Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Lichterfeld, Lichtenfeld, verh. Lichterfeld-Kersch, Ottilie

* nach 1850 in Mannheim, † 1909 in Berlin, Pianistin und Klavierlehrerin. Ihr Vater war der Schauspieler und Dramatiker Carl Friedrich Lichterfeld (1803–1878), ihre Mutter war Betty Lichterfeld. Aufgrund einer Anstellung Carl Friedrich Lichterfelds am Königlichen Schauspielhaus verlegte die Familie kurz nach der Geburt von Ottilie ihren Wohnsitz nach Berlin. Im Klavierspiel wurde sie dort von Franz Kroll (1820–1877) ausgebildet. Später besuchte sie mehrmals die Sommer-Kurse Franz Liszts (1811–1886) in Weimar. Regelmäßige Konzerte sind seit 1866 überliefert, wobei Anna Morsch berichtet, dass Ottilie Lichterfeld „noch in den Kinderschuhen steckend, schon ihre Kunst in öffentlichen Konzerten ausübte“ (Morsch, S. 175). Erstmalig erschien die Pianistin 1864 mit Mendelssohns Capriccio h-Moll op. 22 in einer Matinee des Königlichen Opernchors, anschließend wirkte sie im Konzert des Konzertmeisters Julius Stahlknecht am 18. Febr. 1866 in Berlin mit. „Frl. Lichterfeld […] spielte die Nocturne (Des-dur) von Chopin, ein Lied ohne Worte von Mendelssohn und eine ‚Bourrée‘ von Seb. Bach und erfreute durch Sicherheit und Reinheit des Spiels, das ausserdem ein vollständiges Erfassen des Geistes dieser Compositionen erkennen liess“ (Bock 1866, S. 59). Es folgten weitere Auftritte in Berlin (1866, 1869–1871, 1875–1878, 1879, 1880–1882, 1884, 1888, 1895, 1901), Potsdam (1866, 1867, 1869, 1870, 1896), Cranz (1867), Glogau (1869), Wiesbaden (1872, 1875, 1881), Amsterdam (1876, 1879, 1880), Danzig (1877), Dresden (1878), Jena (1880, 1882) und Kissingen (1883). Einige dieser Auftritte bestritt die Pianistin im Rahmen von Konzerten anderer MusikerInnen, darunter der Violoncellist Jules de Swert, die Sängerinnen Emma Thursby, Amalie Joachim und Etelka (Elka) Gerster, die Harfenistin Ida Papendiek-Eichenwald und die Geigerin Gabrielle Roy. Im Jahr 1875 kündigt die Presse eine Konzertreise mit der Truppe des Leipziger Impressarios Hofmann nach Ost- und Süddeutschland an. 1877 wurden Ottilie Lichterfeld und die Violinistin Marguerite Pommereul für Konzerte in Aachen, Frankfurt a. M., Wiesbaden, Darmstadt, Heidelberg und Mannheim engagiert. Mit dem Violoncellisten Sigmund Brüger unternahm Ottilie Lichterfeld im Jahr 1881 eine Tournee nach Österreich, Galizien (heute: West-Ukraine, Süd-Polen) und Rumänien und konzertierte u. a. in Bukarest, Czernowitz, Lemberg, Tarnopol und Odessa. Nur vereinzelt musizierte die Pianistin zusammen mit KollegInnen, so im Jahr 1870 mit dem Geiger Julius Stahlknecht (Beethovens Violinsonate Nr. 7 c-Moll op. 30 Nr. 2), 1876 mit dem Frankfurter Geiger Julius Oertling (Sonate von Rubinstein) und 1895 zusammen mit einem Streichquartett von Gustav Holländer (Klavierquintett e-Moll op. 5 von Christian Sinding). Besonders zu Beginn ihrer Karriere zeigen sich die Rezensenten von den pianistischen Qualitäten überzeugt. Von der 4. Soiree der Stern’schen Symphoniekapelle im Frühjahr 1870 in Berlin berichtet die „Neue Berliner Musikzeitung“: Das 2. Klavierkonzert f-Moll op. 21 von Chopin „stellt mit seinem übergrossen Reichthum an schwierigen Passagen einer zarten Damenhand eine schwer zu lösende Aufgabe; um so mehr waren wir über die Ausführung durch Fräulein Ottilie Lichterfeld erfreut. Schöner Anschlag, Sicherheit und ein ziemlich bedeutender Grad der Kraft zeichnen das Spiel dieser jungen Dame in technischer Beziehung vortheilhaft aus; da sich hierzu ein richtig musikalisches Verständniss gesellt, so kann man die Leistung mit Recht als eine wohlgelungene bezeichnen. Den Glanzpunkt derselben bildete für uns der zweite Satz, der von Fräulein Lichterfeld in echt Chopin’schem Geiste, fein und mit zartem Duft wiedergegeben wurde. Dagegen hätten wir den letzten Satz in seiner Rhythmik etwas markirter, und in dem ersten Satz bei den in der Harmonie schnell wechselnden Passagen, besonders aber bei den diatonischen wie chromatischen Tonleiterläufen, eine etwas beschränktere Benutzung des Pedals gewünscht, wodurch das perlende Spiel des Fräulein Lichterfeld noch gewinnen würde“ (Bock 1870, S. 79).

Ihr Repertoire zeigt einen Schwerpunkt auf Werken von Beethoven (vor allem Klavierkonzerte Nr. 3 c-Moll op. 37 u. Nr. 4 G-Dur op. 58), Grieg (u. a. Klavierkonzert a-Moll op. 16, Sonaten e-Moll op. 7 u. g-Moll op. 24), Chopin (darunter Klavierkonzert Nr. 2 f-Moll op. 21, Ballade Nr. 3 As-Dur op. 47, Polonaise cis-Moll op. 26. Nr. 1, Nocturne Des-Dur op. 27 Nr. 2) und Liszt (Ungarische Rhapsodien).

Neben ihrer Konzerttätigkeit gab Ottilie Lichterfeld privat Klavierunterricht in der Schaperstr. 35 in Berlin.

 

LITERATUR

Algemeen Handelsblad [Amsterdam] 1876, 28. Okt.; 1880, 6. Dez.

Bock 1864, S. 411; 1866, S. 59; 1867, S. 262; 1868, S. 281; 1869, S. 407; 1870, S. 79, 84, 95, 99, 119, 351; 1871, S. 202; 1872, S. 198f., 262; 1875, S. 100, 158; 1876, S. 44, 398; 1877, S. 110, 334; 1878, S. 19, 372, 382, 413; 1880, S. 350; 1881, S. 133; 1884, S. 29

FritzschMW 1871, S. 202; 1909, S. 182

Der Klavier-Lehrer 1908, S. 30

Het Nieuws van den Dag. Kleine Courant [Amsterdam]  7. Dez. 1880

Ischler Fremden-Liste 14. Aug. 1891

NZfM 1866, S. 102; 1867, S. 26, 318; 1868, S. 278; 1869, S. 59, 67, 442; 1870, S. 116, 127, 133, 134, 136, 154, 421; 1872, S. 320; 1879, S. 470; 1880, S. 9, 238, 461, 482; 1881, S. 9, 65, 192, 255, 504; 1882, S. 43, 160; 1883, S. 393; 1901, S. 38

Signale 1870, S. 293; 1871, S. 310; 1876, S. 165, 1080; 1877, S. 394; 1881, S. 221, 537; 1882, S. 938; 1884, S. 141; 1895, S. 825; 1897, S. 20f.

Wiener Zeitung 1874, S. 994

Anna Morsch, Deutschlands Tonkünstlerinnen. Biographische Skizzen aus der Gegenwart, Berlin 1893.

Silke Wenzel, „Ottilie Lichterfeld“, in: MUGI. Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Ottilie_Lichterfeld, Zugriff am 11. Juli 2014.

 

Jannis Wichmann/BK

 

© 2014/2022 Freia Hoffmann