Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Thalheim (Deinhardstein), Jenny

* 24. Okt. 1823 in Wien, † 12. Mai 1863 ebd., Harfenistin. Johanna Antonia Klara Deinhardstein war die Tochter von dem Wiener Regierungsrat, Schriftsteller, Literaturkritiker und Dramaturgen Johann Ludwig Deinhardstein (1794−1859) und seiner ersten Ehefrau Antonia geb. Pröger Edle von Thalheim. Sie trat anfangs kurzzeitig unter dem Namen Jenny (als Kurzform von Johanna) Deinhardstein und anschließend ausschließlich unter dem Künstlernamen Jenny Thalheim auf.

Ihre musikalische Ausbildung erhielt die Harfenistin von Elias Parish-Alvars (1808−1847), der sich ab 1836 dauerhaft in Wien aufhielt. Erste Auftrittsbelege finden sich für das Jahr 1846. Am 6. Jan. des Jahres spielte Jenny Thalheim in einem Hofkonzert im Königlichen Schloss in Berlin. Am 22. Febr. wirkte sie in einem Wohltätigkeitskonzert zugunsten entlassener Sträflinge in Wien mit und spielte unter anderem Gretchens Gebet vor dem Bilde der Mater dolorosa op. 72 sowie eine Marche von Parish Alvars – und zwar einem Redakteur der Zeitung der „Wanderer“ zufolge „mit schöner Kunstfertigkeit[,] aber großer Befangenheit“ (Der Wanderer 3. März 1846). Ähnlich urteilt auch ein Mitarbeiter des „Österreichischen Zuschauers“: Die Harfenistin spielte „anfangs etwas befangen, allein später mit Intelligenz und lobenswerthem Fleiße“ (Der Österreichische Zuschauer 4. März 1846). Am 29. März folgte die Mitwirkung in einer Akademie des Baron Klesheim im Salon Streicher, wiederum mit einer Komposition von Parish-Alvars, der Fantaisie sur motifs de L’eore di Lancastro op. 66 sowie – zusammen mit Baron Klesheim und Richard Lewy – „Der Jager und sei Muatterl“, einem Gedicht mit Begleitung für Harfe und Waldhorn von Ignaz Lachner.

Ende des Jahres 1846 kündigen die „Signale für die musikalische Welt“ eine Konzertreise der Musikerin nach Norddeutschland an. In der nächsten Zeit konzertierte sie zunächst als Solistin am Prager Theater, wo sie als Zwischenaktmusik auf der Pedalharfe Souvenir de Bochsa: Mosaïque musicale, eine Serenade und Marche favorite de Sultan op. 30 von Parish-Alvars spielte. Ein Rezensent der „Allgemeinen Wiener Musikzeitung“ äußert sich hierüber: „Obwohl sie eine bedeutende Fertigkeit zeigte, und Kenner, welche sie alla camera gehört haben, von ihrem Vortrage sehr befriedigt waren, so sprach ihr Spiel an diesem Abende doch nicht in hohem Grade an. Sie wurde jedoch gerufen, und bei ihrer Liebe für die Kunst steht ihr ohne Zweifel eine ehrenvolle Zukunft bevor“ (AWM 1846, S. 616). Der Gegensatz zwischen dem Auftreten „alla camera“ und jenem im Rahmen eines öffentlichen Konzertes wird im Folgenden in Hinblick auf das bürgerliche Frauenideal des 19. Jahrhunderts erörtert: „Ich kann bei diesem Anlasse nicht umhin, zu bemerken, daß ich mich sehr darüber gewundert habe, warum die Harfe jetzt (wenigstens bei uns) so sehr vom schönen Geschlechte vernachlässigt wird. So wenig ich die Harfe für ein Konzert-Instrument halte und so überflüssig auch ihre Mitwirkung meiner Meinung nach in der Regel beim großen Orchester ist […], so schätzbar ist mir die Harfe alla camera, besonders als Begleiterin des weiblichen Gesanges. Schon die Eitelkeit sollte die Damen zu Gunsten der Harfe einnehmen, denn bei welchem Instrumente hat das schöne Äussere der Spielerin, namentlich der Arme Gelegenheit im vortheilhafterem Lichte zu erscheinen, als bei der Harfe? − Ergo Ihr schönen Pragerinnen, von denen, so viel mir bekannt, höchstens 3−4 dieses Instrument der himmlischen Heerscharen behandeln, lernet Harfe“ (ebd.).

Ein Mitarbeiter der „Bohemia“ liefert ein differenzierteres Urteil der musikalischen Leistungen, findet allerdings ebenfalls kaum Lob für Jenny Thalheim: „Von den Eigenschaften, die das musikalische Instrument bedeutsam machen, Tragen, Schwellen und Binden der Töne, hat die Harfe bekanntlich keine. Sache des Meisters ist es, diese Unvollkommenheiten nach Möglichkeit auszugleichen. Fräul. Thalheim aber ist wohl der Noten, doch nicht des Instrumentes mächtig; sie hat es zu einer achtenswerthen Fertigkeit gebracht, unter ihren Händen aber ist keine Mangelhaftigkeit der Harfe verdeckt, der Ton blieb spröde, scharf, gesondert. Ob die Grellheit der Höhe und die Mattigkeit der Tiefe dem Instrumente oder der Spielerin zuzuschreiben, wage ich nicht zu entscheiden. […] Drei Manieren sind es, die Parish-Alvars weil er sie meisterhaft ausführt, in seinen Compositionen besonders häufig anbringt; die Thalberg’sche umspielte Mittelstimme, das den ganzen Umfang des Instrumentes durchsäuselnde Pianissimo und das Flageolet. Von diesen gelang dem Fräul. Thalhim nur die erste entsprechend. Der Vortrag war fest und correkt, aber noch ohne jene künstlerische Freiheit, die man von Virtuosen fordert, noch einigermaßen in der Note befangen. Die Serenade, die werthvollste der genannten drei Nummern, ging am Mindesten befriedigend; in den anderen beiden war alles recht gut gemacht, ich zweifle aber sehr, ob dies für den Concertsaal oder die Bühne, für ein größeres Publikum ausreichen wird“ (Bohemia 26. Nov.1846).

Im Nov. 1846 folgten Konzerte in Olmütz, Anfang 1847 in Berlin, später in Weimar und Dresden. Die Zeitschrift „Signale für die musikalische Welt“ bemerkt: „in Berlin und Dresden wurde ihr die Auszeichnung zu Theil, bei Hof zu spielen“ (Signale 1847, S. 62). Auf der Rückreise konzertierte Jenny Thalheim Anfang März 1847 erneut in Prag und erntete hierfür „stürmischen Beifall“ (NZfM 1847 I, S. 12). Ab dem 6. Mai befand sie sich wieder in Wien. Im Nov. 1847 beteiligte sie sich an einem Benefizkonzert im Hoftheater und trat hier unter anderen mit ihrem Lehrer Parish-Alvars auf. 1848 musizierte sie in einer Akademie im Theater an der Wien, wo sie eine Phantasie ihres Lehrers über Die Stumme von Portici (Auber) vortrug: „Diese Komposition ist die schwächste, die wir von dem ausgezeichneten Meister je zu hören bekamen, sie scheint invita Minerva entstanden zu sein. Frl. Jenny Thalheim entwickelte im Vortrage derselben viele Fähigkeit und ziemlichen Ausdruck. Tiefe der Auffassung und eigentlich künstlerischen Vortrag konnte sie bei dieser Komposition nicht zeigen, genügte aber mit ihrer bescheidenen Aufgabe zur Zufriedenheit des Publikums“ (AWM 1848, S. 223). Die allgemein ungünstige Presseresonanz mag zum Abbruch der Konzertlaufbahn geführt haben – nach 1848 verliert sich die Spur von Jenny Thalheim.

 

LITERATUR

Taufbuch St. Karl Borromaeus 1819–1824, in: Bestände Österreich / Wien/Niederösterreich (Osten): Rk. Erzdiözese Wien / 04. St. Karl Borromaeus, Folio 149.

Sterbebuch Wieden 1858–1860, in: Bestände Österreich / Wien/Niederösterreich (Osten): Rk. Erzdiözese Wien / 04. Wieden, Folio 195.

AmZ 1847, Sp. 13

Allgemeine Theaterzeitung [Wien] 1846, S. 1144; 1847, S. 199

AWM 1846, S. 616; 1848, S. 223

Allgemeiner musikalischer Anzeiger 1847, S. 80

Bock 1847, S. 34, 50

Bohemia [Prag] 26. Nov. 1846

Die Gegenwart. Politisch-literarisches Tagsblatt, 1847, 26. Apr., 6., 9. Mai

Der Humorist 1846, S. 323

NZfM 1847 I, S. 12, 44

Der Österreichische Zuschauer 4. März 1846

Österreichisches Bürgerblatt für Verstand, Herz und gute Laune [Wien] 1847, 8. März, 20. Aug.

Signale 1846, S. 382; 1847, S. 62

Sonntagsblätter 1846, 8. März; 1847, 28. März

Der Wanderer [Wien] 1846, 3., 31. März

Wiener allgemeine Musik-Zeitung 1846, 3. März, 4. Apr.; 1847, 18. Nov.

Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode 1846, S. 182, 998

Wiener Zeitung 1846, 13. März; 1847, 14. Nov., 22. Dez.

Wurzbach, NDB

Freia Hoffmann, Instrument und Körper. Die Frau in der bürgerlichen Musikkultur, Frankfurt a. M. u. Leipzig 1991.

Freia Hoffmann u. Volker Timmermann (Hrsg.), Quellentexte zur Geschichte der Instrumentalistin im 19. Jahrhundert, Hildesheim [u.a] 2013.

 

Annkatrin Babbe / Hanna Bergmann

 

 

© 2009/2022 Freia Hoffmann