Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Clark-Steiniger, Anna, geb. Steiniger

* 19. Apr. 1848 in Magdeburg, † 28. Febr. 1891 in Blue Hill/ME, Pianistin und Klavierlehrerin. Sie konzertierte in Deutschland, den Niederlanden und den USA. Ihre ersten Klavierstunden erhielt Anna Steiniger – vermutlich von 1856 an – bei Wilhelm Johann Agthe (1790–1873) in Berlin. Anschließend war sie Schülerin von Heinrich Ehrlich (1822–1899) und später von Theodor Kullak (1818–1882) an dessen Neuer Akademie der Tonkunst in Berlin. Dort legte sie am 26. März 1871 ihre Prüfung in der akademischen Oberklasse ab. Im Herbst 1872 wechselte sie zu dem Pianisten Ludwig Deppe (1828–1890), denn bei Kullak „hätte [sie] ihr Bestes gethan und wäre doch zu nichts gekommen“ (Amy Fay über Anna Steiniger in einem Brief vom 25. Dez. 1873). Fünfzehn Monate später wurde Anna Steiniger zu einem Klaviervorspiel vor Deppes neuer Schülerin Amy Fay gebeten. Diese formulierte kurz danach ihre Eindrücke: „Ich erstaunte über ihr [Anna Steinigers] Spiel, nicht der Poesie und Empfindung wegen; deren hatte sie wenig; aber wegen der Herrschaft, die sie über das Instrument besaß, und wegen der Vollendung, mit der sie Alles machte. Eine Klarheit, Durchsichtigkeit der Triller und Läufe, die blendete und entzückte! Ihre linke Hand war so geschickt, wie die rechte, nahm die Variationen auf und rannte die compliciertesten Passagen herunter wie nichts. Es war Leben, Elasticität und Griff in den Akkorden, eine Einheit des Effects bei den Ausführungen verschiedenster Compositionen, welche ich mich nicht erinnere, von irgend einem Schüler anderer Lehrer je gehört zu haben. Die Haltung der Hand war ausgezeichnet; alle Schwierigkeiten schienen wie Schnee fortzuschmelzen, oder mit Leichtigkeit überwunden zu werden“ (ebd.).

1873 bis 1875 konzertierte Anna Steiniger in den Städten Bad Pyrmont, Detmold und Lübeck. Im November 1875 werden drei Soireen in Berlin angekündigt (NZfM 1875, S. 467). Daneben bemühte sie sich um ihre weitere musikalische Ausbildung und bewarb sich bei der musikalischen Sektion der Akademie der Künste in Berlin um die Fortführung eines staatlichen Stipendiums. In ihrem Prüfungskonzert am 7. Febr. 1876 spielte sie Werke von Bach, Beethoven und Weber. Die Prüfungskommission unter dem Vorsitz von Wilhelm Taubert gab dem Antrag statt. „Sie bekannte durch den Vortrag dieser Werke eine lobenswerthe technische Gewandtheit und Sauberkeit“ (Preußische Akademie der Künste, Akte 408). Ihre erste Soiree im Jahr 1876 gab Anna Steiniger am 15. Jan. 1876 in Berlin im Saal des Norddeutschen Hofes. Es folgten im selben Jahr weitere Konzerte in Frankfurt a. O. und Torgau. Nach ihrer zweiten Soiree in Berlin war über Anna Steinigers Spielweise zu lesen: „Ein lebensvoller, gesangreicher Anschlag, eine Technik von vollendeter Sauberkeit und eine geistige Beherrschung ihrer Aufgabe bis in's kleinste Detail“ (Bock 1876, S. 389). In den folgenden Jahren weitete sie ihre Konzerttätigkeit aus. Neben ihren Kammermusikabenden beteiligte sie sich an Wohltätigkeitskonzerten im Jahr 1876 in Warmbrunn, 1878 in Berlin und 1880 in Görlitz und konzertierte bei den Schlesischen Musikfestenim Jahr 1877 in Breslau und in den  Jahren 1880 und 1883 in Görlitz. Mit der niederländischen Sängerin Aafke Kuypers gab  Anna Steiniger im Jahr 1878 Konzerte in den Niederlanden. 1882 ging sie mit der Sängerin Anna Schimon-Regan aus München auf Deutschlandtournee (Augsburg, Bayreuth, Bamberg, Bremen, Lübeck, Kiel, Osnabrück, Regensburg, Rostock und Stettin). Die „Neue Berliner Musikzeitung“ berichtet, dass die zwei Musikerinnen „überall reichsten Beifall ernteten. Von allen Seiten wurden uns sowohl die künstlerische Zusammenstellung, als auch die feine musikalische Ausführung der Programme gerühmt“ (Bock 1882, S. 406).

 

Stahlstich von August Weger.

 

Im Frühjahr 1883 heiratete Anna Steiniger den amerikanischen Schriftsteller und Pianisten Frederic Horace Clark (1860–1917) und konzertierte weiterhin bis zu ihrer Übersiedlung in die Vereinigten Staaten im Jahr 1884 in Deutschland (Magdeburg, Berlin, Leipzig). Schon im November 1885 trat sie in Boston mit dem Boston Symphony Orchestra und dem 4. Klavierkonzert von Beethoven auf und wird im „Boston Daily Advertiser“ vom 16. Nov. 1885 folgendermaßen gewürdigt: „Her touch is gentle and womanly, refined and almost reserved, but it is always clear and neat, even and firm in the grasp of chords, and of a rare purity and evenness in scale passages. Her phrasing is intelligent, and her delivery of this phrasing warm, considerate and musicianly“. Im Jan. und Febr. 1886 veranstaltete sie in Boston mit dem deutsch-rumänischen Violinisten Franz Kneisel (1865 – 1926) sechs Beethovenkonzerte. Auf dem Programm standen die 10 Violinsonaten  von Beethoven, „zum ersten Mal in Amerika“ (Fritzsch 1886, S. 206f.), zusätzlich seine Eroica-Variationen Es-Dur op. 35 und 7 weitere Sonaten von Beethoven. Der Dirigent des Boston Symphony Orchestra, Wilhelm Gericke, engagierte Anna Clark-Steiniger anschließend als Solistin für eine Tournee durch die Vereinigten Staaten. Bis 1890 konzertierte sie weiterhin in zahlreichen Konzerten in Boston und in weiteren Städten der USA.

Anna Clark-Steiniger verfügte über ein umfangreiches Repertoire, das zeitgenössische, klassische Werke und Alte Musik umfasste. Der Schwerpunkt lag auf den Kompositionen Beethovens. Hervorzuheben sind Beethovens Klavierkonzerte Nr. 2 B-Dur op. 19 und Nr. 4 G-Dur op. 58 sowie die Klaviersonate Nr. 4 Es-Dur op. 7. Daneben spielte sie besonders häufig das Impromptu Nr. 4 f-Moll op. 142 von Schubert und dessen Klaviertrio Nr. 2 Es-Dur op. 100, außerdem Präludium und Fuge in Cis-Dur von Joh. Seb. Bach und „Märchen“ aus der Suite Nr. 5 op. 162 von Joachim Raff.

Neben ihrer Konzerttätigkeit erteilte Anna Clark-Steiniger Klavierunterricht an der Klavierschule ihres Ehemanns Frederic Clark in Cambridge/MA. Wie sich einer Anzeige in „The Musical Yearbook of the Unites States“ aus dem Jahr 1888 entnehmen lässt, scheinen Anna Clark-Steiniger ihre Konzerte eine gute Reputation verschafft zu haben. Sie konnte für ihren Einzelunterricht doppelt so viel verlangen wie ihr Ehemann.

Anna Clark-Steiniger hatte einen Sohn, geboren am 17. Jan. 1885 in Boston.

 

 

LITERATUR

Allgemeine Deutsche Musik-Zeitung 1875, S. 306; 1876, S. 39, 130, 381; 1877, S. 49

Annual Report of the Board of Trustees and Officers of the Indiana Soldiers’ and Sailors Orphans’ Home 1899, S. 46

Bayerischer Kurier 31. Okt. 1882

Berliner Börsen-Zeitung 25. Jan. 1884

Bock 1871, S. 100; 1873, S. 344; 1875, S. 295; 1876, S. 20, 59, 92, 132, 261, 389, 398; 1877, S. 84, 204; 1878, S. 68, 124, 287, 398; 1879, S. 38; 1880, S. 203, 223; 1882, S. 374, 406; 1883, S. 62, 187; 1884, S. 38

Boston Daily Advertiser 16. Nov. 1885

CaeciliaNL 1878, S. 207f.; 1879, S. 13, 120

Dresdner Nachrichten 11. Febr. 1883

The Etude 1888, S. 741; 1889, S. 151

FritzschMW 1874, S. 465, 477, 491; 1875, S. 467; 1876, S. 60, 207, 615, 709f.; 1877, S. 129, 178, 288; 1879, S. 70; 1880, S. 349; 1882, S. 12; 1883, S. 334, 415, 626, 637; 1884, S. 171; 1886, S. 39, 206f.; 1891, S. 200

Illustrirtes Musik-, Theater- und Literatur-Journal 1877, Sp. 648

Der Klavier-Lehrer 1878, S. 47

Leeuwarder Courant 29. Sept. 1878

Monatshefte für Musikgeschichte 1891, S. 6; 1892, S. 187

The Musical Yearbook of the United States 1885/86, S. 48, 62; 1887/88, S. 138; 1888/89, S. 23, 105; 1889/90, S. 10, 24f.

Musical Courier 1890, 21. Mai, S. 475

Musikalisches Centralblatt 1882, S. 452, 479

NZfM 1874, S. 159, 201; 1875, S. 467; 1876, S. 37, 79, 136, 157, 345f., 411, 432, 484; 1877, S. 74, 116, 204; 1878, S. 58, 71,106, 155, 174, 182, 204, 374, 529; 1879, S. 27, 40, 174; 1880, S. 266, 324; 1881, S. 379; 1882, S. 522, 545; 1883, S. 102, 548, 557 ; 1884, S. 19, 92, 156

Norddeutsche Allgemeine Zeitung 12. Jan. 1879

The Oberlin Review 1890, S. 320

Signale 1876, S. 228; 1877, S. 218; 1879, S. 170, 194, 428; 1880, S. 571, 590, 634; 1881, S. 162; 1883, S. 215, 617, 1153f.; 1884, S. 141, 193, 365; 1886, S. 506; 1887, S. 130; 1891, S. 663; 1892, S. 263

Frank/Altmann (Art. Deppe, Ludwig), MGG 2000 (Art. Agthe, Familie)

F. O. Jones, A Handbook of American Music and Musicians. Containing Biographies of American Musicians and Histories of the Principal Musical Institutions, Firms and Societies, New York 1886.

John Storer Cobb, Anna Steiniger. A Biographical Sketch, in which is contained a suggestion of the Clark-Steiniger system of piano-forte playing, Boston 1886.

W.S.B. Matthews (Hrsg.), A hundred years of music in America, Chicago 1889.

[Amy Fay,] Musikstudien in Deutschland. Aus Briefen in die Heimath von Amy Fay, Berlin 1882, Repr. Regensburg 1996.

Who‘s who in the Central States, Washington D. C. 1929.

E. Douglas Bomberger (Hrsg.), Brainard’s Biographies of American Musicians (= Music Reference Collection 79), Westport/CT 1999.

Preußische Akademie der Künste, Akte 408, Acta betreffend der Prüfung junger Mädchen in der Musik 1863 – 1884, Deutsche Digitale Bibliothek, https://api.deutsche-digitale-bibliothek.de/binary/024db193-7b6d-436a-bf5b-cd50c8e9b4d2.pdf, Zugriff am 15. Nov. 2022.

 

Bildnachweis

Sammlung Manskopf, Goethe Universität Frankfurt a. M., http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/­manskopf/content/titleinfo/5558353, Zugriff am 12. März 2014.

The Musical Yearbook of the Unites States, Vol. V, Season 1887 – 1888, Boston 1888.

 

Katja Franz/Christiane Barlag

 

© 2014/2022 Freia Hoffmann