Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

ParadisParadies, (Maria) Theresia

* 15. Mai 1759 in Wien, † 1. Febr. 1824 ebd., Pianistin, Organistin, Sängerin, Komponistin und Musiklehrerin. Die vermutlich im Alter von drei Jahren erblindete Theresia Paradis soll ein hochintelligentes und früh an Musik interessiertes Kind gewesen sein. Ihre Eltern waren der Hofsekretär Joseph Anton Paradis (1733–1808) und Rosalia Maria Paradis, geb. Levassori della Motta (1739–1794). Die Qualität und Breite von Paradis’ Erziehung und Ausbildung lassen annehmen, dass von den Eltern auch eine professionelle musikalische Betätigung der Tochter in Betracht gezogen wurde.

 

F. Parmantié: Maria Theresia Paradis (1784).

 

Ihren ersten Unterricht erhielt Theresia Paradis im Alter von acht Jahren bei dem „Sohn eines Schullehrers“ (Wiener AmZ 1817, Sp. 288) auf dem Spinett, andere Quellen datieren den Beginn ihrer Ausbildung auf „im siebten Jahre“ (Wiener AmZ 1813, Sp. 485). „In der ersten Unterrichtsstunde kannte sie alle Tasten, und in der dritten lernte sie schon einen Menuet. Im ersten Monathe spielte sie schon ein leichtes Concert“ (Wiener AmZ 1817, Sp. 288). Bald folgten ein Instrumenten- und Lehrerwechsel: „Nach einem Monathe hatte sie ihren Meister schon so weit erreicht, daß er nicht mehr Genüge leisten konnte. Hierauf bekam sie einen Organisten, Nahmens Fuchs, und einen Flügel, wo sie dann schon große Fortschritte machte“ (Wiener AmZ 1813, Sp. 485). Franz Josef Fuchs war ein geschätzter Klavierlehrer, bei dem Theresia Paradis etwa drei Jahre lang Unterricht nahm. Parallel dazu erlernte sie vermutlich auch bei ihm das Orgelspiel und ließ sich nach und nach „beinah in allen Kirchen in der Stadt und in den Vorstädten Wiens“ (Wiener AmZ 1813, Sp. 485) hören. Nach Fuchs übernahm der aus Holland stammende Pianist und Komponist Georg Friedrich Richter (1759–1789) ihre pianistische Ausbildung. Mit ihm studierte sie „die Werke eines Müthel, Graun, Christian und Emanuel Bach, von welchem letztern sie alle Concerte spielte, und dadurch allmählich eine außerordentliche Fertigkeit im Vortrage gewann“ (ebd.).

„Als endlich die Entstehung der Pianoforte die bekielten Flügel verdrängte, und mit dieser Erscheinung auch der Vortrag auf dem Claviere eine andere Wendung nahm, erhielt sie zum Lehrer den k. k. Kapellmeister Hrn. Kozeluch, durch welchen ihr Spiel jene Zartheit, Biegsamkeit, Deutlichkeit und Anmuth gewann, wodurch sie so viele Bewunderung erhielt, und der Ruf ihrer Kunst sich in der Welt verbreitete. Nachdem sie sich durch Studium und Fleiß endlich selbst zur Meisterin mit eigenem Geschmack und Karakter ausgebildet hatte, gestand sie freimüthig, daß sie das Seelenvolle im Vortrage nur ihm [...] zu verdanken habe“ (ebd., Sp. 486). Leopold Koželuch (1752–1818) hatte viele namhafte Schüler, neben Theresia Paradis auch seine Tochter Katharina Koželuch, verehelichte Cibbini und Josepha Barbara Auernhammer  – die erste „Generation von erwachsenen Frauen, die das Berufsbild der Pianistin schrittweise etablierten“ (Hoffmann, S. 113).

Gesangsunterricht bei dem berühmten Italiener Vincenzo Righini (1756–1812) und möglicherweise auch bei Antonio Salieri (Ullrich, „Maria Theresia Paradis und Dr. Franz Anton Mesmer“, S. 163) ergänzte ihre musikalische Ausbildung; Salieri komponierte zudem ein Orgelkonzert für sie. Grundkenntnisse in Harmonielehre, Kontrapunkt und Generalbass vermittelte ihr Karl Friebert (1736–1812), Kapellmeister an der Wiener Minoritenkirche, der sie außerdem in dramatischer Komposition unterwies. Später sollten weitere Lehrer hinzukommen, die „ihr immer mehr und mehr sich entwickelndes Genie zur vollendeten Reife“ (Schilling) brachten.

Die Methode, nach der die blinde Pianistin unterrichtet wurde, schildert Paradis ihrem in Mannheim lebenden Freund, dem blinden Gelehrten Johann Ludwig Weissenburg (1752–1800), in einem Brief vom 8. Apr. 1780: „Ich habe zween vortreffliche Flügel. Man spielt mir die Stücke vor, und ich versuche es gleich nachzuspielen. Man verbessert etwas den Fingersaz, und ich lerne in einer Lection oft anderthalb Soli, ohne viele Mühe. Zuweilen werden mir auch die Tasten genent, besonders bei Erlernung der Ritornellen. Mein Gehör ist ziemlich richtig. Ich kann mich auf selbiges mehr verlassen, als auf die Tactierung mit der Hand. Ich spiele Concerte von P. E. Bach, Reichart, Wolf, Müthel, Richter, Benda, Schobert etc.“ (Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit 1781, S. 245). Insgesamt umfasste ihre Repertoire-Liste „über 60 Concerte, und andere Stücke von einem Wagenseil, Steffan, Hayden, Hoffmann, [Carl Ph. Em.] Bach und Richter (Luca, S. 336f.).

Ihr phänomenales Gedächtnis half ihr beim Erlernen neuer Literatur, so „dass wenn ihr ein Musikstück einmal vorgespielt wurde, sie [es] selber sogleich auswendig zu spielen im Stande war“ (Ebersberg Bd. 3, S. 809, hier zit. nach Ramsauer, S. 54). Burmann berichtet über ihre Einstudierung eines schwierigen Rondos von Carl Ph. Em. Bach, „mit welcher ausserordentlichen Spannung ihres Geistes, sie Note für Note in die Seele aufnahm, ehe sie es wußte, diese Noten auf dem Klaviere aufzuhaschen, und in ihrem Zeitmaaß nach und nach vorzutragen; ich bemerkte, daß ihr so ein Einstudiren ausserordentlich schwer ward, zumal bei Bachischen Vorträgen, wo sie ein musikalisches Comma gewis dreissigmal versuchte, und wieder versuchte, ehe sie es mit Sicherheit, und wohl zu merken, mit wahrem Ausdruck, spielen konnte; zuletzt aber trug sie auch den größten Theil dieses Rondos ganz vortrefflich vor, gleich viel, ob sich die Passagien auseinander warfen oder durchkreuzten, oder die Finger beider Hände ein ganzes Labirinth durchzulauffen hatten“ (Burmann, S. 194). Auch das Erinnern bereits studierter Stücke bereitete ihr keine Probleme: „Ihr Gedächtnis wiederhohlt mit wunderbarer Stärke lange Tonstücke, die sie vor Monathen und Jahren ein Mahl durchgespielt hatte“ (Der Sammler 1810, S. 6).

Die überlieferten Einschätzungen ihres Instrumentalspiels lesen sich durchweg positiv: „Sie spielt so trefflich Clavier, daß sie den besten Meistern an die Seite zu setzen ist. Fertigkeit, Ausdruck, Präcision, Kenntnis der feinsten Nuancen ihres Instruments, ist ihr in gleich hohem Grad eigen“ (Journal von und für Deutschland 1784, S. 257). „Ihr Anschlag hat nicht das geringste Schülerhafte, sondern verräth eigenen Meisterkarakter; ihre Forderungen und Ansprüche im Spiel sind weder Gaukeley, noch lärmende Geschwindigkeiten, sondern Geist- und Herzensnahrung. Dahero lobt man besonders an ihrer Spielart: Empfindung, Geschmack, Nuance, Deutlichkeit und Präzision. Besonders stark ist sie in dem sogenannten perlirten Spiel (Giuoco granito) in welchem alle Noten in einem Laufe in genauestem Verhältnis von Stärke, Rundung, Klarheit und Zeitmaaß mit einander stehn. Das Tempo Rubato pflegt sie mit Häuslichkeit und zweckmässig anzubringen. Im Adagio schweben ihre Töne beinahe wie die Stimme im Gesange (Schönfeld, S. 46f.).

Mit ihren Auftritten weckte die Künstlerin neben ästhetischen auch moralische Empfindungen. Die Rührung, die ihr Spiel beim Hörer auslöste, begründete zum Teil auch die zeitgenössische Wertschätzung: „Wie sehr mich die Gewandtheit, der zaubervolle Ausdruck ihres Vortrages entzückte, darf ich Ihnen nicht erst sagen. Es ward mir, wie wenn ich das Instrument hier in meinem Leben zum ersten Mahl hörte. Und während sie sich und mich schwärmend in den Himmel empor zog durch die Macht der Töne, ruhte mein Blick wehmütig auf der Edeln, für welche das ganze Weltall gestaltlos, und nur Ton oder Misston ist“ (Der Sammler 1810, S. 60). In der Epoche der Empfindsamkeit, in der die Gefühlskultur in ein ethisches Konzept von Mitleid, Wohlwollen und allgemeine Sympathie eingebunden war, ging ihr Schicksal als Blinde in besonderer Weise zu Herzen, und die Herzen der Hörer zu bewegen war nach dem damaligen Musikverständnis eine Hauptaufgabe der Kunst. Paradis formulierte dementsprechend: „Die Musik ist die Sprache des Herzens, und die Mahlerey der Leidenschaften; das Herz muss sie also verstehen, und die Leidenschaft sich darin erkennen. Die Wahrheit und Natur darf dabey der Kunst nicht aufgeopfert werden“ (Wiener AmZ 1817, Sp. 322).

Von Ende Aug. 1783 bis vermutlich Mai 1786 unternahm Paradis gemeinsam mit ihrer Mutter und in wechselnder männlicher Begleitung eine ausgedehnte Konzertreise durch Europa (vollständiger Reiseverlauf siehe Fürst 2005), wobei sie sowohl an den Höfen als auch in öffentlichen Konzerten auftrat. Diese Reisejahre dienten hauptsächlich der Altersvorsorge, doch waren sie zugleich Lehr- und Wanderjahre.

Ende Sept. 1783 reiste Maria Theresia Paradis mit ihrer Mutter nach Frankfurt a. M., wo sie vermutlich am 5. Okt. konzertierte. Am 26. Dez. 1783 erreichten die beiden Augsburg, dort gab die Musikerin am 27. Dez. ein öffentliches Konzert.

Von Mitte März bis Ende Okt. 1784 lebte Maria Theresia Paradis in Paris. In der von Joseph Le Gros organisierten Reihe der Concerts spirituels – in der sie allein im Apr. gleich acht Mal mitwirkte – spielte sie auf Verlangen des Publikums bevorzugt Klavierkonzerte ihres Lehrers Koželuch, doch auch Joseph Haydns Klavierkonzert G-Dur Hob. XVIII:4, das der Pariser Musikverleger Boyer 1784 mit dem werbeträchtigen Zusatz veröffentlichte: „Exécuté au Concert Spirituel par Mademoiselle Paradis, composé par J. Haydn“ (Landon, S. 344). Die Aufführung eines Klavierkonzerts von Mozart lässt sich dagegen weder in Paris noch später nachweisen – obwohl ein Brief Leopold Mozarts vom 16. Febr. 1785 belegt, dass sein Sohn ein Konzert „für die Paradis nach Paris gemacht“ haben soll (zur Diskussion, ob es sich bei diesem Werk um das Konzert B-Dur KV 456 handelt, vgl. Ullrich 1949, S. 324, Ullrich 1964, S. 80–81, Badura-Skoda, S. 197, und Irving, S. 216).

Während ihres Aufenthalts in Paris nahm Paradis Kompositionsunterricht bei Georg Joseph Vogler (1749–1814), der zu diesem Zweck ein Notenbrett erfand, mit dem er die „blinde Clavierspielerinn [...] die Harmonien kennen, Tonsetzen [,] Noten auf eigene neue Art schreiben und lesen lehrte“ (Brief Voglers vom 26. Juli 1784, in: Journal aller Journale 1786, S. 158). Auch machte sie die Bekanntschaft mit Valentin Haüy, der in dem erfüllten Leben der blinden Künstlerin ein Vorbild für andere Schicksalsgenossen sah und Pläne für die Gründung einer ersten Blindenschule ausarbeitete.

In London, wo Paradis sich vom 3. Nov. 1784 bis Ende März 1785 aufhielt, war die musikalische Konkurrenz besonders groß. Kein geringerer als der englische Musikschriftsteller Charles Burney übernahm es, für die Künstlerin Werbung zu machen. Gemessen am Aufwand, den er trieb, mutet die Anzahl der dokumentierten Konzerte gering an. Nur drei öffentliche Auftritte sind bekannt: am 16. Febr. 1785 beim zweiten Hanover Square Grand Professional Concert, am 3. März 1785 im Pantheon und am 8. März 1785 ein Konzert „zu ihrem Vortheil“ (Brünner Zeitung 1785, S. 285) in Willis’s (ehemals Almack’s) Rooms in King’s Street. Die Konzerte waren jedoch höchst erfolgreich, ebenso wie Theresia Paradis’ Auftritte bei Hofe. Der Prince of Wales, der spätere Georg IV., begleitete „ihre Vorträge mit dem Violoncell“ (Wurzbach), und für König Georg III. studierte sie auf seinen Wunsch „einige der verwickeltsten und ausgearbeitesten Orgelfugen nebst andern Handstücken aus Händels erstem Buch seiner Lessons“ (Kühnau, S. 194) ein.

In Hamburg traf die Künstlerin Ende Dez. 1785 ein. Sie konzertierte am 5. Jan. 1786 im Comödienhaus am Gänsemarkt und am 7. Jan. im Concertsaal auf dem Kamp. Zu den Besuchern des ersten Abends gehörte vermutlich auch Carl Ph. Em. Bach, der eine heute verschollene Zeichnung der blinden Musikerin in seiner Sammlung mit Musikerbildnissen aufbewahrte.

In Berlin kam Theresia Paradis Mitte Jan. 1786 an. Während ihres einmonatigen Aufenthalts spielte sie am Hof, in bürgerlichen Salons und bevorzugt im Palais des Bankiers Daniel Itzig (Sara Levy).

Ihr weiterer Weg führte sie über Leipzig und Dresden nach Prag, wo sie am 31. März 1786 eintraf und sich laut Prager „Oberpostamtszeitung“ vom 22. Apr. 1786 „zweimal auf ihrem Instrument mit vielem Beifalle hören ließ“ (Dlabacž). Während die Rezension ihres ersten Auftritts vom 8. Apr. ihr Spiel ausführlich würdigt (Prager Oberpostamtszeitung 11. Apr. 1786, zit. bei Berkovec, S. 60f.), fehlt in dem Bericht über das Konzert am 23. Apr. ihr Name (Prager Oberpostamtszeitung, 29. April 1786, zit. bei Berkovec, S. 60f).

Hochgeehrt und finanziell erfolgreich kehrte Maria Theresia Paradis im zweiten Jahresdrittel 1786 nach Wien zurück. Auch menschlich war die Reise ein Gewinn: In Mannheim hatte sie im Nov. 1783 ihren künftigen Lebensgefährten Johann Riedinger, kennengelernt, den sie zwar nicht heiratete, mit dem sie aber in eheähnlichen Verhältnissen lebte und der ab Sept. 1785 mit Mutter und Tochter reiste. Er schrieb Libretti für seine komponierende Freundin und baute ihr ein Notensetzbrett, dank dessen sie mit einer „fühlbaren Musikschrift“ (AmZ 1810, Sp. 906) Noten lesen und schreiben konnte. In ihrem Testament setzte Paradis ihn als ihren Universalerben ein.

Nach ihrer Rückkehr spielte Maria Theresia Paradis nur noch selten öffentlich und bevorzugte private Hauskonzerte. Durch die Begegnung mit führenden Musikern Europas angeregt, widmete sie sich nun verstärkt dem Komponieren. Waren vor ihrer Reise überwiegend Klavierlieder entstanden, so traute sie sich nun auch größer besetzte Kantaten, Opern und Melodramen zu, die teils im privaten Rahmen, teils öffentlich mit unterschiedlichem Erfolg aufgeführt wurden.

Schon in Paris hatte Paradis unterrichtet und auch in Wien „einige ausgezeichnete Clavierspielerinnen durch freundschaftlichen Unterricht gebildet“ (AmZ 1810, Sp. 472)1808, im Todesjahr ihres Vaters, gründete sie – auch aus finanziellen Erwägungen – eine Schule, in der sie sehende wie blinde Mädchen sowie gelegentlich auch junge Männer ausbildete. Sie „lehret nun nicht allein Fortepiano, sondern auch Gesang und General-Bass. Ein Glück für sie bey diesem Geschäft ist ihre Liebe für die Jugend und für die Kunst“ (AmZ 1810, Sp. 472f.). Die zeitgenössische Presse war voll des Lobes über die vortrefflichen Leistungen ihrer Schülerinnen. Um sie unterrichten zu können, benötigte Paradis besondere Hilfsmittel: „Sie hat kleine Karten, auf welche ausgeschnittene Noten in ihrer wahren Gestalt aufgeklebt sind z. B. eine Ganze, eine Halbe, Viertel, Achtel u.s.w.; andere, auf welchen sich b , # und ♮ befinden; andere mit den Pausen, den fünf Linien, dem Violin, und Bass Schlüssel. Nun gibt sie den Kindern diese Noten zu erkennen (da sie erhaben auf den Karten liegen, so sind sie ihr so geläufig wie die geschriebenen) und um ihnen den Werth derselben recht begreiflich zu machen, handelt sie spielend mit derselben [sic]; sie gibt z. B. eine ganze Note hin, und lässt sich den Werth derselben nach und nach in Halben, Vierteln u.s.w. dafür geben, auf andern Blättern hat sie die ganze Scala der Violin und des Basses; um die Nahmen nach Tönen zu lernen; diese Methode, da sie die Sache versinnlichet, geht sehr leicht und geschwinde, um so mehr da sie zugleich die Töne auf dem Clavier dazu kennen lehret; nun hat sie eine kleine Schule, welche aus etwa 12 Beyspielen bestehet, worin die gebundenen, stakkirten, geschliffenen, sincopierten Noten, die Triller, Mordenten, Vorschläge und Ligaturen vorkommen; wenn die Schüler (welches gewöhnlich in sehr kurzer Zeit geschieht) diese Beyspiele sich eigen gemacht haben dann fangen sie schon an zu lesen. Um Geläufigkeit im Spiele, und den Fingersatz bald zu lernen, gibt sie ihnen Läufe und gewisse Passagen durch alle Tonarten, wobey sie die Verzierungen, und die am Tone liegenden perfecten Accorde benennen müssen; um überhaupt sicher zu seyn, das sie überall die rechten Finger nehmen, auch die Hände schön halten, schwebt immer ganz leicht ihre Hand darüber her. Da nun ihr Eifer, ihr Fleiss und Unverdrossenheit unermüdet sind, so erreicht sie den schönen Zweck eine Schule zu bilden, die einstens von der Zeit ihren Ruf bekommen und gewürdigt werden wird (Wiener AmZ 1817, Sp. 322f.).

Zu ihren Schülerinnen zählen die blinde Harfenistin Karoline Schonz (Harfenschülerin von Josepha Müllner-Gollenhofer), die Paradis in Musiktheorie unterrichtete, Marie Pauline und Ernestine de Boscalle, Franziska und Josephine Dolanskaja, Luise und Henriette Stetter, Henriette und Antoinette von Keresztury, Marie Wagner sowie Nanette Mathes geb. Schönfeld, Franziska Bihler, Freiin von Trenk, Rachela von Bussetti, Marie und Elise Margarit, Maria Freiin von Bibra, Antonie Ferrari, Emma Mahler, Anna, Amalie und Alexander Schupp, Elisabeth Kuppelwieser und Fanny Diwald, außerdem Justina Freifrau von Krufft. Unter den besonders begabten Schülerinnen sind Henriette Paris und Nanette Sprinz hervorzuheben. Eine ihrer letzten Schülerinnen war Fanny Diwald, die Nichte ihrer Haushälterin, der Paradis testamentarisch ihr Fortepiano aus der Werkstatt von Joseph Brodmann vermachte.

Zu ihren Schülerinnen pflegte Paradis ein freundschaftliches Verhältnis, organisierte Bälle, feierte mit ihnen Feste und präsentierte sie bis wenige Wochen vor ihrem Tod regelmäßig in Hauskonzerten. Am 1. Febr. 1824 starb Theresia Paradis an einem Lungenleiden.

Die Lebensgeschichte der Künstlerin und insbesondere die Heilungsversuche durch Franz Anton Mesmer im Jahre 1777 inspirieren bis heute zu Erzählungen, Romanen, Essays, Filmen, aber auch zu Musical und Musiktheater, z. B. zu der Oper Maria Paradis des dänischen Komponisten Bo Holten (UA 6. März 1999).

 

Kompositionstafeln für Maria Theresia von Paradis, Johann Riedinger zugeschrieben, Wien, Anfang 19. Jh.

 

KOMPOSITIONEN FÜR KLAVIER (Auswahl)

Fantaisie in G für das Pianoforte, Wien o. J.; Fantaisie de Therese Paradis, dediée à sa chére [sic] petite Ecolière Nanette de Sprinz pour sa fête le 26. Juillet 1811, gedruckt in: Hidemi Matsushita, The musical career and the composition of Maria Theresia von Paradis 1759–1824, Diss., Brigham Young University 1989.

 

LITERATUR (Auswahl)

Brief von Georg Joseph Vogler vom 26. Juli 1784 an Unbekannt, The Historical Society of Pennsylvania (The Simon Gratz Autograph Collection, Musicians + Composers, Case 13, Box 17); zit. nach:  Journal aller Journale, 1786, S. 158.

AmZ 1810, Sp. 471–475, 905–910

Brünner Zeitung 1785, S. 285

Ephemeriden der Litteratur und des Theaters 1786, S. 193–198

Journal aller Journale 1786, S. 158–170

Journal von und für Deutschland 1784, S. 255–258

Rheinische Beiträge zur Gelehrsamkeit 1781, S. 234–253

Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt 1810, S. 59f.

Wiener AmZ 1813, Sp. 483–489, 493–498; 1817, 249–251, 265–267, 288–290, 314–317, 321–324

Schönfeld, Dlabacz, Schilling, Wurzbach

Ignaz de Luca (Hrsg.), Das gelehrte Oesterreich. Ein Versuch. Des ersten Bandes zweytes Stück, Wien 1778, S. 336–338.

Johann Christoph Wilhelm Kühnau, Die blinden Tonkünstler, Berlin 1810.

Joseph-Sigismund Ebersberg, Feierstunden der edleren vaterländischen Jugend, für die Freunde und jeden Gebildeten, zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse, zur Ermunterung zum Guten, zur Beförderung des Nützlichen, 4 Bde., Bd. 3, Wien 1830/31.

Leopold von Sonnleithner, Musikalische Skizzen aus Alt-Wien, Wien 1862.

Caroline Pichler, Denkwürdigkeiten aus meinen Leben, hrsg. von Emil Karl Blümmel (= Denkwürdigkeiten aus Altösterreich 5 u. 6), 2 Bde., München 1914.

Hermann Ullrich, „Maria Theresia von Paradis und Mozart“, in: Österreichische Musikzeitschrift 4 (1949), S. 316–327.

Ottokar Wanecek, „Das Testament der Maria Theresia von Paradis und ihr Haupterbe“, in: Der Blindenfreund 6 (1956), S. 172–178.

Hermann Ullrich, „Maria Theresia Paradis und Dr. Franz Anton Mesmer“, in: Jahrbuch des Vereines für Geschichte der Stadt Wien 17/18 (1961/1962), S. 149–188.

Hermann Ullrich, „Die Bildnisse der blinden Musikerin Maria Theresia von Paradis“, in: Musikerziehung 15 (1961/1962), S. 69–72.

Walter Pillich, „Die Konzertreisen der Maria Theresia Paradis im Lichte der diplomatischen Berichte", in: Wiener Geschichtsblätter 77 (1962), S. 41–46.

Hermann Ullrich, „W. A. Mozarts Begegnungen mit der blinden Musikerin Maria Theresia von Paradis“, in: Mozartgemeinde Wien. Forscher und Interpreten. 1913–1963, Wien 1964, S. 72–85.

Eva Badura-Skoda, „Zur Entstehung des Klavierkonzertes in B-Dur KV 456“, in: Mozart-Jahrbuch 1964, S. 193–197.

Constant Pierre, Histoire du Concert Spirituel 1725–1790, Paris 1975.

H. C. Robbins Landon, Haydn at Eszterháza1766–1790 (= Haydn: Chronicle and Works 2), London 1978.

Jiří Berkovec, Musicalia v pražském periodickém tisku 18. století [Musikalien in der Prager periodischen Presse des 18. Jahrhunderts] (= Varia de musica 6), Prag 1989.

Ernst Ramsauer, Maria Theresia Paradis. Eine biographische Darstellung mit besonderer Berücksichtigung ihrer Rolle als Pianistin, Komponistin und Pädagogik, Diplomarbeit am Institut für Musiksoziologie der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien, Abt. Musikpädagogik, Wien 1991.

Eva Weissweiler, Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Eine Kultur- und Wirkungsgeschichte in Biographien und Werkbeispielen, München 1999.

Simon McVeigh, „The Professional Concert and Rival Subscription Series in London, 17831793, in: Research Chronicle 22 (1989), S. 1–136.

Freia Hoffmann, „Die Wiener Pianistin Leopoldine Blahetka (1809–1885). Zwischen klassischer Tradition und marktgerechtem Virtuosentum“, in: Ich fahre in mein liebes Wien. Clara Schumann. Fakten, Bilder, Projektionen, hrsg. von Elena Ostleitner u. Ursula Simek, Wien 1996, S. 111–120.

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Marion Fürst, Maria Theresia Paradis: Mozarts berühmte Zeitgenossin (= Europäische Komponistinnen 4), Köln [u. a.] 2005.

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Beate Korntner, Frauen als Komponistinnen im Umfeld Mozarts. Mit einem besonderen Augenmerk auf Maria Theresia Paradis, München 2018.

Reinhard Anselm Deutsch, Die Pionierleistungen der Musikerin Maria Theresia Paradis (1759–1824). Blindheit als Chance?, München 2015.

 

Bildnachweis

Zeichnung: Copyright Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien, für AEIOU.

Kompositionstafeln: Kunsthistorisches Museum Wien, Sammlung alter Musikinstrumente (Neue Burg), Inv. Nr. SAM 1026 (Foto von Andreas Praefcke, auf http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kompositionstafel_Paradis_Wien_SAM_1026.jpg?uselang=de, Zugriff am 2. Mai 2012).

 

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