Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Galatzin, Galitzin, Mathilde oder Marie

Lebensdaten unbekannt, * um 1850, französische oder russische Violoncellistin. Mathilde Galatzin wurde an Notre-Dame-des-Arts in Neuilly bei Paris ausgebildet. Diese Institution, 1854 von Fernande d’Anglars de Bassignac geb. de Jaubert gegründet, wird in der zeitgenössischen Presse als „couvent“„pensionnat“ oder auch „conservatoire“ bezeichnet. Sie diente dazu, Töchtern aus Künstler-, Literaten- und Medizinerfamilien sowie Waisen eine solide Allgemein- wie auch Berufsausbildung zu vermitteln, die sie zu einer späteren Berufsausübung und selbständigen Existenz befähigen sollten. Die Schülerinnen konnten sich auf angewandte Kunst, Handarbeiten oder Musik spezialisieren. Hierfür stand Unterricht in den Fächern Gesang, Klavier, Orgel, Harfe, Violine, Violoncello, Komposition und Musikpädagogik zur Verfügung. Lehrer dieser Anstalt waren z. B. der Pianist und Kalkbrenner-Schüler Camille-Marie Stamaty (1811–1870), der Komponist Adrien Boieldieu (1815–1883), der Harfenvirtuose Félix Godefroid (1818–1897) und der Violinist Ernest Saenger (1816–1882).

Mathilde Galatzin war nach Auskunft der „Neuen Berliner Musikzeitung“ die Adoptivtochter der Gründerin und Superiorin Vicomtesse d’Anglars (Mère Marie-Joseph). Sie erhielt, neben ihrem Hauptfach Violoncello, Unterricht auf der Harfe, der Violine und dem Klavier. Ihr Harfenlehrer war Félix Godefroid. In einem späteren Konzertbericht werden als Violoncello-Lehrer Alexandre Batta (1816–1902) und Auguste Franchomme (1808–1884) genannt (AmZ 1879, Sp. 572). Ob der Unterricht bei Batta in Notre-Dame-des-Arts oder privat stattfand, lässt sich nach jetzigem Forschungsstand nicht entscheiden. Franchomme war seit 1846 Lehrer am Konservatorium. Da Galatzin in demselben Bericht als Schülerin des Konservatoriums bezeichnet wird, ist es möglich, dass sie in dieser Institution von Franchomme unterrichtet wurde. Im „dictionnaire des lauréats“ (Pierre 1900) wird sie allerdings nicht aufgeführt, d. h. ein förmlicher Abschluss hat nicht stattgefunden.

Notre-Dame-des-Arts, 1863 in das Schloss Neuilly bei Paris übergesiedelt, veranstaltete regelmäßig Konzerte, die von der „élite de la société parisienne“ (Les petites affiches de la Mode Mai 1868, S. 2) besucht und von namhaften KünstlerInnen unterstützt wurden. Als Marie Galatzin im Mai 1868 „mit Virtuosität“ den Carnaval de Venise von Adrien-François Servais vortrug (Bock 1868, S. 182), musizierten dort neben Chor, Orchester und weiteren Zöglingen auch die Sängerin Carlotta Patti und der Harfenvirtuose Félix Godefroid. Wenig später spielte Mathilde zusammen mit der Geigerin Yvonne Morel ein großes Duo über Themen aus Meyerbeers Hugenotten von Jules Armingaud und Léon Jacquard und wurde als „l’étoile artistique de cet établissement“ bezeichnet („künstlerischer Star dieser Einrichtung, FM 1868, S. 251). Yvonne Morel und Mathilde Galitzin erhielten bei dieser Gelegenheit „die von der Kaiserin eingesendeten grossen Preise“ (Bock 1868, S. 262). Ein weiteres Konzert, in dem Mathilde Galatzin mitwirkte, ist für den Mai 1869 belegt.

Erst nach einem Zeitraum von fast zehn Jahren sind in der Fachpresse wieder Informationen über Mathilde Galatzin zu finden. Unter dem Namen „Marie Galatzin“ wurde sie Nachfolgerin von Herminie Gatineau als Mitglied des von Marie Tayau gegründeten Frauenstreichquartetts Ste. Cécile, das in der neuen Formation am 18. Dez. 1878 in der Pariser Salle Pleyel zusammen mit der Pianistin Laure Donne debütierte. Auf dem Programm standen ein Streichquartett von Mozart, das Klaviertrio d-Moll von Mendelssohn und das Klavierquintett Es-Dur von Schumann. „C’est véritablement un attrait piquant que ce groupe de jeunes talents qui ajoutent au charme d’une exécution solide et brillante des chefs-d’œuvre des maîtres, les grâces de leurs fraîches toilettes“ („Das ist wirklich ein reizender Anblick, diese Gruppe junger Talente, die dem Zauber einer gediegenen und brillanten Wiedergabe von Werken der großen Meister die Anmut ihrer hübschen Kleidung hinzufügen“, Le Ménestrel 22. Dez. 1878, S. 31).

Im Sommer 1879 reiste Galatzin nach Dänemark und konzertierte dort mit der zweiten Geigerin dieses Ensembles, Méria Mussa, im Kurort Klampenborg und in Kopenhagen mit Werken von Servais und Mendelssohn. Anfang 1880 war sie mit den Schwestern Jeanne und Louise Douste in Großbritannien unterwegs und spielte, nun wieder unter dem Namen „Mathilde Galatzin“, in Belfast, Cork, Dublin, Bangor, Plymouth und Exeter. „The Era“ schreibt über das Konzert in Cork am 17. Febr.: „The great feature of the concert was the brilliant performance of Mlle. Galatzin on the violoncello (The Era 22. Febr. 1880), und in „Freeman’s Journal“ ist über ein Konzert am 21. Febr. in Dublin zu lesen: „Mdlle. Mathilde Galatzin gave an exquisite performance on the violoncello. The violoncello, as a solo instrument, is admirably adapted to the interpretation of deep, dreamy, sensuous music, which Mdlle Galatzin rendered with great feeling, the only fault being that her instrumentation was a little weak in the fortissimo passages“ (Freeman’s Journal 23. Febr. 1880).

Ein weiteres Konzert, nun ohne die Schwestern Douste, kündigt die „Birmingham Daily Post“ für den 26. Okt. 1881 in der dortigen Town Hall an. Die „Gazette Artistique de Nantes“ meldet einen Auftritt in der Wintersaison 1885/86. Am 17. Juli 1887 wurde „Mathilde Galitzin, violoncelliste russe“ nach Auskunft des „Ménestrel" zum „officier de l'académie“ ernannt. Nach diesem Zeitpunkt sind über Mathilde oder Marie Galatzin keine Informationen mehr zu finden.

 

LITERATUR

AmZ 1879, Sp. 572

The Belfast News Letter 2., 6., 9., 13., 19. Febr. 1880

Birmingham Daily Post 5. Sept. 1881

Bock 1868, S. 182, 262

The Era 22. Febr. 1880

FM 1868, S. 171, 250f.

Freeman’s Journal and Daily Commercial Advertiser 9., 10., 11., 12., 13., 14., 17., 23. Febr. 1880

Gazette Artistique de Nantes 6. Mai 1886, S. 6

Le Ménestrel 1869, S. 79, 207; 1878, 22. Dez. , S. 31; 1887, S. 270

Musical Standard 1880 II, S. 314, 354

MusT 1880, S. 141

MusW 1868, S. 391

NZfM 1879, S. 8

North Wales Chronicle 14., 21., 28. Febr. 1880

Les petites affiches de la Mode Mai 1868, S. 2

Signale 1879, S. 10; 1880, S. 195

Trewman’s Exeter Flying Post 17. Nov. 1880

 

Freia Hoffmann

 

© 2010 Freia Hoffmann