Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Schindler, Szyndler, Rosa, Rose, Rosalie, Róża, verh. Süß

* 2. Sept. 1872 in Gleiwitz, Oberschlesien (heute Gliwice, Polen), † nach 1925, Ort unbekannt, Violinistin und Geigenlehrerin. Die jüdische Musikerin war die Tochter von Friederike Schindler geb. Breitbarth, und dem Friseur Salomon Schindler. Sie hatte drei Schwestern: Margarethe, Elisabeth und Gertrud. Ab dem Alter von acht Jahren erhielt sie Geigenunterricht von einem Gleiwitzer Militärmusiker. Nach Anna Morsch übernahm anschließend Professor Slavitzki (vermutlich Klement Slawický, 1863–1941) ihre Ausbildung: „Er hörte die Kleine, nachdem sie einige Jahre Unterricht gehabt, spielen und war so überrascht von dem ausgesprochenen Talent, daß er sich zu ihrer Weiterbildung erbot“ (Morsch, S. 194). Später spielte sie dem Joachim-Schüler Richard Himmelstoß (1843–?) vor, dem Konzertmeister des Breslauer Orchestervereins, der sie „als ein geradezu phänomenales Talent“ (ebd.) an Joseph Joachim (1831–1907) weiterempfahl. Die Violinistin war jedoch zu diesem Zeitpunkt noch zu jung, um an der Königlichen Musikhochschule in Berlin aufgenommen zu werden, und nahm daher Privatunterricht bei Hans Hasse (1855–1932) sowie anschließend bei Pablo de Sarasate (1844–1908). Erst hiernach wurde sie zum Studienjahr 1889/1890 an die Berliner Musikhochschule aufgenommen, wo sie zunächst bei Johann Secundus Kruse (1859–1927) studiert hat. Vermutlich seit 1890 besuchte sie die Klasse Joseph Joachims. 1892 beendete Rosa Schindler ihr Studium, bewarb sich noch in diesem Jahr um das Felix Mendelssohn-Bartoldy-Staatsstipendium und erhielt hierauf eine einmalige finanzielle Unterstützung von 200 Mark.

Schon vor Beginn ihres Studiums war Rosa Schindler öffentlich aufgetreten. Ihr zentrales Wirkungsfeld war, auch nach ihrer Ausbildung, Berlin. Am 19. Okt. 1889 erfolgte einer ihrer ersten öffentlichen Auftritte in einem Konzert des Berliner Philharmonischen Orchesters unter der Leitung von Gustav Friedrich Kogel in der Singakademie. Das Programm enthielt neben Bruchs Violinkonzert Nr. 1 g-Moll op. 26 eine Rêverie von Henri Vieuxtemps (vermutlich Nr. 3 aus den Six morceaux de salon op. 22) sowie das Konzert fis-Moll von Heinrich Wilhelm Ernst. Die Presseresonanz blieb verhalten. Ein Korrespondent der „Signale für die musikalische Welt“ notiert: „Von einer jugendlichen Geigenspielerin Fräulein Rosa Schindler, die mit dem Philharmonischen Orchester ein Concert veranstaltete, ist nur zu sagen, daß der Zeitpunkt ihres öffentlichen Auftretens viel zu früh gewählt war, und daß es ihr für Werke wie Ernst’s Fismoll-Concert noch allzusehr an virtuosem Aplomb fehlt. Besser schon war das nicht zu verkennende Talent des Fräuleins in der Rêverie von Vieuxtemps am Platze“ (Signale 1889, S. 935). Schon 1890 wurde sie neben KollegInnen wie Leopold Auer, Adolf Brodsky, Geraldine Morgan, Wilma Norman-Neruda und Gabriele Wietrowetz von der Konzertdirektion Hermann Wolff vertreten. Am 20. Dez. 1890 und am 17. Dez. 1891 zeigte sich Rosa Schindler erneut in Konzerten des Berliner Philharmonischen Orchesters. Seit 1892 trat sie mehrfach zusammen mit der Pianistin Frida Simonson auf. Nach einem Konzert am 8. Okt. 1892 schreibt ein Korrespondent der Zeitschrift „Der Klavier-Lehrer“: „Die Violinistin, welche bereits mit Erfolg in die Oeffentlichkeit getreten[,] gab im Vortrag von [Heinrich Wilhelm] Ernst’s Othello-Fantasie [op. 11] und Saint-Saëns Introduction et Rondo capricioso mit Orchester [a-Moll op. 28] erneute Probe ihres schönen Talents. Von besonderem Reize ist ihre Kantilene. Wer wie sie einen so beseelten Ton aus dem Instrumente zu locken versteht und in so jugendlichem Alter über eine so sichere Technik gebietet, der gehört ohne Zweifel zu den Auserwählten“ (Der Klavier-Lehrer 1892, S. 266). Ähnlich vielversprechend äußert sich ein Rezensent der „Neuen Zeitschrift für Musik“, demzufolge Rosa Schindler „bereits in die Zahl der hervorragenden Geigenkünstlerinnen [gehört], und sie wird gewiß noch manche weitere Stufe in der Kunst ersteigen“ (NZfM 1892, S. 482).

Im Okt. des Jahres 1892 begab sich Rosa Schindler zusammen mit der Sängerin Marie Schmidt-Köhne und dem Großherzoglich Mecklenburgischen Hofpianisten Alfred Sormann auf eine von der Konzertdirektion Wolff organisierte Konzertreise. Bis zum Dez. des Jahres konzertierten die drei MusikerInnen in Mitteldeutschland, dem Rheinland, Pommern und Oldenburg. Der Violinistin brachte diese Tournee eine überregionale Bekanntheit ein. In den folgenden Jahren beschränkten sich ihre Auftritte wieder vor allem auf Berlin. Die Konzertprogramme enthielten unter anderem Spohrs Violinkonzert Nr. 8 a-Moll op. 47, das Konzert fis-Moll op. 23 von Heinrich Wilhelm Ernst, Beethovens Konzert D-Dur op. 61, ein Albumblatt für Violine von Wagner, Aleksander Zarzyckis Mazurka op. 26, Paganinis Moto Perpetuo C-Dur op. 11 sowie Kompositionen von Sarasate, Schumann, Wieniawski, Ries und Vieuxtemps.

Am 12. Aug. 1893 ließ sich Rosa Schindler im Berliner Conversationssaal (Central-Hotel) hören und konzertierte am 25. Okt. zusammen mit Teresa Carreño in Neubrandenburg. Der Zeitschrift „Violin Times“ zufolge unternahm Rosa Schindler 1893 außerdem eine erneut von der Konzertdirektion Wolff organisierte Tournee. Diese, so die „Violin Times“, „brought her under the patronage of the Royal Family of Hohenzollern, and won for her the sympathetic admiration of Pablo de Sarasate“ (Violin Times 1894, S. 131). Gegen Ende des Jahres gastierte sie in Wien.

Am 18. Apr. 1894 veranstaltete die Violinistin ein Konzert im Saal des Berliner Hôtel de Rome, in dem ihre Schwester Margarethe, eine Pianistin und ehemalige Studentin des Stern’schen Konservatoriums, erstmals öffentlich auftrat. Im Sommer desselben Jahres reiste die Künstlerin nach England und debütierte im Juni in London. Am 18. Juni ließ sie sich mit einem Satz aus Mendelssohns Violinkonzert e-Moll op. 64 im Salon des Ehepaars Semon hören.

Anfang des Jahres 1895 zeigte sich Rosa Schindler in einem Konzert der Sängerin Adelina Patti in Dresden und reiste später erneut nach London. Von der (Fach-)Presse erhielt sie positive Rückmeldungen für ihre Auftritte. Die „Neue Zeitschrift für Musik“ zitiert die „Breslauer Zeitung“: „‚Es ist nicht leicht für eine junge Künstlerin, sich in London Bahn zu brechen […]. Eine um so angenehmere Aufgabe ist es für den Berichterstatter, das Gelingen eines solchen Versuches zu constatiren, namentlich wenn die Künstlerin eine Landsmännin ist. Ihr Ton, ihre Technik haben durch eine offenbar rastlose Thätigkeit in Jahresfrist gewonnen und über ihr Wesen ist heute beim Spiel eine Ruhe ausgegossen, die überaus wohltuend wirkt und der Reflex einer seltenen Sicherheit ist‘“ (NZfM 1895, S. 381). Im Herbst des Jahres 1895 befand sich Rosa Schindler wieder in Deutschland und konzertierte am 31. Okt. in Berlin. Der „Neuen Zeitschrift für Musik“ zufolge zeigte sich die Musikerin hier „bedauerlicherweise zum letzten Mal: Sie verheirathet sich und folgt dem Mann ihrer Wahl nach Rußland. Die Vorträge dieses Abends konnten ihren Verehrern den Abschied wohl schwer machen, ihr großes Können und ihre Begabung zeigten sich hier im hellsten Licht“ (NZfM 1895, S. 504).

 

 

Am 10. Dez. 1895 heiratete Rosa Schindler den Kaufmann Georg Süß (1859–1919) und zog mit ihm nach Łódź. 1896 wurde hier die Tochter Ilona Ralf geboren, 1900 Lilly, später verh. Eisenlohr († 1987) und 1905 der Sohn Harry Egon Arno († 1970). Die Konzerttätigkeit hatte die Geigerin auch nach Eheschließung und Familiengründung fortgesetzt und nebenher Geigenunterricht erteilt. 1910 zog die Familie nach Warschau, wo die Musikerin ein weitbeachtetes Debütkonzert gab. Zwischen 1917 und 1919 war wiederum Łódź der Familienwohnsitz. Nach dem Tod des Ehemannes, ging Rosa Süß für einige Zeit nach Warschau, kehrte im Okt. 1920 aber wieder nach Łódź zurück. Ein Auftritt im Jahr 1925 ist der letzte Beleg ihrer Konzerttätigkeit.

 

LITERATUR

Rosa Schindler, Eintrag im Geburtenverzeichnis, mit Dank für die Zusendung und weitere hilfreiche Informationen an Sylwia Szulc.

Eheeintrag Schindler/Süß, mit Dank für die Zusendung an Petra Schmid

AmZ 1889, Sp. 450

Bock 1889, S. 327, 352; 1891, S. 439

FritzschMW 1889, S. 617; 1890, S. 332; 1891, S. 308; 1892, S. 608f.; 1893, S. 23, 487

Der Klavier-Lehrer 1892, S. 266

Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1892, S. 130

Neue Freie Presse [Wien] 1893, 8., 13., 19. Okt., 1., 7., 12., 18. Nov.; 1894, 30. Jan.

Neue Lodzer Zeitung 21. Sept. 1910

Neue musikalische Presse [Wien] 1895, S. 36

NZfM 1891, S. 268; 1892, S. 482; 1893, S. 6f., 161, 496; 1894, S. 247, 352; 1895, S. 381, 504

Neues Wiener Tagblatt 7. Nov. 1893

Der Oberschlesische Wanderer [Gleiwitz] 1872, 10. Sept.; 1889, 26. Okt.

Die Presse [Wien] 1893, 7., 11., 17. Nov.

Signale 1889, S. 935; 1892, S. 490; 1894, S. 135; 1895, S. 195

The Times [London] 19. Juni 1894

The Violinist 1908, S. 42

Violin Times 1894, S. 131; 1895, S. [33]

Vossische Zeitung 21. Okt. 1889

Anna Morsch, Deutschlands Tonkünstlerinnen. Biographische Skizze aus der Gegenwart, Berlin 1893.

Peter Muck, Einhundert Jahre Berliner Philharmonisches Orchester. Darstellung in Dokumenten, 3 Bde., Bd. 3: Die Mitglieder des Orchesters, die Programme, die Konzertreisen, Erst- und Uraufführungen, Tutzing 1982.

Inka Prante, Die Schülerinnen Joseph Joachims, Wissenschaftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung, unveröffentlicht, Universität der Künste Berlin 1999.

Silke Wenzel, „Rosa Schindler“, in: MUGI. Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt-hamburg.de/A_lexartikel/lexartikel.php?id=schi1874, Zugriff am 5. Dez. 2012.

 

Blidnachweis

Swiat [Warschau] 10. Dez. 1910

 

Annkatrin Babbe

 

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