Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Falk, Nanette, Nannette, verh. Auerbach, Falk-Auerbach

* 1835 in Hamburg, † 19. Mai 1928 in Danzig, Pianistin. Über die Eltern liegen keine Informationen vor, die Schwester Marianne war ebenfalls Pianistin. Ihre Ausbildung erhielt Nanette Falk bei den Hamburger Pianisten Jacob Schmitt (1796–1853) und – als Mitschülerin von Johannes Brahms – Eduard Marxen (1806–1887). Bereits als Siebenjährige konzertierte sie in ihrer Heimatstadt, was die „Allgemeine Wiener Musikzeitung“ zu der Frage anregte: „Sollte nicht auch ein Verein gegen musikalische Kinderquälerei errichtet werden?“ (AWM 1845, S. 188). 1847 empfahl Jenny Lind, die in Altona ein Konzert zu Gunsten Nanette Falks gegeben hatte (Holland/Rockstro 1891, S. 315f.), diese an Clara Schumann nach Dresden, wo Nanette im Sept. eintraf und ihre Ausbildung fortsetzte. Aus Angst vor den Wirren der sich anbahnenden Revolution verließ sie im Febr. 1848 die sächsische Elbstadt, besuchte ihre Lehrerin aber von Januar bis Mai 1851 in Düsseldorf, wo sich zu dieser Zeit auch ihre Schwester Marianne aufhielt. Dort brachte sie am 6. Febr. zusammen mit Martha Sabinin und Karoline Dupré, ebenfalls Clara-Schumann-Schülerinnen, eines der beiden Konzerte für 3 Tasteninstrumente (BWV 1063 oder 1064) von Joh. Seb. Bach zur Aufführung. Von ihrer damaligen Mitmusikerin Martha Sabinin ist eine stark antisemitisch gefärbte Beschreibung Nanette Falks überliefert; diese sei „eine sehr häßliche Jüdin, doch ein begabtes und fleißiges Mädchen […]. Sie war aber nicht so genial begabt, um das Publikum ihr unschönes, typisch jüdisches Äußeres vergessen zu machen“ (Lossewa, S. 211).

1855 besuchte Nanette Falk in Weimar Franz Liszt. Nach dem wiederum gehässigen Zeugnis Martha Sabinins legte dieser ihr aufgrund ihrer Physiognomie nahe, ihre Virtuosenkarriere aufzugeben (ebd.). Diese hatte Mitte der 1850er Jahre allerdings bereits an Fahrt gewonnen; die Künstlerin konzertierte regelmäßig in Hamburg, Berlin, Stettin und Königsberg. So urteilt die „Neue Berliner Musik-Zeitung“ nach einem Konzert in der preußischen Hauptstadt: „Frl. Falk besitzt eine bedeutende Fertigkeit, trägt mit Eleganz vor; durch etwas mehr Ruhe wird ihr Spiel bedeutend gewinnen und warnen wir sie, durch zu viel Gebrauch des Pedals die Klarheit in den Passagen zu beeinträchtigen“ (Bock 1854, S. 396). Doch auch ihre wenngleich nur kurze Verbindung zu Liszt blieb im gleichen Blatt nicht unbemerkt. Bezüglich eines Konzerts in Stettin Anfang Dez. 1855 heißt es dort: „Auffassung sowohl als Ausführung verriethen theilweise ziemlich deutlich den Einfluss, den hypermoderne Kunstrichtung [sic] inzwischen auf die talentvolle Künstlerin ausgeübt hat“ (Bock 1855, S. 387).

Am 7. und 17. März 1857 spielte Nanette Falk zwei Konzerte im Wiener Musikverein. Das Presseecho war geteilt. Die „Neue Wiener Musik-Zeitung“ schreibt wohlwollend, die Pianistin besitze „eine sehr ausgebildete Technik, einen edlen, gediegenen, gehörig schattierten Vortrag, einen schönen Anschlag, und zeigt in allem eine verständige Auffassung des Vorgetragenen. […] Im Ganzen gehört Fräulein Falk jedenfalls unter die ausgezeichneteren Pianistinnen der Gegenwart, ihr mezza-voce-Spiel ist oft von ungewöhnlicher Schönheit und Wirksamkeit, ihre Läufe sind von einer perlenartigen Rundung und Gleichheit, und manche feinere Intenzionen der vorgetragenen Tondichtungen beleben sich unter ihren Fingern auf eine höchst anziehende Weise. […] Frln. Falk spielte alle Nummern auswendig, mit einem vollkommen sicheren Gedächtnisse, ohne je einmal zu schwanken, was namentlich bei dem sehr langen Praeludium und Fuge von Bach zu bewundern war“ (Neue Wiener Musik-Zeitung 1857, S. 42). „Der Humorist“ bringt bereits kritischere Töne: „Ihr Spiel ist correct, wird vom Verständnisse getragen, weist viele schöne Züge auf, hat überhaupt einen freundlichen Schick, den man nicht immer mit der Correctheit und Klarheit verbunden findet. […] Hin und wieder möchten wir dem Frln. Falk einen etwas frischeren Flug wünschen, aber im Ganzen war der Eindruck ihres Spieles ein wohlgefälliger“ (Der Humorist 10. März 1857). Die „Wiener Zeitung“ attestiert „feinen Geschmack, sehr anerkennenswerthe Technik und eine besonders dem Zarten zugewandte Individualität“ (Wiener Zeitung 20. März 1857). Gleichzeitig kritisiert sie nachdrücklich die Programmgestaltung: „Die Wahl einiger kleinen Schumann’schen Kompositionen aus dessen ‚Kinderscenen‘ war eine unglückliche, und begreifen wir nicht, wie Frln. Falk bei dem reichen Schatz, welchen gerade Schumann’s Klaviermusik bietet, auf diese zwar hübschen, aber für den Konzertvortrag durchaus ungeeigneten Stücke verfallen konnte“ (ebd.). Letzteren Punkt kritisierte auch Eduard Hanslick in der „Presse“. Beide Konzerte missfielen ihm grundsätzlich. Zwar sei Nanette Falks Anschlag korrekt, auch hinreichend weich, er ermangele „aber der nachhaltigen Kraft, sowol im einfach getragenen Gesang, als im Kerne der Virtuosität. Der Ton bleibt klein und einfarbig, bringt es daher nie zu einem bedeutenden Eindruck. […] In der technischen Ausbildung Fräulein Falks möchten wir die Nettigkeit reichverzierter Pianoläufe zuhöchst stellen; auch die Unabhängigkeit der Hände ist bemerkenswerth ausgebildet. Eigentliche Bravour im Sinne der modernsten Fortschritte können wir Fräulein Falk nicht zugestehen; der Triller ist nicht prall und glänzend, Octaven und vollgriffige Effectstellen nicht entschieden genug“ (Die Presse 11. März 1857). Hanslick nutzt die Rezension darüber hinaus, um sich generell gegen die von ihm sogenannte „Damen-Virtuosität“ auszusprechen. Wie bei so vielen Pianistinnen diagnostiziert er auch an Nanette Falk einen „Mangel an Muskelkraft“, der „selbst Künstlerinnen ersten Ranges die volle Wirkung großartig erschütternder Tonstücke versagt. Im Geheimniß des Anschlags schlummert zuletzt die Wirkung jedes Clavierspiels. Die unzureichende Kraft ist eigentlich das Erbübel der Pianistinnen, das sie durch eine um so feinere Ausbildung des zarten Elementes auszugleichen suchen“ (ebd.). Im Programm des zweiten Konzerts findet er sich bestätigt: „Mit Liszts effectvoller ‚ungarischer Rhapsodie‘ vollends können nur die Stärksten und Muthigsten einen glorreichen Kampf bestehen. Zarte Arme, wie die unserer Concertgeberin, mögen davon lieber fernbleiben; es ist ein ängstlicher Anblick, jemand mit einer Stricknadel gegen einen Panther losgehen zu sehen“ (Die Presse 19. März 1857). Interessanterweise glaubt aber auch die so oft konträr zu Hanslick argumentierende „Neue Zeitschrift für Musik“ mit Blick auf Wien, dass der Pianistin „keine hervorragende Bedeutung weder vom künstlerischen, noch vom virtuosen Standpuncte aus zu vindiciren“ (NZfM 1857 I, S. 190f.) sei.

1858 übersiedelte Nanette Falk nach Paris, spielte dort zunächst privat, dann im Saal Pleyel. Darauf vermerkt die „Revue et Gazette Musicale“, sie spiele „du piano en artiste convaincue, grave, et qui préfère l’art sérieux à toutes les bagatelles musicales à la mode („Klavier als überzeugte, ernste Künstlerin, die die seriöse Kunst gegenüber allen musikalischen Bagatellen à la mode vorzieht“, RGM 1858, S. 146) Des Weiteren wirkte sie in Paris an den Soireen des Beethoven-Quartetts von Jean-Pierre Maurin und Pierre-Alexandre-François Chevillard mit und verkehrte im Hause Gioachino Rossinis (er widmete ihr eine Komposition), wo sie Richard Wagner kennenlernte. Die „Berliner Musik-Zeitung“ zieht dennoch ein resigniertes Resümee: „Mlle. Nannette Falk wird in diesen Tagen Paris verlassen, ohne den Ruhm geerntet zu haben, den sie in der That als Pianistin beanspruchen darf. Wir haben namentlich kaum je eine Klavierspielerin gehört, der es gegeben war, die letzten Sonaten Beethoven’s mit einer gleichen Meisterschaft und einem ähnlichen Verständnis vorzutragen“ (Bock 1858, S. 199). Ein Jahr später war sie wieder in Paris: „Diese junge Künstlerin hat sich eine herausragende Stelle unter den hiesigen Pianistinnen (ich nehme die Männer nicht aus) zu erringen gewußt“ (Signale 1859, S. 172). Offenbar hatte sie sich in der französischen Hauptstadt mittlerweile etabliert, denn auch 1861 trat sie ein weiteres Mal dort auf.

1864 ließ sich Nanette Falk als Klavierlehrerin in Berlin nieder. Zugleich profilierte sie sich dort vor allem als Beethoven-Interpretin: „Beethoven’s Sonate in As, op. 110, ein Werk, in welchem der Meister auf der Höhe seiner Entwicklung steht und das zu seiner wirkungsvollen Wiedergabe ein tiefes Verständniss und gereiftes Spiel verlangt, fand eine diese Bedingungen vollständig erfüllende Interpretation und ließ die Kunstfertigkeit der Spielerin namentlich im letzten Satze, den sie mit erdenklicher Rapidität und perlender Klarheit durchführte, im hellsten Lichte glänzen“ (Bock 1864, S. 371). Und in Bezug auf die Appassionata: Nanette Falks „Auffassung sagte uns sehr zu, so dass unter den Pianistinnen nicht viele zu finden sein dürften, welche diese schwierige Aufgabe eben so zu lösen vermögen“ (Bock 1866, S. 20).

Ihre Schwester Marianne war zwischenzeitlich nach Amerika ausgewandert und lebte mit ihrer Familie in Baltimore. Dorthin übersiedelte um 1867 auch Nanette Falk. Ob sie ihren Mann, den aus Danzig stammenden Uhrmacher, Antiquar und Bibliographen Joseph Auerbach (1830–1904) erst in Baltimore kennenlernte und dort heiratete (NZfM 1928, S. 466) oder ob sie bereits zusammen mit ihm nach Amerika ging (Grove 1922 AmSupp), muss offen bleiben. Die Berichterstattung in den Medien kam für einige Jahre ins Stocken, was dafür spricht, dass Nanette Falk-Auerbach sich zu dieser Zeit auf ihre Familie konzentrierte. „Grove – American Supplement“ erwähnt indes bereits ein Konzert im Jahr 1868 am „Peabody Institute of Music“, wo die Pianistin dann von 1871 bis 1881 (Grove 1922 AmSupp) – der „Peabody Report“ von 1893 datiert ihre Tätigkeit von 1875 bis 1883 (S. 59) – als Klavierlehrerin angestellt war. Dort führte sie die sogenannten „Peabody Recitals“ ein, von denen sie allein in der Zeit vom 7. Apr. bis 20. Mai 1875 acht selbst spielte. Als ausübende Künstlerin gastierte sie in mehreren amerikanischen Städten, so 1879 in New York (New York Times 27. Jan. 1879) und am 10. März 1880 mit dem Peabody String Quartet in Washington (Washington Post 8. März 1880).

Später, d. h. nach 1883, siedelte Nanette Falk-Auerbach zusammen mit ihrem Mann, den sie um mehr als 20 Jahre überlebte, nach dessen Heimatstadt Danzig über, wo sie nur noch eingeschränkt wirkte: „Bei Wohltätigkeitsveranstaltungen hat sie […] lange noch die Danziger Musikfreunde durch ihr bewundernswertes Spiel entzückt. Musikkonzerte veranstaltete sie nie mehr“ (NZfM 1928, S. 467).

 

LITERATUR

AmZ 1864, Sp. 143; 1866, S. 65, 266

AWM 1845, S. 188

Berliner Musikzeitung Echo 1855, S. 5, 20, 37, 39; 1856, S. 95, 310

Blätter für Musik, Theater und Kunst 1857, S. 48, 75

Bock 1854, S. 387; 1855, S. 26, 396; 1856, S. 83, 92; 1857, S. 87, 94, 103; 1858, S. 199; 1861, S. 79; 1864, S. 371; 1866, S. 20, 76, 109

Dwight‘s Journal of Music 1875, S. 127, 136, 141, 375, 384; 1878, S. 168, 239, 243

Fremden-Blatt [Wien] 1857, 5., 8. März

Die Grenzboten 1855, S. 90

Der Humorist [Wien] 10. März 1857

Der Klavier-Lehrer 1878, S. 158

Neue Wiener Musik-Zeitung 1857, S. 41f., 50

New York Times 27. Jan. 1879

NZfM 1849 II, S. 247; 1855 I, S. 50, 83, 116, 142, 155, 197; 1855 II, S. 269; 1856 I, S. 9, 142; 1856 II, S. 262; 1857 II, S. 261; 1859 I, S. 74; 1864, S. 119, 443; 1865, S. 434; 1866, S. 22, 39, 51, 152; 1872, S. 153; 1874, S. 18; 1875, S. 185, 509; 1876, S. 145; 1877, S. 52, 62; 1878, S. 174, 214, 295, 306; 1881, S. 151, 211; 1882, S. 227; 1883, S. 123, 239; 1928, S. 466f.

Die Presse [Wien] 1857, 11., 19. März

RGM 1858, S. 146

Signale 1857, S. 151; 1858, S. 127; 1859, S. 172; 1861, S. 154; 1863, S. 709; 1864, S. 222, 239; 1865, S. 904; 1866, S. 73; 1873, S. 409, 425; 1874, S. 120; 1877, S. 91; 1879, S. 476, 519; 1880, S. 364, 451, 525

The Sun 5. Nov. 1874

The Washington Post 8. März 1880

Wiener Zeitung 20. März 1857

Grove 1922 AmSupp; NDB

Salomon Wininger (Hrsg.), Große jüdische National-Biographie mit nahezu 13000 Lebensbeschreibungen namhafter jüdischer Männer und Frauen aller Zeiten und Länder. Ein Nachschlagewerk für das jüdische Volk und dessen Freunde, 7 Bde., Bd. 7, Cernauti 1936.

Robert Schumann, Tagebücher, 3 Bde.,  Bd. 3: Haushaltsbücher 1837–1856, hrsg. von Gerd Nauhaus, Leipzig 1982.

Olga Lossewa, „Marfa Sabinina und ihre Erinnerungen an Clara und Robert Schumann“, in: Schumann Studien 6, hrsg. von Gerd Nauhaus, Sinzig 1997, S. 195–224.

Renate Brunner (Hrsg.), Alltag und Künstlertum. Clara Schumann und ihre Dresdener Freundinnen Marie von Lindeman und Emilie Steffens. Erinnerungen und Briefe (= Schumann-Studien, Sonderband 4), Sinzig 2005.

Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2 Bde., Bd. 1, Wien 1869, Repr. Hildesheim [u. a.] 1979.

Eduard Hanslick, Aus dem Concertsaal. Kritiken und Schilderungen aus den letzten 20 Jahren des Wiener Musiklebens, Wien 1870.

Eduard Hanslick, Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten fünfzehn Jahre: 1870–1885, Berlin 1886.

Henry Scott Holland u. William Smyth Rockstro, Jenny Lind. Ihre Laufbahn als Künstlerin 1820–1851, 2 Bde., Bd. 2, Leipzig 1891.

Twenty-Sixth Annual Report of the Provost to the Trustees of the Peabody Institute, of the City of Baltimore, June 1, 1893, Baltimore 1893.

Eduard Hanslick, Sämtliche Schriften, 6 Bde., Bd. 1/4, hrsg. von Dietmar Strauß, Wien [u. a.] 2002.

Janina Klaasen, Clara Schumann. Musik und Öffentlichkeit, Köln [u. a.] 2009.

 

Markus Gärtner

 

© 2010 Freia Hoffmann