Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Davies, Marianne

* 1743 oder 1744 (Ort unbekannt), begraben 5. Jan. 1819 in London, Cembalistin, Flötistin, Glasharmonikaspielerin und Sängerin. Ihr Vater Richard Davies (?–1773) war Flötist, ihre jüngere Schwester Cecilia (ca. 1756/57–1836) wurde unter dem Namen „L’Inglesina“ eine bekannte Sängerin. Die Familie stammte aus Irland und war spätestens seit 1751 in London ansässig.

In den Jahren 1751, 1753 und 1757 sind mehrere Konzerte in London belegt, in denen Marianne Davies als Cembalistin, Sängerin und Flötistin auftrat, letzteres mit einem Konzert eigener Komposition. 1761 machte sie die Bekanntschaft mit Benjamin Franklins neuer Konstruktion der Glasharmonika (mit horizontal ineinander angeordneten Glasschalen) und begann, sich zur Glasharmonikaspielerin auszubilden. Von Febr. 1762 an präsentierte sie das neue Instrument in zahlreichen Konzerten in London, Bath, Bristol, Dublin und Paris, seit 1763 unterstützt von ihrer Schwester, der Sängerin Cecilia Davies.

Aus Paris gelangte die „Nachricht von einem neuen musikalischen Instrumente, Harmonica genannt“ , nach Deutschland und damit auch der Name der Spielerin: „Ein englisches Frauenzimmer, die Jungfer Davies, welcher der Erfinder ein solches Instrument geschenkt hat, soll noch zur Zeit die einzige Person seyn, die es in gehöriger Vollkommenheit zu spielen weiß; […] Ich habe im vorigen Sommer das Vergnügen gehabt, in dem Hôtel d’Angleterre zu Paris, wo sich dieses Frauenzimmer täglich zweymal hören ließ, nicht nur ein Zeuge von ihrer großen Geschicklichkeit und den Vorzügen des Instruments zu seyn, sondern auch letzteres hinreichend kennen zu lernen“ (Hiller 1766, S. 71).

1767 plante die Familie Davies eine Konzertreise auf dem Kontinent und begann zu diesem Zweck, Empfehlungsschreiben zu sammeln, die unter dem Titel Letters of recommendation for the Miss Davies’s erhalten sind. Unter den 16 in London ausgestellten Briefen befinden sich sieben Schreiben Johann Christian Bachs, unter anderem an Carl Philipp Emanuel Bach, an Friedemann Bach und an Freunde in Italien.

Die Reise begann Ende 1767 oder Anfang 1768 und führte nach Brüssel, Antwerpen, Leuven, Lüttich, Mons, Bonn, Koblenz, Mainz, Hanau, Darmstadt, Schwetzingen, Bruchsal und Rastatt. Wahrscheinlich Ende 1768 erreichte die Familie Davies Wien, wo die Schwestern vor Maria Theresia spielten und durch Vermittlung Glucks mit dem Instrumentalunterricht der kaiserlichen Töchter beauftragt wurden. Möglicherweise unterrichtete Marianne Davies auch den Arzt Franz Anton Mesmer im Glasharmonikaspiel. Bald darauf ließ er sich eine eigene Glasharmonika bauen, die er später als therapeutisches Mittel seiner ‚magnetischen Kuren’ einsetzte. Die Familie wohnte bei Johann Adolf Hasse, der Cecilia im Gesang unterrichtete und eine  Kantate L’Armonica für Sopran, Glasharmonika und Orchester schrieb. Forschungen von Rüdiger Thomsen-Fürst zufolge handelt es sich um die erste Originalkomposition für Glasharmonika (Thomsen-Fürst, S. 368). Die Davies-Schwestern führten sie 1769 erstmals zur Hochzeit der Erzherzogin Maria Amalia mit Herzog Ferdinand von Parma auf.

Ende Dezember 1770 wurde die Reise mit Empfehlungsschreiben von Hasse und Maria Theresia fortgesetzt. Erste Stationen waren Venedig, Bologna und Mailand, wo sie mit Leopold und Wolfgang Amadé Mozart zusammentrafen und die bereits in London angeknüpfte Bekanntschaft erneuerten (Brief Leopold Mozarts vom 21. Sept. 1771). Die erste Jahreshälfte 1772 verbrachte die Familie in Neapel. Wohl in Rom traf sie Johann Christian Bach, der sie auf der Rückreise bis Florenz begleitete. Spätestens im Okt. 1773 kehrten die Musikerinnen mit ihren Eltern nach London zurück.

Das wesentliche Verdienst von Marianne Davies und ihrer sechsjährigen Reise war die Präsentation der Franklin’schen Glasharmonika, die in den Folgejahren zum Lieblingsinstrument empfindsamer Kreise vor allem im deutschsprachigen Raum wurde. Ihr Name war aufs engste mit dem neuen Instrument verbunden, bevor mit Marianne Kirchgessner ab 1791 eine weitere Glasharmonika-Virtuosin u. a. W. A. Mozart zu Originalkompositionen anregte. Der finanzielle Ertrag der Reise scheint geringer als erhofft ausgefallen zu sein, da im deutschsprachigen Raum und in Italien die Bedingungen für öffentliche Konzerte weniger entwickelt waren als in England. Seit dem Venedig-Aufenthalt machten sich bei Marianne Davies gesundheitliche Probleme bemerkbar, während ihre Schwester Cecilia als Sängerin zunehmend Erfolge feiern konnte.

1773, bald nach der Rückkehr, starb der Vater. 1778 reisten die Schwestern Davies mit ihrer Mutter nach Paris, wo Marianne erneut erkrankte. Für ihren Gesundheitszustand werden in der Literatur nicht die Strapazen jahrelanger Konzertreisen, sondern meist der ‚krankmachende’ Charakter der Glasharmonika verantwortlich gemacht, der Verdacht, das Spiel mit den Gläsern „sey der Gesundheit schädlich, reize die Nerven zu sehr, versenke in nagende Schwermuth, mache deshalb düster, melancholisch, und sey ein treffliches Hülfsmittel zur langsamen Abzehrung zu gedeihen“ (AmZ 1798/99, Sp. 97).

Nach dem Tod der Mutter 1783 waren – auch aus organisatorischen Gründen – Konzertreisen und ein Anknüpfen an den musikalischen Erfolgen wohl nicht mehr möglich. Nach 1784 scheint Marianne überhaupt nicht mehr aufgetreten zu sein. Nach einem längeren Aufenthalt der Schwestern Davies in Florenz wurde die Rückreise nach London 1786 erst durch ein Benefizkonzert der englischen Kolonie für die Schwestern ermöglicht. Zu den letzten Lebensjahren von Marianne Davies fehlen nähere Informationen. Einem erhaltenen Brief zufolge (Matthews, S. 150) haben die Schwestern in London 1797 noch Gesangsunterricht gegeben.

Das Musée de la Musique in Paris (Cité des Arts) verwahrt eine Zeichnung von Claude-Louis Desrais mit dem Titel La joueuse de glassharmonica (um 1764, siehe Hoffmann 1991, S. 59), die nach Auskunft von Rüdiger Thomsen-Fürst wahrscheinlich Marianne Davies darstellt.

Elise Polko hat den Schwestern Davies mit ihrer Novelle Die Erfindung der Harmonica ein literarisches Denkmal gesetzt, veröffentlicht in Musikalische Märchen, Phantasien und Skizzen (1852). Unter dem Titel Die Glasharmonika verarbeitete Horst Wolfram Geißler das Leben Marianne Davies' zu einem Roman, der 1936 erstmals erschien. Louise Marleys The Glass Harmonica (2000) und Wolfgang Schlüters Die englischen Schwestern (2011) basieren auf demselben Stoff.

 

LITERATUR

Hiller 1766, S. 71

Junker 1782, S. 103

Chor/Fay, Schilling, Gaßner, Schla/Bern, Mendel, Grove 1, Highfill, New Grove 1, New Grove 2001

Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, 7 Bde., Bd. 1, Basel [u. a.] 1962.

Charles Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise (1771, deutsch 1772), Wilhelmshaven 1975.

Friedrich Rochlitz, „Ueber die vermeynte Schädlichkeit des Harmonikaspiels“, in: AmZ No. 7 (1798/99), Sp. 97–102.

Gustav Klemm, Die Frauen. Culturgeschichtliche Schilderungen des Zustandes und Einflusses der Frauen in den verschiedenen Zonen und Zeitaltern, 6 Bde., Bd. 5, Dresden 1858.

Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2 Bde.,  Bd. 1, Wien 1869, Repr. Hildesheim [u. a.] 1979.

Hermann Ullrich, Die blinde Glasharmonikavirtuosin Marianne Kirchgessner und Wien, Tutzing 1971.

Betty Matthews, „The Davies sisters, J. C. Bach and the glass harmonica, in: Music and Letters 56 (1975), S. 150–169.

Freia Hoffmann, Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1991.

Heather Hadlock, „Sonorous Bodies: Women and the Glass Harmonica“, in: JAMS 3 (2000), S. 507–542.

Rüdiger Thomsen-Fürst, „This will be delivered to you by Mr. & Mrs. Davies & charming Daughters. Die Konzertreise der Familie Davies 1767/68-1773“, in: Le musicien et ses voyages. Pratiques, réseaux et représentations, hrsg. von Christian Meyer, Berlin 2003, S. 349–369.

William Zeitler, „Marianne DaviesThe Music and Magic of the Glass Armonica,www.glassarmonica.com/armonica/history/virtuosi/davies.php, Zugriff am 18. Febr. 2008.

 

Torben Geuke

 

© 2008 Freia Hoffmann