Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Theobald, Minnie B.

* 13. Jan. 1874 wahrscheinlich in London, † Sept. 1958 wahrscheinlich in Ovingdean (Ortsteil von Brighton, East Sussex), Violoncellistin und Violoncellolehrerin. Minnie Theobald entstammte einer in der Spiritualists Alliance engagierten Familie. Ihr Vater (?−1912), ihre Schwester Amy (?−1914) und ihr Bruder Bertram waren auch musikalisch aktiv. Mit neun Jahren begann Minnie ihre Ausbildung bei dem belgischen Violoncellisten Gustave Libotton (?−1891), mit zwölf Jahren trat sie bereits bei verschiedenen Anlässen öffentlich auf. Als sie 16 Jahre alt war, verlor die Familie einen Großteil ihres Vermögens, und es wurde beschlossen, Minnie zur professionellen Musikerin ausbilden zu lassen. Von den drei großen Londoner Musikhochschulen verfuhren vor allem die Guildhall School of Music (gegr. 1880) und das Royal College of Music (gegr. 1882) mit der Aufnahme von Streicherinnen auffallend liberal, und so gehört Minnie Theobald zur ersten Generation akademisch ausgebildeter Violoncellistinnen in England. Ihr Lehrer war der aus Belgien stammende Violoncellist Ernest de Munck (1840−1915). Im Nov. 1893 wird die Studentin der Guildhall School of Music erstmals als Preisträgerin erwähnt, und als sie im Sommer 1894 in den Prüfungen eine Goldmedaille errang, which is awarded with the Certificate of Proficiency and Associateship of the School“ (MusT 1894, S. 553), fügte der „Queenslander“ im australischen Brisbane in seinen „English Notes“ sogar hinzu, es sei „the first time the distinction has been won by a ’cellist“ (Queenslander 15. Sept. 1894). Die Preisverleihungen am 18. Okt. 1893 und am 27. Okt. 1894 waren verbunden mit Konzerten, in which the students of the School gave evidence of the excellent training which they receive“ (Musical News 1894 II, S. 366). Bei Krankheitsausfällen ihres Lehrers de Munck übernahm Minnie Theobald den Unterricht seiner Studierenden.

 


Minnie Theobald mit 14 Jahren.

 

Von 1895 an trat Minnie Theobald regelmäßig in London als Solistin auf. Am 24. März 1896 gab sie in der Corbin Hall im Stadtteil Crouch End ein eigenes Konzert mit anspruchsvollem Programm: Concerto militaire F-Dur op. 31 von Bernhard Romberg, Klaviertrio c-Moll op. 66 von Mendelssohn, Sarabande und Gavotte (wohl aus einer der Suiten) von Joh. Seb. Bach und Fantaisie et Variations brillantes sur la valse de Schubert op. 4 von Adrien-Joseph Servais. Die Presse war voll des Lobes, und die Guildhall School of Music wurde beglückwünscht on having added a most promising member to the all too small list of really first-rate English ’cellists (Lute Mai 1896, S. 511). Am 18. Febr. 1898 folgte ein Recital im kleinen Saal der Queen’s Hall, das wiederum neben Solokompositionen (Joh. Seb. Bach, Servais, Sonate e-Moll op. 38 von Brahms) mit Dvořáks Klavierquartett D-Dur op. 33 ein anspruchsvolles kammermusikalisches Werk enthielt. An der Wiedergabe von Servais’ op. 4 war diesmal auch Minnie Theobalds Bruder Bertram beteiligt. Im „Musical Standard“ war zu lesen: It was abundantly evident that Miss Theobald is a ’cellist of decided ability; both in tone, execution and style, her performances being entirely commendable. Her future career should be most successful (Musical Standard 1898, S. 137). Die Musical News beschreiben sie als a ’cellist of decided ability; she handles her instrument with good style, and puts soul and inspiration into her work (Musical News 1898, S. 243). Am 9. März 1899 folgte in der St. James’s Hall ein weiteres Konzert, in dem sie bei Mendelssohns Sonate B-Dur op. 45 von der Clara-Schumann-Schülerin Fanny Davies begleitet wurde. Weitere Programmpunkte waren Bruchs Canzone B-Dur op. 55, ein Menuett D-Dur von Hugo Becker und das Klavierquartett A-Dur op. 26 von Brahms. Nach gelegentlichen Engagements bei anderen Konzertveranstaltern, u. a. in Chesterfield, ist ein letztes Recital im Sommer 1900 dokumentiert, in dem Minnie Theobald ausschließlich virtuose und publikumswirksame Bearbeitungen zu Gehör brachte: Arrangements der Teufelstriller-Sonate von Tartini, der „Träumerei“ aus op. 15 von Schumann, der Variationen über God Save the King op. 9 von Paganini und der Ronde des Lutins von Antonio Bazzini. Minnie Theobald spielte ein Violoncello von Andrea Guarneri aus dem Jahr 1689.

Ihren Lebensunterhalt verdiente Minnie Theobald in der Folge vornehmlich mit Unterrichten. Wahrscheinlich Mitte der 1890er Jahre war sie der Theosophical Society beigetreten. 1907 ist ihre musikalische Mitwirkung im Rahmenprogramm des Jahreskongresses der Federation of European Sections of the Theosophical Society belegt. Informationen über ihren weiteren musikalischen Weg fehlen, während sie sich in der Folge intensiv mit mystisch-religiösen Themen und Astrologie beschäftigte und zahlreiche theosophische Schriften verfasste.

 

 

LITERATUR

Fun 1899 I, S. 87

Lute 1893 S. 274: 1896, S. 510f.

Musical Herald 1899, S. 375

Musical News 1893 II, S. 392; 1894 II, S. 366; 1896 I, S. 300; 1898 I, S. 243; 1899 I, S. 286; 1899 II, S. 535

Musical Opinion and Music Trade Review 1899, S. 447

Musical Standard 1893 II, S. 366; 1894 II, S. 345; 1895 I, S. 393; 1898 I, S. 137; 1899 II, S. 375

MusT 1894, S. 553; 1899, S. 265; 1900, S. 340

Queenslander [Brisbane] 15. Sept. 1894

Violin Times 1899, S. 98; 1900, S. 145f.

Minnie B. Theobald, Three Levels of Consciousness. An Autobiography, London 1960.

 

Bildnachweis

Theobald, Three Levels of Consciousness, S. 15 [II]

 

Freia Hoffmann

 

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