Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Appia, Henriette, Anne Enrichetta, geb. Le Comte, verh./gesch. Massa

* ca. 1749 in Turin, † 17. März 1815 in Avully, Clavierspielerin. Henriette Le Comte stammte aus einer Turiner Musikerfamilie. Ihr Vater Claude Le Comte war Hofmusiker und Tanzlehrer, der ältere Bruder Ignaz Le Comte (1748−1818) ebenfalls Berufsmusiker. Henriette wurde zur Cembalistin ausgebildet.

Henriette Le Comte heiratete etwa 1766, kurz nach dem Tod ihres Vaters. Von ihrem Ehemann Giacinto Massa (?−1771) trennte sie sich wegen körperlicher Misshandlung bereits 1768. Ihre beiden Kinder Teresa und Girolamo blieben bei der Familie des Vaters, Henriette selbst lebte bei ihrer Mutter Teresa Molineri.

Im Jahr 1776 ist Henriette Le Comte in Turin als Cembalistin erwähnt (Bolletino di Studi Vallesi 1970, S. 23). Im selben Jahr lernte Henriette, mittlerweile Witwe, den Waldenser Feldgeistlichen Jean Charles Appia (1751−?) kennen und beschloss, diesen in seine Heimat zu begleiten. Sie reiste nach Nyon, wo sie als Musiklehrerin arbeitete. Appia folgte ihr einen Monat später, und die beiden heirateten am 11. Juli 1776 in Coppet. Appia bekam hier eine kleine Pfarrstelle zugewiesen, das Gehalt besserte Henriette durch Musikstunden auf. 1783 zog das Paar nach Genf, wo zwei Jahre später der Sohn Daniel geboren wurde. Dieser verstarb im Alter von 16 Monaten.

Doch auch diese neue eheliche Verbindung war auf Dauer nicht glücklich: Am 26. Okt. 1792 stellte Henriette Le Comte beim Genfer Gericht Antrag auf Gütertrennung der Eheleute „Sieur Charles Appia“ und „dame et maîtresse“ „Henriette Le Conte“, dem am 29. Okt. stattgegeben wurde. Appia verließ die Stadt, Henriette erhielt am 5. Nov. 1792 die nötige Aufenthaltserlaubnis.

In einer Volkszählung aus dem Jahr 1798 wird sie als Musikerin bezeichnet (Recensement 1798, BG Nr. 2974). Ihren Lebensunterhalt verdiente sie durch Clavierunterricht in den Genfer Bürgerhäusern. Als die Musikerin 1809 ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte, schrieb sie einen Bittbrief an den Conseil de la Bourse italienne und erhielt daraufhin eine kleine monatliche Pension. Sie starb am 17. März 1815 in Avully.

Das Schicksal Henriette Appias zeigt eindrucksvoll, wie vorteilhaft eine sorgfältige Ausbildung am Tasteninstrument für ein Mädchen sein konnte. Die Möglichkeit, sich ihren Unterhalt durch Musikunterricht selbst zu verdienen, gab ihr die Freiheit, sich aus unbefriedigenden Lebenssituationen zu lösen und ggf. auch gegen gesellschaftliche Konventionen zu verstoßen, die für viele ihrer Zeitgenossinnen lebenslange Fesseln bedeuteten.

 

LITERATUR

Archives de l’Etat de Genève, Recensement BG Nr. 2974, S. 149

Bolletino di Studi Vallesi 1970, S. 23

Guy Le Comte, „Notes sur les Appia: de Saint-Jean au Val Pelice“, in: Bulletin Société genevoise de généalogie 3 (2006/07), S. 18−32.

Claudia Schweitzer, „… ist übrigens als Lehrerinn höchst empfehlungswürdig“. Kulturgeschichte der Clavierlehrerin (= Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts 6), Oldenburg 2008.

 

CS

 

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