eine Reise nach Großbritannien in den Jahren davor gab es nicht. Ritter-Bondy schaffte es schnell, als Pianistin in Glasgow Fuß zu fassen. Zahlreiche Erwähnungen ihrer regen Konzerttätigkeit in der englischsprachigen Presse zeugen von den pianistischen Qualitäten Ritter-Bondys als Solistin und als Kammermusikpartnerin.

Parallel war Ritter-Bondy wie schon zuvor als Klavierlehrerin tätig, und sie unterrichtete wahrscheinlich auch ihre eigenen Kinder: Tochter Ida spielte Klavier und Sohn Camillo Violine. 1891 begann sie, am Athenaeum, einem Vorläufer der Royal Scottish Academy of Music and Drama (RSAMD), heute Royal Conservatoire of Scotland, zu unterrichten. Im darauffolgenden Jahr erhielt sie den Titel einer Professorin. Bemerkenswert ist, dass erstmals in der Geschichte der Institution der Professorentitel vergeben wurde und besonders, dass ihn eine Frau erhielt (BBC News 8. März 2017).

Emma Ritter-Bondys Lehrtätigkeit war von Erfolgen gekrönt, ihre SchülerInnen erhielten Stipendien und Auszeichnungen. Im Mai 1892 erlangten Emma Ritter-Bondy und ihre beiden Kinder die britische Staatsbürgerschaft.

Am Morgen des 23. Juni 1894 starb Emma Ritter-Bondy in Glasgow; als Todesursache werden eine chronische Nierenentzündung und Herzversagen angeführt. Ihr Erbe sollte laut Testament für die musikalische Ausbildung ihrer Kinder, vorzugsweise in Berlin oder in London, verwendet werden. Sowohl Tochter Ida als auch Sohn Camillo setzten ihre musikalische Laufbahn fort und schlossen ihre Musikstudien tatsächlich in Berlin und London ab. Ida war daraufhin als Klavierbegleiterin sehr gefragt, und Camillo wurde als Violinvirtuose und -lehrer  (u. a. von William Primrose) bekannt.

Aus der Zeit ab 1871 ist ein Gebetsbuch aus Emma Ritter-Bondys Besitz erhalten, das mehr als zwanzig Jahre tagebuchähnlich im Einsatz war. Darin wurden wichtige Ereignisse wie Namenstage, Geburtstage und Sterbetage festzuhalten; musikalische Ereignisse fanden jedoch keinen Eintrag. Emma Ritter-Bondy verfasste ihre Notizen größtenteils in deutscher Sprache, doch schon bald begann sie in Chiffren zu schreiben und verschleierte damit ihre Gefühlswelt vor der Außenwelt (Vaterl 2022, S. 198f.).

Emma Ritter-Bondys Urenkel, John Ritter (* 1936, Enkelsohn von Camillo Ritter), verwaltet heute das Erbe seiner Urgroßmutter und fördert in Zusammenarbeit mit dem heutigen Royal Conservatoire of Scotland in Glasgow sowohl Erinnerung an als auch Forschungen über Emma Ritter-Bondy.

 

LITERATUR

Von und über Emma Ritter-Bondy (Familienarchiv John Ritter, Lincoln).

Gebetsbuch [mit handschriftlichen Eintragungen 1871–1894] aus dem Besitz von Emma Ritter-Bondy (Familienarchiv John Ritter, Lincoln) und seit 2019 Archives & Collections Royal Conservatoire of Scotland, „Emma Ritter Bondy´s Diary”, auf: https://www.rcs.ac.uk/archives/emma-ritter-bondys-diary, Zugriff am 14. Feb. 2023.

John Ritter, Emma Ritter (Mme Ritter-Bondy). 1838-1894, unpubliziertes Manuskript 1. Teil, Lincoln 2014, 2. Fassung Jan. 2016.

John Ritter, Emma Ritter. Her family, unpubliziertes Manuskript 2. Teil, Lincoln Jan. 2016.

Tauf- und Geburts-Buch XXVIII 1834−1842, Graz-Hl. Blut, S. 108

Taufindex III 1773−1884, Graz-Hl. Blut

Bamberger Tagblatt 12. Juni 1855

Blätter für Musik, Theater und Kunst 1856, S. 375; 1857, S. 356; 1863, S. 351f.

Bock 1867, S. 143, 159

Fränkischer Kurier 23. Okt. 1866

Grazer Volksblatt 1868, 18. Nov.; 1869, 11., 13. März; 1870, 15. Dez.; 1874, 17. Dez.; 1875, 15. Apr.; 1877, 11., 15. Febr.

Grazer Zeitung. Abendblatt 18. Sept. 1850

Grazer Zeitung. Anzeigenblatt 13. Nov. 1859

Grazer Zeitung 13. Dez. 1859

Der Humorist 1850, S. 888, 906, 1039

Der Kosmopolit. Politisch-belletristisches Tagblatt [Graz] 11. Jan. 1849

Neue Wiener Musik-Zeitung 1854, S. 202; 1855, S. 52; 1856, S. 202

NZfM 1863 I, S. 177; 1872, S. 54

Signale 1867, S. 411; 1870, S. 189

Süddeutsche Musik-Zeitung 1865, S. 190, 206; 1867, S. 59, 71; 1868, S. 114

Würzburger Anzeiger 9. Jan. 1867

Würzburger Stadt- und Landbote 12. Jan. 1867

OeML (Art. Stolz, Familie)

Ferdinand Bischoff, Chronik des Steiermärkischen Musikvereines. Festschrift zur Feier des fünfundsiebenzigjährigen Bestandes des Vereines Graz, Graz 1890.

Eugen Semrau, Robert Stolz. Sein Leben. Seine Musik, Salzburg 2002.

Stefan Manz, Migranten und Internierte. Deutsche in Glasgow. 1864−1918, Wiesbaden 2003.

Michael Aschauer, „Das Musikleben in Graz vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis etwa 1840“, in: Im Jahrestakt: 200 Jahre Musikverein für Steiermark, hrsg. von Michael Nemeth u. Susanne Flesch, Wien 2015, S. 75−87.

Stefan Manz, „‚Pandering to the Foreigner.‘ Deutsche Musiker und nationale Abgrenzung in Großbritannien um 1900“, in: Sabine Mecking u. Yvonne Wasserloos (Hrsg.), Inklusion & Exklusion: ‚Deutsche‘ Musik in Europa und Nordamerika 1848–1945, Göttingen 2016, S. 105–126.

Irina Vaterl, Von Graz nach Glasgow. Die Pianistin Emma Ritter-Bondy (1838−1894). Unveröff. Masterarbeit, Universität für Musik und Darstellende Kunst Graz, 2017.

Clemens Anton Klug, Jakob Stolz (1832-1919). Leben und Werk des Grazer Komponisten und Musikpädagogen, Berlin 2019.

Irina Vaterl, „Graz – Wien – Koblenz – Glasgow. Emma Ritter-Bondy (1838–1894) auf dem Weg vom pianistischen Wunderkind zur Klavierprofessorin“, in: Drehscheibe Graz. Musikalische Verbindungen im 19. Jahrhundert, hrsg. von Ingeborg Harer (= Neue Beiträge zur Aufführungspraxis 10), Graz u. Wien 2022, S. 191–204.

The first female professor in the UK, BBC News 8. März 2017, auf: https://www.bbc.com/news/uk-scotland-39191297, Zugriff am 14. Febr. 2023.

Marking International Women’s Day by celebrating a pioneer in UK arts education, Royal Conservatoire of Scotland, Published: 08/03/2017, auf: http://www.rcs.ac.uk/news/marking-international-womens-day-celebrating-pioneer-uk-arts-education/, Zugriff am 14. Febr. 2023.

Irina Vaterl, Art. „Emma Ritter-Bondy“, in: MUGI. Musik und Gender im Internet, https://mugi.hfmt-hamburg.de/receive/mugi_person_00000690, Zugriff am 14. Febr. 2023.

 

Bildnachweis

Privatbesitz John Ritter, mit frdl. Genehmigung.

 

Irina Vaterl

 

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