Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Asten, Schmuttermayer von Asten, Julie von

* 4. Sept. 1839 in Wien, † um 1923 in Berlin, Pianistin und Klavierlehrerin. Sie war die Enkelin von Johann Carl Ritter von Schmuttermayer. Dieser hatte als österreichischer Offizier u. a. in der Schlacht von Wagram gegen Napoleons Truppen gekämpft, eine schnelle militärische Karriere gemacht und war 1811 vom österreichischen Kaiser Franz I. in den Adelsstand erhoben worden. Sein Sohn Moritz Schmuttermayer Ritter von Asten (?–1866), Vater von Julie, wurde Jurist und arbeitete als Sektionsrat in der Wiener Staatskanzlei (Ministerium des kaiserlichen Hauses und des Äußeren). Julies Mutter war Ludovica geb. Sommer von Sonnenschild (?–1892). Das Ehepaar lebte mit drei Töchtern, Anna (1848–1903), Julie und Marie (Lebensdaten unbekannt) im Gundelhof auf der Brandstätte in Wien. Hier fanden anspruchsvolle musikalische Soireen statt; zu den bekanntesten Mitwirkenden zählten Clara Schumann, Johannes Brahms und Joseph Joachim.

Von wem Julie von Asten den musikalischen Anfangsunterricht erhalten hat, ist nicht überliefert. Aus den Akten des Wiener Konservatoriums geht hervor, dass sie dort 1854/55 die Kompositionsklasse besucht hat. Ihre Ausbildung bei Clara Schumann begann wohl Ende der 1850er Jahre: Die berühmte Pianistin „kehrte dort [im Gundelhof] ein, so oft sie in Wien konzertierte, und Julie wurde bei dieser Gelegenheit ihre Schülerin“ (Kalbeck 1921, S. 12). Kontinuierliche Unterweisung konnte in der Wintersaison 1858/59 stattfinden, während die Musikerin sich einige Monate in Wien aufhielt. Als Brahms 1862 nach Wien übersiedelte, vermittelte Clara Schumann die Verbindung zum Hause Schmuttermayer von Asten, und Brahms übernahm von da an die Ausbildung Julie von Astens. Der Unterricht bei Clara Schumann scheint in den 70er Jahren in Berlin eine Fortsetzung gefunden zu haben (Wendt, S. 233). 

Die Wertschätzung Clara Schumanns für ihre Schülerin zeigte sich bereits 1859, als sie die junge Musikerin erstmals an einem ihrer Konzerte als Duo-Partnerin beteiligte: „Diese Dame stand Frau Schumann im Vortrage des zweiten Clavierpartes der bekannten herrlichen Variationen Robert’s für ein Flügelpaar [op. 46] nicht allein würdig zur Seite, sondern sie wußte die gleichlautenden Stellen dieser Tonrichtung sogar markiger, jedenfalls aber wärmer zu betonen, als die allgemein gefeierte Trägerin und Vermittlerin jener eben geschilderten schönen Musikfeste“ (NZfM 1859 I, S. 233). Diesem Konzert folgten weitere gemeinsame Auftritte, die auch in die Berliner Zeit hineinreichten.

Am 23. Juli 1863 gab Julie von Asten in Ischl ihr erstes eigenes Konzert. Sie spielte das Adagio aus der Sonate cis-Moll op. 27 Nr. 2 von Beethoven (Mondschein-Sonate), Variationen und ein Moment musical von Schubert, einen Walzer As-Dur von Chopin und ein Nachtstück aus op. 23 von Robert Schumann. Ihr Debüt im Leipziger Gewandhaus fand am 1. Dez. 1864 im Rahmen des 8. Abonnementkonzerts statt. Sie spielte das Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur von Beethoven, die Novellette h-Moll von Schumann und das Scherzo e-Moll von Mendelssohn. Die „Allgemeine musikalische Zeitung“ nahm das Konzert zum Anlass, die Spielweise der 23-Jährigen ausführlich zu charakterisieren: „Der Eindruck ihres Spiels ist, wenn auch kein virtuoser im Sinne imponirender Fertigkeit und vollständiger Sicherheit im Bewältigen jeder Aufgabe, doch ein harmonischer und musikalischer, insofern sie es klüglich vermeidet leisten zu wollen, was über ihre Kräfte geht, die gewählten Werke aber reinlich und mit richtigen Ausdruck ausführt. Ihr Anschlag ist bestimmt, fast männlich; die Passagen kommen deutlich heraus; der Vortrag entbehrt nicht der Sinnigkeit, ist aber frei von krankhafter oder gemachter Sentimentalität“ (AmZ 1864, Sp. 829).

Einer Musikerin einen fast männlichen Anschlag zu bescheinigen, konnte zur damaligen Zeit durchaus ein Kompliment sein. Zwar galt das Klavier als ein für das ‚schöne Geschlecht‘ geeignetes Instrument, doch war die Meinung verbreitet, dass bestimmte Kompositionen wegen fehlender Kraft vom ‚schwachen Geschlecht‘ nicht zu bewältigen seien. Pianistinnen mit ihren männlichen Kollegen zu vergleichen, war ein häufiges Mittel der Charakterisierung. So schreibt Eduard Hanslick 1862: „Wir haben vorher zweier Mädchen erwähnt, Julie v. Asten und Betti Wiswe; ihre musterhaft ruhige, unaffectirte Haltung könnte manchem Manne zum Vorbild dienen“ (Hanslick 1862/63, S. 22), und, ebenso auf Julie von Asten bezogen: „An Fleiß und anspruchslosem Streben stehen unsere Pianistinnen (namentlich die dem Publicum bereits vortheilhaft bekannten) hinter ihren bärtigen Collegen gewiß nicht zurück“ (Hanslick 1870, S. 300).

Konzertreisen führten die Künstlerin nach Hamburg, wo sie am 18. Febr. 1865 zusammen mit Joseph Joachim die Violinsonaten a-Moll von Schumann und e-Moll von Mozart sowie das Rondo h-Moll von Schubert musizierte. Joachim schätzte offenbar ihre Fähigkeiten als Klavierbegleiterin, so wie es später auch ihre Schwester Anna tun sollte. An Solo-Kompositionen steuerte Julie von Asten ein Scherzo von Mendelssohn und einen Chopin-Walzer As-Dur bei. Es schlossen sich Konzerte in Bremen und im Gewandhaus in Leipzig an. Nach Auftritten in Wien, wo sie 1866 Joseph Hellmesberger bei Sonaten von Joh. Seb. Bach begleitete und mehrfach mit Clara Schumann konzertierte, reiste sie mit Johannes Brahms im November 1867 nach Graz, um dort mit ihm zwei Konzerte im Landschaftlichen Theater und im Thalia-Theater zu geben.

Julie von Asten hatte ihre sieben Jahre jüngere Schwester Anna von Kindheit an unterrichtet und die Karriere der später bekannten Sopranistin (Künstlername Schultzen von Asten) in allen Phasen begleitet. Zusammen mit ihr übersiedelte sie 1869 nach Berlin, wo Anna von Asten ein Engagement an der Hofoper erhielt. Mit Ausnahme eines Aufenthaltes in Dorpat 1873/74, wohin Julie von Asten ihre Schwester begleitete, blieb Berlin bis zu ihrem Tod ihr ständiger Wohnsitz.

In der Hauptstadt führte Julie von Asten ihre Konzerttätigkeit weiter. Am 27. Nov 1871 beteiligte Clara Schumann sie dort wiederum an einem Konzert (Ungarische Tänze von Brahms vierhändig), möglicherweise in der Absicht, ihrer Schülerin den beruflichen Start in der neuen Umgebung zu erleichtern. Deren Zusammenarbeit mit SängerInnen wie Anna Schultzen von Asten, Julius Stockhausen, Amalie Joachim, Hermine Spies, dem Geiger Joseph Joachim und seinen Schülerinnen Marie Soldat-Röger und Gabriele Wietrowetz zeigt eine zunehmende Spezialisierung und Wertschätzung als Klavierbegleiterin, eine Tätigkeit, die in diesen Jahrzehnten als anspruchsvolle pianistische Praxis noch wenig anerkannt war. Ihre Leistungen auf diesem Gebiet wurden von der Fachpresse aber durchaus wahrgenommen. Die „Neue Berliner Musikalische Zeitung“ schreibt 1880: „Wir haben schon öfter Gelegenheit gehabt, die Dame als vorzügliche Accompagnistin zu rühmen; auch diesmal führte sie die Begleitung sehr discret und geschmackvoll aus“ (Bock 1880, S. 413), und die Zeitschrift „Signale für die musikalische Welt“ meint 1887: „Auch dem pianistischen Vermögen, insbesondere dem Begleitungsgeschick des Fräulein Julie von Asten hatte man schon des Oefteren Gelegenheit, die wärmste Anerkennung auszusprechen“ (Signale 1887, S. 88). Zu den regelmäßigen MusizierpartnerInnen gehörte weiterhin Clara Schumann.

In den Jahren 1873 und 1874 wurde die Berufspraxis von Julie von Asten unterbrochen. Zu dieser Zeit lebte sie bei ihrer Schwester Anna, die 1871 Dr. Otto Schultzen geheiratet hatte und ihm nach Dorpat gefolgt war, wohin er auf eine Professur an der Medizinischen Klinik berufen worden war. Schultzen erkrankte Ende 1872 geistig schwer. Bis er im Sept. 1873 in die Nervenheilanstalt Neustadt-Eberswalde eingeliefert wurde († 1874), unterstützte Julie von Asten ihre Schwester; anschließend kehrten beide nach Berlin zurück und nahmen ihre Berufstätigkeit wieder auf. Auch die verwitwete Mutter und die Schwester Marie verlegten im Oktober 1873 ihren Wohnsitz von Wien nach Berlin. Dort erteilten Marie und Julie von Asten Klavierunterricht. Anna Schultzen von Asten erhielt 1874 an der Königlichen Hochschule für Musik eine Anstellung als Gesangsdozentin und wurde 1902 zur Professorin ernannt. 

Außer Auftritten in Barmen und London (letzterer mit Joseph Joachim im Monday Popular Concert) im März 1878 sind in der Berliner Zeit keine weiteren Konzertreisen Julie von Astens belegt. Hingegen trat sie bis mindestens 1897 jedes Jahr, teils mehrfach, in der preußischen Hauptstadt auf, zuletzt mit Vorliebe in gemeinsam mit ihrer Schwester Anna Schultzen von Asten veranstalteten Konzerten. Zu einem Ritual wurden seit 1875 Auftritte zum Jahresende: „Das letzte Concert vor Weihnachten – in der Singakademie wenigstens – ist seit Jahren Frau Professor Schultzen von Asten und ihrer Schwester Frl. Julie von Asten reservirt“ (Bock 1888, S. 472). 1892 kam in einem dieser Konzerte das Klaviertrio d-Moll op. 63 von Schumann zur Aufführung, mit Joseph Joachim und dem Violoncellisten Robert Hausmann. Die Kritik bescheinigte der Pianistin nun keinen „fast männlichen“ Anschlag mehr, dafür aber andere Qualitäten: „Kam auch der Klavierpart in dem von Leidenschaft durchglühten Werk nicht überall zur vollen Geltung und wünschte man namentlich am Schluss desselben mitunter ein energischeres und kräftigeres Eingreifen, so wurden dafür andere Stellen besonders im Scherzo mit so poetischer Feinfühligkeit und sauberer Akkuratesse ausgeführt, dass das ganze Werk in dieser abgeklärten und theilweise vollendeten Ausführung dem Zuhörer einen hohen Genuss bereitete“ (Bock 1892, S. 696).

Kammermusik-Partner waren Joseph Hellmesberger, Joseph Joachim, Emanuel Wirth, Robert Hausmann und Andreas Moser (Violinsonaten von Joh. Seb. Bach, Mozart, Beethoven und Schubert, Klaviertrios von Haydn, Beethoven und Robert Schumann, Klavierquartette und -quintette von Schubert und Schumann). Enge Freundschaften pflegte Julie von Asten mit Clara Schumann, Julius von Stockhausen sowie dem Ehepaar Amalie und Joseph Joachim (1876 begleitete sie Amalie Joachim zu einem Kuraufenthalt in Meran). Sie gehörte auch dem „Orden der schwarzen Katzen“ an, den Luise und Bernhard Scholz (Hofkapellmeister in Hannover) und Amalie Joachim 1863 in Nachfolge des Schumann’schen Davidsbundes gegründet hatten. Seine Aufgabe war es laut Statut, „ausgezeichnete Individuen zu einer ausgezeichneten Gesellschaft zu vereinigen, die sich eines katzenhaften Betragens zu befleißigen hat“ (Kalbeck, S. 82). Weitere Mitglieder waren Johannes Brahms, Clara Schumann, Franz Wüllner, Albert Dietrich, Julius Stockhausen, Joseph Joachim, Otto Julius Grimm und der Maler Moritz von Schwind.

Die Sommerferien verbrachten Julie von Asten und Anna Schultzen von Asten regelmäßig in Rindbach bei Ebensee im oberösterreichischen Salzkammergut. Dort veranstalteten die Schwestern ab Anfang der 1890er Jahre regelmäßig Wohltätigkeitskonzerte, zu denen sich auch Angehörige des europäischen Hochadels einfanden.

Anna Schultzen von Asten starb 1903 an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Julie von Asten überlebte sie um etwa zwei Jahrzehnte. 1923 findet sich im Berliner Adressbuch eine letzte Eintragung mit der Berufsbezeichnung „Musiklehrerin“ und der Adresse Kurfürstenstr. 97.

 

LITERATUR

Taufbuch der Pfarre St. Peter in Wien 1837−1844, Bd. 68. Für den Hinweis auf diese Quelle und das genaue Geburtsdatum bedanken wir uns bei Dr. Hartmut Pöhlmann

18 Briefe aus den Jahren 1865–1899 von Julie von Asten an Amalie und Joseph Joachim (Staatliches Institut für Musikforschung Berlin)

4 Dokumente (1885−1903) aus der Personalakte von Anna Schultzen von Asten, Hochschule der Künste Berlin

AmZ 1863, Sp. 800; 1864, Sp. 72, 766, 814, 828f; 1865, Sp. 171, 273; 1866, S. 51, 75, 99; 1867, S. 50; 1876, Sp. 11f.

Berliner Adressbuch 1923

Bock 1863, S. 158, 262; 1864, S. 374, 390; 1866, S. 37, 53, 94; 1867, S. 22; 1869, S. 38; 1871, S. 382; 1875, S. 79; 1880, S. 413; 1881, S. 358, 373; 1882, S. 93, 413; 1883, S. 13; 1884, S. 14, 52; 1885, S. 412; 1886, S. 14, nach 368, 405; 1887, S. 142, 427; 1888, S. 472; 1892, S. 128, 205, 221f., 696; 1893, S. 591

Deutsche Musik-Zeitung 1862, S. 13f.; 1863, S. 800

Nationalzeitung (Berlin) 3. März 1875

Neue Wiener Musik-Zeitung 1858, S. 64; 1859, S. 26, 115, 123

NZfM 1859 I, S. 233; 1859 II, S. 86; 1860 II, S. 154; 1863 I, S. 167; 1863 II, S. 14; 1864  S. 99, 288, 435, 441f., 445; 1865, S. 137, 147; 1866, S. 75, 111, 194, 297f.; 1870, S. 89, 110, 402; 1871, S. 418, 438, 449, 471; 1872, S. 85; 1875, S. 112, 510; 1877, S. 126; 1878, S. 143; 1895, S.

Salzkammergut-Zeitung 1901, 1. Sept.; 1902, 31. Aug., 7. Sept, 28. Dez.; 1905, 20. Aug., 17. Sept.; 1908, 30. Aug.; 1909, 18. Sept.; 1912, 16. Juni

Signale 1864, S. 937, 961; 1865, S. 198, 291, 435; 1866, S. 134; 1869, S. 306; 1871, S. 867f.; 1876, S. 85; 1878, S. 332, 461, 567; 1881, S. 26, 1094; 1882, S. 425; 1883, S. 10; 1886, S. 43; 1887, S. 88, 553; 1888, S. 25; 1889, S. 12; 1893, S. 41, 1095; 1895, S. 25, 1002; 1896, S. 355, 1048; 1897, S. 167

Eduard Hanslick. „Aufsätze und Rezensionen 1862-1863“, in: Sämtliche Schriften, Bd. 1,6, Wien [u.a.] 2008.

Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2 Bde., Wien 1869/1870, Repr. Hildesheim [u. a.]  1979.

Carl Ferdinand Pohl, Die Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates und ihr Conservatorium, Wien 1871.

Mathilde Wendt, „Meine Erinnerungen an Clara Schumann“, in: NZfM 1919, S. 232−234.

Berthold Litzmann, Clara Schumann. Ein Künstlerleben, 3 Bde., Bd. 3, Berlin 41920.

Max Kalbeck, Johannes Brahms, 4 Bde., Bd. 2, 1. Halbbd., Berlin 31921.

Beatrix Borchard, Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim. Biographie und Interpretationsgeschichte, Weimar 2005.

 

Laura Beuschel/Freia Hoffmann

 

© 2011 Freia Hoffmann