Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Fromm, Marie, verh. Fromm-Kirby, Kirby-Fromm

* um 1864 in Malchin, † 2. Aug. 1945 in London, Pianistin und Klavierlehrerin. Die Mutter Marie Fromms war ebenfalls Pianistin und übernahm möglicherweise die erste musikalische Ausbildung ihrer Tochter. Am 15. Sept. 1877 traten beide Musikerinnen in einem Konzert des Sängers August Meinecke in Malchin auf und trugen darin Ferdinand Hillers Duett über Lützow’s wilde Jagd von Carl Maria von Weber für zwei Klaviere op. 108 sowie kleinere Klavierwerke von Beethoven vor.

1879 bestand Marie Fromm die Aufnahmeprüfung bei Clara Schumann am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a. M. Die Lehrerin hielt große Stücke auf die Bewerberin. An Johannes Brahms schrieb sie: „Soeben erhielt ich durch Frl. Fromm einen Brief von [Konservatoriumsdirektor Joachim] Raff, worin er sie mir ganz offiziell zuerteilt! … und nun habe ich sie und nach einem kurzen Stück, das sie mir gespielt gesehen, daß sie mehr Talent hat, als alle die anderen“ (Litzmann 1927, S. 198). Zehn Semester lang studierte Marie Fromm in Frankfurt und erhielt am 19. Juli 1884, zusammen mit den Schumann-Schülerinnen Victoire Lyon und Ernestka Roth, „die wohlverdienten Abgangs-Zeugnisse“ (Jahresbericht des Hoch’schen Conservatoriums 1883/1884, S. 46). Direkt im Anschluss an das Studium reiste die Pianistin nach London und erhielt dort, vermittelt durch Clara Schumann, schon bald erste Engagements. Rückblickend schreibt sie: „Madame Schumann sent me to England to start my professional career at the ‚Monday Pops‘“ (Fromm 1932, S. 616). Am 24. Nov. debütierte Marie Fromm in einem der Monday Popular Concerts in der St. James’s Hall mit Mendelssohns Fantasie fis-Moll op. 28 und einem Klaviertrio von Haydn, das sie zusammen mit Wilma Norman-Neruda und Alfredo Piatti vortrug. Mit diesen MusikerInnen führte sie in dem Saturday Popular Concert am 6. Dez. auch Mendelssohns Trio d-Moll op.­ 49 auf.

Die Reaktionen in der Londoner Presse auf die ersten Auftritte der jungen Pianistin waren ambivalent. In der Zeitschrift „The Academy“ weist John South Shedlock auf einige Schwächen hin: „She has been well trained, and may become a good pianiste: as yet she lacks strength, style, and confidence“ (The Academy 1884, S. 364). Ähnliches bemängelt auch ein Korrespondent des „Musical Standard“: „She seemed to suffer from nervousness, and sundry slight blemishes were noticeable in her solo as well as in the ensemble performance, such as the holding of the pedal when the hands had been lifted from the keyboard. Mdlle. Fromm’s execution of the solo was decidedly successful, and induced a recall. It struck attentive auditors that the left hand was weak in many places, particularly in the last movement of the trio, where, in the piano pas­sages, the theme could hardly be heard. A lack of the cantabile, again, might be remarked on all occasions. These, however, are faults attributable to, and excusable on account of, nervousness“ (Musical Standard 1884 II, S. 320). Ein Rezensent des „Monthly Musical Record“ bezeichnet ihr Spiel als „not sufficiently interesting to secure an encore(Monthly Musical Record 1884, S. 280), bescheinigt der Pianistin aber „good intentions and fair technique“ (ebd.). Wiederholt erfährt sie Anerkennung für ihre Spieltechnik, die sie als Schülerin Clara Schumanns auszeichne: „Mdlle. Fromm is a pupil of Madame Schumann, and the influence of that great artist can easily be recognized in the young lady’s intelligent phrasing and technical finish of style. Wether, in addition to this, she possesses the individual qualities which go to the making of an artist of the first class“ (The Times 25. Nov. 1884).

Trotz negativer Kritik gelang es Marie Fromm, sich als Pianistin in London zu etablieren. Der „Musical Standard“ schreibt Anfang des Jahres 1885: „Mdlle. Marie Fromm […] more than sustained her reputation as an accomplished musician and skilful pianist“ (Musical Standard 1885 II, S. 339). Wenige Jahre später unterbrach die Pianistin ihre Konzerttätigkeit für einige Zeit. Von 1886 bis 1891 lassen sich keine Auftritte belegen. Spätestens ab 1886 hatte Marie Fromm eine Anstellung als Klavierlehrerin in Nottingham inne. Erst 1892 zeigte sie sich wieder in der Öffentlichkeit und konzertierte in diesem Jahr mehrfach in Birmingham, bevor sie sich für weitere vier Jahre aus dem öffentlichen Musikleben zurückzog. Wohl um diese Zeit heiratete sie auch Ernest Dormer Kirby (1859–1923).

1901 reiste Marie Fromm nach Deutschland. Vom 21. bis 23. März wirkte sie in Konzerten im Rahmen des Bach-Festes in Berlin mit. In einer Konzertkritik von Otto Lessmann wird die Musikerin erstmals unter dem Namen Fromm-Kirby erwähnt. Lessmann schreibt über ihren Auftritt: „The lady proved herself an excellent musician in Beethoven’s Sonata in E flat major (Op. 27) and Brahms’s Sonata for violoncello and pianoforte, and she was equally successful in brilliant pieces by Henselt, Tschaïkowsky, and Rubinstein“ (MusT 1901, S. 320).

Bis 1903 trat Marie Fromm einmal in Dublin und mehrere Male in Birming­ham, Lon­don und Leamington auf. Erst seit 1904 konzertierte sie wieder mit größerer Regelmä­ßigkeit. Mehrfach ließ sie sich in diesem Jahr in London hören und spielte fortan auch häufig in kammermusikalischer Besetzung, u. a. mit dem Mossel Quartet. Der Geiger Max Mossel engagierte sie darauf­hin für seine „drawing-room concerts“ (MusT 1905, S. 45), in denen Marie Fromm bis 1909 wiederholt mitwirkte.

Im Winter 1904/1905 reiste die Pianistin nach Bielefeld und spielte dort in einem „Konzerte des Ravensberger Streichquartetts“ (Blätter für Haus- und Kirchenmusik 1905, S. 116). Das Programm enthielt Anton Stepanovich Arenskys Klaviertrio Nr. 1 d-Moll op. 32, Beethovens Violinsonate Nr. 2 A-Dur op. 2 sowie „das schwierige Fis-Impromptu Chopins“, dessen Schwie­rigkeiten „die gediegene Künstlerin spielend“ (ebd.) bewältigte. Eine weitere Konzertreise führte Marie Fromm 1908 nach Rostock. Bis 1924 finden sich Belege für Auftritte, die meist in Birmingham stattgefunden haben. In London trat die Künstlerin nur noch selten auf.

Das Repertoire Marie Fromms umfasste vorrangig Kompositionen des 18. und 19. Jahrhunderts. Auffällig oft enthielten ihre Programme Werke von Robert und Clara Schumann. Häufig wählte sie auch Stücke von Beethoven und Mendelssohn. Daneben trug sie Kompositionen von Joh. Seb. Bach, Scarlatti, Haydn, Chopin, Liszt, Thalberg, Henselt, Rubinstein, Brahms, Saint-Saëns, Tschaikowsky u. a. vor.

Die Rezeption der Pianistin blieb zwiespältig. Einerseits werden Marie Fromm „excellent technique, grace, and finish“ (Musical News 1892 II, S. 391) sowie „real taste and feeling“ (Athenæum 1906 II, S. 558) bescheinigt. Die „Musical Times“ sehen in ihr „a highly proficient pianist“ (MusT 1893, S. 740). Andererseits beklagen Kritiker den Mangel an Charakteristischem in ihrem Spiel: „She played neatly and correctly, without evincing any remarkable ability“ (MusT 1884, S. 696). Ein Rezensent der Zeitschrift „Athenæum“ sieht „nothing remarkable in her rendering“ (Athenæum 1884 II, S. 702) und in der Londoner „Times“ heißt es, sie spiele „with a clear but uninteresting touch“ (The Times 25. Okt. 1912).

Spätestens seit 1890 war Marie Fromm in England auch als Klavierlehrerin tätig. In der „Birmingham Daily Post“ wird auf ihren Unterricht hingewiesen: „Miss Marie Fromm (Six years Pupil of Mdme. Clara Schumann). Begs to announce that she intends shortly to visit Birmingham one day each week for the purpose of giving pianoforte lessons“ (Birmingham Daily Post 24. Okt. 1890). Um 1909 hatte die Pianistin eine feste Anstellung als Klavier­lehrerin an der Birmingham and Midland Institute School of Music in Birmingham. Nach 1924 scheint sie ihre Konzerttätigkeit beendet und sich auf ihre Lehrtätigkeit beschränkt zu haben. 1930 zog sie von Birmingham nach London. Nach ihrer Ankunft erschien folgende Annonce in den „Musi­cal Times“: „Marie Fromm is now in London, and ready to receive piano pupils. The best modern methods combined with the classical traditions of the Clara Schumann School, with special attention to easy memorising“ (MusT 1930, S. 1064).

 

LITERATUR

Marie Fromm, „Playing from Memory“, in: MusT 1054 (1930), S. 1119f.

Dies., „Some Reminiscences of my Music Studies with Clara Schumann“, in: MusT 1073 (1932), S. 615f.

Academy 1884, S. 364f.; 1906, S. 437, 463

The Annual Register. A Review of Public Events at Home and Abroad, for the Year 1884 [1885], S. 91f.

Athenæum 1884 II, S. 702; 1906 II, S. 558, 559

Birmingham Daily Post 1890, 22., 24., 29., 31. Okt., 3., 6. Nov.; 1892, 28. Jan., 1., 9., 12. Febr., 28., 29. Sept., 1. Okt.; 1893, 23., 26., 28., 30. Okt., 14. Nov., 1. Dez.; 1895, 13. Sept.

Blätter für Haus- und Kirchenmusik 1905, S. 116

The Derby Mercury 1892, 24. Febr., 9. März

FritzschMW 1877, S. 521

Jahresbericht des Dr. Hoch’schen Conservatoriums für alle Zweige der Tonkunst zu Frankfurt am Main 1879/1880, S. 4; 1880/1881, S. 4, 12, 19; 1881/1882, S. 4, 21; 1882/1883, S. 5, 18, 20, 24; 1883/1884, S. 24, 46; 1884/1885, S. 13; 1886/1887, S. 34

The Lute 1884, S. 247

Monthly Musical Record 1884, S. 280; 1901, S. 256; 1902, S. 53

Musical News 1892 I, S. 181; 1892 II, S. 391

Musical Standard 1884 II, S. 224, 304, 320, 351; 1885 II, S. 339; 1903 II, S. 63; 1904 I, S. 139; 1904 II, S. 36; 1906 II, S. 153; 1908 I, S. 109; 1909 I, S. 77, 285; 1910 I, S. 312f., 377; 1912 II, S. 3, 278

MusT 1884, S. 636, 696; 1885, S. 14; 1892, S. 153, 667; 1893, S. 740; 1898, S. 113; 1899, S. 114; 1901, S. 44, 320; 1902, S. 119, 187, 411; 1903, S. 815; 1904, S. 251; 1905, S. 45, 193; 1906, S. 263, 413, 837; 1908, S. 184; 1909, S. 15, 186, 329; 1910, S. 30; 1911, S. 807; 1914, S. 402; 1924, S. 262, 361; 1930, S. 1064, 1119f.; 1932, S. 615f.

MusW 1884, S. 736, 750, 756, 768

Die Musik 1908/09 II, S. 381

Our Corner 5. Jan. 1885

Playgoer and Society Illustrated 1902, S. 108

Signale 1894, S. 438; 1904, S. 159; 1907, S. 159

The Times [London] 1884, 25. Nov.; 1904, 23. Febr.; 1906, 27. Okt., 3. Nov.; 1912, 25. Okt.

Grove 2

Heinrich Hanau, Dr. Hoch’s Conservatorium zu Frankfurt am Main. Fest­schrift zur Feier seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens (1878–1903), Frankfurt a. M. 1903.

Walter Niemann, Meister des Klaviers. Die Pianisten der Gegenwart und der letzten Vergangenheit, Berlin 81919.

Clara Schumann u. Johannes Brahms, Briefe aus den Jahren 1853–1896, hrsg. von Berthold Litzmann, 2 Bde., Bd. 2: 1872–1896, Leipzig 1927.

Siu-Wan Chair Fang, Clara Schumann as Teacher, Dissertation, University of Illinois 1978.

Peter Cahn, Das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt am Main (1878–1978), Frankfurt a. M. 1979.

Eva Weissweiler, Clara Schumann. Eine Biographie, Hamburg 1990.

Claudia de Vries, Die Pianistin Clara Wieck-Schumann. Interpretation im Spannungs­feld von Tradition und Individualität (= Schumann-Forschung­en 5), Mainz 1996.

Dorothy de Val, „Fanny Davies. ‚A messenger for Schumann and Brahms‘?“, in: The Piano in Nineteenth-Century British Culture. Instru­ments, Performers and Repertoire [themed session at the Fifth International Biennial Conference on Music in Nineteenth-Century Britain, held at the University of Nottingham in July 2005] (= Music in Nine­teenth-Century Britain), hrsg. von Therese Marie Ellsworth u. Susan Wollenberg, Aldershot 2007, S. 217–237.

Gudrun Wedel, Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon, Köln [u. a.] 2010.

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Annkatrin Babbe, „Netzwerke von und um Clara Schumann am Hoch’schen Konservatorium“, in: Musikerinnen und ihre Netzwerke im 19. Jahrhundert, hrsg. von ders. u. Volker Timmermann (= Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts 12), Oldenburg 2016, S. 163–178.

SchülerInnen, Ersteinschreibungen und AbsolventInnen, Hoch’sches Konservatorium, Frankfurt a. M., https://www.sophie-drinker-institut.de/files/Sammel-Ordner/Listen%20der­%20SchülerInnen/Frankfurt%20Hoch.pdf, Zugriff am 20. Juni 2022.

 

Annkatrin Babbe

 

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