Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Farrenc, (Jeanne-) Louise, geb. Dumont

* 31. Mai 1804 in Paris, † 15. Sept. 1875 ebd., Pianistin, Klavierlehrerin, Editorin und Komponistin. Sie war das zweite Kind von Jacques-Edme Dumont (1761–1844) und Marie Elisabeth Louise geb. Curton (Lebensdaten unbekannt). Die Dumonts waren eine traditionsreiche Künstlerfamilie, der über Generationen Bildhauer, Maler und Kupferstecher entstammten. Louises Vater war Bildhauer, ebenso ihr Bruder Augustin Dumont (1801–1884). Über das dritte Kind, Constance Dumont (1808–1893), ist nur wenig bekannt. Sie erlernte die Malerei, ergriff allerdings keinen Beruf und blieb unverheiratet.

Ihre Kindheit verbrachte Louise Dumont in einer Künstlersiedlung auf dem Gelände der Sorbonne. Im Alter von sechs Jahren erhielt sie von ihrer Patentante Anne-Elisabeth-Cécile Soria, einer Schülerin Clementis, Unterricht in Klavier und Solfège. Darüber hinaus legten ihre Eltern Wert auf eine umfassende Bildung. So lernte sie Englisch und Italienisch. Bereits frühzeitig beteiligte sie sich an den in der Künstlersiedlung stattfindenden Konzerten als Pianistin. Mit ihrem späteren Ehemann, dem Marseiller Flötisten und Musikverleger Aristide Farrenc (1794–1865), trat sie hier auch im Duo auf. Mit 15 Jahren wurde sie, vermutlich privat, von Anton Reicha (1770–1836) in Komposition unterrichtet. Er unterwies sie in Kontrapunkt, Har­mo­nielehre, Fuge und Instrumentation, in Fächern, die Frauen zu dieser Zeit am Konservatorium nur sehr eingeschränkt offen standen. Außerdem nahm sie wahrscheinlich einzelne Klavierstunden bei Johann Nepomuk Hummel (1778–1837) und Ignaz Moscheles (1794–1870).

1821 heiratete sie – 17-jährig – Aristide Farrenc und ging mit ihm einige Zeit auf Reisen. 1828, zwei Jahre nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Victorine-Louise Farrenc, erschien die erste Rezension eines ihrer Konzerte in der Presse. Sie trug hier eigene Kompositionen vor. In der Besprechung eines Konzerts vom 17. Juli 1830 vergleicht der Kritiker (vermutlich François-Joseph Fétis) ihr Klavierspiel mit dem Hummels, Moscheles’ und Kalkbrenners: „Cette jeune dame qui, par des études sérieuses, acquis [sic] sur le piano un talent fort distingué, a su résister au goût frivole qui a fait de cet instrument une mécanique, où l’agilité des doigts est seule remarquée, et dans laquelle il n’est point tenu compte du génie de l’artiste; elle a suivi la route tracée par Hummel, Moschelès, Kalkbrenner, et paraît destinée à y obtenir d’honorables succès“ („Diese junge Dame, die sich durch ernsthafte Studien auf dem Klavier ein sehr fortgeschrittenes Können erworben hat, wusste dem frivolen Geschmack zu widerstehen, welcher aus diesem Instrument eine Maschine gemacht hat, wo allein die Fingerfertigkeit zählt, und wobei es überhaupt nicht mehr auf die geistige Durchdringung der Interpretation ankommt; sie hat den von Hummel, Moscheles und Kalkbrenner vorgezeichneten Weg beschritten und scheint bestimmt, hier zu beachtlichen Erfolgen zu gelangen“; RGM 1830, S. 376).

Im Okt. 1832 unternahmen die Farrencs eine Konzertreise nach London. Vermutlich blieb es die einzige Konzertreise des Ehepaares. Presseberichten ist zu entnehmen, dass neben eigenen Kompositionen Werke von Beethoven, Hummel, Hieronymus Payer, Händel und Leonardo Leo zu Louise Farrencs Repertoire gehörten. Ab den 1840er Jahren ist eine steigende Zahl von Konzertbesprechungen festzustellen. Bis 1857 gab Louise Farrenc regelmäßig mehrere Konzerte pro Jahr. Zudem unterrichtete sie ab 1841 die Duchesse d’Orléans (1814–1858) im Klavierspiel und trat in ihrem Salon auf. Es ist die einzige bekannte Verbindung Louise Farrencs zu Mitgliedern des Königshauses.

Im Nov. 1842 trat sie ihr Amt als volltitulierte Professorin für Klavier am Pariser Konservatorium an, welches sie 30 Jahre lang (bis zu ihrer Pensionierung am 1. Jan. 1873) bekleidete. Zwar gab es bereits vor Louise Farrenc Instrumentalprofessorinnen am Konservatorium, jedoch waren diese entweder nur kurze Zeit beschäftigt, oder sie waren nicht oder nicht von Anfang an volltitulierte Professorinnen. Als Klavierlehrerin genoss Louise Farrenc einen guten Ruf: Viele ihrer Schülerinnen schlossen ihr Studium mit einem 1. Preis ab. Bis in die 1860er Jahre finden ihre Schülerinnen in der Presse Erwähnung. Als eine der ersten machte Louise Farrencs Tochter Victorine 1844 ihren Abschluss als Pianistin. Louise Farrenc unterrichtete auch privat. Ihr Kollege am Konservatorium, Antoine Marmontel, charakterisiert ihren Unterrichtsstil wie folgt: „L’enseignement de Mme Farrenc était d’une correction parfaite, d’un puritanisme rigoureux. Pour rien au monde, le professeur n’aurait voulu sacrifier à l’effet; aussi les succès de ses élèves étaient-ils dus bien exclusivement à leur mérite personnel. Les pianistes formés à l’école de Mme Farrenc se distinguaient par la régularité et la netteté irréprochable de leur jeu, le mécanisme excellent, l’accentuation juste qui n’avait rien jamais d’exagéré, enfin la lettre écrite observée avec une exactitude, un soin religieux. Ce qui manquait à cette école, si correcte, si sérieuse et si pure, c’était la chaleur et la couleur. L’horreur de l’exagération l’avait poussée vers un autre écueil, la froideur“ („Der Unterricht bei Mme. Farrenc war von äußerster Disziplin und unerbittlicher Strenge geprägt. Für nichts in der Welt hätte die Lehrerin äußerliche Effekte angestrebt. Auch die Erfolge ihrer Schülerinnen waren nur deren persönlichen Verdiensten zuzuschreiben. Die Pianistinnen aus der Schule von Mme. Farrenc zeichneten sich durch tadellose Gleichmäßigkeit und Sauberkeit ihres Spiels aus, eine hervorragende Technik, richtige, niemals überzogene Betonungen und schließlich die genaue Beachtung des Notentextes, eine fast religiöse Hingebung. Was dieser so korrekten, ernsthaften und untadeligen Ausbildung fehlte, war Wärme und Farbigkeit. Aus Sorge vor Übertreibung war sie in eine andere Falle geraten: in diejenige der Kälte“, Marmontel 1878, S. 180f.).

1859 starb die Tochter Victorine Farrenc nach längerer schwerer Krankheit. Etwa ab 1857 ist kein öffentlicher Auftritt Louise Farrencs als Pianistin mehr nachweisbar, und anscheinend komponierte sie auch keine größeren Werke mehr. Zusammen mit ihrem Ehemann gab sie von 1861 bis 1872 unter dem Titel Le Trésor des pianistes eine Klavieranthologie heraus, die in 23 Bänden Klavierwerke vom 16. bis zum 19. Jahrhundert umfasst. Neben ihrer Unterrichtstätigkeit stellte dies ihre Hauptbeschäftigung dar. Begleitend zu den etwa halbjährlich erscheinenden Heften veranstalteten die Farrencs Konzerte, in denen die Werke Alter Meister aufgeführt und mit Vorträgen von Aristide Farrenc erläutert wurden. In den „Séances historiques“ spielte sie nicht mehr selbst, sondern ließ ihre Klavierschü­lerinnen auftreten. Nach dem Tod ihres Ehemanns 1865 setzte sie das Editionsvorhaben alleine fort. Ihre Herausgabe des Trésor des pianistes erwies sich als richtungsweisend für die Wiederbelebung und Aufführungspraxis Alter Klaviermusik.

Louise Farrenc komponierte zunächst fast ausnahmslos Klaviermusik, nach 1833 aber überwiegend Orchester- und Kammermusik sowie Klavieretüden. Ihre Kompositionen fanden bei Kritikern viel Beachtung. Die Etüden op. 26 wurden an den Konservatorien in Paris, Brüssel und Bologna zum Lehrwerk erhoben. 1861 und 1869 wurde sie für ihr Kammermusikwerk mit dem Prix Chartier ausgezeichnet.

 

WERKE FÜR KLAVIER SOLO 

Variations brillantes sur un thème d’Aristide Farrenc, op. 2, Paris 1822; Variations brillantes sur un thème (air) de la Cenerentola de Rossini, op. 5, Paris 1830; Variations sur l’air favori: O ma tendre musette!, op. 6, Paris 1827; Air suisse varié, op. 7, Paris 1832; Trois Rondeaux, op. 8, Paris 1827-1829; Rondeau sur un chœur du Pirate de Bellini, op. 9, Paris 1833; Variations (brillantes) sur la Ronde à deux voix de l’Opéra: Le Colporteur de G. Onslow, op. 10, Paris o. J.; Rondeau sur des Thèmes d’Eurianthe de C. M. de Weber, op. 11, Paris 1833; Variations sur une galopade favorite (Hongroise), op. 12, Paris 1833; Rondeau brillant sur la Cavatine de Zelmire de Rossini (de Carafa), op. 13, Paris 1833; Les Italiennes. Trois Cavatines favorites de Bellini & Carafa, op. 14, Paris 1835; Variations brillantes sur la Cavatine d’Anna Bolena de Donizetti, op. 15, Paris 1835; Les Allemandes. Thèmes variés, op. 16, Paris 1835; Air russe varié, op. 17, Paris 1835/1836; La Sylphide. Rondo-valse sur un motif de Masini, op. 18, Paris o. J.; Souvenir des Huguenots. Fantaisie et Variations sur le célèbre choral protestant de Luther, op. 19, Paris o. J.; Souvenir des Huguenots. Fantaisie et Variations sur le célèbre choral protestant de Luther, op. 19 bis, Paris 1836-1839; Les Jours heureux. Quatre rondinos sur des thèmes favoris, op. 21, Paris o. J.; Fugues, op. 22; Trente Etudes dans tous les tons majeurs et mineurs, op. 26, Paris 1839; Hymne russe varié, op. 27, Paris o. J.; Variations sur un thème allemand, op. 28, Paris 1839-1841; Variations sur un thème des Capuleti de Bellini, op. 29, Paris 1839-1841; Douze Etudes brillantes, op. 41, Paris 1858; Vingt Etudes de moyenne difficulté, op. 42, Paris 1855; Trois mélodies, op. 43, Paris 1858; Scherzo, op. 47, Paris 1858; Valse brillante, op. 48, Paris vor 1861; 1er Nocturne, op. 49, Paris 1862; Vingtcinq Etudes faciles, op. 50, Paris 1861-1863; 2me Valse brillante, op. 51, Paris 1854

 

Werke ohne Opuszahl:

Adieux à la Suisse. Thème de Bruguière, varié; 1er Bagatelle, Rondino, Paris 1829/1830; Encouragement aux jeunes Pianistes. Trois rondinos, Paris 1835/1836; La Grand’mère; 1er Rondoletto sur la chansonette de Lagoanère, Paris 1835; Il pleut, Bergère, Paris 1828; Mélodie, Stuttgart 1846; Naples, 2me Rondoletto sur la Barcarolle de Masini, Paris 1835; Rondo No. 4; Le Souvenir, quadrille sur des thèmes (Airs) nationaux favoris, Paris 1830; Thèmes et variations; Trois airs variés sur des thèmes de Bruguière et Panseron, Paris o. J.

 

WERKE FÜR KLAVIER UND ORCHESTER

Grandes variations sur l’air: Le premier pas, op. 4, Paris o. J.; Grandes Variations sur un thème du Comte Gallemberg, op. 25, Paris 1839–1841

 

Werke ohne Opuszahl:

Variations sur un thème du Freyschutz de C. M. de Weber

  

EDITIONEN

(mit Aristide Farrenc) Le Trésor des pianistes, 23 Bde., Paris 1861–1872

 

LEHRWERKE 

Exercices du pianiste sur les Modulations, Paris 1858–1861

 

LITERATUR

AmZ 1845, Sp. 238 f.; 1846, Sp. 547

AWM 1845, S. 188, 300

Bock 1849, Nr. 30; 1850, Nr. 27, 1852, S. 303; 1853, S. 6, 15; 1855, S. 351; 1856, S. 62

GaillardBMZ 1845, Nr. 11, 21; 1846, Nr. 8

NZfM 1840 II, S. 55; 1850, S. 149, S. 166

RGM 1830, S. 376

Schilling, Fétis, New Grove 1, Cohen, MGG 2000, New Grove 2001

Antoine Marmontel, „Madame Louise Farrenc“, in: ders., Les Pianistes célèbres, Paris 1878, Tours 21887.

Bea Friedland, Louise Farrenc, 1804–1875. Composer, Performer, Scholar, New York 1975.

Christin Heitmann, Die Orchester- und Kammermusik von Louise Farrenc vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Sonatentheorie (= Veröffentlichungen zur Musikforschung 20), Wilhelmshaven 2004.

Freia Hoffmann (Hrsg.), Louise Farrenc (1804-1875). Kritische Ausgabe. Orchester- und Kammermusik sowie ausgewählte Klavierwerke, 15 Bde., Wilhelmshaven 1998–2005.

Christin Heitmann (Hrsg.), Louise Farrenc (1804–1875). Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis (= Farrenc, Kritische Ausgabe 4), Wilhelmshaven 2005.

Rebecca Grotjahn u. Christin Heitmann (Hrsg.), Louise Farrenc und die Klassik-Rezeption in Frankreich (= Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts 2), Oldenburg 2006.

Weblink zur kritischen Werkausgabe: http://farrenc.sophie-drinker-institut.de/

 

Bildnachweis

Grotjahn/Heitmann, S. [3]

 

Jan Felix Jaacks/Anja Herold

 

© 2008 Freia Hoffmann