Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Hwass, Hvass, Tora, Thora, Therese (Kristina, Christina)

* 15. Juli 1861 in Mo (heute Provinz Västra Götalands län/Schweden), † 9. Jan. 1918 in Stockholm, Pianistin und Klavierlehrerin. Sie war das zweitjüngste der fünf Kinder von Eleonora Maria geb. Åberg (1825–1875) und dem Vikar Anders Hwass (1814–1874). Den ersten Klavierunterricht erhielt Tora Hwass von Jacob Axel Josephson (1818–1880) in Uppsala. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie ihre Ausbildung für einige Jahre unterbrechen. Zwischen 1881 und 1886 besuchte die Musikerin die Klavierklasse von Hilda Thegerström an der Stockholmer Kungliga Musikaliska Akademien. In Paris erhielt sie später Unterricht bei Ludwig Breitner (1851–1933) und setzte anschließend ihre Studien bei Franz Neruda (1843–1915) in Kopenhagen fort.

Das Debüt von Tora Hwass erfolgte im Febr. 1891 in der Stockholmer Musikalischen Akademie im Rahmen einer Matinee Carl August Södermans, als dessen Klavierbegleiterin sie in Erscheinung trat. Ebenfalls in Stockholm wirkte sie in Soireen von Franz Neruda mit (Febr. 1891, 1892) und konzertierte gemeinsam mit dem Geiger Emil Sauret und dem Violoncellisten Lisker (Apr. 1891). Am 18. Nov. 1892 veranstaltete die Pianistin unter Mitwirkung von Franz Neruda in der Musikalischen Akademie ihr erstes eigenes Konzert. Zwischen 1896 und 1901 organisierte sie Triosoireen in Stockholm und wirkte dort in Konzerten des Aulin-Quartetts (1898) mit. Mit dem Neruda-Quartett konzertierte sie in Göteborg (1893, 1896, 1898) und Kopenhagen (1899, 1906). Darüber hinaus unternahm sie Konzertreisen durch Schweden mit Märtha Petrini, Ester Sidner, Ellen Gulbranson, Franz Neruda, Lars Johan Zetterqvist und anderen MusikerInnen.

1894 begab sich die Pianistin für kurze Zeit nach London, präsentierte sich dort aber ausschließlich in privaten Zirkeln: „She came to London this year after the season had begun to look up her friends and make new ones, and to pave the way for her public appearance as a pianist of mark next year“ (Bristol Mercury and Daily Post 21. Juli 1894).

Im Frühjahr 1895 konzertierte Tora Hwass in der Musikalischen Akademie in Stockholm. In den nächsten Monaten ließ sie sich im Rahmen von Feierlichkeiten zu Ehren Anton Rubinsteins in Kopenhagen hören, gab ebenda auch ein eigenes Konzert und feierte, wie angekündigt, im Sommer ihr öffentliches Debüt in London. Am 19. Juni veranstaltete sie ein eigenes Konzert in der Queen’s Small Hall, in dem sie von Wilma Neruda unterstützt wurde. Mit der Geigerin spielte sie Robert Schumanns Violinsonate Nr. 1 a-Moll op. 105, solistisch brachte sie Chopins Klaviersonate Nr. 3 h-Moll op. 58 sowie Kompositionen von Mozart, Brahms und Dvořák zu Gehör und erzeugte hiermit, so die Londoner „Times“, „on the whole, a favourable impression. Her playing is fluent and neat, and her touch sympathetic and refined, if more than once it was decidedly lacking in power. Chopin’s B minor sonata, the chief solo work on the programme, is, of course, an admirable test piece for a claimant to honours among pianists, and though Mlle. Hwass’s rendering of it, and more especially of the exquisite largo, was rather spasmodic, yet it was not deficient in poetical charm, and was thoroughly adequate technically, and the finale was given with splendid spirit. No less successful was she in several solos of lesser note by Mozart, Brahms, and Dvoràk [sic], and in Schumann’s lovely A minor sonata for violin and pianoforte“ (Times 22. Juni 1895).

Für die folgenden vier Jahre kehrte Tora Hwass nach Stockholm zurück. Bei einem Auftritt von Saint-Saëns trug sie dort im Aug. 1897 unter der Leitung des Komponisten dessen Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll op. 22 „till den berömde pianistens och kompositärens stora belåtenhet“ („zur Zufriedenheit des berühmten Pianisten und Komponisten“, Svensk Musiktidning 1899, S. 50) vor. 1899 reiste die Pianistin ein weiteres Mal nach England. Am 7. Juni war sie in einem eigenen Konzert in der Londoner St. James’s Hall zu hören.

1901 ließ sich Tora Hwass in London nieder, für die folgenden Jahre sind weitere Belege für ihre Konzerttätigkeit in England vorhanden, allerdings bleibt die Zahl der Konzerte übersichtlich. Abgesehen von einem Auftritt im Laufe der Wintersaison 1910/1911 in Bournemouth musizierte die Pianistin ausschließlich in London, und zwar meist solistisch. Am 3. Dez. 1901 veranstaltete sie ein eigenes Konzert in der St. James’s Hall. Es folgten Konzerte in der Steinway Hall (4. Apr. 1903, 8. März 1914), die Mitwirkung in den Popular Concerts in der St. James’s Hall (5. März 1904), Klavierrezitals in der Æolian Hall (30. März 1905, 24. u. 28. März 1906, 9. Mai 1908, 7. Mai 1909, 9. Mai 1911, 8. Mai 1912, 26. Mai 1914) sowie die Beteiligung an den Promenade Concerts in der Queen’s Hall (24. Sept. 1907: Edvard Griegs Klavierkonzert a-Moll op. 16, Sept. 1909: Robert Schumanns Klavierkonzert a-Moll op. 54). Die beiden letztgenannten Auftritte wurden von der BBC übertragen. Nach 1914 lässt sich derzeit keine weitere Konzerttätigkeit belegen. Allerdings engagierte sich Tora Hwass weiterhin für das Musikleben und zählte 1910 offenbar zu den Gründungsmitgliedern des „Svensk musikförening“ in der englischen Hauptstadt.

In Skandinavien hielt sich Tora Hwass nach der Jahrhundertwende nur noch selten auf. Am 7. Dez. 1900 veranstaltete sie ein Konzert in der Musikalischen Akademie Stockholm. 1904 wirkte sie in Konzerten des Violinisten Henri Such in Kopenhagen mit. Im Frühjahr 1908 reiste sie ein weiteres Mal in die schwedische Hauptstadt, musizierte in der Musikalischen Akademie und außerdem im Sinfoniekonzert, wo sie Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73 vortrug.

Angesichts der geringen Anzahl der Konzerte war das Repertoire der Musikerin umfangreich und umfasste vornehmlich Musik des 19. Jahrhunderts: Neben den genannten Klavierkonzerten von Beethoven, Schumann, Saint-Saëns und Grieg spielte Tora Hwass Sonaten von Beethoven (Nr. 26 Es-Dur op. 81a, Les Adieux; Nr. 28 A-Dur op. 101; Nr. 29 B-Dur op. 106, Hammerklavier; Nr. 30 E-Dur op. 109; Nr. 31 As-Dur op. 110) und Chopin (Nr. 2 b-Moll op. 35; Nr. 3 h-Moll op. 58). Chopin bildete einen Schwerpunkt in ihrem Repertoire. Von ihm spielte sie verschiedene Nocturnes (cis-Moll op. 27 Nr. 1; c-Moll op. 48 Nr. 1; H-Dur op. 62 Nr. 1) und Walzer (Grande Valse As-Dur op. 42; cis-Moll op. 64 Nr. 2), die Fantaisie f-Moll op. 49, das Impromptu Ges-Dur op. 51, die Barcarolle Fis-Dur op. 60 und eine Berceuse. Wiederholt erschienen auf den Konzertprogrammen auch Kompositionen von Grieg (Ballade g-Moll op. 24), Joh. Seb. Bach (Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll BWV 903; Toccata D-Dur BWV 912), Liszt (Ungarische Rhapsodien Nr. 10 u. 12 Searle 244), Robert Schumann (Faschingsschwank aus Wien op. 26), Brahms (Intermezzo Es-Dur op. 117 Nr. 1; Klaviertrio Nr. 3 c-Moll op. 101, mit Mitgliedern des Kruse-Quartetts aufgeführt), Sinding (Variationen es-Moll für zwei Klaviere zu vier Händen op. 2, zusammen mit Johanne Stockmarr vorgetragen) sowie Werke von Scarlatti, Schubert, von Bülow, Agathe Backer-Grøndahl (Konzertetüde), Moszkowski, Mendelssohn, Glinka, Scriabin, Richard Strauss, Emil Sjörgren und Sauer.

Die Rezeption der Leistungen von Tora Hwass erweist sich als ambivalent. Während der Pianistin recht einstimmig „excellent technique“ (Athenæum 1899 I, S. 731) bzw. „unfailing intelligence and technical skill“ (Times 31. März 1905) attestiert werden, scheiden sich die Meinungen der Rezensenten mit Blick auf den musikalischen Ausdruck. „The Athenæum“ erachtet ihr Spiel nach einem Auftritt im Juni 1899 in London als „neat, refined – we may, indeed, say over-refined“ (Athenæum 1899 I, S. 731). Der „Musical Standard“ beurteilt ihre Interpretationen wenige Jahre später dagegen als „sincere and well-considered […], but the style was too tame to be exceptionally interesting, and sundry faults of detail were noticeable“ (Musical Standard 1904 I, S. 171). Im darauffolgenden Jahr hebt dasselbe Blatt die „laudable avoidance of exaggeration and affectation“ (Musical Standard 1905 I, S. 219) hervor, kritisiert andererseits aber wieder: „She is a good artist, with clean execution and powerful touch, but is rather wanting in expression“ (Musical Standard 1906 I, S. 215).

Ähnlich verhält es sich mit der Einschätzung des Fortespiels von Tora Hwass, wobei die widersprüchliche Beurteilung weiblicher Kraft ein wiederkehrendes Moment in der Besprechung der Leistungen von Instrumentalistinnen darstellt. Anlässlich einer Aufführung des Griegschen Klavierkonzerts verweist die Zeitschrift „Judy“ auf einen Mangel an „strength, which renders some of the powerful episodes feeble and patchy. In the last movement, moreover, the passage-work was not always quite clean“ (Judy or The London Serio-Comic Journal 1907, S. 219). Auch der „Musical Standard“ macht auf „deficiencies of power and grip“ (Musical Standard 1903 I, S. 232) aufmerksam, lobt einige Jahre später dagegen „clean execution and powerful touch“ (Musical Standard 1906 I, S. 215). Einem Rezensenten der „Times“ erscheint das Fortespiel dagegen schon zu hart: „Miss Hwass’s technical skill left little to be desired, save for one fault, which was apparent in all alike, a somewhat hard forte touch. This makes much of her playing wearisome to the ear and spoils what would otherwise be a fine performance“ (Times 30. März 1906).

Schon vor ihren Englandaufenthalten war Tora Hwass in Stockholm als Klavierlehrerin tätig. Mitte der 1890er Jahre befand sich unter ihren SchülerInnen die Herzogin von Dalarna, mit der zusammen sie auf Schloss Haga aufgetreten ist. Auch in England erteilte die Pianistin Klavierunterricht. Spätestens im Frühjahr 1904 trat Tora Hwass dem Kollegium des Hampstead Conservatoire bei, an dem sie fortan neben Michael Hambourg Klavier lehrte.

Wohl 1917 kehrte die Pianistin nach Stockholm zurück, wo sie Anfang 1918 starb. Bestattet wurde sie in demselben Grab wie Agnes Tschetschulin, mit der die Musikerin offenbar eine enge Freundschaft verband.

 

LITERATUR

Åbo Underrättelser 1895, 19. Apr.; 1899, 3. Mai

Athenæum 1899 I, S. 699, 731; 1901 II, S. 744, 765, 781, 887; 1902 I, S. 31; 1906 I, S. 215, 371; 1908 I, S. 583; 1909 I, S. 538; 1911 I, S. 519; 1914 I, S. 419

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Idun. Praktisk Veckotidning for Kvinnan och Hemmet 29. März 1895

Judy or The London Serio-Comic Journal 1907, S. 219

Musical News 1899 I, S. 593, 640

Musical Standard 1901 II, S. 361; 1903 I, S. 232; 1903 II, S. 63; 1904 I, S. 171; 1905 I, S. 219; 1906 I, S. 4; 1909 I, S. 314, 361; 1909 II, S. 27; 1911 I, S. 345

MusT 1899, S. 473; 1902, S. 40; 1904, S. 215; 1912, S. 397; 1914, S. 259, 331

Nya Pressen [Helsinki] 19. Apr. 1895

Ord och Bild. Illustrerad Månadsskrift 1895, S. 32

Saturday Review of Politics, Literature, Science, and Art 1901, S. 691

Svensk Musiktidning 1899, S. 49f.; 1908, S. 41f.

Tidning för Musik 1910, S. IVf.

Times [London] 1895, 12., 17., 22. Juni; 1899, 1., 3., 6. Juni; 1904, 29. Febr., 10. März; 1905, 31. März; 1906, 24., 28., 30. März; 1907, 25. Sept.; 1909, 5. Mai, 25. Sept.; 1911, 9., 10. Mai; 1914, 19. März

Violin Times 1899, S. 138; 1903, S. 66

Zeitschrift der internationalen Musikgesellschaft 1901/02, S. 20

Adolf Lindgren u. Nils Personne, Tonkonstnärer och Sceniska Artister (= Svenskt Porträttgalleri 21), Stockholm 1897.

Bernhard Meijer, Nordisk Familjebok. Konversationslexikon och Realencyklopedi, 38 Bde., Bd. 11 u. 36, Stockholm 2. Aufl. 1909 u. 1924.

Walborg Hedberg u. Louise Arosenius (Hrsg.), Svenska kvinnor. Från skilda verksamhetsområden. Biografisk Uppslagsbok, Stockholm 1914.

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Susanna Välimäki, A celebration of historical Finnish women who wrote music, Part 2: Agnes Tschetschulin“, in: Finnish Music Quarterly 2. Mai 2019, https://fmq.fi/articles/part-2-agnes-tschetschulin#, Zugriff am 24. Juni 2022.

 

Bildnachweis

Idun 29. März 1895

 

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