Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

WinckelWinckell, Winkel, Therese (Emilie Henriette) aus dem, von

* 20. Dez. 1779 in Weißenfels, † 6. März 1867 in Dresden, Harfenistin, Harfenlehrerin, Musikschriftstellerin und Malerin. Sie war die einzige Tochter des Königlich Sächsischen Oberleutnants Julius Heinrich aus dem Winckel (?−1806) und seiner Frau Christiane Amalie geb. Dietz aus Leipzig (?1827). Kurz nach der Geburt der Tochter trennten sich ihre Eltern, und Therese aus dem Winckel zog gemeinsam mit Mutter und Großmutter nach Dresden in das „Italienische Dörfchen“. Ihre Mutter unterrichtete sie bereits im Alter von vier Jahren im Notenlesen. Ungefähr ab ihrem siebten Lebensjahr lernte Therese aus dem Winckel das Spiel auf dem Klavier, der Mandoline und der Gitarre. Ihren ersten Harfenunterricht erhielt sie von Paul Emich, einem ehemaligen Harfenlehrer Marie Antoinettes, der im Zuge der Revolution aus Frankreich nach Dresden emigriert war. Der erste nachweisbare Auftritt Therese aus dem Winckels fand im Rahmen einer von ihr mitorganisierten Gedächtnisfeier für Friedrich Schiller am 30. Dez. 1805 in Dresden statt. Sie spielte dort „die Harfe mit viel Gewandtheit und Fertigkeit“ (Dresdner Abendzeitung, 1806, Nr. 2, 4. Januar, S. 8).

Im Jahr 1806 trat Therese aus dem Winckel gemeinsam mit ihrer Mutter eine zweijährige Studienreise nach Paris an. Hauptziel dieser Reise war ihre Ausbildung als Malerin bzw. Kopistin. Während ihres Pariser Aufenthalts spielte Therese im Rahmen ihres dänisch-deutschen Freundeskreises Harfe, jedoch nicht öffentlich. Sie schrieb Musikkritiken, die in einigen deutschen Zeitschriften veröffentlicht wurden. In Paris hatte sie bei dem bekannten Harfenisten und Komponisten François-Joseph Naderman (1781−1835) Unterricht. Dieser war der Sohn des Harfenbauers Jean-Henri Naderman und Harfenlehrer am Pariser Konservatorium. Weiter machte Therese aus dem Winckel Bekanntschaft mit dem Instrumentenbauer Sébastien Érard. Sie kaufte eine von ihm entwickelte Doppelpedalharfe, für welche er 1810 das Patent anmeldete.

Der Verlust des Familienvermögens durch die Entwertung ihrer Staatspapiere zur Zeit des Parisaufenthalts zwang Therese aus dem Winckel, die Rückreise nach Dresden durch Konzerte zu finanzieren. Sie spielte auf ihrer Doppelpedalharfe, deklamierte in Straßburg und Stuttgart und überzeugte mit ihrer „musikalischen Vollkommenheit“ und „durch die Grazie ihres Spiels“ (Morgenblatt für gebildete Stände 10. Okt. 1808, S. 971). Weitere Stationen der Rückreise waren Mannheim, Heidelberg und Frankfurt a. M. In Heidelberg zeigte sich Achim von Arnim beeindruckt von der vielseitigen Künstlerin: „Ich hörte mit besonderer Andacht ein Fräulein Winckell harfenieren, die hier ein Konzert gab. Sie spielt in einem sehr edlen Stile, oft ossianisch, und malt in Ölfarben, wenigstens kopiert sie mit wahrer Fertigkeit, kennt die Literaturen, ist dabei ohne alle Ansprüche munter und gar nicht häßlich, und, wie schändlich der Ruf mit Mädchen mit einigen wirklichen Talenten umgeht, sie ist mir von sehr braven Leuten als ein Scheusal erkünstelter moderner naseweiser Bildung ausgeschrien“ (zit. nach Strittmatter, S. 226). Dieses Zitat deutet − wie einige andere auch − darauf hin, dass die Rezeption Therese aus dem Winckels gespalten war. In Weimar lud Goethe die Künstlerin in sein Haus ein, wo sie der anwesenden Gesellschaft auf ihrer Harfe vorspielte. In Kassel wirkte die Dresdnerin bei der Winterunterhaltung mit, wo sie großen Anklang fand. In Leipzig fielen die Kritiken wiederum negativ aus, vor allem aufgrund des Programms. Das Repertoire Therese aus dem Winckels bestand vorwiegend aus Werken zeitgenössischer französischer Komponisten, u. a. von Martin-Pierre Dalvimare, François-Joseph Naderman und Marie-Martin Marcel Vicomte de Marin. Daneben spielte sie auch Werke von Joseph Haydn und Johann Gottlieb Naumann.

 

Therese aus dem Winckel,

Zeichnung von Alexander Molinari, vor 1831.

 

Nach ihrer Rückkehr nach Dresden musizierte Therese nur noch im privaten Rahmen, beispielsweise in dem von ihr eingerichteten wöchentlich stattfindenden Dichterkreis. Die einzige Ausnahme war eine einjährige Anstellung als Aushilfsharfenistin im Orchester der Dresdner Oper. Ihr Bemühen um eine Festanstellung als Harfenistin blieb erfolglos. Ihren Lebensunterhalt bestritt die unverheiratet Gebliebene weiterhin mit dem Kopieren von Gemälden und mit Unterricht in Deutsch, Italienisch und Französisch. Seit 1809 bis zu ihrem Tod unterrichtete sie zudem das Harfenspiel sowohl im eigenen Haus als auch als Lehrerin der sächsischen Prinzessinnen. Von 1858 bis 1859 war sie am Dresdener Konservatorium angestellt. Mehrere ihrer Schülerinnen spielten in der Dresdener Königlichen Kapelle. Ihr Schüler August Tombo entwickelte sich zu einem anerkannten Konzertharfenisten und wurde später der Klavierlehrer von Richard Strauss.

Therese aus dem Winckel trat im deutschsprachigen Raum als eine der ersten Harfenistinnen mit der Erard’schen Doppelpedalharfe auf, die sich in Deutschland nur langsam etablierte. Sie setzte sich − vor allem in ihren Publikationen − dafür ein, dass die Doppelpedalharfe sowie die französischen Kompositionen für das Instrument einen größeren Bekanntheitsgrad erreichten. Eventuellen Befürchtungen, das Instrument könne sich aufgrund der erforderlichen Fußbewegungen für Frauen als unpassend erweisen, setzte sie entgegen, den Spielerinnen dürfe „man Geschmack und Zartgefühl genug zutrauen, sich nur mit langen und weiten Gewändern an die Harfe zu setzen, welche die Bewegungen der Füsse verhüllen“ (AmZ 1834, Sp. 67).

 

LITERATUR

[Therese aus dem Winckel] Biographie von Therese aus dem Winckel, 1860, Sächsische Landesbibliothek Dresden, Signatur Mscr. Dresd. App. 1191, Nr. 987, abgedruckt in Claudia Schweitzer 2008, s. u.

Comala [d. i. Therese aus dem Winckel], „Die Genien der Instrumente“, in: Kind’s Harfe II, 1815.

Therese aus dem Winckel, „Einige Worte über Parish-Alvars, den berühmten Harfenvirtuosen“, in: AmZ 1843, Sp. 167f.

Therese von Winckel, „Einige Worte über die Harfe mit doppelter Bewegung, in Erwiederung auf den Aufsatz No. 34 über die neueste Harfenschule von Nadermann“, in: AmZ 1834, Sp. 65ff.

Therese aus dem Winckel, Brief an Elise Bürger, Archiv des Stadtmuseums Bautzen, R 13790.

Dies., Brief an Elise Bürger, SLUB Dresden, Mscr. Dresd. App. 292, 279d.

Dies., Briefe an Karl A. Böttiger, SLUB Dresden, Mscr. Dresd. H37, Bd. 24.

Dies., Undatierter Brief an Winkler, Archiv des Stadtmuseums Bautzen, R 13806.

Dies., Undatierter Brief an Winkler, Freies Deutsches Hochstift, Goethemuseum, Hs. 15844.

AmZ 1835, Sp. 122.

Dresdner Abendzeitung 4. Jan. 1806, S. 7f.

Journal des Luxus und der Moden 1809, S. 87ff., 108f; 1809, S. 243ff.

Morgenblatt für gebildete Stände 10. Okt. 1808, S. 971.

NZfM 1867, S. 119.

Zeitung für die elegante Welt 1806, S. 753ff.; 1809, S. 151; 1809, S. 200.

Herloßsohn, Mendel, Paul, Fétis, Zingel, Cohen, MGG 1994 (Sachteil, Art. Harfen)

Per Daniel Amadeus Atterbom, Reisebilder aus dem romantischen Deutschland. Jugenderinnerungen eines romantischen Dichters und Kunstgelehrten aus den Jahren 1817 bis 1819 (neu hrsg. von Elmar Jansen nach dem Erstdruck Aufzeichnungen des schwedischen Dichters P. D. A. Atterbom über berühmte deutsche Männer und Frauen nebst Reiseerinnerungen aus Deutschland und Italien aus den Jahren 1817−1819, Berlin 1867), Stuttgart 1970.

Karl August Varnhagen von Ense, Aus dem Nachlaß, Leipzig 1874.

Herman Uhde, Erinnerungen und Leben der Malerin Louise Seidler. Aus dem handschriftlichen Nachlaß zusammengestellt und bearbeitet von Hermann Uhde, Berlin 2. Aufl. 1875.

Wolf von Metzsch-Schilbach (Hrsg.), Briefwechsel eines deutschen Fürsten mit einer jungen Künstlerin (Herzog August von Sachsen-Gotha und Altenburg und Fräulein aus dem Winckel), Berlin 1893.

Anna Brunnemann, „Therese aus dem Winckell. Ein Frauenleben aus der Dresdner Biedermeierzeit“, in: Westermanns Monatshefte 128 (1920) S. 536ff.

Freia Hoffmann, Instrument und Körper. Die musizierende Frau in der bürgerlichen Kultur, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1991.

Anette Strittmatter, Paris wird eine einzige große Wunderlampe sein. Das Leben der Künstlerin Therese aus dem Winckel 1779−1867, Berlin 2004.

Claudia Schweitzer, „… ist übrigens als Lehrerinn höchst empfehlungswürdig“. Kulturgeschichte der Clavierlehrerin (= Schriftenreihe des  Sophie Drinker Instituts 6), Oldenburg 2008.

Claudia Schweitzer, „Bühnenabbrüche als Karrierekick, in: Musik und Emanzipation. Festschrift für Freia Hoffmann zum 65. Geburtstag, hrsg. von Marion Gerards und Rebecca Grotjahn, Oldenburg 2010, S. 141−150.

Claudia Schweitzer, „Therese aus dem Winckel − musikalischer Interessenskonflikt als Reifungsprozess, in: Forum Musikbibliothek 31 (2010), S. 110−120.

Claudia Schweitzer, „Therese aus dem Winckel in Paris, in: Reiseberichte von Musikerinnen des 19. Jahrhunderts. Quellentexte, Biographien, Kommentare, hrsg. von Freia Hoffmann, Hildesheim  [u. a.] 2011, S. 16−35.

 

Bildnachweis

Claudia Schweitzer, Therese aus dem Winckel in Paris, S. 16

 

Heinke Seifert

 

© 2008/2023 Freia Hoffmann