Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Anna Amalia, Amalie, Amelie, Prinzessin von Preußen 

* 9. Nov. 1723 in Berlin, † 30. März 1787 in Berlin, Pianistin, Organistin, Violinistin, Flötistin und Komponistin. Anna Amalia kam als das achte überlebende Kind Friedrich Wilhelms I. von Preußen (1688−1740) und seiner Frau Sophie Dorothea (1687−1757) zur Welt. Ihre älteste Schwester war Wilhelmine (1709−1758), spätere Markgräfin von Bayreuth (Wilhelmine von Bayreuth). Fast ihr ganzes Leben verbrachte Anna Amalia in Berlin. Ihrem Bruder, dem Flötisten, Komponisten und späteren König Friedrich II. von Preußen (1712−1786) wurde als Kind eine gründliche musikalische Ausbildung zuteil, während seine Schwestern nur kurzzeitig Unterricht erhielten. Erste musikalische Anregungen erhielt Anna Amalia durch ihren Bruder. Ein Brief der 15-jährigen Anna Amalia an Friedrich verrät, wie viel ihr das Instrumentalspiel damals schon bedeutet hat: „Mein teurer Bruder, Sie wissen, daß ich mich seit einiger Zeit ein bißchen mit der Musik beschäftige und ich brenne vor Lust mich darin zu perfektionieren. Hätten Sie die Güte, mir in dieser noblen Absicht zu helfen und mir einige nette Stücke zuzusenden, mit denen ich weiter üben könnte“ (zit. nach Debuch, S. 73). Ein weiterer Brief Anna Amalias legt nahe, dass Friedrich sie im Gesang unterrichtete. Erst im Alter von 17 Jahren erhielt sie zusammen mit ihrer Schwester Ulrike Klavier- und Gesangsstunden vom Domorganisten Gottlieb Hayne, der zuvor bereits ihren Bruder Friedrich unterrichtet hatte. In einem Übungsheft, datiert auf das Jahr 1735, finden sich zwar einige Sonaten, die für die Schwestern kopiert worden waren. Ein geregelter Musikunterricht ist jedoch erst nach dem Tode des Vaters, für den Musik im Allgemeinen und die Musikerziehung seiner Töchter im Speziellen eine sehr untergeordnete Rolle spielte, nachgewiesen.

Prinzessin Anna Amalia von Preußen.
Gemälde von Antoine Pesne.

In den 1740er Jahren bekam Anna Amalia von ihrem Bruder Friedrich eine Flöte geschenkt; in den 1770er Jahren versuchte sie sich auf der Violine. Allerdings brachte sie für beide Instrumente weitaus weniger Zeit und Interesse auf als für das Klavier und später die Orgel. Selbstironisch beschreibt sie ihrer Schwägerin Wilhelmine ihr Üben auf der Violine: „Ich vollbringe Wunder für mich! Ich werde die Grauns, Hasse und die Bendas sicherlich mit meinem Violinspiel übertreffen. Mein Strich mit dem Bogen ist so leicht und so sanft, daß die Maupertius [Hofmeisterin Amalias] sich die Ohren zuhält und mir schwört, daß ich sie bis auf den Grund ihrer Eingeweide quäle“ (zit. nach Debuch, S. 74). Ihr Klavierspiel hingegen wurde bald gerühmt, und ihr Fleiß brachte ihre Schwester Ulrike zur Verzweiflung: „C’est ma soeur Amélie qui, toute la journée, était au clavecin, et souvent je m’en impatientais, étant logée dans une même chambre, ce qui m’empêchait de lire et écrire“ schreibt Ulrike in einem Brief an ihren Bruder (Meine Schwester Amalie war den ganzen Tag am Klavier, und das ist mir oft auf die Nerven gegangen, weil es mich, die ich im selben Zimmer untergebracht war, am Lesen und Schreiben hindertezit. nach Berg 1999, S. 479). Spätestens im Jahre 1744 – mit der Heirat ihrer Schwester Ulrike – endete der geregelte Musikunterricht Anna Amalias. Dessen ungeachtet unternahm sie im Alter von 20 Jahren ihre ersten Kompositionsversuche. In den folgenden Jahren trat sie im Rahmen höfischer Feste als Pianistin auf, wobei sie auch eigene Kompositionen vortrug.

Anna Amalia von Preußen blieb unverheiratet. Dass sie eine Liebes-Beziehung mit dem Freiherrn Friedrich von Trenck unterhalten hätte, die von ihrem Vater zerschlagen wurde, ist ungesichert. Bereits als Kind war sie zur Kanonissin der Abtei Herford ernannt worden. 1844 wurde sie Koadjutorin des Klosters in Quedlinburg, und 1755 ernannte man sie zur Äbtissin dieses Klosters; sie wohnte allerdings weiterhin im Berliner Schloss. Durch dieses Amt war ein minimaler Lebensunterhalt gesichert und ihre gehobene gesellschaftliche Stellung – die sie sonst nur als verheiratete Frau hätte halten können – gewahrt.

In den 1750er Jahren begann Anna Amalia, sich für das Orgelspiel zu interessieren. 1755 beschäftigte sie sich intensiv mit der Konzeption einer neuen Hausorgel. Sie zog den ehemaligen Bach-Schüler Johann Phillip Kirnberger zu Rate, der seit 1751 Violinist der Königlich Preußischen Kapelle Friedrichs II. war. Über den Klang der Dom-Orgel schrieb sie an Kirnberger: „Die Orgel Von Reder [vermutlich ist der Orgelbauer Johann Michael Röder gemeint] gefiel mir gut, wenn mann alleine Vor sich spielt. Das piano und forte ist daß beste daran. Die wahl der Register taucht nichts, weil es Lauter Flöten züge seind, klingt es wie eine pendule. Weder sänger noch Instrumente können beÿ ein solches Flöten geleÿer bestehn, es ist zu Weibisch. […] Uberdem ist der Bass überaus schwach“ (zit. nach Wutta, S. 40). Im selben Jahr gab sie eine zweimanualige Orgel mit 22 Registern und einer für die damalige Zeit ungewöhnlichen Klangkonzeption in Auftrag, die nach ihren Wünschen von dem Berliner Orgelbauer Peter Migendt und seinem Schwager und Gesellen Ernst Marx angefertigt wurde. Ihre finanzielle Situation hatte sich – durch das Einkommen aus den klösterlichen Ämtern – verbessert, so dass sie den Bau finanzieren konnte. Die Orgel war zur damaligen Zeit ein im Haus ungebräuchliches Instrument, so dass ihre Begeisterung innerhalb ihres näheren Umfeldes auf Befremden stieß. An ihre Schwester Wilhelmine schrieb Anna Amalia: „Heute habe ich zum ersten Mal auf meiner Orgel gespielt. Die Gräfin Schwerin meint, sie sei ein bißchen laut, was natürlich ist, aber der Ton ist charmant. Ich bitte Sie, teilen Sie dies meinen Brüdern mit. Die Buben von der Straße sind nicht stehen geblieben um zu horschen [sic], obwohl die Balkontüren offen waren, was beweist, daß dieses Instrument nicht die gewöhnliche Kraft hat wie für eine Kirche. Ich werde üben, daß ich jeden von meinen Brüdern in einem Solo begleiten kann, ohne daß ein Halbton von ihrem Bass verloren geht. […] Ich laufe nach jedem Abendesssen [sic] dorthin. Es ist die einzige Bewegung, die ich mir gebe und die einzige Sache, die mir Spaß macht“ (Behrends u. Pape, S. 13). Der Brief trägt die Unterschrift „Amelie Organiste“.

1758 ernannte Anna Amalia Johann Philipp Kirnberger zu ihrem Hofmusiker und Cembalisten. Kirnberger hatte dieses Amt bis zu seinem Tode im Jahre 1783 inne. Ab 1758 beschäftigte sich Anna Amalia unter der Leitung Kirnbergers mit Kompositionslehre. Hier erlernte sie u. a. den Kontrapunkt, der viele ihrer Kompositionen prägt. Im „Musikalischen Wochenblatt“ schreibt Wilhelm Tappert, dass Anna Amalia es so weit darin brachte, „dass sie mit Fug und Recht unter die Meister der Kunst gezählt zu werden verdient“ (FritzschMW 1871, S. 52). Zwischen Kirnberger und Anna Amalia fand ein reger musiktheoretischer Diskurs statt, der brieflich belegt ist. Beide vertraten dabei nachdrücklich eine konservative Position: Als Anhänger Joh. Seb. Bachs, dessen Musik mehr und mehr in Vergessenheit geraten war, engagierten sie sich für den Erhalt und eine angemessene Würdigung seiner Werke. Anna Amalia veranstaltete in ihrem Salon Konzerte, die sich großer Beliebtheit erfreuten, wobei ihr Schwerpunkt auf Alter Musik lag. Für ihre Traditionsverbundenheit und ihre Ablehnung moderner Kompositionen wurde Anna Amalia aber auch kritisiert. Erst später erfuhr ihre umfangreiche Musikaliensammlung, in der sie Originale und Abschriften von Joh. Seb. Bach, Händel, Palestrina u. v. a. verwahrte, große Anerkennung. Vor allem für die Rezeption Joh. Seb. Bachs, dessen Kompositionen seit 1800 wieder in breiteren Krisen Beachtung fanden, war diese Sammlung von großer Bedeutung.

1767 verlieh Anna Amalia Carl Philipp Emanuel Bach den Titel eines Hofkapellmeisters. 1776 gab sie eine weitere Orgel mit 28 Registern in Auftrag. Diese zweite Orgel hatte sechs klingende Register mehr und setzte stilistische Tendenzen der ersten Orgel fort. 

Carl Philipp Emanuel Bach komponierte Darrell Berg zufolge seine sechs Orgelsonaten für Anna Amalia und schnitt sie auf ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten zu. Anna Amalia hatte zum Zeitpunkt der Einweihung ihrer ersten Orgel keinen oder nur sehr unzureichenden Orgelunterricht genossen und war daher noch nicht sehr geübt in der Benutzung von Pedal und Manualen. In einer Ende des 18. Jahrhunderts verfassten Handschrift, die vier komponierte Orgelsonaten enthält, ist folgende Anmerkung zu finden: „Diese 4 Orgelsolos sind für eine Prinzessin gemacht, die kein Pedal und keine Schwierigkeiten spielen konnte, ob sie sich gleich eine schöne Orgel mit 2 Clavieren und Pedal machen ließ und gerne darauf spielte“ (Berg 1998, S. 251). Daneben widmete Carl Philipp Emanuel Bach ihr Sechs Sonaten fürs Clavier mit veränderten Reprisen sowie einige weitere Kompositionen.

Anna Amalia selbst komponierte Choräle, Kantaten und geistliche Lieder, weltliche Vokalmusik sowie Instrumentalmusik für unterschiedliche Besetzungen. Zwar ist im Nachlass Anna Amalias keine Komposition für Orgel zu finden, folgendes Zitat aus den Tagebüchern ihrer Nichte Luise spricht jedoch dafür, dass sie auch Werke für Orgel komponiert hat: „Prinzessin Amalie hegte eine ausgesprochene Vorliebe für meinen Bruder Louis Ferdinand […]. Sie […] ließ sich von ihm auf den Orgeln in ihren beiden Palais die Kirchenmusik und Fugen vorspielen, die sie mit Talent komponierte“ (Debuch, S. 82).

 

LITERATUR

FritzschMW 1871, S. 52

Gerber 1, Gerber 2, Gerber 3, Chor/Fay, Schilling, Ledebur, Mendel, Baker 1, New Grove 1, Cohen, MGG 2000, New Grove 2001

Arthur Kleinschmidt, „Eine Schwester Friedrich’s des Großen“, in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 23 (1888), S. 279−291.

Curt Sachs, „Prinzessin Amalie von Preußen als Musikerin“, in: Hohenzollernjahrbuch 1910, S. 181−191.

Fritz Bose, „Anna Amalie von Preußen und Johann Philipp Kirnberger. Bemerkungen zu drei Briefen der Prinzessin aus der Autographensammlung des Instituts für Musikforschung Berlin“, in: Die Musikforschung 10 (1957), S. 129−135.

Eva Renate Wutta, Quellen der Bachtradition in der Berliner Amalien-Bibliothek, Tutzing 1989.

Danielle Roster, „‚… Aber die Musik ist immer meine größte Leidenschaft gewesen. Über die Musikalität Friedrichs des Großen und seiner Schwestern Wilhelmine und Anna Amalie“, in: Clarino. Internationale Zeitschrift für Bläsermusik 6 (1991), S. 9−13.

Stefan Behrens u. Uwe Pape, Die Orgel der Prinzessin Anna Amalia von Preußen in der Kirche Zur frohen Botschaft in Berlin-Karlshorst, Berlin 1991.

Darrell M. Berg, „Die Orgelsonaten C. P. E. Bachs“, in: Carl Philipp Emanuel Bach – Musik für Europa. Bericht über das internationale Symposium vom 8. März bis 12. März 1994 im Rahmen der 29. Frankfurter Festtage der Musik an der Konzerthalle „Carl Philipp Emanuel Bach“ in Frankfurt (Oder), hrsg. von Hans-Günter Ottenberg, Frankfurt a. O. 1998, S. 245−260.

Martin Rost, „Die Orgeln der Anna Amalia von Preussen von Migendt und Marx“, in: Carl Philipp Emanuel Bach – Musik für Europa. Bericht über das internationale Symposium vom 8. März bis 12. März 1994 im Rahmen der 29. Frankfurter Festtage der Musik an der Konzerthalle „Carl Philipp Emanuel Bach“ in Frankfurt (Oder), hrsg. von Hans-Günter Ottenberg, Frankfurt a. O. 1998, S. 407−421.

Darrell M. Berg, „C. P. E. Bach’s Organ Sonatas: A Musical Offering for Princess Amalia?“, in: Journal of the American Musicological Society 51 (1999), S. 477−519.

Tobias Debuch, Anna Amalia von Preußen (1723−1787). Prinzessin und Musikerin. Berlin 2001.

Marc Serge Rivière u. Andreas Hüther, „Anna Amalia (1723−1787): Das Leben einer preußischen Prinzessin als Mäzenin, Komponistin und Äbtissin in Quedlinburg“, in: Quedlinburger Annalen. Heimatkundliches Jahrbuch für Stadt und Region Quedlinburg 6 (2003), S. 46−56.

 

Bildnachweis

www.wikipedia.de, Zugriff am 2. Nov. 2007.

 

Anja Herold/BK

 

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