Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Raab, von Raabgeb. Schinhan, Toni, Tony, Antonia, Antonie

* 23. Sept. 1846 in Retz (Niederösterreich), † 12. Juni 1902 in Hadersdorf-Weidlingau bei Wien, Pianistin. Ihren ersten Klavierunterricht erhielt sie vermutlich von ihrem Vater, dem Juristen und Vorsteher des Retzer Bezirksgerichtes, Anton Schinhan, „dessen Klavierspiel gerühmt wurde“ (Jerger, S. 24). Anschließend lernte sie bei Julius Epstein (1832–1926) und wurde dann in Pest Schülerin von Franz Liszt (1811–1886). Im Rahmen einer Matinee der Musikakademie, bei der „Listzs beste Schüler“ auftraten (Jerger, S. 24), trug sie am 24. März 1878 die Zigeunerweisen von Tausig vor, und 1881 spielte ihr Lehrmeister bei einem Wiener Konzert gemeinsam „mit seiner hochbegabten Schülerin Frau Toni Raab eine Pieçe“ (NZfM 1881, S. 164), nämlich Franz Schuberts vierhändiges Divertissement à lhongroise D 818. Zwei Tage später folgte Liszts Bearbeitung seiner Dante-Symphonie für zwei Klaviere, bei der die Pianistin ihm in außerordentlichster Weise [...] sekundirte (Neues Wiener Tageblatt 13. Apr. 1881, zit. nach Michalek 2014, S. 23). Ein heute nicht mehr nachweisbares Gedicht der Pianistin inspirierte Liszt 1883 zu dem Klavierstück Schlaflos! Frage und Antwort. Nocturne nach einem Gedicht von A. Raab (o. op., Searle 203). Außerdem widmete er ihr seine Aida-Paraphrase Searle 436 (1879).

Toni Raabs Auftritte konzentrierten sich auf Österreich und Ungarn, zunächst vor allem auf Wien (wo sie 1866 noch unter ihrem Geburtsnamen als Schülerin von Epstein mäßigen Zuspruch erhielt; NZfM 1866, S. 298) und – Liszts wegen – auf Pest. Nach ihrer 1866 oder 1867 erfolgten Hochzeit mit einem Hauptmann der kaiserlich-königlichen Armee unternahm sie mit ihrem Ehenamen umfangreichere Konzertreisen durch die Donaumonarchie (beispielsweise 1882 eine Tournee mit den Stationen „Wien, Pest, Lemberg, Prag, Marburg, Graz und Salzburg“, Signale 1882, S. 194).

Regelmäßig trat sie als Duopartnerin in Kammermusik-Programmen auf – 1867 mit dem Pianisten Guido von Rabenau, am 16. Okt. 1878  mit dem Geiger Emile Sauret in Nürnberg – , und konzertierte ab 1881 immer wieder mit dem Violinisten Marcello Rossi. Mit ihm weitete sie ihren Auftrittsradius nur mäßig aus; eine Konzertreise 1883 nach Kopenhagen blieb offenbar die Ausnahme. In Dänemark bescheinigte man ihr: „Die Frau Raab ist eine eminente Künstlerin, die besonders Compositionen von Liszt und Chopin mit großer Bravour spielt“ (Signale 1883, S. 1191).

Die Betonung ihres technischen Könnens zieht sich wie ein roter Faden durch die Rezensionen ihrer Konzerte – nur selten mit einem negativen Beiklang wie 1885 in der „Neuen Berliner Musikzeitung“ bei einem ihrer seltenen außerösterreichischen Auftritte: „Frau Toni Raab und Herr Marcello Rossi, seit langer Zeit schon unzertrennliche Concertgenossen und stetig auf Reisen, liessen sich [...] in der Singakademie hören. Die Erstere bewies mit Compositionen von Chopin und Kullak, sowie mit der Liszt’schen Bearbeitung des Schlittschuhtanzes aus Meyerbeer’s ,Prophet‘, dass sie eine tüchtige Virtuosin ist, ungewöhnliche technische Fertigkeit mit Schönheit des Anschlags und bei Damen seltener Kraft vereinigt. Indessen macht ihr Spiel nicht warm, hauptsächlich wohl in Folge des Hervordrängens der virtuosen Eigenschaften, die nach dem, was man hier namentlich erst in jüngster Zeit wieder gehört, nicht sonderlich imponieren können“ (Bock 1885, S. 45).

Mit Rossi spielte Raab zumeist ein recht schmales Kernrepertoire (Beethovens Kreutzersonate, Violinsuite von [Franz?] Ries). Solistisch konzentrierte sie sich auf Klavierkonzerte vor allem von Adolf Henselt und Franz Liszt; auch für das erste Konzert von Johannes Brahms erhielt sie Anerkennung: „Frau Toni Raab, aus der Schule Liszt’s hervorgegangen, spielte das Dmollconcert von Brahms mit jener Ruhe und Sicherheit, die dieser liebenswürdigen Künstlerin eigen sind“ (NZfM 1880, S. 6). Trat sie allein auf, spielte Toni Raab vor allem die gängige Virtuosenmusik ihrer Zeit: Chopin, Liszt, Kullak und Tausig. Nach 1885 sind in der deutsch-österreichischen Presse keine Auftritte mehr verzeichnet. Als Schüler ist lediglich August Göllerich (1859–1923) bekannt, der von ihr „den letzten Schliff, bevor er zu Liszt kam, erhielt“ (Jerger, S. 24). Obwohl bei Wien verstorben, wurde Toni Raab in ihrer Geburtsstadt Retz beigesetzt.

 

LITERATUR

Signale 1876, S. 486; 1878, S. 184; 1879, S. 453; 1880, S. 40,130, 533; 1881, S. 162; 1882, S. 194; 1883, S. 106, 1190f.; 1884, S. 196, 564; 1885, S. 186, 226; 1887, S. 20

Bock 1881, S. 159; 1883, S. 399; 1885, S. 45

Neue Freie Presse [Wien] 1876, 11., 14., 16., 18. Apr.; 1877, 13., 20. März; 1878, 26., 30. Jan.; 1879, 3., 5. Apr.; 6., 14. Dez.; 1880, 18., 24., 28. März, 8. Apr.; 1881, 22. März; 1882, 10. Dez.; 1883, 15. März; 1902, 14. Juni

NZfM 1866, S. 298; 1867, S. 61; 1876, S. 58; 1878, S. 498; 1879, S. 58; 1880, S. 6, 28; 1880, S. 326; 1881, S. 100, 130, 164, 173f., 211f., 276; 1881, S. 402; 1882, S. 545, 570; 1883, S. 122, 136, 250; 1885, S. 67, 136

August Göllerich, Franz Liszt. Erinnerungen (= Die Musik, Sonderausgabe), Berlin 1908.

Max Auer, „August Göllerichs Beziehungen zu Anton Bruckner“, in: In memoriam August Göllerich, hrsg. von Gisela Göllerich, Linz 1928.

Anton Resch, „Franz Liszt in Retz“, in: Volkspost (Wochenblatt der Bezirke Gänserndorf, Hollabrunn, Mistelbach und Kerneuburg), 16 (1961), Nr. 50 (16. Dez. 1961).

Franz Liszt. Briefe aus ungarischen Sammlungen 1835–1886, hrsg. von Margit Prahács, Kassel 1966.

Festschrift Wiener Philharmoniker 1842–1942, hrsg. von Wilhelm Jerger, Wien 1942.

Peter Raabe, Liszts Leben, Tutzing 2. Aufl. 1968.

Wilhelm Jerger, „August Göllerich, Schüler und Interpret von Franz Liszt“, in: Oberösterreichische Heimatblätter 26 (1972) Heft1/2, S. 23–32.

Evelyn Liepsch, Schlaflos! Ein Neuzugang im Goethe- und Schiller-Archiv, in: Liszt-Nachrichten 16 u. 17 (2012), S 59f.

Andreas Michalek, „...schreiben Sie Mahler keine dummen Briefe... Gustav Mahler und Rosa Papier, Wien 2014.

 

Jana Drieschner/Delia Mehrwald/KG

 

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