Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Cannabich, Rose, Rosina (Theresia Petronella)

Get. am 18. Apr. 1764 in Mannheim, † 1839 (Ort unbekannt), Pianistin. Sie entstammte einer seit mehreren Generationen tätigen Musikerfamilie. Ihr Vater Christian Cannabich (1731–1798) war unter Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz in Mannheim zuerst Trompeter und Violinist, später Konzertmeister. Mit Maria Elisabetha de la Motte, die er 1759 heiratete, hatte er sechs Kinder, von denen zwei früh starben.

Rose Cannabich war die Älteste, danach kamen Christian Carl (1770–1771), Carl August (1771–1806), Augusta Elisabeth (1774–?), Elisabetha Augusta (1776–1793) und Johanna Margaretha (1776–1778) zur Welt. Gemäß den Gepflogenheiten innerhalb von Musikerfamilien – insbesondere auch am Mannheimer Hof – erhielten die Kinder eine gründliche musikalische Ausbildung. Als Lehrer oder Lehrerinnen kommen einerseits der Vater, andererseits HofmusikerkollegInnen des Vaters in Betracht, von denen einige auch Paten der Cannabich-Kinder waren. Zu ihnen zählen die Sängerinnen Augusta Elisabeth Wendling (1752–1794), deren Tante Elisabeth Augusta Wendling  (1746–1786) sowie deren Ehemann, der Hofviolinist Franz Anton Wendling (1729–1786). Auch die musikalischen Karrieren der Cannabich-Geschwister lassen auf eine entsprechende Ausbildung schließen. Carl August Cannabich wurde Komponist und Kapellmeister sowie (als Nachfolger seines Vaters) Hofmusikdirektor in München, wohin die Mannheimer Hofkapelle 1778 verlegt worden war, da Kurfürst Carl Theodor dort die Nachfolge des Kurfürsten Max II. Joseph von Bayern angetreten hatte. Elisabetha Augusta Cannabich wurde Sängerin am Münchener Hof.

Dass Rose Cannabich als Pianistin im kulturellen Gedächtnis geblieben ist, liegt an der Tatsache, dass ihr Wolfgang Amadeus Mozart während seines Mannheim-Aufenthalts von Nov. 1777 bis März 1778 kurzzeitig Klavierunterricht erteilte, mit ihr musizierte und konzertierte sowie eine Klaviersonate für sie komponierte. Zu diesem Zeitpunkt war Rose Cannabich 13 bzw. 14 Jahre alt. Mozart berichtet in einem Brief an seinen Vater von einem Besuch beim Kapellmeister Christian Cannabich, dessen Einfluss bei Hofe er nutzen zu können hofft: „Er hat eine tochter die ganz artig clavier spiellt, und damit ich ihn mir recht zum freünde mache, so arbeite ich iezt an einer Sonata für seine Mad:selle tochter“ (Mozart, Brief an den Vater vom 4. Nov. 1777). Die Forschung geht davon aus, dass es sich bei dieser Sonate um die C-Dur-Klaviersonate KV 309 handelt. Den langsamen Satz der Sonate habe er „ganz nach den Caractére der Mad: selle Rose“ gemacht, „wie das andante, so ist sie“ – „ein sehr schönes artiges mädl. sie hat für ihr alter viell vernunft und geseztes weesen“ (Mozart, Brief an den Vater vom 6. Dez. 1777). Mozart studierte die Sonate mit seiner Schülerin zusammen ein: „Vor 3 tägen“, schrieb er am 14. November 1777, „habe ich angefangen der Mad:selle Rose die sonate zu lehren; heüte sind wir mit dem ersten Allegro fertig. das Andante wird uns am meisten mühe machen; den das ist voll expreßion, und muß accurat mit den gusto, forte und piano, wie es steht, gespiellt werden. sie ist sehr geschickt, und lernt sehr leicht. die Rechte hand ist sehr gut, aber die lincke ist leider ganz verdorben. […] ich habe auch zu ihrer Mutter und zu ihr selbst gesagt, daß wenn ich iezt ihr förmlicher meister wär, so sperrte ich ihr alle Musikalien ein, deckete ihr das Clavier mit einem schnupftuch zu, und liesse ihr so lang mit der rechten und lincken hand, anfangs ganz langsam, lauter Pasagen, Triller, Mordanten Ecetra: exerciren, bis die hand völlig eingericht wäre, denn hernach getrauete ich mir eine rechte Clavieristin aus ihr zu machen. denn es ist schade. sie hat so viell genie“ („Nachschrift Mozarts“ im Brief Maria Anna Mozarts an ihren Mann vom 14. Nov. 1777). Mit den Fortschritten seiner Schülerin war Mozart kurz darauf sehr zufrieden: Sie kann sich auch izt überall ganz gewis hören lassen. als ein frauenzimmer von 14 jahren, und dilettante, spiellt sie ganz gut; und das hat man mir zu dancken, das weis ganz Mannheim. sie hat izt gusto, triller, tempo, und bessere applicatur, welches sie vorher nicht gehabt hat“ (Mozart, Brief an den Vater vom 24. März 1778).

Rose Cannabich wird als auffallend schön beschrieben: „Daß sie damals sehr anziehend gewesen sei bezeugt auch eine Aeußerung des Malers Kobell in einem ungedruckten Brief an Dalberg: ‚Wie viel solcher süßer unschätzbarer Augenblicke schenkte mir der Himmel in dem lieben Umgang mit der schönen Rose Cannabich. Ihre Erinnerung ist meinem Herzen ein Eden!’“ (Otto Jahn Bd. 2, S. 102, Anm. 66). Erwartungsgemäß wurde ihr Äußeres auch in Rezensionen über ihr Auftreten als Pianistin erwähnt: „Wenn die Grazie sich mit der spielenden Muse vereinigt, so macht die letztere um so leichter und natürlicher Ansprüche auf den Namen einer Virtuosin. […] und noch weiß ich nicht, ob die Rechnung für mein Ohr, oder Auge, größer war“ (Musikalischer und Künstler-Almanach auf das Jahr 1783, S. 27f.).

Der spätere Lebensweg von Rose Cannabich liegt bislang weitgehend im Dunkeln, nur punktuelle Hinweise sind überliefert: 1783 wird sie im „Musikalischen und Künstler-Almanach auf das Jahr 1783“ als Pianistin erwähnt. Constanze Mozart geb. Weber berichtet im November 1799 von einem Benefiz-Konzert einer „Mamsell Cannabich“ in Prag (Mozart, Briefe und Aufzeichnungen Bd. 4, S. 300), wobei nicht deutlich wird, ob hier Rose (vgl. Mozart, Briefe und Aufzeichnungen Bd. 6, S. 509) oder ihre Schwester, die Sängerin Elisabeth, gemeint ist. Vermutlich heiratete Rose Cannbich später nach Breslau und trug den Namen Schulz (Mozart, Briefe und Aufzeichnungen Bd. 3, S. 535). Der Mozart-Biograph Otto Jahn notierte über sie: „Ich kann nicht angeben, ob die Sängerin und Klavierspielerin Cannabich, welche in Prag auftrat und dort den Advokaten Deveechy heirathete diese Rosa oder eine Schwester derselben war. Rosa Cannabich wird später von Leop. Mozart als Mad. Schulz erwähnt“ (Jahn Bd. 2, S. 102, Anm. 66). Da es sich bei der in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung" genannten Madame Deveechy um eine Opernsängerin handelt, die „auch auf dem Fortepiano eine Meisterin“ sei, ist damit vermutlich eher die Schwester Elisabeth gemeint.

 

LITERATUR

Musikalischer und Künstler-Almanach auf das Jahr 1783, hrsg. von Johann Nikolaus Forkel, 1783.

Neue Mozart-Ausgabe, Serie IX, Werkgruppe 25, Bd. 1

Mozart. Briefe und Aufzeichnungen, 7 Bde., hrsg. von Wilhelm A. Bauer und Otto Erich Deutsch, Kassel [u. a.] 1962–1975.

Gerber1, Bayerisches Musiker-Lexikon Online, http://www.bmlo.lmu.de/c0346, Version 3.05, Zugriff am 5. Okt. 2009.

Rudolf L. Beck, „Geschichte und Genealogie der Hofmusikerfamilie Cannabich 1707-1806“, in: Archiv für Musikwissenschaft 4 (1977), S. 298–309.

Ulrich Drüner, Mozarts Große Reise. Sein Durchbruch zum Genie 1777-1779, Köln [u. a.] 2006.

Brigitte Höft, „‚wie das andante, so ist sie. Mannheimerinnen um Mozart“, in: 176 Tage W. A. Mozart in Mannheim, hrsg. von Karin von Welck und Liselotte Homering, Mannheim 1991, S. 28–41.

Freia Hoffmann, Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1991.

Otto Jahn, W. A. Mozart, 4 Bde., Leipzig 1856–1859.

Melanie Unseld, Mozarts Frauen. Begegnungen in Musik und Liebe, Reinbek bei Hamburg 2005.

 

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