Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Hünerwadel, Fanny

* 26. Jan. 1826 in Lenzburg (Kanton Aargau), † 27. Apr. 1854 in Rom, Pianistin, Organistin, Sängerin und Komponistin.

Fanny Hünerwadel wurde als ältestes von vier Kindern des Arztes und Musikliebhabers Heinrich Hünerwadel und der Pianistin Regula geb. Speerli geboren. Ab dem Alter von sechs Jahren erhielt sie von ihrer Mutter den ersten Klavierunterricht. Später wurden die Lenzburger Musikdirektoren Ludwig Kurz (1811–1882), Joseph Heinrich Breitenbach (1809–1866) und Philipp Tietz (1816–1878) ihre Lehrer. Am 22. Nov. 1842 trat sie – 18-jährig – mit einem Rondo für Klavier von Kalkbrenner zum ersten Mal öffentlich auf. Ende 1844 reiste sie zu Ausbildungszwecken vorübergehend in das schwei­zerische Morges, wo sie in Konzerten als Sängerin und Pianistin wirkte. Da die Ausbildungsmöglichkeiten in ihrem Heimatort begrenzt waren, nahm ihr Onkel, ein Bankier namens J. Speerli, sie 1846 bei sich in Zürich auf, damit sie sich hier weiter zur Musikerin ausbilden konnte. In Zürich hatte sie Unterricht bei dem Pianisten, Dirigenten und Komponisten Alexander Müller, der bei Hummel ausgebildet worden war. Wöchentlich erhielt sie vier Stunden Unterricht in den Fächern Gesang, Klavierspiel, Musiktheorie und Komposition. Sie machte über einen Musikliebhaber namens Hoffmeister persönliche Bekanntschaft mit Liszt, Thalberg, Teresa Milanollo, Vieuxtemps, Carl Leopold Böhm und Richard Wagner. Sie begann Orgel zu spielen und erhielt bei ihren gelegentlichen Besuchen in ihrem Heimatort Lenzburg Unterricht von dem aus Halle/Saale stammenden Musikdirektor Chr. G. G. Rabe (1815–1876). Nebenher lernte sie Französisch, Italienisch und Englisch.

Von 1849 an konzertierte sie regelmäßig in Zürich als Sängerin und Pianistin und nahm dabei auch an Veranstaltungen der Allgemeinen Musikgesellschaft teil, der wichtigsten Organisation im Musikleben Zürichs. Einige Auftritte als Pianistin sind im Konzert­verzeichnis gelistet: Sie spielte Werke von Pixis, Thalberg, Spohr, Hummel und Jean Henri Ravina, meist zusammen mit ihrem Lehrer Alexander Müller an zwei Klavieren. Weiter konzertierte sie – in der Nachfolge Alexander Müllers – in der „Zürcher Irrenanstalt“. Man versprach sich von der Musik eine besänftigende Wirkung: „Zeigte sich auch bei den Kranken nicht ein auffallender Erfolg, so waren doch die Meisten nach einem solchen Zuhören angemessener Musik die folgenden Tage hindurch etwas leichter zu behandeln und wurde eine Ausschliessung von diesem sonntäglichen Genuss als Strafe angesehen“ (zit. nach Hanselmann, S. 7). Außerhalb Zürichs trat sie in Lenzburg, Donaueschingen und St. Gallen als Pianistin auf.

1851 reiste sie nach Paris und London, um die Sänger der dortigen großen Opernhäuser zu hören. Vor allem Henriette Sontag wurde ihr Vorbild. Im Juli 1853 unternahm sie eine längere Studienreise nach Italien. In Livorno besuchte sie Proben zu Verdis Oper Il trovatore, und in Florenz und in Rom nahm sie Gesangsunterricht. Sie reiste weiter nach Neapel, wo sie bei einer Frau Major von Salis zu Gast war, die über sie schreibt: „Eine reizende Erscheinung, sich bewegend in den besten Umgangsformen, französisch sprechend wie ihre Muttersprache. Und als sie am Klavier sich selbst begleitend die schwierigsten Arien von Mozart vortrug, und zwar mit der grossen Meisterschaft sowohl des Spiels als des Gesangs, wurde ihr allgemeiner Beifall; alle waren entzückt“ (zit. nach Hanselmann, S. 9). Zurück in Rom erkrankte die Musikerin an Typhus und starb.

Fanny Hünerwadel komponierte einige Klavierstücke sowie Lieder für Gesang und Klavier, von denen sechs erhalten geblieben sind. Sie führte ein musikalisches Album, in das Wagner, Liszt, Johann Carl Eschmann, Vieuxtemps, Franz Abt, Ferdinand Huber, Teresa Milanollo und Johann Wenzel Kalliwoda Eintragungen machten und welches heute als wichtiges musikhistorisches Dokument gilt. Fanny Hünerwadel ist Widmungsträgerin einiger Kompositionen, u. a. von dem Zürcher Komponisten Wilhelm Baumgartner.

 

WERKE FÜR KLAVIER

Phantasie (1854)

Introduction, Variations & Rondo, J. Speerli gewidmet

 

LITERATUR

[Fanny Hünerwadel,] Blätter zur Erinnerung an Fanny Hünerwadel gewidmet ihren Verwandten und Freunden, Aarau 1855.

Refardt Schweiz, Cohen, MGG 2000

Beat Hanselmann, „Fanny Hünerwadel: Sängerin, Pianistin, Komponistin“, in: Bulletin/Peter Mieg-Stiftung 12 (1998), S. 4–19.

Chris Walton, … Unsre gute jungfer Fanny Hühnerwadel...Eine Schweizer Komponistin in Wagners Zürcher Entourage“, in: Bulletin/Peter Mieg-Stiftung 12 (1998), S. 20–26.

Werner Breig, „Von Alexander Müller bis Richard Wagner und Franz Liszt: Das musikalische Album der Schweizer Sängerin, Pianistin und Komponistin Fanny Hünerwadel“, in: Musikalische Quellen – Quellen zur Musikgeschichte. Festschrift für Martin Staehelin zum 65. Geburtstag, Göttingen 2002, S. 405–423.

Markus Gärtner, Fanny Hünerwadel in Italien, in: Reiseberichte von Musikerinnen des 19. Jahrhunderts. Quellentexte, Biographien, Kommentare, hrsg. von Freia Hoffmann, Hildesheim [u. a.] 2011, S. 180–195.

 

Bildnachweis

http://www.petermieg.ch/Stiftung/Bulletin/images/Abb12/Gdaguerr.jpg, Zugriff am 26. Okt. 2007.

http://www.petermieg.ch/Stiftung/Bulletin/images/Abb12/Gfanny.jpg, Zugriff am 26. Okt. 2007.

 

Anja Herold

 

© 2007 Freia Hoffmann