Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Spindler, Hildegard verh. Koppe

* 1849 in Dresden, † 1927, Pianistin. Sie war die Tochter des Pianistin und Komponisten Fritz Spindler (1817–1905) und seiner Ehefrau Emmeline (1823–1877). Ihr Vater war seit 1841 als Klavierlehrer in Dresden tätig, das auch in den nächsten Jahrzehnten Wohnort der Familie blieb. Hildegard Spindler hatte vermutlich zehn Geschwister, darunter Gabriele, Arthur, Reinhold, Viktor und Erwin. Einige waren ebenfalls künstlerisch tätig: Erwin (1860–1927) wurde Landschaftsmaler, Reinhold studierte Ende der 1870er Jahre Klavier am Dresdener Konservatorium und war später als Musiklehrer in Moskau tätig. Die Schwester Gabriele war Sängerin. Mit ihr veranstaltete Hildegard Spindler Anfang der 1870er Jahre gemeinsame Konzerte. Über den frühen Musikunterricht der Pianistin liegen keine Informationen vor. Später übernahm Carl Tausig (1841–1871) die Ausbildung der jungen Musikerin.

1867 lassen sich erste öffentliche Auftritte belegen (nach RudolphRiga 1854). In der zweiten Jahreshälfte trat Hildegard Spindler der „Neuen Zeitschrift für Musik“ zufolge „in Bayern zum ersten Male öffentlich als Pianistin auf und erwarb sich den ‚Bud. Nachr.‘ zufolge nicht nur durch bedeutende Technik (besonders hervorragende Fertigkeit der linken Hand), Sauberkeit und Elasticität des Anschlages, sondern auch durch geistvolle Darstellung schwieriger Werke von Liszt, Raff und Beethoven reichen Beifall“ (NZfM 1867, S. 409). Noch 1867 konzertierte sie in Leipzig (Gewandhauskonzert, 10. Okt.), Bautzen und Görlitz und ließ sich in den nächsten Jahren u. a. in Potsdam, Dresden, Leipzig und Berlin hören. 1871/1872 veranstaltete Hildegard Spindler Konzerte gemeinsam mit ihrer Schwester, der Sängerin Gabriele Spindler (Teplitz, Potsdam, Berlin, Dresden, Bremen und Aachen). Ende des Jahres 1871 reisten die beiden jungen Frauen nach Belgien und in die Niederlande und gastierten u. a. in Verviers, Amsterdam, Eupen und Den Haag. Wie die „Neue Zeitschrift für Musik“ berichtet, erhielten die Schwestern in dieser Zeit die Einladung eines Impresario Bestvali für die Jahre 1874/1875 „zu einer großen Concert-Tournée in den Vereinigten Staaten (dem Vernehmen nach zu hundert Concerten!) für eine bedeutende Summe“ (NZfM 1872, S. 116). Diese Konzertreise fand nie statt. Nach weiteren gemeinsamen Auftritten Anfang des Jahres 1873 in Leipzig und Dresden reiste Gabriele Spindler nach Mailand, um dort ihre Gesangsausbildung zu ergänzen. Hildegard Spindler begab sich im Frühjahr 1873 nach St. Petersburg. Dort hatte sie sich der „Neuen Zeitschrift für Musik“ zufolge „in den Kreisen der höchsten Aristokratie sowie bei ihrem ersten öffentlichen Auftreten in der Douma […] beliebt gemacht“ (NZfM 1873, S. 220). Nach weiteren Auftritten, etwa am 21. März in einem Konzert der deutschen Liedertafel und am 23. März im großen Theater, kehrte die Musikerin nach Dresden zurück. Es folgten Auftritte in Gera, Berlin und Dresden, bevor sich Hildegard Spindler im Frühjahr 1874 erneut auf eine Konzertreise nach Russland begab. Nach einem ersten Halt in Petersburg gastierte sie im Laufe der folgenden eineinhalb Jahre zusammen mit der Sängerin Anna Schröder u. a. in Riga, Kaunas, Tschernyschweskoje, Königsberg, Helsinki, Wiborg, Reval, Saratow, Pensa, Woronesch, Nowotscherkassk, Rostow, Taganrog, Charkiw und Poltawa. Wohl während dieser Konzertreise lernte Hildegard Spindler den Kaiserlich-russischen Hofrat Koppe kennen, den sie 1875 in Woronesch heiratete und damit ihre Konzerttätigkeit beendete. Nach der Hochzeit erfolgte vermutlich ein Umzug nach Moskau.

Das Repertoire Hildegard Spindlers enthält Klavierkonzerte und Sonaten von Mozart (Konzert d-Moll KV 466) und Beethoven (Konzert Nr. 3 c-Moll op. 37; Sonate Nr. 14 cis Moll op. 27 Nr. 2 – Mondschein – , Nr. 21 C-Dur op. 53 – Waldstein) sowie Kompositionen von Chopin, Liszt, Raff, Henselt, Mendelssohn, Schumann, Rubinstein, Field, Tausig und Weber. Die Pianistin nahm auch Salonstücke ihres Vaters in die Konzertprogramme auf, darunter Spinnrädchen und Feentanz. Ihr Vater hatte ihr außerdem das Klavierkonzert d-Moll op. 260 gewidmet – in den Konzertprogrammen ist dieses Werk nicht belegt.

Das Renommee Fritzs Spindlers hatte der Pianistin gerade zu Beginn ihrer Konzerttätigkeit öffentliche Aufmerksamkeit gesichert. Noch anlässlich eines Auftritts mit der Schwester Gabriele im Jahr 1871 bemerkt ein Redakteur der „Neuen Zeitschrift für Musik“: „Der Name Spindler erweckte in uns schon ein besonderes Interesse, denn der Vater dieser beiden jungen Damen ist einer der bekanntesten Componisten auf dem Gebiete besserer Salonmusik der Neuzeit“ (NZfM 1871, S. 285f.). Davon abgesehen war die Meinung der Rezensenten hinsichtlich der musikalischen Leistungen Hildegard Spindlers zunächst ambivalent. Die Leipziger Zeitung schreibt 1868: „Können wir Fräul. Spindler auch noch nicht als eine vollendete Künstlerin betrachten, läßt sie namentlich in der Beherrschung der Technik noch manches zu wünschen übrig, so erregte sie doch durch den Vortrag der genannten Musikstücke, durch die treffliche Schule und das warme musikalische Gefühl, das sie dabei bekundete, einen solchen Sturm von Beifall, daß das oben ihr gestellte Prognostikon wol [sic] als gerechtfertigt erscheint“ (Leipziger Zeitung 1868, S. 400). Daneben sieht noch fünf Jahre später ein Korrespondent der Zeitschrift „Signale für die musikalische Welt“ in Hildegard Spindler „eine Spielerin, der allerdings noch etliches Schülerhafte anhaftet, die aber bei ernstem und aufmerksamem Fortstudiren (am besten vielleicht noch mit dem Absehen vom öffentlichen Auftreten) nicht ohne Bürgschaften für eine gedeihliche Virtuosen-Zukunft ist“ (Signale 1873, S. 104). Weniger optimistisch zeigt sich ein Rezensent in der „Neuen Berliner Musikzeitung“. Ihm zufolge gehört Hildegard Spindler „dem pianistischen Mittelstande an; tüchtige Fertigkeit, im forte unschön harter Anschlag, Deutlichkeit durch unangemessenen Pedalgebrauch beeinträchtigt; Vortrag musikalisch, aber seelenlos“ (Bock 1874, S. 20). Die „Neue Zeitschrift für Musik“ bekundet dagegen eine positive Meinung: „Ihr Spiel ist äußerst correct, der Anschlag kräftig und entschieden, bei den Pianostellen weich und klar, und man kann mit Recht Frl. Hildegarde [sic] den ersten Clavierspielerinnen an die Seite stellen“ (NZfM 1871, S. 285f.). In demselben Blatt wird der Pianistin auch im Vergleich zu den männlichen Kollegen eine herausragende Fertigkeit attestiert: „Bei ihrer Beherrschung des Anschlags vom leisesten Piano bis zu einer Kraft, wie man sie selbst bei männlichen Virtuosen selten wahrzunehmen pflegt, in Verbindung mit virtuoser Fertigkeit und poesievoller Auffassung zählt die jugendliche, bescheidene Virtuosin unstreitig bereits zu den hervorragenderen Virtuosen unserer Zeit“ (NZfM 1872, S. 8).

 

LITERATUR

New York Public Library for the Performing Arts, Digital Gallery, Muller Collection, Hildegard Spindler, Signatur: 1943034

Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog 1907, S. 227.

Bock 1868, S. 379; 1871, S. 30; 1872, S. 47f.; 1874, S. 20, 54; 1875, S. 204; 1876, S. 11

FritzschMW 1870, S. 762, 765; 1871, S. 93, 202; 1873, S. 358

Le Guide musical 1872, S. 31

Leipziger Zeitung 1868, S. 32, 400

Münchener Propyläen. Wochenschrift für Literatur, Theater, Musik und bildende Kunst 1869, S. 158

Musical Standard 1874 I, S. 77

NZfM 1867, S. 351, 409; 1868, S. 158f.; 1869, S. 2; 1870, S. 421; 1871, S. 50, 86, 285f., 398, 429, 460, 482, 496, 497; 1872, S. 8, 54, 73, 74, 116, 138, 505; 1873, S. 47, 57, 71, 156, 185, 220, 266, 463; 1874, S. 18, 27, 51f., 107, 151, 182, 193, 306, 453, 464, 485, 486, 497, 520, 534; 1875, S. 18, 39, 61, 80, 100, 113, 205, 226

Revalsche Zeitung 1874, 19., 22. Nov.

Signale 1868, S. 869, 1023, 1077; 1870, S. 836; 1871, S. 136, 196; 1872, S. 167; 1873, S. 104, 342, 407f.; 1874, S. 116; 1875, S. 136; 1880, S. 886

Süddeutsche Musik-Zeitung [Mainz] 1867, S. 188

Teplitzer Zeitung 11. Juni 1871

RudolphRiga, Frank/Altmann

 

Bildnachweis

New York Public Library for the Performing Arts, Digital Gallery, Muller Collection, Hildegard Spindler, Signatur: 1943034, http://digitalgallery.nypl.org/nypldigital/id?1943034, Zugriff am 20. März 2013.

 

Annkatrin Babbe

 

 

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