Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Geiger, Constanze, Constanza, Konstanze (Therese Adelaide), verh. Baronin/Freifrau von Rutenstein, Ruttenstein, Buttenstein

* 16. Okt. 1836 in Wien, † 24. Aug. 1890 in Dieppe (Frankreich), Pianistin, Komponistin und Schauspielerin. Sie wurde als Tochter des Komponisten und Pianisten Joseph Geiger (1809–1861), seinerseits Musiklehrer in aristokratischen Kreisen Österreichs, und dessen Ehefrau, der Wiener Hutmacherin Teresia Geiger geb. Rziha (1804–1865), geboren. Bereits in frühester Kindheit erhielt sie Klavierunterricht von ihrem Vater, außerdem wohl von Johann Wenzel Tomaschek (1774–1850) und Simon Sechter (1788–1850). Im Alter von sechs Jahren debütierte sie als Pianistin in Wien. Diese frühen öffentlichen Auftritte wurden insbesondere von der Mutter forciert, die eine Karriere ihrer Tochter als Wunderkind anstrebte; und tatsächlich konnte sich Constanze Geiger erfolgreich als Kindervirtuosin etablieren.

Als Neunjährige trat Constanze Geiger erstmals auch als Komponistin in Erscheinung. Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stand eine von ihr komponierte Preghiera für Militärmusik (NZfM 1845 I, S. 160), die am 20. Apr. 1845 in der Wiener Pfarrkirche am Rennwege von einem Musikkorps aufgeführt wurde. Diesen ersten Kompositionsversuch würdigte das Publikum mit großem Beifall, die Fachzeitschriften jedoch werteten meist negativ. Dabei standen die Rezensenten dem kompositorischen Schaffen des Mädchens sowohl wegen ihres Geschlechts als auch aufgrund ihrer Jugend kritisch gegenüber. Zudem bewegte sich Constanze Geiger mit dieser Komposition auf dem Gebiet der Militärmusik, was für eine Frau zu dieser Zeit ungewöhnlich war und als unschicklich erachtet wurde (Bock 1852, S. 283).

Auch spätere Kompositionen des Mädchens wurden von der Presse oft negativ beurteilt. So heißt es unter anderem über ein Lied (Meine liebste Blume) aus dem Jahr 1846 in der „Allgemeinen Wiener Musikzeitung“, dass eine solche „Composition […] im Kreise der Eltern und Angehörigen des Kindes am Platze ist, [jedoch] nicht vor das Forum eines kunstgebildeten Publicums“ gehöre (AWM 1846, S. 150). Gleichwohl wurden die Kompositionen Constanze Geigers in Wien regelmäßig aufgeführt und zum Teil bei renommierten Verlagen publiziert.

 

Constanze Geiger 1849 im Alter von 13 Jahren.

 

Im Juli 1846 wurde Constanze Geiger vom Cäcilienverein in Rom (Verein zur Förderung von Kirchenmusikern und Aufführung von Kirchenmusik) für die Komposition geistlicher Werke die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Eine „hohe Auszeichnung“ war darüber hinaus auch die Annahme der Widmung des von ihr komponierten Ave Maria durch die Kaiserin Maria Anna von Österreich 1848.

Die Pianistin unternahm, vermutlich in Begleitung ihres Vaters, zahlreiche Konzertreisen, welche sie zunächst innerhalb Wiens und Österreichs bekannt machten und ab 1852 auch nach Deutschland und Böhmen führten. Insbesondere in Wien galt Constanze Geiger bald als „junges Talent“, dessen „einfache, kindlich-zarte Haltung“ beim Klaviervortrag besondere Erwähnung fand (AmZ 1846, Sp. 654).

Daneben absolvierte sie ab 1852 erste Auftritte als Schauspielerin. Allerdings beschränkte sich ihre Tätigkeit auf der Bühne nicht auf das Schauspiel. Die junge Frau trat hier auch als Pianistin auf und präsentierte dabei u. a. eigene Kompositionen. Diese Art der „musikalisch-theatralischen Vorstellung“ (Signale 1858, S. 341) gab Constanze Geiger von 1852 bis 1860 regelmäßig in verschiedenen Städten und zu verschiedenen Anlässen. So trat sie 1853 in einem Gastspiel in Olmütz in den Lustspielen Das Herz vergessen (Rolle der Franziska) und Bräutigam ohne Braut (Rolle der Sophie von Galden) sowohl als Pianistin als auch als Schauspielerin auf und ließ in den Zwischenakten ein Orchester ihre Kompositionen spielen. Des Weiteren gastierte sie in Krakau (1854), Berlin (1858), Hamburg (1859) und Frankfurt a. M. (1860), wobei ihre Auftritte „in allerlei Rollen und Verkleidung“ und ihre Zungenfertigkeit in den Komödien den Kritikern „über das Gebiet des Anmutigen hinaus“ und die dargebotenen„Bizarrereien […] über die Grenzen des Ausgelassenen hinweg“ zu gehen schienen (Signale 1858, S. 341). Mehr Zuspruch fanden ihre musikalischen Vorträge, die als „gewandt“ und virtuos wahrgenommen wurden (ebd.).

Bewunderung erregte sie jedoch insbesondere aufgrund ihrer Vielseitigkeit. Dementsprechend wurde sie nach einem Auftritt im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater Berlin von einem Rezensenten der Zeitschrift „Signale für die musikalische Welt“ mit dem Titel „Tausendkünstlerin“ bedacht. Daneben attestierte man ihr ein sehr „bewegliches Naturell“, wobei „für die gesamte Theaterbelustigung“ nur Gesang und Tanz noch fehlen würden (Signale 1858, S. 341). Ein späterer Bericht aus dieser Zeitschrift verweist auf negative Reaktionen der Öffentlichkeit. Demnach seien für den durch den Vater Constanze Geigers finanzierten Neubau eines Theaters Fördergelder nur unter der Bedingung bewilligt worden, dass die Tochter nicht in dem Neubau auftrete (Signale 1860, S. 197).

Am 23. Apr. 1861 heiratete Constanze Geiger in der Wiener Schottenkirche den Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha (1824–1884). Diese morganatische Ehe des Musik liebenden Leopold, Generalmajor der österreichischen Armee, mit der bürgerlichen Musikerin wurde von Mitgliedern der Familie des Prinzen sehr missbilligt. Der Hochzeit ging eine längere Bekanntschaft und Liebesbeziehung voraus. Kennengelernt hatte sich das Paar im Wiener Gasthof „Zum Goldenen Lamm“, das seinerzeit ein Treffpunkt für Politiker und KünstlerInnen war (hier verkehrten u. a. Beethoven, Chopin, Offenbach und Strauss) und in dem das Ehepaar auch nach 1861 häufig die Nähe von Künstlern suchte. Noch vor der Hochzeit kam am 12. Okt. 1860 der Sohn Franz Assis Leopold Joseph zur Welt.

 

Constanze Freifrau von Ruttenstein mit Sohn Franz und Prinz Leopold.

 

Nach der Eheschließung im Jahre 1861 zog sich Constanze Geiger aus dem öffentlichen Konzert- und Theaterleben zurück und lebte mit ihrer Familie auf Schloss Radmeric. Neue Kompositionen sind von diesem Zeitpunkt an nicht mehr belegt. Aufgeführt wurden ihre Werke aber weiterhin. In der Presse fanden sie vor allem unter dem Mädchennamen der Künstlerin Aufmerksamkeit. Am 12. Okt. 1862 nobilitierte Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha die Künstlerin zur Freifrau von Ruttenstein, nach dem gleichnamigen Besitz des Hauses Coburg bei Grein in Oberösterreich.

Erwähnenswert ist die enge freundschaftliche Verbindung des Paares mit der Familie Strauß: 1845 widmete Johann Strauß (sen.) der Musikerin seine Flora-Quadrille op. 177Die Walzer und Märsche der Komponistin wurden von zahlreichen Militärkapellen und Orchestern unter der Leitung von Strauß-Vater und Sohn gespielt. „Drei Monate nach der Geburt [des Sohnes Franz Assis Leopold Josephs][…] führte Johann Strauss seinen Prinz Leopold gewidmeten Grillenbanner-Walzer op. 247, dessen Titel auf die schwierige Situation des Prinzen und den Ärger im Haus Coburg anspielte, im Dianabadsaal in der Leopoldstadt zum ersten Mal auf“ (Braun, S. 42).

Nach dem Tod ihres Ehemannes siedelte Constanze Freifrau von Ruttenstein 1884 nach Paris über. Sie starb am 27. Aug. 1890 im Alter von 54 Jahren in Dieppe/Frankreich in Folge eines Leberleidens und wurde auf dem Friedhof Montmatre in Paris bestattet.

 

WERKE FÜR KLAVIER

3 Nocturnes, 1859; 4 Valses, op. 3, 1845; Frühlings-Träume (Walzer), op. 8, 1847; Abschieds-Walzer, op. 9, 1848; Ferdinandus-Walzer, 1848; Das Fuchslied als Trauermarsch, 1849; Sehnsucht (Romanze), op. 15, 1850; Franz Joseph-Marsch, op. 19, 1852; Nandl-Polka, op. 22, 1852; Unbefriedigte Sehnsucht (Nocturne), op. 27, 1856; Herzklopfer-Walzer, op. 29, 1856; Kennst du meine Leiden? (Nocturne), op. 30, 1856; Kaiser-Einzugs-Marsch, 1862

 

LITERATUR

AWM 1845, S. 24, 188, 191; 1846, S. 150, 372; 1847, S. 186; 1848, S. 204, 220

AmZ 1845, Sp. 62; 1846, Sp. 654

Bock 1852, S. 277, 283, 293, 343; 1853, S. 270; 1854, S. 246; 1857, S. 203; 1858, S. 183; 1861, S. 150

Fremden-Blatt [Wien] 1849, 1. Juli; 1851, 24., 25. Jan., 12., 14., 18., 20. März; 1852, 9., 11. Jan., 23. März, 3., 30. Apr., 2., 28., 30. Mai, 1. Juni, 29. Sept., 5. Okt., 3. Nov., 16., 17., 21. Dez.; 1853, 8., 13., 14., 21. Jan., 26. Febr., 24. Apr., 6., 10., 12. Mai, 14. Juli, 19., 24., 27. Nov., 18., 20., 29., 30., 31. Dez.; 1855, 14., 16., 18., 23., 24. März, 10., 12., 13., 14., 17. Okt.; 1856, 1. März, 10., 17., 19., 20. Juni, 6., 7., 30. Nov.; 1857, 10., 14., 17. Juni; 1858, 23. Mai, 6., 8., 13., 17., 18. Juni; 1861, 25. Apr., 1. Juni, 4., 12. Juli

FritzschMW 1890, S. 474

NZfM 1845 I, S. 38, 160; 1852 II, S. 125; 1859 II, S. 154; 1860 I, S. 79; 1890, S. 414

Der Österreichische Zuschauer 1848, 15. Jan., 12. Febr., 10. März, 8. Mai; 1849, 3. März, 15. Apr., 24. Juni, 14., 30. Aug., 22., 30. Sept., 1. Dez.; 1850, 28., Jan., 18., 25. Mai; 1851, 26. März; 1855, 21. März, 26. Dez.

Die Presse [Wien] 1848, 30. Dez.; 1849, 3. März; 1852, 8., 13., 18. Jan., 25. März, 2., 13. Juni, 31. Aug., 23., 29., 30. Sept., 8. Okt., 3., 6., 23. Nov., 10., 16., 21. Dez.; 1853, 13., 14. 15. Jan., 26. Febr., 10., 11. Mai; 1854, 14. Jan., 1. Febr., 4., 5., 13. Mai; 1856, 19., 20. Juni; 1858, 13. Juni, 30. Okt.; 1861, 22., 24. Apr.

Signale 1846, S. 228, 267; 1851, S. 138f.; 1858, S. 341; 1860, S. 197; 1890, S. 759; 1891, S. 312

Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte 1865, S. 604

Wiener Zeitung 1845, 22., 28. Jan.

Eisenberg, Cohen, OeML (Art. Geiger, Familie)

Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2 Bde., Bd. 1, Wien 1869, Repr. Hildesheim [u. a.] 1979.

Ralph Braun, „Prinz Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha (Wien) – Constanze Freifrau von Ruttenstein, geb. Geiger, und Johann Strauss“, in: Zwanzig Jahre Internationale Coburger Begegnungen (= Begleitbuch zu einer Veranstaltung der Deutschen Johann Strauss Gesellschaft am 13./14. Okt. 2007), S. 27–42, http://ralph-braun.com/wp-content/uploads/2011/06/kulturaustausch.pdf, Zugriff am 1. Juli 2011.

 

Bildnachweis

Constanze Geiger. Lithographie von Gabriel Decker (1849), http://ralph-braun.com/wp-content/uploads/2011/06/kulturaustausch.pdf, Zugriff am 1. Juli 2011.

Prinz Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha, Constanze Freifrau von Ruttenstein mit Sohn Franz. Im Besitz des Alfred Dreher Archivs.

 

 

Yvonne Küpke/Anastasia Iwanow/AB

 

 

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