Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Kufferath, Elisa, Eliza, Fernande (Marie Josephine Fernande)

* 28. Dez. 1875 in Schaerbeek bei Brüssel, † nach 1927, Ort unbekannt, Violoncellistin. Die Akten des Brüsseler Konservatoriums geben als ihren Vater den Gerichtsschreiber „Mr. Stielen“ an; es handelte sich um den zweiten Mann ihrer Mutter, Raticka Adriana Hendrica Ommelandika de Rotte (1853–?). Ihr leiblicher Vater war Ferdinand Wijnandus Maria Ludwig Kufferath (1851–1884), ein Vetter des belgischen Musikkritikers und Theaterdirektors Maurice Kufferath (1852–1919). Im Oktober 1888 trat sie im Brüsseler Konservatorium in die Klasse von Édouard Jacobs (1851–1925) ein, der 1885 als Professor für Violoncello Nachfolger von Joseph Servais (1850–1885) geworden war. Von Jacobs, der auch als Gambist auftrat, dürfte sie auch mit Alter Musik bekannt gemacht worden sein. In den theoretischen Fächern wurde sie von Gustave Huberti (1843–1910) und Joseph Dupont (1838–1899) unterrichtet, Kammermusikkurse besuchte sie bei ihrem Großonkel Hubert Ferdinand Kufferath (1818–1896). Einen ersten Preis im Fach Violoncello errang sie 1894, exmatrikulierte sich jedoch erst 1896.

Im November 1895 sind in Den Haag und Amsterdam mit der Aufführung eines Violoncello-Konzertes von Servais erste öffentliche Konzerte belegt. Nach ihrem Auftritt im Concertgebouw unter Joseph Mengelberg lobte Simon van Milligen die Musikerin als „een hoogst muzikale natuur. Hare wijze van voordracht en spel getuigen reeds zeer van meesterschap“ („ein hochmusikalisches Talent. Vortrag und Spiel bezeugen bereits eine hohe Meisterschaft“). Er kritisierte aber die Wahl des Werkes, dessen „halsbrekende toeren“ („halsbrecherische Passagen“) und „salto mortales“ Elisa Kufferath wohl teilweise überforderten (De Amsterdammer 8. Dez. 1895, S. 3). Es folgten Auftritte in Gand und Huy, bevor sie Ende 1896 in Berlin erstmals gemeinsam mit ihrer Schwester Jeanne Kufferath (Harfenistin, 1874–1919) konzertierte. Während die „Signale für die musikalische Welt“ die Musikalität loben und betonen, dass die Schwestern „ihre Instrumente auch nach der technischen Seite hin bereits mit vieler Sicherheit“ beherrschten (Signale 1896, S. 999), thematisiert die „Neue Zeitschrift für Musik“ die noch immer ungewöhnliche Instrumentenwahl: „Ein eigenartiges Künstlerpaar erschien im Saal Bechstein […], die eine Violoncellistin, die andere Harfenistin; Letztere ist die fortgeschrittenere, beide zeigen aber hübsche Begabung für die von ihnen gepflegten Instrumente“ (NZfM 1896, S. 570). Im Lauf des Jahres 1897 war Elisa Kufferath in Brüssel in einer Vortragsreihe von Maurice Kufferath über die „Grands maîtres de la musique“ zu hören: Bei einer Joh. Seb. Bach gewidmeten „Causerie“ spielte sie das Air aus der 3. Orchestersuite und eine nicht näher bestimmbare „sonate pour violoncelle et piano“ (Le Guide musical 1897, S. 72); bei einem Vortrag über Beethoven war sie an der Aufführung des Klaviertrios op. 70 Nr. 1 beteiligt. Es folgte ein Gastspiel im belgischen Nivelles, über das der „Guide musical“ ausführlich berichtet: „Mlle Kufferath, qui a obtenu, il y a quelques années déjà, au Conservatoire de Bruxelles, un premier prix ,avec la plus grande distinction‘, est une artiste d’un talent sérieux et mûr. Elle se distingue surtout par sa grande compréhension des œuvres qu’elle interprète: L’Aria de Bach, par exemple, si souvent médiocrement exécutée par les violoncellistes, est rendue par elle avec une ampleur de son, une largeur de style et une intensité de sentiment qui justifient hautement la grande réputation qu’elle s’est acquise. Quant à son mécanisme, elle l’a brillament étalé dans divers morceaux de grande virtuosité, qui ont été enlevés avec une justesse et une sûreté étonnantes“ („Mlle. Kufferath, die schon vor einigen Jahren am Konservatorium in Brüssel einen ersten Preis ‚mit höchster Auszeichnung‘ errungen hat, ist eine Künstlerin mit gediegenem und ausgereiftem Können. Sie zeichnet sich vor allem durch ihr tiefes Verständnis der Werke aus, die sie interpretiert: Die Aria von [Joh. Seb.] Bach etwa, von Violoncellisten oft so mittelmäßig vorgetragen, wird von ihr mit einem so vollen Ton, so durchaus stilvoll und mit einer Gefühlstiefe musiziert, dass es in hohem Maß den beachtlichen Ruf rechtfertigt, den sie sich erworben hat. Was ihre Technik angeht, hat sie diese glänzend unter Beweis gestellt in verschiedenen hochvirtuosen Kompositionen, die mit einer verblüffenden Präzision und Sicherheit wiedergegeben wurden“, Le Guide musical 1897, S. 647). 1899 folgte ein gemeinsamer Auftritt mit ihrer Schwester Jeanne in der Salle Érard in Paris, bei dem Elisa Kufferath Werke von Joh. Seb. Bach, Servais, Saint-Saëns und Popper zu Gehör brachte, „marked by intelligent phrasing, the tone produced being full and round“ (The Athenæum 1899 I, S. 539). Auch in England sind Auftritte belegt: Ein ausführlicher Artikel in „The Strad“, gezeichnet mit dem Pseudonym „Gamba“, würdigt sie als „the first and foremost of all female solo violoncellists I have ever heard“. „Her artistic capacity is very great […]. Her technique is superb in finish and abundance and her personality is of the strongest. To all this may be added without impertinence, great personal attractions“ (The Strad 1899, S. 122).

Im folgenden Jahr berichtet die „Musical Times“ von einem Konzert in London: „Mdlles. Jeanne and Fernande Kufferath showed much skill at their harp and violoncello recital in the Ist. ult. We shall hope to hear these ladies again“ (MusT 1900, S. 399). Von nun an konzertierte Elisa Kufferath unter einem ihrer weiteren Taufnamen als Fernande Kufferath, und zwar weiterhin häufig zusammen mit Jeanne Kufferath. 1902 beteiligten sich die Schwestern an einem Wohltätigkeitskonzert in Lüttich. Eine Bemerkung in der Presse spielt möglicherweise auf die Tatsache an, dass das Violoncello in Damenhand noch immer als ästhetisches Problem wahrgenommen wurde: „une violoncelliste de force surtout, maniant l’archet avec sécurité et sacrifiant peu à la grâce“ („eine vor allem kraftvolle Violoncellistin, die den Bogen mit sicherer Hand führt und sich wenig um Anmut bemüht“, La Meuse 7. Febr. 1902).

Im Januar 1902 unternahmen Fernande und Jeanne Kufferath eine Konzertreise durch die Niederlande, die sie nach Rotterdam (6. Jan.), Amsterdam (Concertgebouw 7. Jan.), Den Haag (8. Jan.), Leiden (9. Jan.), Haarlem (10. Jan.) und Breda (22. Jan.) führte. Auf dem Programm standen Solo-Kompositionen für das Violoncello von Joh. Seb. Bach, Svendsen und Popper; gemeinsam musizierten die Schwestern Werke von Marcello, Händel und Boccherini. Fernande Kufferath wird charakterisiert als „een celliste van veel temperament, voor wie lastige grepen en ‚zwaar‘ passagewerk geen moeielijkheden bezitten. De toon, dien zij der knieviool onttrekt, is niet groot, maar zachtglanzend, mooi en de stokvoering blijft altijd bevallig en elegant“ („eine temperamentvolle Cellistin, für die komplizierte Griffe und anspruchsvolle Passagen keine Schwierigkeit darstellen. Der Ton, den sie aus ihrer Kniegeige zieht, ist nicht groß, sondern sanftglänzend und schön, und die Bogenführung bleibt immer graziös und elegant“, Rotterdamsch Nieuwsblad 8. Jan. 1903). Im Febr. 1904 nahm die Musikerin an einem Konzert in Brüssel teil, das dem Komponisten Guillaume Lekeu gewidmet war.

1917, 1919 und 1920 sind Konzerte von Fernande Kufferath in England belegt. Am 1. Febr. 1926 und am 27. Apr. 1928 trat sie im Lyceum de Belgique in Brüssel auf, einer Gründung der „Union Patriotique des Femmes Belges“. Beim zweiten Termin handelte es sich um ein Konzert, das ausschließlich Werke des amerikanischen Komponisten Swan Hennessy vorstellte. Fernande Kufferath war in einer Rhapsodie Gaélique, einer Suite Celtique (beide für Violoncello und Klavier) und einem Petit Trio Celtique (mit Geige und Klavier) zu hören. Auf dem Druck der Suite Celtique (Verlag Eschig Paris 1928) ist Fernande Kufferath als Widmungsträgerin vermerkt.

Für genealogische Informationen und den Hinweis auf die Widmung Swan Hennessys bedanke ich mich bei Axel Klein.

 

LITERATUR

Programm des Konzerts am 27. April 1928 in Brüssel

Algemeen Handelsblad 1903, 4., 5., 6. Jan.

De Amsterdammer. Weekblad voor Nederland 8. Dez. 1895, S. 3

The Athenæum 1899 I , S. 539

De Avondpost [Den Haag] 18. Okt. 1895

Bredasche Courant 1903, 18., 23. Jan.

L’Étoile Belge 29. Apr. 1928

Le Guide musical 1897, S. 72, 132, 647

Haagsche Courant 1895, 29. Nov.; 1903, 7., 8. Jan.

Haarlem’s Dagblad 9. Jan. 1903

La Meuse [Lüttich] 7. Febr. 1902

Musical News 1896 I, S. 227

MusT 1900, S. 399; 1917, S. 376; 1919, S. 375

Het Nieuws van den Dag. Kleine Courant [Amsterdam] 1895, 26. Nov.; 1903, 5., 6., 7. Jan.

NZfM 1896, S. 52, 139, 570

Österreichische Musik- und Theaterzeitung H. 9, 1897, Beilage

Rotterdamsch Nieuwsblad 1903, 6., 8. Jan.

Saturday Review of Politics, Literature, Science, and Art 1920, S. 456

Signale 1896, S. 999

The Strad 1899, S. 121f.

De Telegraaf 3. Jan. 1903

Het Vaderland [Den Haag] 17. Okt. 1895

Peter François, The Belgian School of Cello Playing. De Belgische Celloschool. L’École belge du Violoncelle, Halle 2017.

 

Bildnachweis

The Strad 1899, vor S. 121

 

Freia Hoffmann

 

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