Thomas Beimel (1967−2016)

Nachlassverwalter

Thomas Beimel hatte 1996/97 in Bukarest Kompositionsunterricht von Marbe erhalten und sich, aus Überzeugung und wohl auch aus Dankbarkeit, später des Werks und der Lebensdokumente der Rumänin angenommen.

Geboren am 30. Juni 1967, war Thomas Beimel Komponist, Bratscher, Mitbegründer des Improvisationsensembles Partita Radicale, Rundfunkautor, Initiator von Kooperationsprojekten mit Schulen sowie Stipendiat und Composer in Residence verschiedener Organisationen. Und vor allem: Er war ein temperamentvoller, wortgewaltiger und diskussionsfreudiger Streiter für eine Gesellschaft, die Individualität, Kreativität und Vielfalt ermöglicht. Beimel starb am 29. Juni 2016 in Wuppertal völlig unerwartet.

Schon durch seine Tätigkeit als Nachlassverwalter Myriam Marbes war Beimel dem Sophie Drinker Institut langjährig eng verbunden. Doch auch als Autor in der hauseigenen Schriftenreihe stand er, der für uns ein ebenso kritischer wie konstruktiver Diskussionspartner war, dem Sophie Drinker Institut nahe.

Für das Gedenkkonzert am 26. August 2016 hat der Rundfunkautor und Schriftsteller Ulrich Land Abschiedsworte für Thomas Beimel formuliert. Sie charakterisieren Beimel auch aus unserer Sicht so gut, dass wir sie hier veröffentlichen.

 

 

Thomas Beimel – Farewell

 Ulrich Land

 

anlässlich des Gedenkkonzerts
für Thomas Beimel
Wuppertal, Citykirche, am 26.8.2016, 2o.oo Uhr
Kirchplatz 2, 42103 Wuppertal

 

Nizza, Erdogans Putsch, Würzburg, München, Ansbach. All das ist ihm erspart geblieben. Davon weiß er nichts, das muss ihn nicht heiß machen. Und es hätte ihn nicht kalt gelassen. Er ließ sich erschüttern. Regte sich tierisch auf, konnte stinksauer sein, zog ätzend vom Leder. Wenn's sein musste. Und aus politischen Gründen musste es oft genug sein. Geißelte mit Vorliebe blasiert blasse, sämtliche Ansprüche verratende Tendenzen in der Radiolandschaft. Löckte mit dialektisch beißendem Spott wider das farblos grasgrüne Gutmenschentum. Knirschte genussvoll auf dem Sand im Getriebe des Kulturbetriebs im Wupperjammertal und hierzulande und andernorts. Ich kenne keinen Komponisten, der so politisch war, so politisch geblieben war, der nicht ein Gran von seinem Sensorium für aktuelle Entwicklungen zum Abschütteln freigab.

Er nahm immer noch und mit wachsender Begeisterung Worte in den Mund, die in der Szene längst verschollen waren. "Kollektiv" zum Beispiel. Jedes Mal, wenn er auf Partita Radicale zu sprechen kam – keine zwei Minuten, dann ließ er das Wort "Kollektiv" an die Luft. Nicht ohne Stolz. Den Stolz der Hartnäckigkeit.

Ich hatte beispielsweise die Ehre, über die letzte Volkszählung – im Jahre des Herrn 2011, an die sich vermutlich kaum noch einer hier im Saal erinnert, weil sie so reibungslos über die Bühne ging – über diese Volkszählung also einen ketzerischen Radiobeitrag zu fabrizieren. Suchte händeringend nach einem zornigen Interviewpartner. Thomas. Nicht nur, dass er sich noch genauestens an den 1987er Volksaufstand aus Anlass des damals 24, heute 29 Jahre zurückliegenden Zensus erinnern konnte, nicht nur, dass er immer noch als einer der letzten Europäer ohne Kreditkarte und ohne Handy durchs Leben stolzierte – ihm gelang es, auch in diesem Zusammenhang das Wort "Anarchie" aus dem goldenen Käfig des Sprachschatzkästleins auf freien Fuß zu setzen. Und also ins Radio zu tragen. Anarchie, seit mindestens zwanzig Jahren nun wirklich ein No-Word.

Seine große Nase rümpfte sich leicht, als die Rede auf die mal wieder angedrohten Bußgelder bei Verweigerung der staatsbürgerlichen Formularverpflichtungen kam. Mir doch wurscht, trötete er über seinen schwarzen, seinen pechschwarzen Kaffee hinweg. Angst mache ihm vielmehr die Tatsache, dass sich all die Schreckens-szenarien, die man '87 bei der Volkszählung noch hochgerechnet habe – das Zukunftspanorama des gläsernen Menschen, der jederzeit lokalisiert und bei samt und sonders sämtlichen Transaktionen beobachtet, durchleuchtet werden könne – dass sich all diese Horrorszenarien schleichend realisiert hätten. Von der Realität eingeholt und überholt worden wären.

Vor allem aber – und das war seine größte Sorge – vor allem erschreckte ihn, dass niemand mehr wage, gesellschaftliche, geschweige denn gesamtgesellschaftliche Utopien zu denken, sich auszumalen und in so was wie soziale Bewegungen einzubringen. Und zwar nicht aus Furcht vor Repressalien. Die habe eh keine staatliche Institution mehr nötig. Sondern einfach nur, weil jeder, der das Wort "Utopie" über die Lippen bringe, sich sofort diskreditiere, zum Gespött der Leute mache. Und das nicht in gutbürgerlichen Kreisen, sondern vor allem in der eigenen Szene.

Thomas Beimel, der unverbesserliche Nonkonformist. Und Komponist, dessen Musik irgendwie andere, sanftere, heitere Töne anschlug. Ein Komponist, der eine Neue Musik schrieb und bratschte, die man sich tatsächlich freiwillig zuhause als CD auflegt. Der, konnte seine Musik noch so zeitgenössisch sein, keine Angst vor Harmonien hatte. Und nicht vor Melodien. Vor gefälligen sogar, vor sich einschleichenden Ohrwürmern. Dabei war's ihm weder um eine Musik zu tun, die verkleistern will, noch um eine, die auf Deibel komm raus verstören, Konventionen und Konversationen zerhacken, in Grund und Boden stampfen will. Viel mehr um eine, die eingeschlichene Schemata aufzeigen, augenzwinkernd enttarnen, dem selbstironischen Grinsen preisgeben will. Ohne munter dahinplätschernd den Opernhaussitz zum Ohrensessel zu machen. Eine Musik, nicht zufrieden, nie selbstzufrieden, die immer Anstoß nahm an den Zeitläuften.

Nizza, München und Ansbach, ja, wahrscheinlich hätten ihn die dramatischen Einbrüche blödsinniger Gewalt nur begrenzt überrascht. Wären ihm erschienen als Ausgeburten und Verstärker einer längst vorhandenen Angst, als eine Verschärfung des Ausgehverbots in die Gärten Utopias. In einer Ära, wo wir den Bürgerschreck längst abgelegt, den Staatsfeind in uns domestiziert, den Kulturpessimisten durch mehr oder minder vermeintliche Karriereschübe eingeschläfert, den Revoluzzer als Clown gefrühstückt haben. In einer Ära der stromlinienförmigen Geschmeidigkeit beim Einpassen unserer selbst in die dargebotenen Schablonen. Wo wir uns darin überbieten, cool vor der Tagesschau sitzen zu bleiben, die Füße auf dem Wohnzimmertisch, ohne eine Miene zu verziehen. In einer Ära der event-reichen Ereignislosigkeit, der highlight-entfachten Verdunklungsgefahr. Da könnten wir einen wütend leidend lachenden Zeitgenossen, der uns immer wieder an den Schwung unserer Lust auf Neuanfänge erinnert, könnten einen aus den passgenauen Stanzformen ausscherenden Hutträger, einen gelassen aufmüpfigen Komponisten, einen chaotisch fantasievollen Pingel, einen knallrothaarigen Glatzkopf, da könnten wir einen Thomas Beimel gut, verdammt gut gebrauchen.

Er fehlt.