Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Ottavo, Octavo, Ottallo, Ottavio, Teresa, Terese, Therese, Thérèse

* um 1820 in Neapel, Sterbedaten unbekannt, Violinistin. Die Kindervirtuosin Teresa Ottavo war angeblich Schülerin von Niccolò Paganini (1782–1840) und Charles Auguste de Bériot (1802–1870), deren Stücke zu ihrem Repertoire gehörten. Zwischen 1831 und 1861 absolvierte sie eine Reihe von Konzertauftritten in Wien, London, Paris, Berlin, Petersburg, Warschau, Barcelona, Mailand und Venedig. Teresa Ottavo galt als Konkurrentin der etwas jüngeren Teresa Milanollo. Wenn auch laut Henri Blanchard „la première n’a pas la vigueur, la précision, la verve artistique de sa jeune émule, elle en a l’intonation constamment juste, le trille brillant, le stacato perlé, plus, la grâce et la suavité mélodique qu’elle puise dans son âge un peu plus avancé“ („wenn erstere auch nicht die Ausdruckskraft, die Präzision, die künstlerische Brillanz ihrer jüngeren Rivalin besitzt, so beherrscht sie eine durchgehend richtige Intonation, einen glänzenden Triller, ein perlendes Staccato, und verfügt über eine Grazie und Lieblichkeit in der Melodie, die sie ihrem etwas höheren Alter verdankt, RGM 1843, S. 126). Um 1835 gab Teresa Ottavo mehrere  Konzerte gemeinsam mit dem Violinisten August Möser. Zu ihrem Repertoire gehörten nicht nur Werke ihrer mutmaßlichen Lehrer de Bériot und Paganini, sondern auch Variationen Mayseders, das Koncert w Mohylewie von Leon Skrobecki, eine Mazurka von Henryk Wieniawski und Ferdinand Davids Je suis le petit tambour op. 5.

Als Teresa Ottavo 1835 in Wien auftrat, galt die öffentliche Aufmerksamkeit auch ihrem berühmten Lehrer und den „nuove variazioni, composte espressamente per lei dal maestro Paganini" („den neuen Variationen, eigens für sie von Maestro Paganini komponiert", L'Eco 1835, S. 556). „La piccola virtuosa piacque per la sua bella e dotta esecuzione del tema e delle due prime variazioni; e di onore e di incoraggiamento le furono gli unanimi applausi di cui la colmò il pubblico. L' ultima variazione è carica di difficoltà quasi unsuperabili, composta forse dal gran maestro per mostrare il non plus ultra della forza e della capacità di quella sua giovine allieva [...]. In questa ultima variazione mostrò, per verità, madamigella Ottavo essere molto avanzata nell' arte; ma l'impegno gigantesco assuntosi, era quasi impossibile che da lei in si giovane età fosse a tutta perfezione compiuto; dal che nacque che nella esecuzione di quella variazione rimanesse qualcosa a desiderare dal canto della nettezza e della sicurezza. Gli uditori convinti della estrema difficoltà della composizione furono, com' era giusto, indulgenti; [...] spesso con vivi applausi interruppero la sonatrice, e terminato ch' ella ebbe la chiamarono fuori due volte" (Die kleine Virtuosin erfreute durch ihre schöne und gelehrte Ausführung des Themas und der ersten beiden Variationen. Das Publikum ehrte und ermutigte sie durch den einmütigen Applaus, mit dem sie überhäuft wurde. Die letzte Variation ist eine Ansammlung von geradezu unüberwindlichen Schwierigkeiten, vom großen Maestro vielleicht komponiert, um das Nonplusultra an Kraft und Fähigkeit dieser seiner jungen Schülerin vorzuführen [...]. In dieser letzten Variation zeigte sich Fräulein Ottavo tatsächlich weit vorgeschritten in der Kunst; aber die gigantische Aufgabe, welche sie sich aufgeladen hatte, war in ihrem jugendlichen Alter unmöglich in Vollkommenheit zu lösen. Daher ließ die Ausführung jener Variation einiges zu wünschen übrig hinsichtlich Melodiebildung, Reinheit und Sicherheit. Die Hörer, die sich von der extremen Schwierigkeit der Komposition überzeugen konnten, waren zu Recht nachsichtig und [...] unterbrachen die Musikerin oft mit lebhaftem Applaus. Und sobald sie geendet hatte, riefen sie sie zweimal heraus" (ebd.).

Wie ungewöhnlich die Wahl des Instruments Violine damals für ein junges Mädchen gewesen ist, zeigt sich an den Kritiker-Reaktionen: „Ein dreyzehnjähriges Mädchen als Violinspielerinn ist an und für sich eine so außergewöhnliche Erscheinung, daß sie schon ihrer Seltenheit oder Seltsamkeit wegen [...] auffallen muß. Ob das Violinspiel überhaupt, wie schön öfter gefragt worden, für das weibliche Geschlecht passend oder kleidsam sey, wollen wir hier nicht untersuchen; am Ende ist es wohl nur das Neue, Ungewohnte der Erscheinung, was  jene Frage veranlaßt hat, und wer mag bestimmen, was die kommende, ja die nächste Zeit auch in der Kunst nicht alles billigen oder verwerfen werde! (Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode 1835, S. 1139). „Man sagt, sie geige sehr gut, mir kommt aber eine Repräsentantin des schwachen Geschlechtes, die geigt, raucht, jagt, reitet u. s. w. eben so possirlich vor, wie wenn ein starkgewachsener Mann mit großem Schnurrbarte – Strümpfe strickt(Der Humorist 1844, S. 1048 anlässlich Ottavos Konzerten in Lemberg). „Ich habe, ich weiß nicht warum, eine eigene Antipathie, ein Frauenzimmer mit einer Geige zu sehen, vielleicht weil ich an dem Weibe nur die runden Formen liebe, und bey dem Violinspiel lauter eckige zum Vorscheine kommen, aber selbst diese Antipathie wurde durch die kleine Braune besiegt, selbst ihre Bewegungen, die Haltung der Geige, die Führung des Bogens sind angenehm, und ihre Töne klingen rein und athmen Gefühl. Sie erhielt rauschenden Beyfall“ (Castelli 1835, S. 187f.). Obwohl der Rezensent letztlich seine ,Antipathie‘ relativiert, wird deutlich, wie sehr seine Beurteilung noch vom Aussehen und von der Wirkung der Spielbewegungen bestimmt wird. Auch die „Allgemeine musikalische Zeitung“ verzichtet in einer eigentlich freundlichen Beurteilung Teresa Ottavos nicht auf den Hinweis auf die unpassende Instrumentenwahl: „Das junge Mädchen entwickelte in ihrem Violinspiel bedeutendes Talent, Reinheit der Intonation, vorzüglichen Bogenstrich, Präcision u. verhältnismässige Fertigkeit, guten Vortrag und Anstand in der persönlichen Erscheinung, was bei diesem unweiblichen Instrumente nicht ganz als Nebensache erscheint“ (AmZ 1835, Sp. 849). Während in diesen Besprechungen vor allem die durch das Geigenspiel hervorgerufene, als unweiblich wahrgenommene äussere Erscheinung maßgebliches Interesse weckte, rückte später das gute Aussehen der jungen Frau in den Blickpunkt: „A certain Mdlle. Ottavo, a very pretty girl, and with considerable feeling for music, executed a violin solo, greatly to the satisfaction of the audience, whose applause, however, was rather won by the good looks than the good music of the charming virtuoso (Musical Examiner 1843, S. 137).

Doch trotz ihres Talents und der frühen Erfolge sagte Maurice Bourges der Violinistin 1843 keine überragende Karriere voraus, sondern sah sie eher als Meisterin der kleinen Form: „En resumé, Mlle Ottavo ou Octavo, dont le talent n’acquerra jamais les proportions du volumineux infolio, n’est pas destinée à peindre en grand sur le violon; sa mission sera de faire de la très jolie miniature“ („Schließlich ist Mademoiselle Ottavo oder Octavo, deren Talent niemals großes Format erreichen wird, nicht dazu bestimmt, die Violine im großen Stil zu spielen, ihre Aufgabe wird in der hübschen Miniatur liegen“, RGM 1843, S. 81).

Die Auftrittsbelege reichen bis 1861, danach sind keine weiteren Berichte über eine öffentliche Tätigkeit erhalten. Ein 1866 gestickter Text aus einer unbekannten psychiatrischen Anstalt ist mit „Teresa Ottavo artiste Violiniste Vivante ou Morte signiert, wobei bisher kein Quellenmaterial zu einer tatsächlichen Einweisung der Geigerin in die Psychiatrie bekannt ist. Der autobiographische Text, der in der Collection de l’Art Brut in Lausanne aufbewahrt wird und lange Zeit unter dem Namen ,Teresa Ottalo‘ oder ,Ottallo‘ geführt wurde, verwebt Erfahrungen der Anstalt mit Erinnerungen an Konzertreisen und enthält zahlreiche Verweise auf Ereignisse und Personen – wie die Sängerin Sophie Schoberlechner, den Violinisten Henri Vieuxtemps, die Exposition Universelle in Paris 1855 und den Krimkrieg (1853-1856) – , die mit dem Leben der Violinistin Teresa Ottavo in Zusammenhang gebracht werden können.

 

LITERATUR

Teresa Ottavo, Lettre brodée, 1866, in verschiedenen Farben gestickter Text auf Leinenbatist, 130 x 68 cm, Inv. Nr. 2719, Lausanne, Collection de l’Art Brut.

AmZ 1835, Sp. 849; 1836, Sp. 43, 91

Castelli 1835, S. 187f.

L'Eco 1835, S. 548, 556

La Fama 1836, S. 12

La Gazeta Musical Barcelonesa, 1861, S. 3f.

Gazzetta musicale di Milano 1843, S. 97, 116

Der Humorist 1844, S. 1048

Iris 1835, S. 196, S. 200

Musical Examiner 1843, S. 137

Musical Library, 1836, S. 47

MusW 1843, S. 95

Neue Flora. Ein Konversations- und Mode-Blatt für Bayerns Männer und Frauen 1835, S. 676

NZfM 1835 II, S. 180

RGM 1843, S. 80f., 125-127

Wiener Theaterzeitung (Bäuerle) 14. Nov. 1835

Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode 1835, S. 1139f.

Ruch Muzyczny [Warschau] 1859, S. 143f.

Ludwig Rellstab, Musikalische Beurtheilungen, Leipzig 1848.

Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2 Bde., Bd. 1, Wien 1869, Repr. Hildesheim 1979.

Gaël Bandelier, „Teresa Ottallo, in: L’Art Brut. Nek Chand, Josef Hofer, Ni Tanjung, Rosa Zharkikh, Teresa Ottallo, Paul Amar, Antonio Dalla Valle, Curzio Di Giovanni, Donald Mitchell, Lausanne 2007, S. 69–80.

Sarah Lombardi, „Teresa Ottallo, in: L’envers et l’endroit. Biografien (Beiheft zur Ausstellung, Lausanne, Collection de l’Art Brut, 2007/2008), Lausanne 2007.

„Teresa Ottallo, in: Catalogue de la Collection de lArt Brut , Paris 1971, S. 296.

Michel Thévoz, L’art brut, Genf 1975.

Françoise Monnin, L’art brut. Tableaux choisis, Paris 1997.

Linda L. Clark, Women and achievement in nineteenth-century Europe, Cambridge 2008.

Anna Lehninger, Gestickte Autobiografien. Identitätskonstitution in textilen Werken von Frauen in Psychiatrien im 19. und 20. Jahrhundert, ungedr. phil. Diss., Bern 2009.

 

Bildnachweis

Marie Alexandre Menut Alophe, Teresa Ottavo, um 1840, Lithographie, 36 x 27.5 cm, Inv. Nr. EST-OTTAVO-001, Paris, Bibliothèque nationale de France, http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b7721826f (Zugriff am 21. Sept. 2009)

 

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