Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Baude, Marguerite (-Anastasie)

* 25. Nov. 1870 in Valenciennes, Sterbedaten unbekannt (nach 1906), Violoncellistin. Ein erstes Studium schloss Marguerite Baude 1885 am Konservatorium in Lille mit dem ersten Preis ab und wurde gleichzeitig als erste Studentin dieser Institution mit einem prix d'honneur du Ministre des Beaux-Arts" ausgezeichnet. Sie setzte ihre Ausbildung bei Jules Delsart (1844–1900) am Konservatorium in Paris fort. Wie ungewöhnlich zu dieser Zeit eine Violoncellistin noch war, verdeutlicht eine Notiz in der „Neuen Zeitschrift für Musik“: „In Paris hat die Frauenfrage einen neuen Schritt gethan. Es hat zwar schon Damen gegeben, die sich dem Cello gewidmet haben. Aber zum ersten Male hat am 20. d. M. [Juli] im Conservatorium eine Dame im Cellospiel den Sieg über sieben männliche Mitbewerber davongetragen. Die Siegerin zählt bloß 18 Jahre und heißt Frl. Bande [sic] (NZfM 1889, S. 380). In der Tat listet Constant Pierre für die Prüfungen im Fach Violoncello Marguerite Baude vor sieben weiteren Kandidaten auf. Die Musikerin wurde gleichzeitig mit dem Prix George-Hainl ausgezeichnet, der mit 1.000 frs und einem Violoncello dotiert war.

Öffentliche Auftritte von Marguerite Baude sind zwischen 1891 und 1902 belegt, vorwiegend in Paris, aber auch in Angers (17. Jan. 1892), Valenciennes (Frühjahr 1892), Caen (Frühjahr 1894) und Meaux (20. Juni 1897). In einer Ankündigung ihres Konzerts in Angers heißt es, sie sei „peut-être la violoncelliste qui, actuellement, joue le mieux son instrument. Après avoir obtenu […] un brillant premier prix au Conservatoire de Paris […], Mlle Baude a fait immédiatement applaudir ses remarquables qualités de virtuose et de musicienne dans de nombreux concerts parisiens“ („vielleicht die Cellistin, die zurzeit ihr Instrument am besten spielt. Nachdem sie am Konservatorium in Paris einen brillanten ersten Preis errungen hatte, zollte man anschließend in zahlreichen Pariser Konzerten ihren bemerkenswerten Leistungen als Virtuosin und Musikerin Beifall“, Angers-Artiste 16. Jan. 1892, S. 233). Jules Delsarte begleitete die Karriere seiner Schülerin auch nach Beendigung des Studiums und musizierte in Angers (Hauptstadt des Dep. Maine-et-Loire) mit ihr und dem ortsansässigen Violoncellisten Paul Frémaux das Requiem op. 66 für drei Violoncelli und Orchester von David Popper – nach Auskunft des „Angers-Artiste“ war es die französische Erstaufführung des beliebten Werkes. Marguerite Baude bereicherte das Programm mit dem Konzert von Schumann, La Fileuse aus op. 55 von David Popper und einer Romanze von Gabriel Fauré in der Bearbeitung von Jules Delsarte. Die Kritik war enthusiastisch: „Mlle M. Baude est une violoncelliste remarquable aussi bien par la puissance et la pureté du son qu’elle sait tirer de l’instrument, que par la complète possession de toutes les difficultés du mécanisme. Elle joint, à la netteté du doigté, la souplesse et l’ampleur d’un archet irréprochable, dans lequel on retrouve l’école admirable de son professuer, M. Delsart […]. La justesse, en outre, est absolue, et je ne doute pas que l’avenir ne lui réserve une longue série de succès aussi grands que celui qu’elle vient d’obtenir à Angers“ („Mlle. M. Baude ist als Violoncellistin bemerkenswert sowohl wegen des kräftigen und klaren Tons, den sie aus dem Instrument zu ziehen weiß, als auch durch ihre vollkommene Beherrschung aller technischen Schwierigkeiten. Saubere Grifftechnik verbindet sie mit einer tadellosen, sowohl geschmeidigen als auch weitausgreifenden Bogenführung, in der man die bewundernswerte Schule ihres Lehrers Delsart wiederfindet […]. Auch ihre Präzision ist untadelig, und ich habe keinen Zweifel, dass ihr die Zukunft eine lange Reihe von solchen Erfolgen bringen wird, wie sie ihn soeben in Angers errungen hat“, Angers-Artiste 23. Jan. 1892, S. 243).

Am 8. März 1893 und am 2. Febr. 1894 gab Marguerite Baude in der Pariser Salle Érard eigene Konzerte, wobei der Berichterstatter des „Ménestrel“ nach dem zweiten Konzert vor allem Kritik an der Programmwahl übt:„Mlle Baude avait assumé la tâche redoutable de faire entendre deux concertos de violoncelle, l’un de Schumann, très remarquable, comme toutes les productions de l’illustre maître, mais écrit dans une tonalité sourde et peu favorable à l’instrument, l’autre de Lidner [sic; wohl August Lindner], inférieur au point de vue musical, mais plus apte à faire valoir les qualités de l’instrumentiste. Mlle Baude a été très applaudie: elle a dit avec beaucoup de virtuosité les variations trop connues de Servais sur le Désir, de Schubert [op. 4]; elle a fait preuve d’un sentiment musical très rare dans un certain nombre d’œuvres de Schumann, de Pfeiffer et de Widor“ („Mlle. Baude hatte sich die zweifelhafte Aufgabe zugemutet, zwei Cellokonzerte zu Gehör zu bringen, eines von Schumann, sehr beachtlich wie alle Schöpfungen des berühmten Meister, aber in dumpfen, wenig instrumentengerechten Farben, das andere von Lidner [sic; wohl August Lindner], in musikalischer Hinsicht schwächer, dafür aber geeigneter, das Können des Spielers zur Geltung zu bringen. Mlle. Baude wurde sehr beklatscht. Sie musizierte höchst virtuos die vielgespielten Variationen über Schuberts Sehnsuchtswalzer von Servais [op. 4]; und sie bewies ein seltenes musikalisches Gespür in einer Reihe von Kompositionen von Schumann, Pfeiffer und Widor“, Ménestrel 1894, S. 47f.). Als Augusta Holmès im Juli 1900 ihre Kantate Vision de la Reine für Frauenstimme, Frauenchor, Klavier, Violoncello und Harfe aufführte, übernahm Marguerite Baude den Violoncellopart. 

Über die genannten Werke hinaus bestand das Repertoire von Marguerite Baude aus Deux Romances sans paroles von Ernest Guiraud, Trois mélodies pour violoncelle von Louis-Albert Bourgault-Ducoudray, Mazurka op. 11 Nr. 3 von David Popper, Méditation aus der Oper Thaïs von Jules Massenet und Lied op. 19 von Vincent d’Indy. Die Musikerin trat auch in kammermusikalischen Formationen auf, so mit einem Klaviertrio von Henri Dallier, das sie mit dem Komponisten und dem Geiger Isidore Mache am 26. Jan. 1898 in Paris zur Aufführung brachte. Das Erzherzog-Trio (Nr. 7 B-Dur op. 97) von Beethoven musizierte sie sogar mit prominenten Spielpartnern: Am 2. März 1899 erklang es in der Pariser Ecole de Musique Classique, „admirablement interprété par Mlle Baude, l’habile violoncelliste, Mrs Charles de Beriot [sic] et Paul Viardot. Ensemble d’une rare perfection“ („bewundernswert interpretiert von Mlle. Baude, der tüchtigen Violoncellistin, sowie den Herren Charles de Bériot und Paul Viardot. Ein Ensemble von seltener Vollkommenheit“, Revue musicale Sainte Cécile 1899, S. 91). Die letzte Erwähnung von Marguerite Baude in der französischen Fachpresse betrifft die Mitwirkung in einem Quartett von Alexander Fesca am 26. Jan. 1902.

Zwischen 1894 und 1907 ist die Musikerin im Pariser „Annuaire des artistes et de l’enseignement dramatique et musical“ unregelmäßig verzeichnet, bis 1897 mit der Adresse 30, rue Cardinet, ab 1902 mit der Adresse 6, rue Barye.

 

LITERATUR

Schreiben von Valérie Girbal (Conservatoire de Lille) an die Verf. vom 2. Sept. 2013

Angers-Artiste 1892, 16. Jan., S. 233; 23. Jan., S. 243, 16. Apr., S. 442f., 445 

Annuaire des artistes et de l’enseignement dramatique et musical 1894, S. 302; 1895, S. 288; 1896, S. 290; 1897, S. 299; 1902, S. 268; 1903, S. 270; 1905, S. 262; 1906, S. 283; 1907, S. 275

Bulletin de la Société littéraire et historique de la Brie Bd. II (1894–1897) 1898, S. 26

Figaro 1888, 20. Juli, S. 3; 1889, 19. Juli, S. 3, 4. Aug., S. 3, 12. Aug., S. 4; 1892, 15. Juni, S. 3; 1895, 27. März, S. 2; 1897, 16. Apr., S. 2,16. Mai, S. 3, 28. Okt., S. 2; 1898, 5. März, S. 2; 1899, 5. Febr., S. 4f., 16. Febr., S. 4, 19. Febr., S. 5, 1. Apr., S. 3; 1900, 16. Apr., S. 2, 16. Juli, S. 2; 1901, 28. März, S. 5; 15. Apr., S. 4; 1902, 22. März, S. 5

Gaulois 1889, 19. Juli, S. 4; 1893, 24. Jan., S. 4; 1894, 21. Apr., S. 4

Journal amusant 1904, 16. Jan., S. 13, 19. März, S. 14

Journal de Fourmies 16. Juli 1885, NP

Ménestrel 1885, S. 279; 1887, S. 286; 1891, S. 152; 1892, S. 128, 160; 1893, S. 88; 1894, S. 24, 47f., 144; 1896, S. 53; 1898, S. 175; 1900, S. 200; 1902, S. 40

Monde artiste 1900, S. 283; 1901, S. 285; 1903, S. 102; 1904, S. 87

NZfM 1889, S. 380

Officiel-artiste 1887, 21. Juli, S. 2; 1888, 2. Aug., S. 2

Revue du Nord de la France 1892 I, S. 315

Revue musicale Sainte Cécile 1898, S. 62; 1899, S. 91, 115

Temps 1887, 22. Juli, NP; 1888, 21. Juli, NP; 1889, 19. März, NP, 8. Mai, NP, 20. Juli, NP

Constant Pierre, Le Conservatoire National de musique et de déclamation. Documents historiques et administratifs, Paris 1900.

 

Freia Hoffmann

   

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