Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Klösterlein, Erika, Erica (Laura Kunigunde) von, geb. Stoltz, Stolz, gesch. Engstroem, Künstlername „Panita“

* 24. Okt. 1878 in Stuttgart, Sterbedaten unbekannt (nach 1952), Flötistin. Ihr Vater war Theodor Stoltz, Kapellmeister verschiedener Orchester; eine ältere Schwester Emilie (Mila) spielte Harfe, eine jüngere namens Eugenie (um 1884–?) war Violoncellistin. Nach Anfangsunterricht durch ihren Vater studierte Erika in München bei Rudolf Tillmetz (1847–1915) und in Berlin bei Emil Prill (1867–1940).

Friedrich Jansa zufolge trat sie bereits mit zwölf Jahren öffentlich auf. In der Fachpresse sind 1893 Konzerte dokumentiert, in denen Emilie und Erika bei Konzerten des Concert-Orchesters Stoltz in Bamberg als Solistinnen mitwirkten (NZfM 1893, S. 208). Die „Redenden Künste“ kündigen 1895 eine Deutschlandtournee der Sängerin Franziska Strahlendorff mit den drei Geschwistern Stoltz an. Danach verfolgten die Schwestern anscheinend jeweils eigene Karrieren. Von Eugenie ist bekannt, dass sie von 1900 bis 1903 an der Hochschule für Musik in Berlin bei Robert Haussmann studierte und anschließend in Berlin unter dem Namen Stoltz-Premyslav vor allem als Kammermusikerin tätig war.

Im Oktober 1906 war Erika Klösterlein unter dem Künstlernamen „Panita" im „Theatervariété" in Prag, im Januar 1907 im „Colosseum Hermanów" in Lemberg, im März 1907 im Wiener „Colosseum" und anschließend im Grazer „Orpheum" für jeweils mehrere Wochen verpflichtet, in Unterhaltungsprogrammen zusammen mit Komikern, Damen-Imitatoren, Jongleuren, Flammentänzerinnen, „Blitz-Poeten" u. a. Immerhin findet sich auch in diesem Ambiente gelegentlich eine ausführliche Würdigung ihrer künstlerischen Leistung, so im Prager Tagblatt: „Die technische Fertigkeit Panitas auf der Flöte ist wirklich bewunderungswürdig; aber es ist doch ein eigentümlicher Anblick, eine Dame Läufe, Triller und Fiorituren blasen zu  s e h e n, selbst wenn die Dame so hübsch und anmutig ist wie Frl. Panita. Auch ist es Geschmacksache, das Abtsche Lied ‚Gute Nacht, Du mein herziges Kind‘ als Flötensolo klangschön und genußreich zu finden. Die Kunstfertigkeit, der tadellose Tonansatz, die geschickte Atemführung bleiben bei diesen Ausstellungen unbestritten und ebenso muß anerkannt werden, daß die junge Dame beim Publikum einen vollen Erfolg erzielte" (Prager Tagblatt 3. Okt.  1906).

Das Gothaische genealogische Taschenbuch von 1941 verzeichnet eine Heirat von „Laura Kunigunde Erika gesch. Engstroem, geb. Stoltz“ (S. 292) mit Hans von Klösterlein (1872–1958) am 16. Sept. 1907. Das „Gothaische genealogische Taschenbuch“ von 1918 weist ihn als „Führer eines Armee-Flugparks“ (S. 482) aus. (Nach der Scheidung 1913 heiratete das Paar im folgenden Jahr ein zweites Mal.)

Die Flötistin blieb dennoch weiterhin berufstätig. Nach einem Konzert in Köln im Jahr 1908 teilt „Die Musik“ mit: „Eine nicht alltägliche Darbietung fand viel Anklang, indem die Flötenspielerin Erika v. Klösterlein ein Flötenkonzert von Toulon [wohl Jean-Louis Tulou], eine Etüde von Tillmetz und Mozarts Andante [C-Dur, KV 315] mit weit vorgeschrittener Technik und guter Stilanpassung zum Vortrag brachte“ (Die Musik 1907/08 III, S. 250). Die „nicht alltägliche Darbietung“, d. h. die immer noch für eine Frau ungewöhnliche Instrumentenwahl, war auch Grund, Erika von Klösterlein 1907 in einen Artikel über „Originelle Künstlerinnen“ in der „Woche“ aufzunehmen: „Die Flöte, wie jedes Blasinstrument überhaupt, war nach der früher landläufigen Ansicht nichts für die Frau, weil ihre Handhabung eine gewisse Entstellung der Gesichtszüge bedingt. Allein die Erfahrung lehrt, daß daran gar nichts gelegen ist. Den wenigen Flötistinnen, die bisher, mit bedeutendem Können ausgerüstet, in die Oeffentlichkeit getreten sind, hat es an künstlerischen und äußeren Erfolgen keineswegs gefehlt; man hat sie gern auf dem Konzertpodium gehört, und wenn sich die eine oder die andere später der Spezialitätenbühne zuwandte, so geschah es, weil eben die Flötistin annoch als Spezialität angesehen wird, und weil in den Variétés mehr Geld zu verdienen ist. Die Kunst geht nun einmal nach Brot. Daher hat unter anderen die junge ‚Panita‘ […] diesen Weg beschritten, die schon im Kindesalter Beachtung fand, als sie mit ihren Schwestern, einer Harfenistin und einer Cellistin, Konzertreisen unternahm“ (Mirus, S. 2072f.).

Von den „Konzert-Tourneen in Europa und Amerika“, die Erika von Klösterlein „allgemein bekannt“ gemacht hätten (Jansa), fand neben Engagements in Graz (Apr. 1909), Wien (Okt. 1912) und Prag (Apr. 1913) auch eine Reise durch Nordamerika 1909 bis 1911 Niederschlag in der Presse. Unter dem Künstlernamen „Madame Panita“ trat sie im Nov. 1909 in Kansas City (Missouri), im Jan. 1910 in Portland (Oregon), im März 1910 in Salt Lake City (Utah), im Aug. 1910 in Duluth (Minnesota), im Oktober 1911 wiederum in Portland und im Dezember 1911 in Salt Lake City auf.  Auch hier ließ sie sich jeweils für einen gewissen Zeitraum allabendlich in Unterhaltungstheatern hören, jedoch anscheinend mit klassischem Programm: „Put a red mark opposite the name of Mme. Panita  flute player extraordinary. She has courageously kept up the musical standard of her act, and apparently if vaudeville audiences don’t like the difficult and rather classical selections she plays, that is their shortcoming, not hers“ (The Duluth News Tribune 28. Aug. 1911). Sie wurde als „one of Europe’s most famous flute soloists“ (Oregonian 16. Jan. 1910 u. a.) oder „the Celebrated European Flute Virtuoso“ (Salt Lake Telegram 2. Dez. 1911) angekündigt und erhielt von einheimischen Kritikern Zustimmung: „Savoring of originality is the playing of Madame Panita. She is a flute virtuoso, who has thoroughly mastered that appealing instrument. Her selections are difficult and her interpretation is most pleasing“ (Oregonian 19. Jan. 1910).

Aus dem Jahr 1906 sind von der Flötistin Tonaufnahmen erhalten, auf denen sie Variationen über „Gute Nacht, du mein herziges Kind“ (Franz Wilhelm Abt) op. 198 sowie eine Carmen-Fantasie, beide von Wilhelm Popp, spielt.

 

 

Das Deutsche Museum München ist im Besitz einer Photographie von Erika Stoltz und einer weiteren der Schwestern Emilie, Erika und Eugenie Stoltz: http://www.deutsches-museum.de/sammlungen/musikinstrumente/sammlung-prager/portraets/privatschueler.

 

TONAUFNAHMEN

Guillaume (Wilhelm) Popp, Variationen über „Gute Nacht, du mein herziges Kind“ von Franz Wilhelm Abt op. 198, Erika Stolz/Erika von Klösterlein, G & T 49155, Matrix Nr. 1269r, Aufnahme Berlin Juni 1906.

Guillaume (Wilhelm) Popp, Carmen-Fantasie, Erika Stoltz, Orch., Dirigent Bruno Seidler-Winkler, G & T 49156, Matrix Nr. 1270r, Aufnahme Berlin Juni 1906.

CD The Flute on Record, Beigabe zu Ardal Powell, The Flute, New Haven u. London 2002.

 

LITERATUR

Arbeiterwille [Graz] 1907, 30., 31. März

Deutsches Volksblatt [Wien] 1907, 12. März; 1912, 3. Okt.

Duluth News Tribune 1911, 27., 28. Aug.

FritzschMW 1893, S. 573

Grazer Tagblatt 1907, 30. März, 11. Apr.; 1909, 1., 2. Apr.

Grazer Volksblatt 1909, 1., 3., 7. Apr.

Illustrierte Kronen Zeitung 7. März 1907

Kansas City Star 1909, 6., 7. Nov.

Lemberger Courier 1907, 16., 17., 18., 19., 21., 22., 23., 24., 25., 26. Jan.

Die Musik 1905/06 II, S. 74, 200; 1907/08 III, S. 250

Musikpädagogische Blätter 1896, S. 40

Neues Wiener Journal 1907, 6. März; 1912, 10. Okt.

Neues Wiener Tagblatt 1912, 2., 3., 4., 5., 6., 10., 11., 15. Okt.

NZfM 1893, S. 208; 1925, S. 713f.

Oregonian 1910, 16., 19. Jan.; 1911, 1. Okt.

Pester Lloyd 5. Mai 1907

Prager Tagblatt 1906, 1., 2., 3., 6., 7., 14. Okt.; 1913, 17., 19. Apr.

Die Redenden Künste 1895/96, S. 190

Salt Lake Telegram 1910, 5. März; 1911, 2. Dez.

Wiener Montags-Journal 11. März 1907

Die Woche 1903, S. 1029f.

Die Zeit [Wien] 9. März 1907

RudolphRiga (Art. Stoltz, Theodor)

Hans Mirus, „Originelle Künstlerinnen“, in: Die Woche. Moderne illustrierte Zeitschrift H. 47 (1907), S. 2071–2074.

Friedrich Jansa, Deutsche Tonkünstler und Musiker in Wort und Bild, Leipig 21911.

Gothaisches genealogisches Taschenbuch der briefadeligen Häuser 1918 u.1941.

Susan Nelson, The Flute on Record. The 78 rpm Era. A Discography, Lanham/Maryland 2006.

http://www.flutehistory.com/Recordings/FluteonRecord.php3, Zugriff am 29. Okt. 2012.

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Silke Wenzel, „Eugenie Stoltz-Premyslav“, in: MUGI. Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/Eugenie_Stoltz-Premyslav, Zugriff am 10. Apr. 2016.

 

Bildnachweis

Mirus, S. 2072

 

Freia Hoffmann

 

© 2013 Freia Hoffmann