Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Bulewski, von Bulewski, Jadwiga, Edwige, und Wanda

Lebensdaten unbekannt, aus Polen stammende Musikerinnen. Jadwiga Bulewski, Violinistin, studierte zwischen 1869 und 1875 am Konservatorium in Genf bei Eugène Reymond (1872–1957). Wanda absolvierte dort in demselben Zeitraum ein Klavierstudium, das sie auch mit einem Examen in Klavierbegleitung abschloss. Nach einem Premier Prix im Juni 1875 setzte Jadwiga ihre Ausbildung in Paris bei dem Geiger Henri Vieuxtemps (1820–1881) fort, ihre jüngere Schwester studierte, ebenfalls in Paris, bei dem Pianisten Charles-Wilfrid de Bériot (1833–1914). Die Zeitschrift „Signale für die musikalische Welt“ erwähnt die Schwestern erstmals 1877 als Solistinnen in den Pariser Salons des polnischen Fürsten Władysław Czartoryski, wo sie „gute Proben ihres Talents und dessen Ausbildung lieferten (Signale 1877, S. 506). Spätestens ab April 1878 hielten sich die Musikerinnen in London auf, wo sie nach Auskunft des „Examiner“ schnell zu „favourites in high musical circles“ aufstiegen (Examiner 1879, S. 834). Ein eigenes Konzert fand am 12. Juli 1879 in der Französischen Botschaft statt. „Mdlle. Jadwiga is a worthy pupil of the famous Vieuxtemps, and, as a violinist who loves, understands, and masters her instrument, promises to one day become a second [Wilma] Néruda. Mdlle Wanda has so far overcome the difficulties of the pianoforte, that Schumann and Chopin do not come amiss to her, and, what is more, she interprets them with taste and precision. The manner in which these gifted sisters played the allegro from Beethoven’s Sonata in F and De Beriots Seventh Concerto gave distinct pleasure to their audience, and showed them in the light of truly appreciative artists“ (Examiner 1879, S. 931).

Es schlossen sich Konzerte in Brüssel, Stuttgart, Frankfurt a. M., Wiesbaden, Wien und Bukarest an, bevor die Musikerinnen im Juli 1880 wiederum London besuchten und auf der Rückreise in Dieppe, Deauville und Trouville musizierten. Der Frankfurter Auftritt am 26. Febr. 1880 wurde von der „Neuen Zeitschrift für Musik“ wohlwollend aufgenommen: „Jadwiga, die ältere Schwester, besitzt entschieden musikalisches Talent. Eine [Teresa] Milanollo oder Neruda ist sie noch nicht, aber bei gut geleisteten Studien verspricht dieselbe eine über das Heer der gewöhnlichen Virtuosen hinausragende Künstlerin zu werden. Als Schülerin von Vieuxtemps spielte sie namentlich dessen Ballade und Polonaise mit besonderem Chik [sic], mit fast männlicher Bogenführung […]. Wanda, die Pianistin, hat zwar ganz artige Fertigkeit, accompagnirte Manches recht hübsch und trug auch zwei Chopin’sche Tonsätze mit Geschmack vor, aber die Stufe der Künstlerschaft ihrer Schwester hat sie noch nicht inne“ (NZfM 1880, S. 246).

Weitere Konzertreisen führten in der Wintersaison 1880/81 nach Basel (9. Nov. 1880), Zürich (18. Nov. 1880) und Frankfurt a. M. (3. März 1881), wo der Korrespondent der „Neuen Zeitschrift für Musik“ wiederum die „elegante Bogenführung“ Jadwiga Bulewskis lobte, aber auch anerkennende Worte für die Schwester fand: „Die Pianistin Frl. Wanda hat tüchtige Fortschritte gemacht; sie spielte mit viel mehr Sicherheit und Selbstvertrauen und fand namentlich nach einem hübsch reproducirten Chopin’schen Nocturne großen Beifall“ (NZfM 1881, S. 329). Die Saison wurde am 16. Juli 1881 wiederum beschlossen durch die „annual Matinée“ in London. „The violin solos were the Polonaise of Vieuxtemps, in G, a Sarabande of Bach, and a Polish Dance by the late H. Wieniawski. The pianoforte solos comprised the first movement of Beethoven’s Sonata in D major, Op. 10, Nr. 3, a Mazurka, and a Valse of Chopin. Mlle. Jadwiga has a fine tone, well ‚drawn out‘ in sostenuto passages, and her staccato bowing is remarkably good. Mlle. Wanda executes her music with force and brilliancy; her accompaniment of the violin pieces sufficiently denoted her style and savoir faire (Musical Standard 1881 II, S. 53). Rückblickend charakterisiert der englische Journalist und Mitarbeiter des „Daily Telegraph“ William Beatty-Kingston Jadwiga Bulewski als Musikerin, „whom I do not hesitate to class amongst the most remarkable violinists of the day“ (Theatre 1881, S. 232).

Am 14. März 1882 ist ein Auftritt der Bulewskis in der Berliner Singakademie dokumentiert, „nachdem sie in einem Hofconcerte mitgewirkt hatten“ (Signale 1882, S. 392). Die Ankündigung in der „Neuen Berliner Musikzeitung“ geriet geradezu schwärmerisch: „Den Geschwistern Wanda und Jadwiga von Bulewski […] geht ein Ruf voraus, der die ganze Kunstwelt unserer Hauptstadt mit Recht in die äusserste Spannung versetzt hat. Ueberall, wo sie sich bis jetzt hören liessen, in Paris, Brüssel, Wien und vielen deutschen Städten, haben sie einen wahren Enthusiasmus entzündet. Die Pianistin Frl. Wanda vereinigt mit schönem, elastischem Anschlag männliche Kraft und doch grösste Zartheit; die Violinistin Frl. Jadwiga besitzt schönen Ton, tadellos reine Intonation und gleichfalls bedeutende Technik. Beide aber schöpfen trotz ihrer Jugend aus dem eigenen Innern und wissen durch ihr Spiel zu erwärmen und völlig hinzureissen. Dadurch aber zeigen sie sich als ein paar Künstlerinnen, die mit von Gott begnadetem Talent ausgerüstet sind. Meister wie Vieuxtemps haben den innigsten Antheil an dem Gedeihen der Geschwister genommen, und das sagt Alles“ (Bock 1882, S. 78). Wenige Tage später teilt dasselbe Blatt mit, die Schwestern hätten „den ihnen vorausgegangenen Ruf nicht in dem Maasse gerechtfertigt, wie man allgemein erwartet hatte“ (Bock 1882, S. 92). Die „Signale“ nahmen „Proben von Talent“ (1882, S. 392) wahr, und das „Musikalische Wochenblatt“ schrieb lapidar von den „Wunderschwestern […], von denen in den Zeitungen so viel Schreierei gemacht wurde und die doch so wenig leisteten“ (FritzschMW 1882, S. 194). In der Reihe der Pressestimmen ist eine so negative Beurteilung aber die Ausnahme.

Weitere Konzerte der Musikerinnen sind 1882 in Kopenhagen, 1886 in Warschau und 1887 in Riga nachgewiesen. Über den Fortgang ihrer Karriere haben sich anscheinend keine Nachrichten erhalten.

 

LITERATUR

Schreiben von Jacques Tchamkerten, Bibliothèque du Conservatoire de Musique de Genève, vom 15. März 2013 an die Verf.

Athenæum 1879 II, S. 90; 1880 II, S. 58f.

Bock 1882, S. 7892f., 414

Deutsche Rundschau 1880, S. 454

Examiner 1879, S. 834, 931

FritzschMW 1881, S. 79; 1882, S. 194

Graphic [London] 1881 II, S. 95

Le guide musical. Revue hebdomaire des mouvelles musicales de la Belgique et de l’étranger 1878, 29. Aug. (NP); 1881, 29. Dez. (NP)

Journal de Musique 10. Dez. 1881, S. 2

Der Klavier-Lehrer 1882, S. 81

Ménestrel 1880, S. 351

Musical Standard 1878 I, S. 250; 1881 II, S. 53

MusW 1881, S. 471

Musicalisches Centralblatt 1882, S. 489

NZfM 1880, S. 246, 516; 1881, S. 329

Orchestra 1878, Aug., S. 16; 1879, Juli, S. 366

Signale 1877, S. 506; 1879, S. 426, 853, 1097; 1880, S. 131, 533; 1881, S. 163, 392; 1882, S. 195, 392; 1883, S. 57; 1886, S. 382

Theatre 1881, S. 232

Wiener Sonn- und Montagszeitung 12. Apr. 1880

Wiener Zeitung 3. Apr. 1880

RudolphRiga

 

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