Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Koch, Emma

* 12. Nov. 1860 in Mainz, † 1945 in Berlin, Pianistin. Ihr Vater war der Mainzer Bankdirektor Adolf Koch. Nach erstem Klavierunterricht bei ihrer Mutter Mathilde Koch wurde sie von 1873 bis 1880 von Carl Baermann (1839–1917) an der Münchner Musikschule ausgebildet. Ab 1883 studierte sie das Fach Klavier bei Xaver Scharwenka (1850–1924) in Berlin und besuchte im Sommer 1883 und 1885 die Weimarer Meisterkurse von Franz Liszt (1811–1886). Nach Liszts Tod nahm sie an Kursen von Hans von Bülow (1830–1894) in Frankfurt a. M. teil. Zudem war sie Schülerin von Moritz Moszkowski (1845–1925), wie aus einem Empfehlungs-Brief Moszkowskis vom 26. Juni 1913 an den Leipziger Musikverleger Henri Hinrichsen hervorgeht. Neben einer ausgedehnten Konzerttätigkeit arbeitete die Pianistin auch als Lehrerin. Anna Morsch berichtet in ihren „Biographischen Skizzen“ im Jahr 1893: „Ihr Wohnsitz ist Berlin, wo sie seit dem letzten Jahre die erste Lehrstelle für Klavier am Konservatorium Direktor Kulenkampffs angenommen hat“ (Morsch, S. 176). Dabei handelt es sich vermutlich um das Schwantzer’sche Konservatorium in Berlin, das am 6. Okt. 1892 unter Leitung Gustav Kulenkampffs eröffnet wurde. Unter den KollegInnen findet sich auch die Violinistin Gabriele Wietrowetz. Von 1897 bis 1928 unterrichtete die Pianistin am Stern’schen Konservatorium die Ausbildungsklasse Klavier. Zwischen 1897 und 1917 verzeichnen die Listen über 60 Schülerinnen, von denen insbesondere Isabelle Beaton Bekanntheit erlangte. Emma Koch war aktives Mitglied bei den Musikpädagogischen Kongressen in Berlin, hatte mehrere Jahre das Amt einer Prüfungskommissarin inne und war damit für die Bewertung musikpädagogischer Abschlüsse in Berlin zuständig.

 


Stich von August und Theodor Weger nach einer
Photographie von J. Hülsen, Leipzig 1899.

 

Erstmalig trat die Pianistin in der Wintersaison 1880/81 im Münchner Museumssaal im Konzert der Sängerin Anna Schimon-Regan in Erscheinung. Gemeinsam mit deren Ehemann, dem Gesangsprofessor Adolf Schimon, trug sie eine Phantasie zu vier Händen von Mozart, sowie solo Rheinbergers Toccata b-Moll op. 104 und ein Scherzo E-Dur von Chopin vor. Weitere Konzertnachweise sind erst aus ihrer Studienzeit bei Xaver Scharwenka in Berlin überliefert. Unter anderem präsentierte sie sich in den Prüfungskonzerten im Frühjahr 1883 (2. und 3. Satz aus Scharwenkas Konzert Nr. 2 c-Moll op. 56), in einem Schülerkonzert (2. und 3. Satz aus Beethovens Konzert Nr. 5 Es-Dur op. 73) und im Konzert ihres Lehrers am 24. Okt. 1883 in der Singakademie (Les Préludes von Liszt, vierhändig mit Scharwenka). Im folgenden Jahr spielte sie in den Monday Popular Concerts in London (Kompositionen von Joh. Seb. Bach und Chopin) und im Konzert des Lauterbach-Quartetts der Dresdner Hofkapelle in Dresden (Trio für Klavier, Violine und Violoncello c-Moll op. 27 von C. Graumann). In den „Signalen für die musikalische Welt“ heißt es dazu: „Die vorzügliche Ausführung des Trios, in dem sich die Pianistin, Fräulein Emma Koch, mit sauberer Technik, schönem Anschlag und musikalischer Intelligenz den Herren Lauterbach und Grützmacher anschloß, stellte das Werk in das günstigste Licht“ (Signale 1884, S. 371). Noch im selben Jahr konzertierten Lauterbach (Violine), Grützmacher (Violoncello) und Emma Koch in Görlitz mit dem genannten Klaviertrio von Graumann, dem Klaviertrio B-Dur op. 97 von Beethoven und drei Sätzen aus der Suite op. 35 für Klavier und Violine von Franz Rietz. Weitere Kammerkonzerte folgten mit dem Vortrag von Robert Schumanns Adagio und Allegro As-Dur op. 70 mit dem Violoncellisten Grützmacher auf der Tonkünstlerversammlung 1885 in Karlsruhe und dem Trio op. 97 von Beethoven, interpretiert von Marie Soldat, Emma Koch und Heinrich Grünfeld am 8. Febr. 1886 in Neubrandenburg. Nur vereinzelt werden in späteren Jahren noch Kammermusikkonzerte erwähnt, darunter 1889 ein Konzert mit dem Geiger Emil Sauret und dem Violoncellisten Heinrich Grünfeld mit einem Trio von Raff sowie der Vortrag sämtlicher Violinsonaten Beethovens mit dem Geiger Waldemar Meyer 1897 oder 1898 in Berlin. 1891 spielte sie mit Clotilde Kleeberg Mozarts Konzert für zwei Klaviere Es-Dur KV 365 in Berlin. Als Solistin trat die Pianistin u. a. auf in Berlin (1883–1886, 1888–1893, 1895–1899, 1902, 1906, 1909–1911), München (1885, 1886, 1895), Magdeburg (1885, 1894, 1897), Stettin (1886), Neubrandenburg (1886), Köln (1886), Bremen (1889, 1900), Königsberg (1889), Braunschweig (1889), Marburg (1891, 1892), Hildesheim (1892), Halle (1893, 1894), Wiesbaden (1893, 1896), Stuttgart (1894, 1895), Krefeld (1899), Prag (1900) und Amsterdam (1902). Eine Konzerttournee mit der Sängerin Marcella Sembrich in der Saison 1886/87 führte sie nach Berlin, Dresden, Leipzig, Hamburg, Frankfurt a. M. und Köln. Gemeinsam mit dem Sänger Emil Götze konzertierte Emma Koch 1895 mehrmals in Holland. Vermutlich bereiste sie im Jahr 1902 oder 1903 auch Moskau, wo ihr Bruder, Carl Koch, lebte. Weitere Konzertreisen führten sie nach Polen und Belgien.

Große Presse-Resonanz erhielt die Pianistin erstmals 1884, zu einem eigenen Konzert im Saal der Singakademie in Berlin am 1. Nov., bei dem Beethovens Konzert G-Dur op. 58, Adagio und Finale aus Xaver Scharwenkas Konzert c-Moll op. 56 sowie Präludium und Fuge von Joh. Seb. Bach, Toccata e-Moll op. 104 von Rheinberger, Konzert-Etüde Des-Dur von Liszt und Ballade g-Moll von Chopin zum Vortrag kamen: „Wir freuen uns aufrichtig, constatieren zu können, dass wir es hier einmal wieder mit einem wirklich berufenen Talent zu thun haben, denn gleich das Beethovensche Concert zeigte ein so schönes künstlerisches Maasshalten, ein so mehr auf den geistigen Ausdruck als auf die Entfaltung äusseren Glanzes hinarbeitendes Spiel, dass die junge Dame sofort für sich einnahm. In der Folge bewies sie übrigens an den einzelnen Soli ausserdem, dass sie die virtuose Seite des Clavierspiels vollkommen beherrscht, eine ungemeine Fertigkeit und dazu einen ausdrucks- und modulationsfähigen Ton besitzt. Dass hier und da noch ein Zug von Befangenheit an das Conservatorium erinnerte, will nichts bedeuten. Wir dürfen Hrn. Scharwenka zu diesem Resultat seiner pädagogischen Bemühungen aufrichtig gratuliren“ (Bock 1884, S. 364). Besonders für ihre Interpretationen der Werke Liszts, Scharwenkas, Moszkowskis und Beethovens erhielt Emma Koch großen Zuspruch. Aus Berlin berichtet 1890 die „Neue Zeitschrift für Musik“: „Vor der Aufführung des Requiems spielte Fräulein Emma Koch das Esdurconcert von Liszt. […] Frl. Emma Koch, welche mit einer vollendeten Technik einen echt künstlerhaften, echt musikalischen, verständnißvollen Vortrag verbindet (sie geht auf die Intentionen Liszts ein und interpretiert sie), spielte dieses schwierige, genial componirte Concert in musterhafter, meisterhafter Weise; so manche Pianisten wagen sich an solche Concerte heran, sie wollen dieselben spielen, könnens aber nicht, weil ihnen die höhere Weihe des Clavierspielens fehlt und diese können nur diejenigen erreichen, welche das ‚Denken in der Tonkunst‘ gelernt haben“ (NZfM 1890, S. 242).

Im Jahr 1899 interpretierte sie zusammen mit Wanda Landowska und Martha Siebold Joh. Seb. Bachs Konzert für drei Klaviere BWV 1063 im Leipziger Gewandhaus. Anschließend kam dasselbe Programm zweimal in Berlin und im folgenden Jahr in Bremen nochmals zur Aufführung. Nach dem Leipziger Konzert am 2. März berichten die „Signale für die musikalische Welt“: „Zudem war auch die Ausführung eine sehr vorzügliche, und insonderheit ist den Berliner Pianistinnen Fräulein Emma Koch, Fräulein Wanda Landowska und Fräulein Martha Siebold freudigste Anerkennung zu zollen für die treffliche Qualität ihrer Technik, die einhellige Präcision und Nuancierung ihres Zusammenspiels und die Intelligenz ihrer Auffassung. Der ihnen zutheil gewordene doppelte Hervorruf war ein gerechter Lohn für ihre Leistungen, und war jedenfalls auch auf das Orchester und den dirigirenden Herrn Capellmeister Nikisch gemünzt, und das mit Recht“ (Signale 1899, S. 290).

Kochs Repertoire zeigt einen deutlichen Schwerpunkt auf Kompositionen ihrer Lehrer Liszt, Scharwenka (u. a. Erstaufführung des Klavierkonzerts f-Moll 1909 in Berlin) und Moszkowski (u. a. Erstaufführungen 1895 in Berlin), wobei die Pianistin mit Werken von Domenico Scarlatti, Joh. Seb. Bach, Mozart (u. a. Klavierkonzert Nr. 24 c-Moll KV 491) sowie Saint-Saëns (Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll op. 22), Chopin, Brahms (Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83) und Debussy eine große stilistische Vielfalt zeigte.

 

 

TONAUFNAHMEN

Welte Rolle Nr. 672: Beethoven, 12 Deutsche Tänze WoO 8 Nr. 3

Welte Rolle Nr. 675: Liszt, La Leggierezza – Grande Concert Etudes, Nr. 2 f-Moll

Welte Rolle Nr. 676: Moszkowski, Etincelles op. 36 Nr. 6

Welte Rolle Nr. 677: Moszkowski, Liebeswalzer op. 57 Nr. 5

 

LITERATUR

AmZ 1881, Sp. 330

Blatt der Hausfrau 1901/02, S. 1196f.

Bock 1883, S. 45, 348; 1884, S. 149, 364; 1885, S. 28, 62; 1886, S. 38, 101, 340; 1888, S. 403, 411; 1889, S. 84; 1891, S. 82; 1892, S. 609, 635; 1893, S. 552; 1895, S. 68, 411; 1896, S. 379

Der Klavier-Lehrer 1890, S. 10; 1892, S. 252, 311; 1898, S. 227; 1904, S. 320; 1906, S. 313; 1908, S. 360

Musikalisches Centralblatt 1884, S. 168

Die Musik 1897/98 II, S. 317; 1902 II, S. 920; 1902/03 I, S. 317, 461; 1902/03 II, S. 470; 1902/03 III, S. 34; 1906/07 II, S. 262; 1909/10 II, S. 188; 1909/10 III, S. 178, 194; 1910/11 I, S. 384; 1910/11 II, S. 54; 1910/11 III, S. 42; 1911/12 IV, S. 178

NMZ 1902, S. 271

NZfM 1883, S. 481; 1884, S. 156, 167, 189, 520; 1885, S. 91, 124, 204, 216, 224, 272; 1886, S. 18, 74, 184, 203, 256, 442, 501; 1887, S. 30; 1889, S. 6, 147, 318, 428, 444; 1890, S. 242; 1892, S. 94f.; 1893, S. 375f., 484; 1894, S. 66, 233, 360; 1895, S. 91; 1896, S. 53; 1897, S. 200; 1898, S. 114; 1899, S. 91, 103

Signale 1884, S. 283, 371, 952; 1885, S. 121, 559, 679, 1065, 1108; 1886, S. 130, 717, 839, 968, 995, 999, 1027, 1098, 1102; 1887, S. 52, 952; 1889, S. 73, 233, 313; 1890, S. 255, 537; 1891, S. 155, 283, 967; 1892, S. 132, 581, 1048; 1893, S. 362, 953; 1894, S. 791; 1895, S. 213, 313, 887; 1896, S. 938; 1898, S. 117, 324, 676, 1031; 1899, S. 72, 290, 388, 457, 1001; 1900, S. 213

Riemann 11, Frank/Altmann, De Bekker, LexFr, Baker

Anna Morsch, Deutschlands Tonkünstlerinnen. Biographische Skizzen aus der Gegenwart, Berlin 1893.

Walter Niemann, Meister des Klaviers. Die Pianisten der Gegenwart und der letzten Vergangenheit, 9. bis 14. völlig umgearbeitete Auflage, Berlin 1921.

Xaver Scharwenka, Klänge aus meinem Leben. Erinnerungen eines Musikers, Leipzig 1922.

[Carl Lachmund,] Living with Liszt: From the Diary of Carl Lachmund, an American Pupil of Liszt, 1882–1884 (= Franz Liszt Studies 4), hrsg. von Alan Walker, Hillsdale/NY 1998.

Cordula Heymann-Wentzel, Das Sternsche Konservatorium der Musik in Berlin. Rekonstruktion einer verdrängten Geschichte, 2014 http://opus4.kobv.de/opus4-udk/frontdoor/index/index/docId/797, Zugriff am 13. Juni 2014.

Brief von Moritz Moszkowski an Henri Hinrichsen vom 26. Juni 1913, https://inlibris.at/de.html, Zugriff am 13. Juni 2014.

Berlin als Ausbildungsort – Personen-Datenbank des Stern’schen Konservatoriums http://www.udk-berlin.de/sites/musikwissenschaft/content/forschung/forschungs
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index_ger.html, Zugriff am 13. Juni 2014.

Silke Wenzel, „Emma Koch“, in: MUGI. Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt-hamburg.de/A_lexartikel/lexartikel.php?id=koch1860, Zugriff am 13. Juni 2014.

 

Bildnachweis

Blick auf Mainzer Frauengeschichte – Mainzer Frauenkalendar 1991 bis 2012 – Ein Lesebuch, Mainz 2012: http://www.mainz.de/C1256D6E003D3E93/files/Broschuere_Blick_auf_Mainzer_Frauen_WEB.

pdf/$FILE/Broschuere_Blick_auf_Mainzer_Frauen_WEB.pdf, Zugriff am 13. Juni 2014.

Sammlung Manskopf der Goethe Universität Frankfurt, http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor.php?source_opus=7901309&la=de, Zugriff am 13. Juni 2014.

 

Jannis Wichmann

 

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