Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

DobjanskyDobjanski, Debjansky, Dobschansky, von / de Dobjansky, Anna

19. Jahrhundert, Lebensdaten unbekannt, russische (?) Pianistin und Komponistin. Über ihre Herkunft und ihren familiären Hintergrund ist bislang nichts bekannt. Anna von Dobjansky war Gesellschafterin der Fürstin Suwarow in St. Petersburg und kam zur Weiterentwicklung ihrer pianistischen Fertigkeiten nach Deutschland.

Im deutschsprachigen Raum konzertierte die „gute russische Pianistin“ (Signale 1867, S. 623) erstmals im Aug. 1867 in Baden-Baden, u. a. als Mitwirkende beim alljährlichen Wohltätigkeitskonzert. Zu dieser Zeit lebte sie in Lichtenthal, einem Vorort von Baden-Baden, und wurde von Clara Schumann unterrichtet. Ab Okt. 1867 hielt sie sich in Berlin im Hause von Marianne Bargiel, Clara Schumanns Mutter, auf, wo sie durch das Zusammenspiel ihre Kenntnis der 4-händigen Literatur erweitern konnte. In einem Brief vom 31. Okt. 1867 an ihren Sohn Woldemar bezeichnet Marianne Bargiel sie als „sehr talentvoll“. Sie sei aber „nicht recht taktfest und bewundert mich immer in diesem Punkt“ (zit. nach Schmiedel u. Draheim 2007 Bd. 2, S. 458). Während ihres Berlinaufenthaltes wurde Anna von Dobjansky von Carl Tausig (1841–1871) unterrichtet und nahm im Frühjahr 1868 ihre musikalischen Studien in Baden-Baden bei Clara Schumann wieder auf.

Wohl Mitte Oktober 1869 reiste Anna von Dobjansky nach Paris, wo sie am 11. Jan. mit der Sängerin Nadine Dunord in einem Konzert des Geigers Wassili Besekirski (1835–1919) mitwirkte. Die „Revue et Gazette musicale de Paris“ beschreibt sie als „une virtuose de talent et qui promet encore davantage“ („ein virtuoses, vielversprechendes Talent“, RGM 1870, S. 21). Bei der Ankündigung ihres Pariser Konzerts vom 30. März 1870 wird sie nicht nur als „junge, talentvolle“ Pianistin, sondern auch als Komponistin angekündigt: „Sie hat erst kürzlich mehrere Clavieretüden publiziert, welche viel Talent verraten, wenngleich sie ihre Verwandtschaft mit Chopin nicht verläugnen“ (Signale 1870, S. 313). Weitere Berichte über ihre Konzerttätigkeit in Paris sind nicht bekannt.

Im Frühjahr des Jahres 1870 kehrte die Musikerin nach Deutschland zurück und nahm ihren Wohnsitz in Baden-Baden, wo sie regelmäßig in Kurhaus-Matineen auftrat. Eine der wenigen ausführlicheren Rezensionen bezieht sich auf eine Aufführung mit dem Kurorchester vom Juli 1870, bei dem sie Beethovens Es-Dur-Konzert op. 73 spielte: „Sie vereinigt grosse Sicherheit und Sauberkeit der Technik mit feiner Empfindung, mit Noblesse und massvoller Ruhe des Vortrages und erzielte so eine ächt künstlerische Gesammtwirkung, welche denn auch durch lebhaften Beifall und Hervorruf von Seiten des Publikums gebührend anerkannt und geehrt wurde“ (Bock 1870, S. 228) Zwei Monate später konzertierte sie ein zweites Mal mit demselben Werk in Wiesbaden.

1871 folgte ein weiterer Auftritt im Kurhaus von Baden-Baden, bei dem Anna von Dobjansky das Konzertstück op. 79 von Weber spielte. In der „Neuen Berliner Musikzeitung“ ist darüber zu lesen: „Sie hat einen schweren Stand, ersichtlich grosse Befangenheit. Das Auswendigspielen war unter diesen Verhältnissen für sich ein Wagnis, das auch nicht vollständig glückte. Fräulein von Dobjansky besitzt eine gute musikalische Technik und gute musikalische Durchbildung, nur muss noch mehr Ruhe und Sicherheit hinzutreten, um die Wirkung abzurunden“ (Bock 1871, S. 311).

Nach diesem Konzert scheint Anna Dobjansky zunächst nicht mehr aufgetreten zu sein. Erst ein Jahr später 1872 erwähnt die „Neue Zeitschrift für Musik“ einen Auftritt in Berlin, bei dem sie nicht nur das Scherzo b-Moll op. 31 von Chopin, sondern auch ein eigenes Werk spielte: „As-Dur Nocturne componiert und vorgetragen von Fräulein Dobjansky“ (NZfM 1872, S. 479). Von Berlin reiste sie weiter nach Dresden, um in einem Konzert des Sängers Emil Scaria und des Violinisten Heinrich de Ahna mitzuwirken. Nach einem weiteren Konzert von Scaria vom Nov. 1873 in Dresden wurde notiert, dass ihr Spiel „sich nicht sehr über anständigen Dilettantismus“ (NZfM 1873, S. 12) erhebe. Am 1. Apr. 1873 trat sie in St. Petersburg auf.

Im August 1874 muss sie sich noch einmal bei Clara Schumann in Baden-Baden aufgehalten haben (Hiller, Briefwechsel Bd. 3, S. 189). Danach verliert sich die Spur Anna von Dobjanskys.

Die erhaltenen Konzertberichte deuten einen Schwerpunkt auf Musik des klassisch-romantischen Repertoires mit Schumann, Chopin, Beethoven und Weber an.

Neben ihrer pianistischen Tätigkeit komponierte Anna von Dobjansky mehrere Einzelstücke für Klavier. Ferdinand Hiller teilt sie am 21. Aug. 1869 mit, dass sie auch drei Sätze einer Klaviersonate geschrieben habe, und kommentiert: „Mme. Schumann, ainsi que [Jacob] Rosenhain, Brahms, tous trouvent que j’ai beaucoup de talent pour la composition. Mr. Brahms prétend qu’ayant de bonnes idées, je ne travaille pas avec assez du soin“ („Frau Schumann, [Jacob] Rosenhain, Brahms, alle finden, dass ich viel Talent zur Komposition habe. Herr Brahms behauptet, dass ich zwar gute Ideen habe, aber nicht sorgfältig genug arbeite“; Hiller, Briefwechsel Bd. 2, S. 136). Brahms, der ihr ein „recht nettes Talent“ bescheinigt, war es auch, der ihre Werke op. 1 bis 4 revidierte und dem Verlag Simrock nachdrücklich zur Veröffentlichung empfahl – mit dem Hinweis, dass die Komponistin die Publikation selbst finanziere: „Die nötigen Rubel würden bezahlt, außerdem aber würde die Petersburger Bekanntschaft sehr für Absatz sorgen“ (Brahms, Briefe an Simrock, S. 52).

 

Anna von Dobjansky, Photographie o. J.

 

WERKE FÜR KLAVIER

Deux Nocturnes op. 1, Berlin 1870; Capricietto et Nocturne op. 2, Berlin 1870; Nocturne op. 3, Berlin 1870; Nocturne et Impromptu op. 4, Berlin 1870; Deux Romances sans paroles pour Piano op. 5, Mainz 1873; Polonaise brillante pour Piano op. 6, Leipzig 1876; Barcarolle op. 12, Moskau o. J.

 

LITERATUR

Bock 1870, S. 94, 199, 228; 1871, S. 311

FritzschMW 1870, S. 429, 493

Le Guide musical 1867, S. 21

MusW 1870, S. 444

NZfM 1867, S. 351; 1870, S. 136, 259, 274; 1871, S. 375; 1872, S. 479, 515; 1873, S. 12

RGM 1870, S. 15, 21, 23, 63

Signale 1867, S. 623, 712; 1869, S. 1068, 1119; 1870, S. 56, 313, 354; 1871, S. 648, 729; 1872, S. 92; 1873, S. 422

Pazdirek

Johannes Brahms. Briefe an P. J. Simrock und Fritz Simrock, hrsg. von Max Kalbeck, 4 Bde., Bd.1, Berlin 1917.

Aus Ferdinand Hillers BriefwechselBeiträge zu einer Biographie Ferdinand Hillers, hrsg. von Reinhold Sietz (= Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte 48 u. 56), 7 Bde., Bd. 2 u. 3, Köln 1961 und 1964.

Max Kalbeck, Johannes Brahms, 4 Bde., Bd. 2, Berlin 1. Aufl. 1908 bzw. 3. Aufl. 1912.

Margit L. McCorkle, Johannes Brahms. Thematisch-bibliographisches Werkverzeichnis, München 1984.

Renate u. Kurt Hofmann, Johannes Brahms in Baden-Baden, Baden-Baden 1996.

Styra Avins, Johannes Brahms. Life and Letters, New York 1997.

Elisabeth Schmiedel u. Joachim Draheim (Hrsg.), Eine Musikerfamilie im 19. Jahrhundert. Marianne Bargiel, Clara Schumann, Woldemar Bargiel in Briefen und Dokumenten (= Musikwissenschaftliche Schriften 43), 2 Bde., München [u. a.] 2007.

 

Bildnachweis

http://brahms-institut.de/web/bihl_digital/fotobestand/z/z_0195.html, Zugriff am 7. Dez. 2011.

 

Olga Schemetowa/FH

 

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