Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

HenselMendelssohn Bartholdy, Fanny Cäcilia

*14. Nov. 1805 in Hamburg, † 14. Mai 1847 in Berlin, Pianistin, Dirigentin, Komponistin. Sie war das erste Kind von Abraham Ernst Mendelssohn (1776–1835) und Lea Felicia Pauline geb. Salomon (1778–1842). Seit 1811 lebte die Familie Mendelssohn in Berlin, wo Fanny und ihre Geschwister Felix, Rebecka und Paul am 21. März 1816 in der Jerusalemer Kirche getauft wurden. Sie erhielt den Taufnamen Cäcilia. Der Name Bartholdy (ohne Bindestrich) kam nach der Taufe der Eltern (in Frankfurt a. M., den 4. Okt. 1822) hinzu. Für den Unterricht der Kinder wurden Hauslehrer herangezogen. Fannys erste Versuche am Klavier wurden von ihrer Mutter begleitet und gelenkt. In Lea Mendelssohn lebten „Traditionen oder Nachklänge von Kirnberger her“, sie war von dorther „mit Seb. Bach bekannt geworden und hatte das unausgesetzte Spiel des temperirten Klaviers ihrem Hause eingepflanzt“ (Marx, S. 116). Bald wurde der Klavierunterricht dem Virtuosen Franz Seraphicus Lauska (1764–1825) anvertraut. Dessen Werke galten „als Paradepferde der jungen Berliner Klavierspielerinnen“ (Parthey, S. 131), und als Klavierlehrer in Privatkreisen und bei Hofe hatte er eine sehr angesehene Stellung. 1816, während des Aufenthaltes der Familie Mendelssohn in Paris, war Fanny Mendelssohn Schülerin von Marie Bigot, die als Pianistin in Wien von Haydn und Beethoven verehrt worden war. Zurück in Berlin fand Fanny Mendelssohn 1817 in Ludwig Berger (1777–1839) einen Lehrer, über den Klengel urteilte: „Er spielt das Leichteste so, daß es zur schwersten Aufgabe wird, es ihm nachzuspielen“ (zit. nach Rellstab, S. 331). Berger hatte bei Clementi studiert und fand später Vorbild und Orientierung in Field, Steibelt und Cramer, er galt als bedeutendster Lehrer seiner Zeit. Fanny, die seine „ausgezeichnetste Schülerin“ (Siebenkäs, S. 244) wurde, hatte darüber hinaus 1821 Unterricht bei Johann Nepomuk Hummel (1778–1837) und 1824 bei Ignaz Moscheles (1794–1870).

Im Hause Mendelssohn fanden sich ein Clavichord aus der Werkstatt von Johann Heinrich Silbermann, ein nicht näher beschriebener Flügel und nach 1816 auch ein Broadwood-Flügel. 1832 erhielt Fannys Bruder Felix von der Londoner Niederlassung des Hauses Érard einen Flügel zum Geschenk, der seinen Platz ebenfalls im Hause Mendelssohn fand. 1837 brachte Fanny Hensel ihre Begeisterung für englische Flügel erstmals zum Ausdruck, sie meinte aber, sich ein solches Instrument nicht leisten zu können. Von ihrem 1846 erworbenen Flügel mit Wiener Mechanik hoffte sie, „daß dies Instrument guten Einfluß auf mein Spiel haben wird“ (zit. nach Lambour 2007, S. 241).

Fanny, die „schon als Kind eine die Aufmerksamkeit erregende Erscheinung“ (Rellstab, S. 405) war, spielte als 13-Jährige die 24 Präludien aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers von Joh. Seb. Bach auswendig. Kompositionen von Bach hat sie während ihres ganzen Lebens gespielt, und als sie 1822 Goethe besuchte, ließ er sie „viel Bach spielen“ (Mendelssohn Bartholdy, S. 21). Im selben Jahr trug sie auch das Konzert in a-Moll von ihrem Bruder Felix Mendelssohn „sehr schön und fertig“ (Parthey, S. 271) vor. Halböffentlich wurden ihre Auftritte in den 1823 begonnenen Sonntagsmusiken, die seit 1825 im Hause Leipziger Straße 3, wo sie bis zu ihrem Tode lebte, stattfanden. Dessen Gartensaal „fasste mehrere hundert Menschen.[…] Hier war das eigentliche Lokal, wo die Sonntagsmusiken ihre volle Ausdehnung gewinnen sollten“ (Hensel Bd. 1, S. 141). Der mit einer Kuppel bekrönte Saal maß etwa 14 mal 7,5 Meter, und im Winter versammelten sich die Musiker und Zuhörer in Fanny Mendelssohns Musikzimmer, das mit angrenzenden Räumen vergrößert werden konnte und so etwa 100 Personen Platz bot.

Außerhalb der Sonntagsmusiken ist Fanny Hensel in Berlin dreimal öffentlich als Pianistin aufgetreten: zweimal in sog. Dilettantenkonzerten – am 19. Febr. 1838 und am 4. März 1841  im Konzertsaal des Königlichen Schauspielhauses – und am 21. Febr. 1847 in der Singakademie, wo sie die blinde Sängerin Bertha Bruns begleitete. Während der Italienreise, die die Familie Hensel 1839 antrat, musizierte Fanny  Hensel in Rom in der Villa Medici, deren Direktor damals der Maler Jean-Dominique-Auguste Ingres war. Zu den Pensionären gehörte auch Gounod. Der andere Ort in Rom, wo sie auftrat, war das Haus des „Cavaliere Landsberg“ (Hensel Bd. 2, S. 88).

 

August Kaselowsky: Fanny Hensel in Rom (1845).

 

Als Pianistin hat Fanny Hensel Bedeutendes geleistet. In diesem Urteil sind sich ihre Zeitgenossen einig. Sie wuchs in der Bachtradition ihrer Familie auf, und in der Auseinandersetzung mit der Musik Bachs entstand eine Grundlage für ihr Spiel. In die Welt Beethovens wurde sie von drei Persönlich-keiten eingeführt, die Beethoven kannten: Marie Bigot, Johann Nepomuk Hummel und Ignaz Moscheles. Für die Beethovenrezeption leistete Fanny Hensel einen Beitrag, der über das Musikleben ihrer Zeit hinausging. Eine von der jetzigen Quellenlage ausgehende Auflistung der Aufführungen Fanny Hensels mit Werken von Beethoven lässt erkennen, welche Bedeutung seine Musik für sie hatte. 1830 schreibt Felix ihr: „Du weisst aber wahrhaftig, was sich der liebe Gott bei der Musik gedacht hat, als er sie erfand; […] Kannst auch Klavier spielen und wenn Du einen grössern Anbeter brauchst als mich, so kannst Du Dir ihn malen oder Dich von ihm malen lassen“ (Hensel Bd. 1, S. 276f.). Gounod, den sie 1839 während ihres Rom-Aufenthaltes kennen gelernt hatte, berichtet: „Frau Hensel setzte sich mit der Bereitwilligkeit und Natürlichkeit derer, die Musik treiben, weil sie sie lieben, ans Klavier und dank ihrem schönen Talent und ihrem wunderbaren Gedächtnis wurde ich mit einer Menge deutscher Meisterwerke bekannt, die mir damals noch ganz fremd waren; unter anderem mit zahlreichen Stücken von Sebastian Bach, wie Sonaten, Fugen und Präludien, Konzerten und mit einer Reihe Mendelssohnscher Kompositionen, welche für mich wie Offenbarungen einer neuen Welt waren“ (Gounod, S. 82f.).

Am 8. Nov. 1847 schreibt Johanna Kinkel in der „Augsburger Zeitung“: „Ihr Clavierspiel war vollendet zu nennen. Besonders zeichnete sie sich in Kenntniß der classischen Musikliteratur aus. Bachs und Beethovens Compositionen spielte sie großentheils auswendig“ (zit. nach Metzger/Riehn, S. 116.). Liszt erinnert sich ihrer als „une musicienne extrêmement distinguée“ (Franz Liszt’s  Briefe, S. 117f.). Dass der Eindruck, den Fanny Hensels Klavierspiel auf Clara Schumann machte, ein bleibender war, geht aus einer Beurteilung hervor, die einer irischen Pianistin im Jahr 1856 gilt: Mrs. Robinson in Dublin ist die musikalischste Spielerin, die ich neben Fanny Hensel gehört“ (zit. nach Lambour 2005, S. 283). Kurz nach dem plötzlichen Tod Fanny Hensels schreibt Clara Schumann: „Der Fall mit Mendelssohn’s Schwester ist sehr traurig! Ich hatte sie erst jetzt in Berlin näher kennen gelernt, und schätzte sie hoch! Wir sahen uns täglich, und hatten schon zusammen verabredet, uns, wenn wir gar nach Berlin kämen, recht viel zu sehen, und mit einander zu musiciren. Sie war wohl die ausgezeichnetste Musikerin ihrer Zeit, und für das ganze musikalische Leben in Berlin eine wichtige Person – man hörte bei ihr nur Gutes“ (Schumann, S. 148f.).

Eine Eigentümlichkeit in Fanny Hensels Klavierspiel lässt sich an zwei teilweise unterschiedlichen Lesarten ihres Klavierstücks Abschied von Rom ablesen. In der früheren Fassung schreibt sie Achtel, deren Melodie sie in der späteren Fassung durch Viertel hervorhebt: eine Technik, die bereits im Cembalospiel des 18. Jahrhunderts Anwendung fand und auch bei Beethoven bekannt ist.

 

WERKE FÜR KLAVIER SOLO

Veröffentlichte Sammlungen: Vier Lieder für das Pianoforte, op. 2, Berlin 1846; Six Mélodies pour le piano, op. 4 und 5, Paris 1847; Vier Lieder für das Pianoforte, op. 6, Berlin 1847; Vier Lieder für das Pianoforte, op. 8, Leipzig 1850

Unveröffentlichte Sammlungen: Übungsstücke (1822-1824); Sonata o Caproccio f-Moll (1824); Sonata c-Moll (3 Sätze, 1824); Andante con espressione c-Moll (1826); Capriccio Fis-Dur (1826); Klavierbuch e-Moll (1827); Fantasia As-Dur (1830); Duett für Sopran und Tenor. Mit den Fingern zu singen A-Dur (um 1832); Prestissimo C-Dur (1836); Allegro con brio f-Moll (1836); Andante con espressione B-Dur (1837); Notturno g-Moll (1838); Villa Medicis As-Dur (1840); Abschied von Rom/Ponte Mollo (1840); Das Jahr. Zwölf Charakterstücke für das Forte-Piano (1841); Sonate g-Moll (4 Sätze, 1843); Klavierstück c-Moll (1846); Lied. Allegro vivace A-Dur (1846); Stücke für Klavier zu 4 Händen

 

LITERATUR

Ludwig Rellstab, Musikalische Beurtheilungen, Leipzig 1848.

Adolph Bernhard Marx, Erinnerungen. Aus meinem Leben, 2 Bde., Bd. 2, Berlin 1865.

Karl Mendelssohn Bartholdy, Goethe und Felix Mendelssohn Bartholdy, Leipzig 1871.

Charles Gounod, Aufzeichnungen eines Künstlers, aus dem Französ. von E. Bräuer, Breslau [u. a.] 1896.

Franz Liszt’s Briefe, gesammelt und hrsg. von La Mara [d. i. Marie Lipsius], 10 Bde., Bd. 4: Briefe an die Fürstin Carolyne Sayn-Wittgenstein, Leipzig 1899.

Lili Parthey, Tagebücher aus der Berliner Biedermeierzeit, hrsg. von Bernhard Lepsius, Berlin [u. a.] 1926.

Clara Schumann, „Das Band der ewigen Liebe“. Briefwechsel mit Emilie und Elise List, hrsg. von Eugen Wendler, Stuttgart [u. a.] 1996.

Sebastian Hensel, Die Familie Mendelssohn 1729–1847. Nach Briefen und Tagebüchern, 2 Bde., Berlin 21880.

Dieter Siebenkäs, Ludwig Berger. Sein Leben und seine Werke unter besonderer Berücksichtigung seines Liedschaffens (= Berliner Studien zu Musikwissenschaft 4), Berlin 1963.

Heinz-Klaus Metzger u. Rainer Riehn (Hrsg.), Felix Mendelssohn Bartholdy (= Musik-Konzepte 14/15), München 1980.

Christian Lambour, „Fanny Hensel als Beethoven-Interpretin“, in: Maßstab Beethoven? Komponistinnen im Schatten des Geniekults, hrsg. von Bettina Brand u. Martina Helmig, München 2001, S. 106–119.

Christian Lambour, „Fanny Hensel – Die Pianistin“, Teil I „Die Lehrer“, Teil II „Die Instrumente“, in: Mendelssohn-Studien 12 (2001), S. 227–242; Teil III „Berichte der Zeitgenossen“, in: Mendelssohn-Studien 14 (2005), S. 269–283; Teil IV „Wie Fanny ihr eigenes Spiel einschätzt“, Teil V „Fanny Hensel beurteilt die Pianisten ihrer Generation, Epilog“, in: Mendelssohn-Studien 15 (2007), S. 247–260.

Hans-Günter Klein, „Fanny Hensels öffentliche Auftritte als Pianistin“ , in: Mendelssohn Studien 14 (2005), S. 285–293.

Hans Günter Klein, „…mit obligater Nachtigallen- und Fliederblütenbegleitung“. Fanny Hensels Sonntagsmusiken, Wiesbaden 2005.

Peter Schleuning, Fanny Hensel geb. Mendelssohn. Musikerin der Romantik (= Europäische Komponistinnen 6), Köln [u. a.] 2007.

 

Bildnachweis

Fanny Hensel, 1842, Porträt von Moritz Daniel Oppenheim,http://www.territorioscuola.com/wikipedia/es.wikipedia.php?title=Fanny_Mendelssohn, Zugriff am 16. Mai 2008.

August Kaselowsky: Fanny Hensel in Rom (1845), in: Peter Schleuning, nach S. 178, Abb. 19.

 

Christian Lambour

 

© 2008 Freia Hoffmann