Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Weinlich, Elise, Elisa, Elisabeth (Anna), verh. von Stein

* 19. Juli 1855 in Wien, † 4. Febr. 1928 in Braga (Portugal), Violoncellistin. Sie wurde als Tochter des Wiener Industriellen Franz Weinlich und dessen späterer dritter Ehefrau Josepha geb. Hoschna (1824–?) geboren und wuchs als jüngste von vier Töchtern dieses Ehepaares auf. Wie ihre Schwestern Josephine (eigentlich Josefa Maria) (1848–1887), Karoline (eigentlich Carolina Aloysia) (1850–?) und Victoria Anna (1852–?) erhielt sie vermutlich eine erste musikalische Ausbildung durch den Vater. Später wird sie auch als Schülerin des Violoncellisten Ignaz Lasner (1815–1883) erwähnt.

Elise Weinlich im Kindesalter

 

Franz Weinlich, der wohl im Zuge der Revolutionsereignisse des Jahres 1848 sein Vermögen verloren hatte, erwarb Ende der 1840er Jahre eine Konzession zur Leitung einer Volkssänger-Gesellschaft und für seine Töchter eine Auftrittsgenehmigung. Ab 1861 sind in der Wiener Presse Auftritte der Familie Weinlich bzw. der (Volkssänger-)Gesellschaft Weinlich in Unterhaltungslokalen dokumentiert. Ab 1863 werden konkret auch Auftritte von Franz Weinlich mit seinen Töchtern beworben. Ob und inwiefern die erst achtjährige Elise Weinlich hier bereits beteiligt war, lässt sich nicht nachvollziehen. 1868 war die Violoncellistin Mitglied des neugegründeten Wiener Damenorchesters unter der Leitung ihrer Schwester Josephine. In diesem Zusammenhang trat sie im Frühjahr 1869 erstmals auch als Solistin in Erscheinung. Zumindest bis 1876 gehörte Elise Weinlich dem Damenorchester an und ging mit diesem Ensemble auf zahlreiche Konzertreisen, unter anderem durch Ungarn, Nordamerika, Deutschland, Frankreich, Italien, England, Lettland, Skandinavien und die Niederlande.

 

Elise Weinlich, um 1869, Privatbesitz Rosa von Stein

 

Im Sommer 1870 bewirbt das Wiener „Fremden-Blatt“ ein Benefizkonzert der 14-jährigen Violoncellistin im Hotel Victoria unter Mitwirkung des Damenorchesters. Ende des Jahres finden sich Annoncen in der Presse für Auftritte des Orchesters unter Leitung Elise Weinlichs. Sie vertrat hier zwischenzeitlich ihre Schwester, die 1870 geheiratet und den ersten Sohn bekommen hatte.

1871 trat Elise Weinlich auch außerhalb der Orchesterkonzerte auf. Am 13. Febr. des Jahres wirkte sie in einem Konzert ihres (ehemaligen) Lehrers Lasner im Salon Bösendorfer mit.

Nach ihrer Mitgliedschaft im Damenorchester wirkte Elise Weinlich später als Violoncellistin in dem ebenfalls von Josephine Amann-Weinlich geleiteten Cäcilien-Quartett mit, das in den Jahren 1878/1879 unter anderem in Österreich, der Schweiz und Dänemark konzertierte und dem neben den Schwestern Josephine (Klavier) und Elise auch Marianne Stresow (Violine) und Charlotte Deckner (Viola) angehörten.

Das Repertoire Elise Weinlichs umfasste neben Werken von Georg Goltermann, Friedrich August Kummer, David Popper, Adrien-François Servais und Louis Spohr auch Kompositionen von Josephine Amann-Weinlich für Violoncello solo sowie Werke für Violoncello und Klavier bzw. Orchester, darunter Auf den Bergen für Violoncello und Orchester und das Lied Ein Traum in Neapel für Violoncello solo.

Die Äußerungen einiger Rezensenten über die Auftritte Elise Weinlichs bekunden, dass es für Frauen noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als ‚unschicklich‘ galt, Violoncello zu spielen. Ihre Kommentare thematisieren weniger die musikalischen Fähigkeiten der Künstlerin als vielmehr das Abweichen von gesellschaftlichen Konventionen, das äußere Erscheinungsbild der Musikerin oder das als ‚anzüglich‘ empfundene Spiel. Beispielhaft trifft das auch auf einen Korrespondenten der Zeitschrift „The Musical Standard“ zu, der schreibt: „the violoncello purrs with bliss in the lap of the large-eyed Elise Weinlich“ (The Musical Standard 1872 Bd. 2, S. 153f.).

Davon abgesehen fiel die Beurteilung der künstlerischen Leistungen in den Konzertkritiken meist positiv aus. Ein Rezensent der „Trewman’s Exeter Flying Post“ weist insbesondere auf die Präzision des Spiels, die gute Bogenführung sowie den klaren Ton hin und vergleicht das Spiel von Elise Weinlich mit dem bekannter Virtuosen: „Their precision and execution were remarkable and their tone and bowing admirable. So charmed were the dilettanti present that all pronounced […] Fräulein Elise to be nearly equal to Paquo [Guillaume Paque?] or [Alfredo] Piatti“ (Trewman’s Exeter Flying Post, 11. Nov. 1874).

1879 begab sich Elise Weinlich zusammen mit ihrer Schwester, deren Ehemann Ebo Amann und Kindern sowie dem Sänger Georg Harmsen nach Lissabon. Abgesehen von einigen solistischen Auftritten konzertierte sie hier zumeist im Trio mit ihrer Schwester (Violine) und Georg Harmsen.

Einem Beitrag über Josephine Amann zufolge fand Elise Weinlich darüber hinaus als einzige Frau eine Anstellung im Orchester des Teatro S. Carlos. In den 1880er Jahren konzertierte die Cellistin außerdem mit dem Pianisten Xisto Lopes und der Geigerin Gabriele Neusser im Trio, dessen Konzertmanagement Ebo Amann übernommen hatte. Die MusikerInnen unternahmen kleine Konzertreisen, u. a. nach Porto, Braga, Vianna do Castello und Caldas.

In Lissabon lernte Elise Weinlich den aus Brüel (Mecklenburg-Schwerin) stammenden Albert Georg Ernst von Stein (1861–1907) kennen und heiratete ihn. Nach der Geburt des Sohnes Johann Baptist am 24. Juni 1885 († 27. Okt. 1926) siedelte die Familie nach Braga im Norden Portugals über. Auch nach der Eheschließung blieb die Musikerin beruflich tätig. Noch in den 1920er Jahren erteilte sie Violoncellounterricht und konzertierte gelegentlich. Am 20. Dez. 1923 trat sie in einer Veranstaltung des Gesangsvereins Braga im Teatro Circo auf. Mit den Kollegen Adriano Rodrigues (Violine), Francisco Galvão (Klavier) und Manuel Rodrigues (Violoncello) spielte sie das Duo concertante op. 56 von Josef Werner sowie das Klaviertrio op. 330 Nr. 1 D-Dur von Carl Bohm. Einer der letzten Konzertauftritte ist für 1926 in Braga dokumentiert. Am 18. Febr. 1926 ließ sich Elise von Stein in einem Konzert des städtischen Sinfonieorchesters unter der Leitung von Raimundo de Macedo im Teatro Circo hören.

 

LITERATUR

Registo de Óbito, Braga, Eintrag: Elizabeth von Stein, Privatbesitz Rosa von Stein.

Taufbuch 1855, Pfarre Schottenfeld, in: Bestände Österreich. Wien/Niederösterreich (Osten): Rk. Erzdiözese Wien / 07., Schottenfeld, Folio 184.

Übersetzung des Trauungs-Scheines, Privatbesitz von Rosa von Stein, mit freundlicher Genehmigung.

A Arte Musical 1903, S. 42

Augsburger Tagblatt, 6. Sept. 1869

Bock 1873, S. 190; 1878, S. 71, 247

The Cleveland Morning Daily Herald, 24. Febr. 1872

Diário Ilustrado [Lissabon] 1879, 29. Jan., 5. Febr.

Dwight’s Journal of Music 1875, S. 160

Ellis Island, Passenger Lists, 1820–1957, 1871, https://www.myheritage.de/research/collection-10512/ellis-island-und-andere-new-york-passagierlisten-1820–1957?itemId=6533744-&action=showRecord&recordTitle=Jose+Weinlich#fullscreen, Zugriff am 4. Jan. 2022.

The Era [London], 21. Juni 1874

Fremden-Blatt [Wien] 1869, 11., 18., 25. Apr., 28. Nov., 5. Dez.; 1870, 13. März, 22. Apr., 7., 15. Mai, 13., 20. Juli, 31. Dez.; 1871, 1. Jan., 10. Febr.; 1873, 27. Mai

Gazeta Musical: Jornal Illustrado, Theatros Musica e Bellas-Artes [Lissabon] 1885, S. 93f.

Innsbrucker Nachrichten 6. Aug. 1869

The Milwaukee Sentinel, 20. Okt. 1871

Morgen-Post [Wien] 28. Mai 1873

The Musical Standard 1872 I, S. 153f.; 1873 II, S. 376

MusW 1873, S. 412; 1874, S. 471; 1878, S. 176

Neue Freie Presse [Wien] 13. Jan. 1874

Neues Fremden-Blatt [Wien] 1869, 21., 28. Nov., 5. Dez.

O Occidente [Lissabon] 1879, S. 26

A Revolução de Setembro [Lissabon] 11. März 1879

RGM 1873, S. 390; 1874, S. 15

Signale 1873, S. 451; 1878, S. 185, 327; 1879, S. 195f.

Trewman’s Exeter Flying Post, 11. Nov. 1874

Wiener Zeitung 27. Mai 1873

Anna Maria Ribiero de Sá, Josephina Amann“, in: Gazeta Musical: Jornal Illustrado, Theatros Musica e Bellas-Artes [Lissabon] 1885, nach S. 93f.

Ernesto Viera, Diccionario biographico de musicos portugezes, Lissabon 1900.

Albert Lavignac u. Lionel de la Laurencie, Encyclopédie de la Musique et Dictionnaire du Conservatoire, 11 Bde., Bd. 4: Première partie: Histoire de la Musique: Espagne, Portugal, Paris 1921.

Álvaro Carneiro, A Música em Braga – Biografias de artistas que nesta cidade se distinguiram como profissionais ou amadores, Braga 1959.

Mário Moreau (Hrsg.), O teatro de S. Carlos, Dois siculo de história, Lissabon 1999.

Annkatrin Babbe, „Ein Orchester, wie es bisher in Europa noch nicht gesehen und gehört worden war“. Das „Erste Europäische Damenorchester“ von Josephine Amann-Weinlich (= Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts 8), Oldenburg 2011.

Nancy Lee Harper, Portuguese Piano Music. An Introduction and Annotated Bibliography, Lanham u. a. 2013.

Annkatrin Babbe, „Von der Straße in den Konzertsaal. Damenkapellen und Damenorchester im 19. Jahrhundert“, in: Musik und Straße, hrsg. von Michael Ahlers, Martin Lücke u. Matthias Rauch (= Jahrbuch für Musikwirtschafts- und Musikkulturforschung 2), Wiesbaden 2019, 127–146.

Monika Kornberger, Art. „Weinlich, Familie‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, http://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_W/Weinlich_Familie.xml, letzter Zugriff am 19. Jan. 2022.

Mit freundlichem Dank an Monika Kornberger für hilfreiche Informationen und Recherchehinweise.

 

Bildnachweis

Beide Abb. Privatbesitz von Rosa von Stein (Urenkelin von Elise Weinlich), mit freundlicher Genehmigung.

 

Annkatrin Babbe

 

 

© 2012/2022 Freia Hoffmann