Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Epstein, Rudolfine, Rudolphine, verh. Weinmann

* 1850 in Teschen/Tschechien, † 27. Febr. 1881 in Wien, Violoncellistin und Pianistin. Rudolfine Epstein stammt aus einer Musikerfamilie. Sie wuchs als eine von vier Töchtern von Charlotte Epstein geb. Winkler (1820 – nach 1880) und dem Prossnitzer Ober-Cantor Ignaz/Ignatz Epstein (1818 – nach 1880) auf. Julius Epstein, der bekannte Wiener Pianist und Lehrer am dortigen Konservatorium, war ihr Onkel. Auch die Schwestern – Therese/Theresia, später verh. Keller-Epstein (* 1846), Eugenie (* 1856) und Leontine, später verhl Pollack (1859–1930) – durchliefen eine musikalische Karriere.

Rudolfine Epstein wurde im Apr. 1866 als erste Studentin in die Celloabteilung am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien aufgenommen und besuchte hier die Klasse von Carl Schlesinger in der Vorbildungsschule sowie im Nebenfach die Klavierklasse von Franz Ramesch. 1867/68 fehlt ihr Name in den Studierendenverzeichnissen, wird für das Studienjahr 1868/69 jedoch wieder geführt. Nach dem Studienjahr 1868/69 beendete sie ihr Studium und hatte damit allein die Vorbildungsschule besucht – der Übergang in die weiter berufsqualifizierende Ausbildungsschule war zu dieser Zeit noch den männlichen Kommilitonen vorbehalten. Dennoch wurde Rudolfine Epstein später – wie ihre Schwester Eugenie auch – weithin als Schülerin des Wiener Konservatoriums wahrgenommen. Nach dem Studium setzte sie ihre Ausbildung bei dem renommierten Cellisten David Popper (1843–1913), der von 1868 bis 1873 Solocellist im Wiener Hofopernorchester war, und anschließend bei Friedrich Hilpert (1841–1896), dem ersten Cellisten des Wiener Hofopernorchesters, fort.

Im Frühjahr 1871 berichtet das „Oesterreichische Journal“ von einem Auftritt der Schwestern Rudolphine und Eugenie Epstein in einer Veranstaltung des Vereins Aurora. Zusammen mit der Pianistin Sophie Mandl fanden sie eine positive Aufnahme für den Vortrag von Alexander Fescas Klaviertrio Nr. 2 e-Moll op. 12. Dass Mandl eine Studentin von Julius Epsteins war, legt die Vermutung nahe, dass der Onkel der Schwestern Epstein den Musikerinnen diese frühen Auftrittsmöglichkeiten im öffentlichen Wiener Musikleben erschloss. In den folgenden Jahren konzertierte die Musikerin vielfach in Wien, aber auch außerhalb Österreichs. Auftritte sind u. a. in Brünn (1872), Proßnitz (1874), Troppau (1875) und Teplitz (1876) belegt. Ihre Schwestern, allen voran Eugenie Epstein, zählten zu ihren regelmäßigen Konzertpartnerinnen.

Nach einigen Auftritten in Wien konzertierte die Cellistin Anfang des Jahres 1874 mit ihrer Schwester Eugenie und der Pianistin Malvine Brée als Mitglied eines „Damen-Trio’s“ im Bösendorfer Saal; auf dem Programm standen u. a. Beethovens Trio c-Moll op. 1 Nr. 3, J. S. Bachs Partita für Violine solo Nr. 3 E-Dur BWV 1006 und Robert Schumanns Klaviertrio Fantasiestücke op. 88. Vom „Neuen Wiener Tagblatt“ wurde das Ensemble als „neue Spezialität für Kammermusik“ (Neues Wiener Tagblatt 31. Dez. 1873) vorgestellt. Zwar bekamen die Musikerinnen eine breite öffentliche Aufmerksamkeit, doch standen statt der musikalischen Leistungen vor allem das Geschlecht der Musikerinnen samt ihres äußeren Erscheinungsbildes im Fokus der Rezensenten und Redakteure. Schon nach dem ersten Konzert wird von der Auflösung des Trios berichtet, wiederum begleitet von abwertender Kritik und anzüglichen Bemerkungen.

Noch Anfang 1874 schloss sich Rudolfine Epstein offenbar zusammen mit der Schwester Eugenie und Malvine Brée dem Wiener Damenorchester unter der Leitung Marie Schipeks an. Im Frühjahr traten die Schwestern Epstein neben der Zitherspielerin Marie Knebelsberger als Solistinnen mit diesem Orchester im Pariser Casino Cadet auf und gastierten in den nächsten Monaten u. a. in Amsterdam, ’s-Hertogenbosch, Scheveningen, Utrecht, Leiden, Arnhem und Ostende. Weitere Ziele des Damenorchesters waren Städte in Nordfrankreich, Belgien und Deutschland. Im August 1874 folgte ein Auftritt in Straßburg, auch hier mit Eugenie und Rudolfine Epstein als Solistinnen, außerdem konzertierten die Musikerinnen in Breslau.

Im Dezember 1874 reiste Rudolfine Epstein mit ihren Schwestern Eugenie und Leontine (Violine) nach Proßnitz. Als „Damen-Trio“ traten die Musikerinnen am 12. Dez. 1874 in der Feilerschen Localität auf und spielten hier u. a. Streichtrios von Josef Haydn und Giovanni Battista Viotti. In derselben Besetzung wirkten die Musikerinnen am 27. Dez. 1874 im Musikvereinskonzert in Olmütz mit. Rudolfine Epstein spielte hier mit der Schwester Eugenie ein Duo für Violine und Violoncello von David. Im Anschluss sollen die Musikerinnen der „Neuen Zeit“ zufolge nach St. Petersburg gereist sein und vor dem Zaren konzertiert haben.

 

 

Ein vielbeachteter Auftritt Rudolfine Epsteins erfolgte Ende des Jahres 1875 in einer Veranstaltung des renommierten Hellmesberger-Quartetts. Für die Aufführung von Mendelssohns Doppelquartett am 15. Dez. 1875 hatte Josef Hellmesberger d. Ä. nebst drei seiner ehemaligen Studentinnen – Theresine Seydel (Violine 1), Eugenie Epstein (Violine 2) und Helene Lechner (Viola) – Rudolfine Epstein engagiert und mit dieser Besetzung des zweiten Quartetts durch Instrumentalistinnen eine Sensation provoziert.

Zwischen 1876 und 1880 lässt sich ausschließlich eine gemeinsame Konzerttätigkeit der Schwestern Eugenie und Rudolfine Epstein nachweisen, die in dieser Zeit vor allem außerhalb Wiens konzertierten. Im Frühjahr 1876 unternahmen die Musikerinnen eine Reise durch die Moldau und Walachei (heute Rumänien), im Sommer folgten nach kurzen Stationen in Wien und Marienbad Aufenthalte in Böhmen und Mähren, und im Herbst in Schlesien und Deutschland. Die Schriftstellerin Octavia Hensel berichtet von Auftritten der Schwestern im östlichen Mitteleuropa: „The Epstein sisters were among the best known artists during my residence there. Their concerts throughout Bukowina and Moldaira have obtained marked success. Rudolphine Epstein, the violoncellist, was at that time not only a charming impersonation of youthful loveliness, but the exquisite grace with which she managed her violoncello was only equaled by the broad, firm tones she drew from that delicious instrument“ (Hensel, S. 567f.). 1877 konzertierten die Schwestern vor allem in Deutschland – u. a. in Hannover, Chemnitz, Mühlhausen/Thüringen, Nürnberg, Regensburg und Berlin – und reisten Anfang des folgenden Jahres in die Niederlande, wo sie sich in Arnhem, Amsterdam und Deventer hören ließen. Weitere Konzerte folgten in Prag, Linz, Graz, Laibach, Bozen und Meran. Anfang 1879 schloss sich nach einem Aufenthalt in Bayreuth eine weitere Konzertreise nach Belgien an, mit Stationen in Antwerpen und Brüssel. Im März ließen sich Eugenie und Rudolfine Epstein in Schweinfurt hören. Die Mitwirkung in einer Wohltätigkeitsveranstaltung Anfang des Jahres 1880 in Wien ist der derzeit letzte Beleg für die gemeinsame Konzerttätigkeit der beiden Musikerinnen. Rudolfine Epstein heiratete noch im selben Jahr Armin Hermann Weinmann, einen Mitarbeiter der Zeitung Die Presse. Am 22.02.1881 wurde der Sohn Rudolph Paul geboren. Nur fünf Tage später starb Rudolfine Weinmann.

Als Cellistin hatte sich Rudolfine Epstein in erster Linie als Kammermusikerin etabliert und sich in diesem Zuge vielfach mit Kolleginnen zusammengeschlossen. Die intensive Konzerttätigkeit mit den Schwestern zählt ebenso hierzu wie die Kooperation mit der Pianistin Malvine Brée und die Reisen mit dem Wiener Damenorchester von Marie Schipek. Das kammermusikalische Repertoire umfasste im Kern Trios von Haydn, Mozart, Beethoven, Schumann, Mendelssohn, Viotti und Bennett. Solistisch spielte Rudolfine Epstein Werke von Alexander Batta, Offenbach, Romberg, Goltermann und ihrem Lehrer Popper.

Die Bewertungen der musikalischen Fähigkeiten von Rudolfine Epstein durch die Konzertkritiker fielen vornehmlich positiv aus. Ein Redakteur der „Neuen Zeit“ aus Olmütz etwa schreibt: „Frl. Rudolfine Epstein ist gleichfalls eine Künstlerin, die sich über das Niveau der modernen Cellospielerinnen erhebt. Das Cello ist bekanntermaßen ein Instrument, welches größere Ansprüche an den Cellisten, als die Geige an den Geiger stellt, schon darum, weil seine Behandlung einen viel größeren Aufwand fisischer [sic] Kraft erfordert, als die Violine. Frl. Rudolfine ist eine würdige Schülerin Poppers, die ihrem Instrumente die schönsten Töne zu entlocken versteht“ (Die Neue Zeit 29. Dez. 1874). Und die „Kais. Königl. Schlesische Troppauer Zeitung“ bekundet nach einem Auftritt in Troppau: „Fräulein Epstein gewann durch die bewunderungswürdige Technik, mit welcher die Dame ihr schönes Instrument handhabte und durch die Eleganz des Vortrags das ganze Auditorium, welches namentlich nach der herzigen ‚Musette‘ von Offenbach in stürmischen, nicht enden wollenden Beifall ausbrach, der eine Wiederholung der Piece seitens der liebenswürdigen Künstlerin zur Folge hatte“ (Kais. Königl. Schlesische Troppauer Zeitung 15. März 1875). Daneben attestiert die „Neue Zeitschrift für Musik“ den Schwestern Rudolfine und Eugenie Epstein zwei Jahre später „für ihr jugendliches Alter enorme technische Fertigkeit und Sicherheit, geschmackvolle Auffassung und elegante Spielweise“ (NZfM 1877, S. 153).

Gleichwohl kassierte die Musikerin wiederholt abwertende Kritik für ihre Instrumentenwahl. Anlässlich der Auflösung des „Damen-Trios“ der Schwestern Rudolfine und Eugenie Epstein mit Malvine Brée bemerkt etwa ein Redakteur des „Neuen Fremden-Blatts“ aus Wien: „Wie es heißt, fand sich das Fräulein des Cello’s durch die Bemerkung eines Kritikers verletzt, welcher die Ansicht aussprach, daß er die Kniegeige als Damen-Instrument ein wenig – bedenklich finde. Ich weiß nur zwar nicht, worin das Bedenkliche liegt, wenn ein schüchternes Cello zu den Knien einer jungen Dame liegt und sich von ihr zärtlich die Saiten streicheln läßt; ich glaube sogar, daß der strengste Gatte und der eifersüchtigste Liebhaber nichts gegen ein solches Attachment haben könnte“ (Neues Fremden-Blatt 18. Jan. 1874).

Während Rudolfine Epstein als Studentin am Wiener Konservatorium bereits Professionalisierungsmöglichkeiten wahrnehmen konnte, die vielen Vorgängerinnen auf ihrem Instrument noch verwehrt blieben, hielten Rezensenten und Musikschriftsteller weiterhin beharrlich an den Geschlechterklischees fest. Dennoch war es der Cellistin gelungen, sich erfolgreich im Konzertleben zu behaupten. Die Vernetzung und Kooperation mit Kolleginnen, vor allem mit den Schwestern, scheint hierfür von grundlegender Bedeutung gewesen zu sein.

 

LITERATUR

Bock 1877, S. 35f., 70, 78; 1878, S. 54

La Comédie 5. Apr. 1874

Deutsche Musikzeitung 1874, S. 3

L’Evénement 15. März 1874

FritzschMW 1876, S. 45, 691; 1878, S. 247; 1881, S. 150

Illustrirtes Wiener Extrablatt 8. Jan. 1874

L'Industriel alsacien. Journal de l'industrie, du commerce et de l'agriculture 28. Aug. 1874

Kais. Königl. Schlesische Troppauer-Zeitung 12., 15. März, 20. Apr. 1875

Neue Freie Presse [Wien] 16. Jan. 1874; 1. März 1881

Die Neue Zeit [Olmütz] 15., 24. Dez. 1874

Neues Fremden-Blatt [Wien] 18. Jan. 1874

Neues Wiener Tagblatt 31. Dez. 1873

Die Neuzeit 20. Dez. 1872

NZfM 1874, S. 27; 1875, S.  468; 1877, S. 153; 1878, S. 28, 83, 146, 508

Het Nieuws van den Dag. Kleine Courant 30. Juni 1874

Oesterreichisches Journal 7. März 1871, NP

Provinciale Noordbrabantsche en’s Hertogenbossche Courant 28. Juli 1874

Revue Musical 15. Apr. 1874, S. 84

Signale 1874, S. 68; 1878, S. 217, 227, 312; 1879, S. 215, 279; 1880, S. 131; 1881, S. 355

Het Vaderland 1874, 4. März, 6. Juli

Wiener Salonblatt 11. Jan. 1874; 18. Dez. 1875

Riemann 1, Baltzell, Michel / Lesure Ency mus, OeML

Carl Ferdinand Pohl, Die Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates und ihr Conservatorium, Wien 1871.

Édouard-Marie Oettinger, Moniteur des Dates, contenant un million de renseignements biographiques, génealogiques et historiquesSupplément et appendice, hrsg. von Hugo Schramm Macdonald, Leipzig 91882.

Octavia Hensel, „Student days in the imperial land“, in: Music. A monthly magazine, devoted to the art, science, technic and literature of music 1897, S. 567f.

Eduard Hanslick. „Aufsätze und Rezensionen 1862–1863“, in: Sämtliche Schriften, 6 Bde., Bd. 1, Wien [u.a.] 2008.

Rochus Kralik von Meyerswalden, Ein Kuss von Franz Liszt. Mathilde Kralik von Meyerswalden, Hamburg 2009.

Annkatrin Babbe, „Das Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (1817)“, in: Handbuch Konservatorien. Institutionelle Musikausbildung im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts, hrsg. von Freia Hoffmann, 3 Bde., Bd. 1, Lilienthal 2021, S. 101–164.

Ingrid Fuchs, „Die ersten Violoncello-Studentinnen in Ausbildungsklassen der letzten Jahre des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien“, in: Konservatoriumsausbildung von 1795 bis 1945. Beiträge zur Bremer Tagung im Februar 2019, hrsg. von Annkatrin Babbe u. Volker Timmermann (= Schriftenreihe des Sophie

 

Bildnachweis

Die Schwestern Rudolfine und Eugenie Epstein. Deutsche Musik-Zeitung 22. Jan. 1876.

 

Annkatrin Babbe

 

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