Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Böhme, (Antonia Louise) Doris

* 2. Aug. 1846 in Dresden, † 25. Juli 1906 ebd., Pianistin und Klavierlehrerin. Die Tochter des „Mechanikus“ Eduard Böhme erhielt als Kind in Dresden Klavierunterricht bei Rudolph Wehner (1830–1857) und Elise Enzmann, einer Absolventin des Leipziger Konservatoriums. Von 1860 bis 1863 studierte auch Doris Böhme an dieser Hochschule und zwar bei Ignaz Moscheles (1794–1870). 1862 schreibt die Zeitschrift „Signale für die musikalische Welt“ nach einer öffentlichen Prüfung, in der die Studentin das Klavierkonzert E-Dur op. 64 ihres Lehrers vorgetragen hatte: „Wir haben mit Vergnügen in die reichen Bravo’s eingestimmt, die der jungen Dame zu Theil wurden, denn in der That hat sie ihr Concert mit sehr anerkennenswerther Gewandtheit im Technischen und Verständigkeit des Ausdrucks durchgeführt“ (Signale 1862, S. 251). In den Prüfungsprotokollen des Konservatoriums erscheint sie unter dem 31. März 1863 mit dem Vortrag des Klavierkonzerts f-Moll von Chopin und der Bemerkung „eine ausgezeichnete Leistung“. Die öffentliche Vorführung von zwei Sätzen aus dem Chopin-Konzert am 25. Apr. kommentieren die „Signale“ wiederum enthusiastisch: „Darf als die vorzüglichste von sämmtlichen Clavierleistungen der diesmaligen Hauptprüfungen bezeichnet werden. […] Sie ließ, selbst wenn wir mit unseren Anforderungen den Standpunct einer Schülerleistung beträchtlich überschreiten, kaum nach einer einzigen Seite hin etwas zu wünschen übrig. Weicher und duftiger Ton, in ganz besonderer Weise geeignet, die zarteren Intentionen des von ihr vorgetragenen Tondichters zu verwirklichen, Schlagfertigkeit allem Technischen gegenüber, sinniger Ausdruck ohne Affectation, ein heiteres Sichgehenlassen und eine Unbefangenheit, welche ihren Leistungen den Charakter der Unmittelbarkeit verleiht“ (Signale 1863, S. 352). Am 29. Sept. 1863 erscheint sie letztmalig in den Prüfungsprotokollen mit den Variations sérieuses op. 54 von Mendelssohn und der Bemerkung „eine ausgezeichnete künstlerische Leistung“.

Ihr Auftritt in den Leipziger Gewandhauskonzerten am 12. Nov. desselben Jahres, wiederum mit dem Konzert f-Moll von Chopin, erfuhr eine überregionale Resonanz, allerdings mit gemischten Urteilen. Ein Rezensent lobte das „ganz anmuthig vorgetragene F-Moll-Konzert von Chopin“ (Niederrheinische Musik-Zeitung 1864, S. 22), ein anderer fand, sie habe „mit zwar noch etwas schwachem Anschlag, doch mit Geschmack und ziemlicher Sicherheit gespielt“ (Rezensionen und Mittheilungen über Theater und Musik 1864, S. 122). Die Besprechung der Leipziger „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ hob „die treffliche Technik und den schönen Anschlag des Fräuleins“ hervor, richtete ihre Kritik aber gegen die „mit unendlichen Schnörkeleien überladene, im Orchester dagegen sehr arme Composition“ (AmZ 1863, Sp. 799). Die „Neue Zeitschrift für Musik“ fand Böhmes Interpretation „lobenswerth“ und fuhr fort: „Entbehrte ihr Spiel auch hin und wieder noch der erforderlichen Kraft, so entschädigte es anderseits den Zuhörer durch anmuthig zarten Anschlag. Wollen wir gerechter Weise einige nicht so ganz präcise Stellen der Befangenheit zuschreiben, so dürften wol Reinheit und relative Eleganz der Ausführung hervorzuheben sein. Auch waren eine gewisse sinnige Auffassung und entsprechende Wiedergabe der Intentionen des Componisten nicht zu verkennen“ (NZfM 1863 II, S. 188).

Doris Böhme kehrte nun nach Dresden zurück, wo sie über 30 Jahre das Konzertleben der Stadt mitprägte, oft in Zusammenarbeit mit einheimischen und reisenden Künstlern, wie z. B. mit den Geigern Wilhelm Joseph von Wasielewski (1822–1896) und Benno Walter (1847–1901). Auch hier klingen gelegentlich Wahrnehmungen an, die ihr Spiel mit geschlechtstypischen Zuschreibungen versehen: „Frl. Böhme besitzt schöne und durchgebildete Technik und versteht ganz besonders feine Salonmusik mit perlendem Passagenwerk geschmackvoll vorzutragen; Werke, welche eine machtvollere Behandlung des Instrumentes erheischen, wie die Ballade Op. 47 von Chopin, liegen außer der Darstellungssphäre der genannten Künstlerin“ (NZfM 1871, S. 482). In der Regel aber wurde sie als „vortrefflich geschulte und mit Geschmack begabte Pianistin“ (NZfM 1866l, S. 5) bezeichnet, „als wackere Clavierspielerin von tüchtiger Schule und geschmackvollem Vortrage“ (AmZ 1866, Sp. 73). Später ist zu lesen: „Fräulein Böhme bethätigte, wie immer, ihre alte Zuverlässigkeit in Sachen der Reinheit, Correctheit und guten Schulung“ (Signale 1869, S. 915). Das Zentrum ihres Repertoires bildete die Klaviermusik der Romantik (Chopin, Mendelssohn, Schumann, Moscheles, Reinecke, Gade, Saint-Saëns, Franck), aber auch Domenico Scarlatti, Joh. Seb. Bach, Mozart und Beethoven standen auf ihren Programmen.

1880 begründete sie mit dem Geiger Emil Feigerl (1843–1920) und dem Violoncellisten Ferdinand Böckmann (1843–1913) eine Kammermusikreihe, die – neben den Quartettvereinigungen von Johann Christian Lauterbach und Eduard Rappoldi – das Konzertleben Dresdens über viele Jahre bereicherte. In je drei Soireen pro Saison wurden Klaviertrios von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Rubinstein, Gernsheim, Lalo, Volkmann und Brahms zur Aufführung gebracht, ergänzt durch Solo-Literatur für Violine und Violoncello, wie z. B. als „Novität“ (Musikalisches Centralblatt 1884, S. 168die Violoncello-Sonate op. 6 von Richard Strauss. Auch die Umgebung Dresdens, etwa Freiberg i. S. und Zittau, kam gelegentlich in den Genuss der Böhme’schen Kammermusikabende.

Ein letzter öffentlicher Auftritt ist 1895 belegt. 1906 meldet die Presse den Tod der „Königl. sächs. Kammervirtuosin“, Lehrerin an der „Rollfuss’schen Musikakademie für Damen in Dresden“ (Musikpädagogische Blätter 1906, S. 280). 

Doris Böhme, undat. Photographie von Carl Miersch.

LITERATUR

Prüfungsprotokolle; http://www.hmt-leipzig.de/index.php?aid=9634, Zugriff am 2. Mai 2012.

Allgemeine Theater-Chronik 1867, S. 38

AmZ 1863, Sp. 360, 798f.; 1864, Sp. 331; 1866, S. 73; 1877, Sp. 93

Bock 1863, S. 375; 1875, S. 359, 364; 1876, S. 404; 1895, S. 372

FritzschMW 1871, S. 232, 312, 664, 746; 1878, S. 124;1881, S. 442; 1882, S. 271; 1883, S. 22

Der Klavier-Lehrer 1906, S. 280

Leipziger Zeitung 1869, S. 76

Die Musik 1905/06 IV, S. 261

Musikalisches Centralblatt 1884, S. 168

Niederrheinische Musik-Zeitung 1864, S. 22

NZfM 1856 II, S. 274; 1857 II, S. 270; 1858 I, S. 154; 1862 I, S. 138; 1862 II, S. 14; 1863 I, S. 152; 1863 II, S. 187f.; 1866, S. 5, 442; 1868, S 117; 1869, S. 24, 392; 1871, S. 482; 1875, S. 458, 498; 1876, S. 497; 1877, S. 83, 93, 161; 1880, S. 494, 517; 1881, S. 100; 1882, S. 5, 140, 204; 1882, S. 533, 544; 1883, S. 134, 360; 1890, S. 476; 1891, S. 437, 510; 1892, S. 234; 1906, S. 647

Rezensionen und Mittheilungen über Theater und Musik 1864, S. 122

Signale 1861, S. 285; 1862, S. 251, 382f., 607; 1863, S. 352, 741, 759; 1864, S. 259, 814; 1866, S. 912; 1868, S. 997; 1869, S. 375, 938; 1878 S. 86; 1880, S. 324, 362; 1882, S. 872; 1884, S. 308

Süddeutsche Musik-Zeitung 1863, S. 200

Die Tonhalle. Organ für Musikfreunde 1868, S. 552

Silke Wenzel, Doris Böhme, in: MUGI. Musik und Gender im Internet,  http://mugi.hfmt-hamburg.de/A_lexartikel/lexartikel.php?id=boem1846, Zugriff am 2. Mai 2012.

 

Bildnachweis

http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2003/7800172, Zugriff am 28. Apr. 2012.

 

Freia Hoffmann

 

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