Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Edroff, Emily

* ca. 1870/1871 in England, nach 1909 in England, Organistin, Orgellehrerin und Klavierlehrerin. Emily Edroff war eine der wenigen Konzertorganistinnen im England des 19. Jahrhunderts. Die erste Notiz findet sich 1883 in „The Orchestra, Choir and Musical Education“. Die etwa zwölfjährige Emily Edroff assistierte hier ihrem Lehrer Frederick Scotson-Clark (18401883), Gründer der London Organ School, bei einem Konzert auf der Fisheries Exhibition in London. Ein Jahr später trat sie bereits selbst mit Erfolg in einem Schülerkonzert der Institution auf, nach dem die „Musical World“ prophezeite: „This young Lady, being only thirteen years of age, has a ‚great future‘ in store“ (MusW 1884, S. 705). Wann sie dort ihre Ausbildung abschloss, ist nicht klar; bis Anfang 1888 nahm sie an einigen Konzerten der Organ School in St. Nicholas Cole-Abbey teil. Im Juli 1888 gab sie ihr erstes Konzert in der Queen’s Hall im People’s Palace, ein halbes Jahr später folgte das erste Konzert im Bow and Bromley Institut: By the very generous applause after each number on the programme we can conclude that the audience thoroughly appreciated and enjoyed Miss Edroff’s bold and finished playing“ (Musical Standard 1889 I, S. 167). An diesen Erfolg schlossen sich viele weitere an; bis zum Jahr 1899 sind mindestens 30 Konzerte der Organistin nachgewiesen. Einen ersten Höhepunkt erreichte ihre Karriere im Juni 1895 mit zwei Konzerten in Liverpool. Dort war ihr das Publikum zunächst skeptisch begegnet, wurde aber schnell eines Besseren belehrt:A sensation was caused by the announcement that a lady organist had been engaged to give two recitals upon the St. George’s Hall organ last Saturday, and naturally a vast amount of prejudice was in the air, but, from what I hear, this prejudice was melted and a kind of warmer feeling came up in its place. […] Miss Edroff is an exceedingly clever player, and rather astonished those who had gone out of curiosity and to scoff (Musical Standard 1895 I, S. 477). Nach einer Wiederholung der Konzerte im Okt. bemerkt der „Musical Standard“:  „Miss Edroff, the lady organist, is rapidly coming to the front as a performer on the King of Instruments“ (Musical Standard 1895 II, S. 239), einen Monat später schreibt er nach einem Konzert im Bow and Bromley Institut: The talented lady organist, Miss Edroff, is gradually making quite a name of herself“ (Musical Standard 1895 II, S. 319). Im selben Jahr erreichte sie den zweiten Platz bei einem Orgelwettbewerb in der Londoner Agricultural Hall und erhielt dafür eine Goldmedaille. Bis ins Jahr 1899 sind Konzerte in verschiedenen Londoner Kirchen, Konzertsälen und der Umgebung belegt, die Kritiken sind ausnahmslos positiv.

Neben ihrer Tätigkeit als Konzertorganistin war Emily Edroff von 1893 bis mindestens 1900 als Professorin für Orgel an der London Organ School tätig, wo sie sowohl männliche als auch weibliche OrgelschülerInnen unterrichtete. Im Jahr 1909 legte sie die Prüfung zum „Associate of the Royal College of Music“ (A.R.C.M.) als Klavierlehrerin ab.

Emily Edroff spielte verschiedene Werke von etwa 20 Komponisten, dabei überwogen mit u. a. Alexandre Guilmant, Théodore Dubois, Charles-Marie Widor und Théodore Salomé Orgelkomponisten der französischen Schule des 19. Jahrhunderts. Mit Henry Smart, William Wolstenholme und Frederick Scotson-Clark war aber auch die englische Schule in ihrem Repertoire vertreten. Kompositionen ihres Lehrers Scotson-Clark sind in fast jedem ihrer Konzertprogramme zu finden, vor allem der Chorus of Angels. Am häufigsten spielte die Organistin aber Werke von Joh. Seb. Bach, wie z. B. die Toccata und Fuge in d-Moll (BWV 565).

Im 19. Jahrhundert gab es in England eine nicht geringe Anzahl an Frauen, die sich als Organistinnen betätigten. Die meisten waren aber an kleineren Kirchen in London oder an Gemeindekirchen in Dörfern und Städten der englischen Grafschaften angestellt. Wenige Frauen machten eine Karriere als Konzertorganistin. Anfang des 19. Jahrunderts gelang dies Elizabeth Stirling und Fanny Roe, im letzten Viertel kamen Theresa Beney und Emily Edroff hinzu. Dass letztere sich einen Ruf als „Lady Organ Recitalist“ gemacht hatte, wird in einer Auseinandersetzung in der „Musical Opinion and Music Trade Review“ im Herbst 1900 deutlich. Unter dem Pseudonym „RECORDER“  verfasste ein Korrespondent der Zeitschrift eine satirische Abhandlung über Organisten mit dem Titel  „Are Organists Lunatics?“, in der er erst drei Typen verschiedener „Lady Organists“ und anschließend vier „gentlemen players“ unterschied. In dieser für alle sieben Typen wenig positiv ausfallenden Kritik fragte sich der Autor: „Lady organist Number Three I have never met, and I have a shrewd suspicion that she does not exist. […] Can anyone tell us where the lady organ recitalist is to be found?“ (Musical Opinion 1900 Nr. 23, S. 828). Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten; in der nächsten Ausgabe folgten vehemente Beschwerden der Leser: „ ‚Recorder’s‘ experience of organists, and particularly lady organists, appears to have been somewhat limited and unfortunate. Has he never heard of Miss Emily Edroff, whose performances on the Liverpool and Bow and Bromley organs certainly qualified her to stand in the first rank of recitalists of either sex?“ (Musical Opinion 1900 Nr. 24, S. 19). Mit Isabel Menzies meldete sich auch eine Schülerin der Organistin „in Defence of the Lady Organist“ zu Wort: „I feel that I must not let ‚Recorder‘ remain longer in his deplorable state of ignorance as to existence of the ‚Lady Organ Recitalist. I am taking organ lessons from a lady professor, Miss Emily Edroff, who has not only gained the premier position of her own sex, but also proved a formidable competitor of those of the other sex“ (Musical Opinion 1900 Nr. 24, S. 42). Auch W. J. Bowden, ein Leser aus Liverpool, wies den Korrespondenten zurecht:  „Has ‚Recorder‘ never heard of Miss Emily Edroff, the distinguished organ virtuoso, whose remarkable performances at Bow and Bromley Institut, St. Jamess Hall (London), St. George’s Hall (Liverpool), &c., a few years ago gave her a unique position, and entirely demolished the edifice of prejudice that hithero existed against female organists?“ (ebd.).

 

LITERATUR

Liverpool Mercury, 1895, 7. Juni , 3. Okt.

Magazine of Music 1895, S. 156, 252, 272; 1896, S. 198

The Minim 1898, S. 76

Musical Herald 1895, S. 364; 1896, S. 78

Musical News 1895 I, S. 616; 1895 II, S. 301, 417; 1896 I, S. 281; 1898 II, S. 456; 1899 I, S. 144, 151; 1900 II, S. 326

Musical Opinion and Music Trade Review 1887, S. 251; 1889, S. 166; 1893, S. 339; 1895, S. 227; 1896, S. 521, 736; 1900 Nr. 23, S. 828, Nr. 24, S. 1942102

Musical Standard 1886 II, S. 200; 1888 I, S. 183, 218, 235, 247, 339; 1888 II, S. 44; 1889 I, S. 123, 158, 167, 501; 1889 II, S. 323; 1890 II, S. 163, 171; 1893 II, S. 371; 1894 I, S. 105; 1895 I, S. 279, 417, 477, 479; 1895 II, S. 239, 319, 327; 1896 I, S. 369; 1896 II, S. 36, 64; 1897 I, S. 271; 1898 I, S. 91; 1909 I, S. 319

MusT 1895, S. 544, 832; 1912, S. 596; 1898, S. 529; 1899, S. 96; 1923, S. 58

MusW 1884, S. 705; 1887, S. 138; 1889, S. 36

The Orchestra, Choir and Musical Education 1883, S. 175

The Organist 1899, S. 421, 453

Women’s World 1895, 21. Sept., S. 3

Judith Barger, Elizabeth Stirling and the Musical Life of Female Organists in Nineteenth-century England, Aldershot 2007.

 

Christine Fornoff

 

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