Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Mattmann, Louise

* 1827 in Ballwil (Schweiz), † 12. Sept. 1861 in Paris, Pianistin. Schon früh machte sie auf sich aufmerksam: „Mlle Mattman, âgée [sic] de dix ans, c’est […] fait entendre, il y a quelques jours, au palais de Compiègne; Mme la duchesse d’Orléans a bien voulu promettre qu’elle se chargerait de l’éducation musicale de cette jeune pianiste, qui donne de grandes espérances (Mlle. Mattmann, zehn Jahre alt, ließ sich vor einigen Tagen im Palais de Compiègne hören; die Herzogin von Orléans versprach gütigerweise, sich um die musikalische Ausbildung dieser jungen Pianistin zu kümmern, die zu großen Hoffnungen berechtigt“, Le Ménestrel 8. Okt. 1837). Den Unterricht übernahm Friedrich Kalkbrenner (1788–1849). Eine Würdigung der jungen Musikerin findet sich nach einer Soiree, in der sie Werke ihres Lehrers und Thalbergs vortrug. Der Autor lobt ihren Ton, ihre Genauigkeit und ihre Brillanz, vermisst jedoch Lebendigkeit und Wärme in ihrem Vortrag, was er ihrer Jugend zuschreibt: „Il manque à cette manière intelligente et correcte de phraser, une chaleur vitale, une animation réelle que le génie de l’imitation ne saurait suppléer, mais qu’il est physiquement impossible de rencontrer dans une si grande jeunesse“ („Es fehlt bei dieser einsichtigen und korrekten Art der Phrasierung eine Kraft und Wärme, eine wirkliche Lebendigkeit, welche durch Nachahmung nicht ersetzt werden kann, aber dies kann man aufgrund der körperlichen Entwicklung unmöglich bei so früher Jugend antreffen“, RGM 1840, S. 209). 1841 ließ sie sich, nach einem Jahr des Übens und Reisens, erneut bei einem Konzert in der Salle Pleyel hören. Die „Revue et Gazette musicale“ lobt ihre musikalische Entwicklung, die auch auf die Unterrichtsmethode ihres Lehrers zurückgeführt wird.

In den folgenden Jahren trat Louise Mattmann – überwiegend in Paris – häufig in der Öffentlichkeit auf und errang bald den Ruf einer der hervorragendsten Pianistinnen Frankreichs. Regelmäßig konzertierte sie u. a. im Salon der Marie Pleyel. Bei einem Konzert im Pariser Konservatorium im Jahre 1845 machte sie das Publikum mit Beethovens Konzert in G-Dur bekannt. Dieses war in Frankreich noch nicht im Druck erhältlich, weshalb die junge Pianistin das Werk selbst handschriftlich notiert hatte: „Grace a cet immense travail, elle a joué avec une intelligence du sens général, une certitude d’exécution et une maestria vraiment surprenantes“ („Aufgrund dieser unermesslichen Arbeit hat sie mit viel Verständnis für das Ganze, mit großer Sicherheit in der Ausführung und einer wahrhaft überraschenden Meisterschaft gespielt“, La Presse 17. März 1845, S. 2).

Über ein Konzert 1848 schreibt die „Allgemeine musikalische Zeitung“: „Die junge Klavierspielerin haben wir längst als eines der grossartigsten Talente, die das musikalische Paris aufzuweisen hat, bezeichnet. Sie spielte diesmal wieder alle, selbst die schwierigsten Quartettkompositionen auswendig, und ich erinnere mich nicht, die Cis moll-Sonate von Beethoven […] tiefer und ausdrucks­voller gehört zu haben, als von ihr. Diese so talentvolle junge Dame verliert in der Herzogin von Orléans eine zweite Mutter; sie verdankt ihr ihre ganze musikalische Bildung“ (AmZ 1848, Sp. 274). Immer wieder auch in kammermusikalische Ensembles eingebunden, organisierte Louise Mattmann in der Wintersaison 1847/48 vier séances marquantes de musique de chambre“ (Fauquet, S. 226) mit dem Geiger Jean-Pierre Maurin und dem Violoncellisten Charles Lebouc, in denen Werke von Haydn, Boccherini, Mozart, (Bernhard?) Romberg, Beethoven, Baillot, Rode, Hummel, Fesca, Weber und Franchomme erklangen. Von 1855 bis 1860 spielte sie jedes Jahr in mehreren der Séances de musique classique et historique, veranstaltet von Charles Lebouc. 1855 trug sie hier unter anderem ein Konzert von Joh. Seb. Bach sowie Werke von Mendelssohn, Weber und Mozart vor.

1856 begab sie sich auf eine Konzertreise. In London, wo sie für Soireen und Matineen klassischer Musik engagiert war, debütierte sie mit Werken von Beethoven und Mozart. Danach reiste sie nach Baden-Baden, um in dem neu erbauten Konzertsaal Kammermusik-Abende zu geben. Hier trug sie u. a. zusammen mit dem Pariser Violinisten Delphin Alard, dem Violoncellisten Charles Lebouc und dem Bratschisten Eychler ein Klavierquartett von Beethoven vor. Jährlich veranstaltete sie in Paris selbst ein Konzert, so auch 1857 in einem „überfüllten Saal“ (Bock 1857, S. 143), in dem sie mit vielen anderen Musikern gemeinsam sowie auch solistisch musizierte. Aristide Farrenc lobte ihr exzellentes Spiel: „Aujourdhui il est presque inutile de vanter le talent de notre excellente pianiste Mme Mattmann, et je ne connais personne, même parmi les artistes, qui ne rende hommage à ses qualités. Son mécanisme est dune correction achevée; le son quelle tire de linstrument a de la vigueur et du moelleux, son jeu, enfin, est extrêmement nuancé. En somme, cette excellente virtuose produit toujours beaucoup deffet sur le public qui toujours lapplaudit avec un nouveau plaisir“ („Heutzutage ist es beinahe unnötig, das Talent unserer ausgezeichneten Pianistin Mme. Mattmann zu rühmen, und ich kenne niemanden, selbst unter den Künstlern, der ihren Qualitäten keine Anerkennung zollt. Ihre Technik ist von einer vollendeten Genauigkeit, der Klang, den sie dem Instrument entlockt, ist markig und voller Lebenskraft, und ihr Spiel schließlich ist äußerst nuanciert. Alles in allem macht diese außerordentliche Virtuosin stets großen Eindruck auf das Publikums, das ihr immer wieder mit neuem Vergnügen applaudiert“, La France musicale 1856, S. 122).

In den folgenden Jahren konzertierte sie in Paris (u. a. im Beethoven-Saal) sowie in Bordeaux. Noch kurz vor ihrem Tod im Jahr 1861 trat sie im Pariser Konservatorium auf, wobei sie dem Konzert in d-Moll von Mozart eine Kadenz hinzufügte, die vom Publikum enthusiastisch beklatscht wurde.

Louise Mattmann war bekannt als hervorragende Beethoven-Interpretin, daneben spielte sie solistische Literatur von Joh. Seb. Bach, Mendelssohn, Haydn, Weber, Chopin, Mozart, Hummel, Louise Farrenc und Alphonse Blanc. Gelegentlich wurde bemängelt, sie spiele zu wenige moderne und zudem zu wenige französische Kompositionen. Auch geschlechtsspezifische Wahrnehmungsweisen finden sich unter den – überwiegend positiven – Konzertkritiken. So heißt es über ihre Begleitung im Septett in d-Moll von Hummel 1860: „Ce qui me plaît dans Mme Mattmann, c'est quelle ne cherche pas à tirer de son instrument plus de son que ses forces physiques ne lui permettent den obtenir; son jeu pourrait peut-être avoir plus dampleur, mais il est doux, égal, limpide et féminin: jouer en femme, cest une grâce, cest un attrait que trop de femmes pianistes dédaignent aujourd'hui. Je félicite Mme Mattmann dêtre restée de son sexe et de se montrer fidèle aux belles traditions du jeu lié et de la grande école de Hummel („An Mme. Mattman gefällt mir, dass sie nicht versucht, aus ihrem Instrument mehr Klang herauszuholen, als es ihre physischen Kräfte erlauben. Ihr Spiel könnte vielleicht mehr Kraft haben, aber es ist lieblich, gleichmäßig, klar und weiblich. Es ist ein Geschenk, ein Reiz, den zu viele Pianistinnen heute missachten. Ich beglückwünsche Mme. Mattmann, dass sie zu ihrem Geschlecht steht und Treue gegenüber den schönen Traditionen des gebundenen Spiels und der großen Schule Hummels beweist“, La France musicale 1860, S. 102).

1845 widmete ihr Allyre Bureau ein Air de ballet, und 1862 komponierte Eugène Walckiers ein Quintett zum Andenken an die verstorbene Pianistin.

 

LITERATUR

AmZ 1848, Sp. 274

Bock 1853, S. 78; 1855, S. 103; 1856, S. 237, 278; 1857, S. 143f., 1858, S. 48, 87f.; 1859, S. 413

Dwight’s Journal of Music 1853, S. 46

La France musicale 1848, S. 4, 9, 12, 22, 61; 1855, S. 18, 27, 28, 44, 68, 82, 124f., 278, 373, 407; 1856, S. 14, 26, 30, 43, 67, 87, 90, 107, 122f., 134, 228, 251; 1859, S. 7, 15, 27; 1860, S. 102, 129, 147, 191, 475

L’Indépendant. Furet de théatres 1. Apr. 1844, S. 3

Journal des artistes 1846, S. 104

Le Ménestrel 8. Okt. 1837

MusW 1856, S. 327; 1861, S. 293

Neue Wiener Musik-Zeitung 1856, S. 35

Niederrheinische Musik-Zeitung 1856, S. 264

NZfM 1848 II, S. 26; 1850 I, S. 166; 1852 I, S. 288

La Phalange. Journal de la science sociale 1843, S. 2083; 1845, S. 511

La Presse 1845, 17. März, 21. Apr.; 1851, 26. März, 9. Apr.; 1852, 4. Febr., 30. März; 1854, 11. Apr.; 1856, 9. Febr.; 1860, 12. März; 1861, 20. Sept.

L’Univers musical. Journal littéraire et artistique 1855, 1. Jan., S. 38; 1858, 15. Jan., S. 52; 1862, 17. Apr., S. 121

Revue des deux mondes 1852, S. 1184; 1854, S. 634

Revue musicale mensuelle 1911, S. 43.

RGM 1840, S. 209; 1852, S. 51; 858, S. 111; 1857, S. 356; 1858, S. 74, 111, 398

Rheinische Musik-Zeitung 1854, S. 102

Signale 1852, S. 236; 1856, S. 167; 1861, S. 544; 1866, S. 282

Kasimir Pfyffer von Altishofen, Der Kanton Luzern, historisch-geographisch-statistisch geschildert. Ein Hand- und Hausbuch für Jedermann, Bd. I, St. Galllen u. Bern 1858.

Antoine Elié Elwart, Histoire de la Société des concerts du Conservatoire impérial de musique, Paris 1860.

L. le Fourcaud [u.a.], La Salle Pleyel, Paris 1893.

Joël-Marie Fauquet, Les sociétés de musique de chambre à Paris de la restauration à 1870, Paris 1986.

 

Anja Herold

 

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