Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

HarffHarf, Elise, Elisa, (Caroline Marie Elisabeth)

* 1836 in Goldingen (heute Kuldīga, Lettland), † am 6. Okt. 1894 (vermutl. in Riga), Pianistin. Sie war die Tochter eines Pastors namens Georg Harff und seiner Frau Auguste Harff geb. von Lutzau. Von ihrer Mutter soll sie „früh den besten Unterricht im Clavierspiel“ (RudolphRiga) erhalten haben, ihre „höhere musikalische Ausbildung“ (ebd.) erfolgte durch ihren Onkel Samuel von Lutzau in Riga. Auch in späteren Jahren bildete sie sich künstlerisch immer wieder fort, war im Sommer 1859 kurzzeitig Schülerin von Theodor Stein (1819–1893) in Reval (heute Talinn, Lettland) und studierte von 1860 bis 1861 in Dresden bei Charles Mayer (1799–1862) und Adolf Reichel (1816–1896). Danach ging sie auf Rat Franz Liszts und mit dessen Empfehlung nach Berlin, um bei Hans von Bülow (1830–1894) zu studieren. Als dieser nach zwei Jahren nach München übersiedelte, setzte sie ihre Ausbildung für weitere drei Jahre bei Theodor Kullak (1823–1862) fort.

Bis zum Jahr 1852 hatte sie durch gemeinsame Auftritte mit ihrem Onkel bereits Konzerterfahrungen sammeln können, zunächst in Goldingen, später in Mitau und Riga. Von 1852 bis 1860 nahm sie in Kurland Anstellungen als Musiklehrerin an, zunächst bei der Familie des Barons von Behr in Schloss Edwahlen, später in Kurmen bei der polnischen Adelsfamilie Komorowski.

Während ihrer Studienzeit in Dresden wirkte sie bei Matineen als Pianistin mit. Im Laufe ihres anschließenden fünfjährigen Aufenthalts in Berlin erwarb sie sich im Umfeld von Hans von Bülow und Hubert Ries ein gutes Renommee als Pianistin und Klavierlehrerin. Im Hause des Letzteren, dem sie „jahrelang als Hausgenossin“ (ebd.) angehörtefand sie „die beste Gelegenheit, sich in der Kammermusik zu vervollkommnen“ (ebd.). Es ist belegt, dass sie 1862 den Klavierpart in einem Trio von Mozart spielte und im gleichen Jahr mit der Pianistin Marie Gärtner Variationen für zwei Klaviere von Schumann aufführte. Mit Anton Rubinstein spielte sie „in einem Privatkonzert vierhändig“ (ebd.). In diesen wie auch weiteren Konzerten in Berlin trat sie ebenso solistisch auf. Sie spielte u. a. im Palais Bismarck und gab am 16. März 1866 ein Konzert in der Singakademie, wo sie unter Leitung von Musikdirektor Wuerst das Klavierkonzert d-Moll von Mendelssohn und das Klavierkonzert e-Moll von Chopin zur Aufführung brachte. In diesem Konzert wirkte auch die Pianistin Erika Lie mit. Darüber hinaus unternahm Elise Harff verschiedene Reisen, konzertierte 1865 in Riga und ein Jahr später erneut in derselben Stadt sowie in Königsberg und Libau (Lepāja).

Aus familiären Gründen kehrte sie 1867 nach Russland zurück, wo sie in Sankt Petersburg, vor allem aber in Moskau wirkte. In Sankt Petersburg traf sie wieder mit Anton Rubinstein zusammen, mit dem sie erneut gemeinsam konzertierte. Mit ihm als Dirigenten trat sie auch in der kaiserlich-russischen Musikgesellschaft auf. In Moskau machte sie Bekanntschaft mit dem Bruder Anton Rubinsteins, dem Dirigenten Nicolai Rubinstein, sowie Ferdinand Laub und erwarb sich dort in den nächsten Jahren großes Ansehen als Pianistin und Klavierlehrerin. 1867 spielte sie unter Leitung von Nicolai Rubinstein das Klavierkonzert Es-Dur von Weber. 1868 erhielt sie von der Großfürstin Helene Pawlowna die Aufforderung, in St. Petersburg an Hofkonzerten teilzunehmen, und kam diesem Wunsch wiederholt nach − u. a. im Palais Michail zu Petersburg, in Ramenje Ostrow und Oranienbaum. In St. Petersburg erneuerte sie auch ihre Bekanntschaft mit dem Pianisten und Komponisten Adolf Henselt, „der sich von ihr vorspielen ließ und mit ihr zusammenspielte“ (ebd.). Im gleichen Jahr wirkte sie in Moskau bei einem philharmonischen Konzert mit, ebenso 1869 – erneut stand das Klavierkonzert d-Moll von Mendelssohn auf dem Programm. 1871 gab sie mit dem Prinzen Adolf Sayn-Wittgenstein in Bad Wildungen (Hessen) zwei Benefizkonzerte. 1873 übersiedelte sie nach Riga, wo sie „unter den […] Lehrkräften allezeit eine der allerersten Stellen behauptet[e] (ebd.) und weiterhin erfolgreich als Klavierlehrerin und in geringerem Umfang auch als Pianistin wirkte. Um der dortigen Kammermusikkultur zu größerem Ansehen zu verhelfen, lud sie 1884 den Violinisten Hans Bassermann und den Violoncellisten Bernhard Coßmann nach Riga ein, um mit ihnen gemeinsam drei Kammerkonzerte zu geben, darunter mindestens eines im Saal des zentral gelegenen Schwarzhäupterhauses, in welchem sie auch in den folgenden Jahren immer wieder Auftritte absolvierte (schon 1883, dann 1884 sowie 1887). Im Jahr 1885 folgte eine weitere Reihe von Kammerkonzerten, diesmal mit dem Violinisten Hans Rosenmeyer, einem Schüler Joseph Joachims, dem Violoncellisten Otto Lohse sowie weiteren Musikern. Im selben Jahr trat Elise Harff noch einmal als Pianistin in Darmstadt auf.

„Zum letzten Mal an die Öffentlichkeit“ (ebd.) trat Elise Harff am 28. Nov. 1892: Zusammen mit den „Herren Pestel und Poorten“ (ebd.) gestaltete sie in Riga eine Kammermusik-Soiree, um sich dann aber vollkommen zurückzuziehen und ihre Zeit den wohl zahlreichen Schülern in Riga zu widmen.

Elise Harffs Repertoire war stilistisch breit gefächert. Solistisch umfasste es u. a. Kompositionen von Scarlatti, Pergolesi, Joh. Seb. Bach, Chopin, Schumann, Mendelssohn, Anton Rubinstein, Samuel von Lutzau und Beethoven; hinzu kamen Klavierkonzerte von Schumann, Chopin, Mendelssohn und Weber. Im Rahmen ihrer kammermusikalischen Tätigkeit spielte sie außerdem Kompositionen in unterschiedlicher Besetzung von Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Raff, Anton Rubinstein, Benjamin Godard und David Popper.

Diese stilistische Flexibilität benennt auch der Lexikoneintrag Moritz Rudolphs: „Neben einer vorzüglich gebildeten Technik, bezeugten ihre Vorträge einen großzügigen Stil und einen ungewöhnlichen künstlerischen Ernst. So beherrscht sie alle Stilarten von der älteren Classicität bis zu Schumann und Chopin. Besonders inclinirt ihre Kunstrichtung zur classischen und neueren Kammermusik, auf deren Gebiete sie auch in Riga Verdienstliches geleistet hat“ (ebd.).

Die „Rigasche Zeitung“ äußert sich explizit zu einer Aufführung des Klavierkonzertes von Schumann: „Freilich bedingt die Ausführung dieses Stückes einen Spieler, dem nicht nur vollkommene Beherrschung der Technik, sondern auch eine feinfühlende Auffassungsgabe zu Gebote stehen. Daß Fräulein Harff beides in reichem Maße besitzt, bewies die durchschlagende Wirkung, welche das Concert auf das ganze Publicum ausübte“ (Rigasche Zeitung 17. Dez. 1866). Neben der positiven Beurteilung des sie begleitenden Orchesters unter der Leitung von Musikdirektor Kleffel lobt diese Rezension aus dem Jahre 1866 auch ausdrücklich ihre Leistung als Interpretin solistischer Klavierliteratur: „Es bedarf kaum der Erwähnung, dass Frl. Harff auch die übrigen Clavierpiècen […] mit gleicher Vollendung vortrug; wir müssen gestehen, daß sie mitunter dem Instrument so überaus fein-poetische Töne zu entlocken wußte, wie wir sie bisher nur bei Künstlern ersten Ranges gehört haben“ (ebd.).

 

LITERATUR

Eintrag im Sterbebuch der Petri-Kirche zu Riga, 1894

Eintrag im Taufregister Goldingen, 1836

AmZ 1866, S. 130

Bock 1862, S. 108, 124, 307; 1866, S. 93; 1884, S. 135

Düna-Zeitung 1894, 8., 10. Okt.

Libausche Zeitung 8. Nov. 1866

NZfM 1862 I, S. 130f.; 1862 II, S. 126; 1866, S. 93; 1867, S. 213, 409, 445; 1868, S. 15, 206; 1869, S. 111; 1884, S. 83, 129, 329; 1885, S. 121f.

Rigasche Stadtblätter 1873, 16. Aug.; 1892, 3. Dez.; 1894, 17. Nov.

Rigasche Zeitung 1866, 17. Dez.; 1877, 17. Aug.; 1883, 3. Nov.; 1884, 14. Mär.; 1887, 12. Mär.

Signale 1865, S. 874; 1866, S. 871; 1867, S. 498; 1043; 1868, S. 677; 1885, S. 226

RudolphRiga

Triin Vallaste, Die maßgeblichen Musikdirektoren und Musiklehrer in Reval (Tallinn) im 19. Jahrhundert, http://dspace.utlib.ee/dspace/bitstream/10062/4898/4/triinvallaste1.pdf, Zugriff am 9. Juli 2009.

 

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