Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Sacconi, Rosalinda

* 9. Sept. 1848 in Florenz, † 5. Apr. 1915 in Parma, Harfenistin. Die Tochter eines Sängers errang bereits mit sieben Jahren eine Bronzemedaille im Fach Solfeggio an der Florentiner Accademia di belle arti und begann im gleichen Jahr mit der Ausbildung bei dem renommierten Florentiner Harfenisten Ferdinando Marcucci (1800–1871). Der Schülerin, die schon bald „Sacconcina prodigiosa“ genannt wurde (Martini, S. 4), widmete Marcucci 1859 ein Übungsstück Studio melodico. In den Jahren um 1870 trat sie, inzwischen Harfenistin des Carlo-Felice-Theaters in Genua, mehrfach hochgelobt in Genueser Konzerten auf und wurde deshalb 1869 anlässlich ihrer Teilnahme an der Gedenkfeier zu Ehren des im Vorjahr verstorbenen Gioacchino Rossini in dessen Geburtsort Pesaro als „genovese“ bezeichnet.

Rosalinda Sacconi unternahm verschiedene Konzertreisen ins Ausland: Im Jahre 1872 konzertierte sie in Mexiko mit einer Operngesellschaft der mexikanischen Primadonna Angela Peralta (1845–1883) und entzückte das Publikum nicht nur durch ein Solo im Zwischenakt von La Favorita von Gaetano Donizetti, sondern auch durch ihre Mitwirkung in Lucia di Lammermoor von Donizetti und in Luisa de la Vallière des mexikanischen Komponisten Miguel Meneses (1839–1900). Sie beeindruckte vor allem mit den originalen Harfenkadenzen, die sonst ersatzweise von Klarinettisten bestritten wurden. Nachdem sie 1873 in Pariser Privatkonzerten musiziert hatte, scheint sie in der Mitte des Jahrzehnts auf dem Höhepunkt ihres Erfolges in Italien angelangt zu sein. Sie konzertierte sowohl in Parma, wo sie bei der 1875 gegründeten Konzertgesellschaft Società del Quartetto mitwirkte, und in Mailand 1876 am Konservatorium als auch bei der Aufführung des Mefistofele von Arrigo Boito, nach welcher der Komponist der Zeitschrift „L’Arpa“ zufolge äußerte, zwar hätte er gerne im Orchester zwei Harfen gehabt, jedoch: „Nachdem er die Sacconi gehört hatte, sagte er, sie allein gelte für vier“ (Bagatti, zit. nach Martini, S. 5). Verdi soll in einem Telegramm festgestellt haben: „Die Sacconi lässt sich nicht ersetzen“ (ebd. S. 3).

 

 

In der Saison 1875/76 könnte sie ihrem späteren Ehemann, den Bariton Innocente De Anna (1852–1902), kennengelernt haben, als er in Parma auftrat. Später tauschte sie mit ihm brieflich Konzertberichte aus, insbesondere von ihren Auslandstourneen. Von Ende 1879 bis Juli 1880 bereiste die Musikerin Großbritannien. In vielen englischen Städten sind Auftritte belegt, so mehrere in den regelmäßig stattfindenden Londoner Harfenkonzerten des John Thomas, aber auch im schottischen Glasgow und in Irland (Belfast, Limerick). Zwei Tourneen führen sie in die USA (Okt. 1880–Apr. 1881, Okt. 1883–Mai 1884). Konzertberichte hierüber dürften sich im Fondo Sacconi des Conservatorio di Musica di Parma finden, der auch zahlreiche Photographien und andere Gegenstände aus dem Nachlass enthält. Das Inventarverzeichnis nennt Zeitungen aus New York, Boston, Philadelphia, Chicago, Cincinnati, Denver, San Francisco, aber auch Montreal.

1887 übernahm Sacconi in Vertretung („provvisoriamente“, Annuario teatrale italiano 1887, S. 245) die Leitung der Harfenklasse am Liceo Musicale in Bologna. Im Jahre 1900 lehrte sie am Konservatorium von Palermo und ab 1892 am Konservatorium von Parma, um im Jahre 1912 dort auch den Unterricht für chromatische Harfe zu übernehmen. Die Tätigkeit in Parma dauerte bis 1915 und führte zur Ausbildung einer großen Zahl weithin bekannter Harfenistinnen, von denen sich viele 1917 in Parma an einem Benefizkonzert zur Unterstützung von Kriegsinvaliden beteiligten, wohl auch im Gedenken an ihre berühmte Lehrerin.

Ihre Konzerttätigkeit hatte Sacconi nach dem Tod ihres Mannes (2. Okt. 1902) aufgegeben.

Schon ihre frühen Genueser Auftritte zeigen ihre Konzentration auf Programme außerhalb der Volksmusik, wofür sie eigens gelobt wurde (Gazzetta musicale di Milano 1870, S. 126) in einem Land, welches, „classical music“ betreffend, als „beautiful but lamentably dolce farniente land“ charakterisiert wurde (MusT 1868, S. 315). Sacconi wirkte dem entgegen, etwa mit den Fantasien La danse des Sylphes von Félix Godefroid und A fairy legend von Karl Oberthür, einem Harfenkonzert von Vincenzo Maria Graziani (?–1874) über Motive aus Béatrice di Tenda von Vincenzo Bellini, einem Capriccio von Charles Gounod – wohl jenem Capricho, das sie 1872 in Mexico als Zwischenaktmusik spielte. Diese Solokompositionen dürften auch während ihrer Tourneen in Frankreich, Großbritannien und in den USA erklungen sein. Eines der Erfolgsstücke Sacconis war die große Solokadenz vor Szene und Cavatine „Regnava nel silenzio“ aus dem ersten Akt von Lucia di Lammermoor. Über Motive dieser Oper hatte John Thomas eine Duo-Fantasie in e-Moll verfasst, an deren Aufführung sich die Italienerin 1880 in London beteiligte.

Die Künstlerin wird nicht nur als Musikerin, sondern auch als Begründerin einer ganzen Schule von italienischen Harfenistinnen gerühmt, u. a. von Blanda Bagatti, die von 1904 bis 1916 ihren Unterricht genoss und zwei Merkmale der Unterrichtstätigkeit ihrer Lehrerin hervorhebt: „Rigorosissima, incontentabile insegnante era dotata di tale orecchio musicale da distinguere la diversità di tocco fra un dito e l’altro con tale siccurezza da saper fare osservazioni di diteggiatura stando in un altro ambiente“ („Äußerst streng und nie zufriedenzustellen, war sie als Lehrerin mit derart feinen Ohren begabt, dass sie zwischen der Vielfalt der Anschlagsarten der verschiedenen Finger mit größter Sicherheit unterscheiden und daraus auf die geeignete Anschlagsart für den jeweiligen Aufführungsraum schließen konnte“, Bagatti, zit. nach Martini, S. 6). Eine zweite Information Bagattis betrifft den Widerstand der Lehrerin gegen einen neuen, seit 1889 ausgelieferten Harfentyp der US-amerikanischen Firma Lyon & Healy und zeigt die Autorität, welche Rosalinda Sacconi in Italien genoss: „Temperamento indomabile, fu nemica inconciliabile dell’arpa cromatica Lyon, fino al suo apparire, e quando nei Conservatori ne fu imposto lo studio, la Sacconi si ribella tanto che al Conservatorio di Parma si decede dalla imposizione – per rispetto alla grande Sacconi“ („Von unzähmbarem Temperament, war sie eine unversöhnliche Feindin der chromatischen Harfe von Lyon seit deren Auftauchen. Und als die Konservatorien sie für das Studium einführten, rebellierte Sacconi derart dagegen, dass das Konservatorium von Parma sich zur Rücknahme entschloss – aus Respekt vor der großen Sacconi“, ebd.).

 

LITERATUR

Annuario teatrale italiano per l’annata 1887, S. 245

Gazzetta musicale di Milano 1870, S. 126

MusT 1868, S. 252., 314f.; 1880, S. 88ff., 141ff., 399

MusW 1879, S. 427

The Orchestra 1879, S. 367; 1880, S. 17, 219

Signale 1873, S. 793; 1876, S. 139

The Theatre 1880, S. 371

[Cesare Guasti,] Giorgio Vasari. Discorso letto da Cesare Guasti all’Imperiale e Reale Accademia Fiorentina di Belle Arti il dì 16. septembre 1855 nella solenne distribuzione de’ premi, Florenz 1855.

Giuliano Vanzolini, Relazioni delle pompe funebri fatte a Pesaro in onore di Gioacchino Rossini nel suo giorno onomastico 21 di agosto 1869 e de trattenimenti musicali che le seguirono, Pesaro 1869.

Blanda Bagatti, Arpa e Arpisti, Piacenza 1932.

Stephen Brook, Opera. A Penguin Anthology, London 1995.

Charles Neilson Gattey, Luisa Tetrazzini. Florentine Nightingale, Aldershot 1995.

Lidia Tamayo, El Arpa. De la modernidad en México, Azcapotzalco 2000.

Beatrice Martini, „Rosalinda Sacconi ed il suo lascito al Conservatorio di Musica di Parma, unveröffentlichter Vortrag Parma 2005/06.

Gaspare Nello Vetro, „Musica e spettacoli a Parma. Una breve carrellata“, in: Parma e la sua storia (Istituzione Biblioteche del Comune di Parma),

http://www.parmaelasuastoria.it/ita/Musica%20e%20spettacoli%20a%20Parma.aspx?idMostra=8&idNode=77, Zugriff am 30. Nov. 2011.

 

Bildnachweis

Photographie, Sammlung „La scuola d'arpa al Conservatorio A. Boito“ von E. Degli Esposti, Conservatorio A. Boito, http://www.associazioneitalianarpa.it/iconografie-dellarpa-iv/, Zugriff am 22. Mai 2023.

 

Peter Schleuning

 

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