Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Backer-Grøndahl, Agathe (Ursula)

* 1. Dez. 1847 in Holmestrand (Norwegen), † 4. Juni 1907 in Christiania (heute Oslo), Pianistin und Komponistin. Sie war die Tochter des Konsuls und Geschäftsmannes Nils Backer (1815–1877) und dessen Frau Sofie Smith geb. Petersen (1818–1882). Von ihren drei Geschwistern schlug ihre Schwester Harriet (1845–1932) als Malerin ebenfalls eine Laufbahn als Künstlerin ein.

In der wohlhabenden und kunstliebenden Familie Backer wurden die Talente der vier Kinder früh gefördert. Es heißt, dass die Familie u. a. deshalb 1857 in die Hauptstadt zog, damit Agathe guten Klavierunterricht erhalten konnte. Das Mädchen, das zunächst von einer Pianistin Wirth unterrichtet worden war, erhielt schon bald Klavierunterricht bei Otto Winter-Hjelm (1837–1931) und Halfdan Kjerulf (1815–1868). Später wurde diese Ausbildung durch Stunden in Musiktheorie und Komposition bei Ludwig Mathias Lindeman (1812–1887) ergänzt.

Ein erster konzertanter Auftritt ist aus dem Jahr 1864 bekannt. Die 17-Jährige  spielte bei einem Konzert in Oslo Schumanns Klavierkonzert a-Moll sowie ein Werk von Reinecke an zwei Klavieren, gemeinsam mit der etwa gleichaltrigen Erika Lie. Der Lehrer war insgesamt sehr angetan von den Fortschritten seiner Schülerin. In einem Tagebucheintrag heißt es: „Am Abend war Agathe Backer bei uns. ... Prächtig spielte sie [meine Kompositionen] Berceuse und Caprice (D-Dur)“ (17. Jan. 1865, zit. nach Grinde 2003, S. 112). Er empfahl, das Mädchen zur weiteren Ausbildung ins Ausland zu schicken, riet jedoch von einer Professionalisierung  ab. Noch in demselben Jahr begann die junge Pianistin ihre Ausbildung am Kullak'schen Konservatorium in Berlin, wo sie bis 1869 blieb. Theodor Kullak (1818–1882) selbst erteilte ihr Klavierunterricht, Richard Ferdinand Wüst unterwies sie in Komposition.

Agathe Backer-Grøndahl, Porträt von Frederik Johannes

Gottfried Klem, ca. 1866 bis 1870.

Bereits zwei Jahre nach Studienbeginn lobt die Zeitschrift „Signale“ anlässlich eines Schülerkonzerts: „Fräulein Backer, welche den ersten Satz von Beethoven's Esdur-Concert vortrug, bekundete neben einer starck entwickelten technischen Fertigkeit auch in der Auffassung feinen und geläuterten Geschmack“ (Signale 1867, S. 310). Anlässlich eines Besuches bei den Eltern im Jahr 1868 trat sie erstmals unter Edvard Grieg auf, im folgenden Jahr gab sie ihr Debüt mit einem eigenen Konzert, bei dem u. a. auch ihre Komposition Andante quasi allegretto für Klavier und Orchester erklang. „Diese junge Norwegerin, welche sich ganz der Kunst zu widmen gedenkt, zeichnete sich durch das von ihr componirte Andante quasi Allegretto aus, welches von einer unverkennbaren Originalität in den Themen, so wie von einer leichten Formengestaltung und geschickten Instrumentirung Zeugniss gab; sodann als Pianistin durch den vollendeten Vortrag der von ihr componirten Pièce, als auch einer Rhapsodie hongroise von Liszt und der von demselben für Piano und Orchester arrangierten ‚Polonaise‘ von C. M. v. Weber. In allen errang sie durch einen elastischen Anschlag wie Kraft und Zartheit im Ausdruck den allgemeinsten Beifall“ (Bock 1869, S. 95). Wie sich in dieser frühen Kritik bereits andeutet, sollte das Zusammenwirken von pianistischer und kompositorischer Tätigkeit die nächsten Jahre in Agathe Backers Leben bestimmen.

Doch zunächst einmal ging es darum, die pianistische Ausbildung der jungen Künstlerin zu vervollkommnen. Zu diesem Zweck begab sie sich nach Florenz (1871), um bei Hans von Bülow (1830–1894) Unterricht zu nehmen, und zwei Jahre später, 1873, zu Liszt nach Weimar. Gleichzeitig begann eine intensive Konzerttätigkeit in Deutschland, Dänemark und den skandinavischen Ländern. Die Kritiken sind positiv, bringen aber durchaus auch Bedenken zum Ausdruck, etwa an der Literaturauswahl oder an zu großem Wert auf Fingerbildung und Tempo, worunter der Ausdruck gelitten habe.

Nach der Heirat mit dem Dirigenten Olaus (Olan) Andreas Grøndahl (1847–1923) im Jahr 1875 verlegte die Pianistin ihren Wirkungskreis mehr und mehr nach Skandinavien. Sie spielte weiterhin mit Erika Lie-Nissen an zwei Klavieren, außerdem arbeitete sie mit Musikern wie Edvard Grieg oder dem Geiger Ole Bull zusammen. Ihr Tagesablauf war vorwiegend von Klavierunterricht und der eigenen Familie bestimmt (insgesamt wurden in den folgenden Jahren vier Kinder geboren, darunter der Pianist Fridtjof, ein Mädchen starb früh). Das Angebot einer Klavierprofessur am Peabody Conservatory of Music in Baltimore/USA schlug sie aus familiären Gründen aus. Besondere Auszeichnung erfuhr die Künstlerin 1875 mit der Aufnahme in die „Svenska Musikaliska Akademien“ und der Verleihung der Medaille „Pro literis et artibus“ durch den schwedischen und norwegischen König im Jahr 1885. Die kommenden Jahre waren von häufigen Auslandsreisen bestimmt: Paris (1887, 1889) und London (1889, 1890) sind hier an erster Stelle zu nennen. Berühmte Kritiker wie Oscar Commettant und Bernhard Shaw äußerten sich lobend über Agathe Backer-Grøndahl: „A great artist – a  serious artist – a beautiful, incomparable, unique artist!“ (Shaw, Bd. 1, S. 679). Besonders die Kritiken aus England sind nahezu überschäumend vor Begeisterung. Die Interpretation von Griegs Sonate für Violine und Klavier c-Moll im Zusammenspiel mit Johannes Wolff etwa „was so nearly perfect that it was hard to believe that Herr Grieg himself was not before us“ (MusW 1889, S. 477).

Gesundheitliche Probleme bestimmten Agathe Backer-Grøndahl allerdings in den folgenden Jahren, ihre Konzerte immer weiter einzuschränken. Sie widmete sich verstärkt dem Unterrichten und Komponieren, eine letzte Konzerttournee unternahm die an fortschreitender Taubheit leidende Künstlerin im Jahr 1901 durch Schweden und Finnland. Ein letzter Auftritt fand 1903 statt.

Backer-Grondahl beim Musikfest in Bergen 1898 als einzige Frau inmitten norwegischer Komponisten. Mit dabei u. a. Edvard Grieg, Johan Severin Svendsen, Johan Halvorsen, Christian Sinding. Photographie von Karl Anton Peter Nyblin.

WERKE FÜR KLAVIER

Humoreske, „Warmuths Jubileums-Album“, o. op., [1876]; Menuet [„Pianomusik af nordiske Komponister“], o. op., Christiania 1879; Menuett F-Dur, o. op. (NA: Körborn 2013); Huldreslaat [Nordisk Musik-Tidende], o. op., Christiania 1887 (NA: Körborn 2011); Kunstnermarch, o. op., Christiania 1887; Caprice g-Moll, o. op., Christiania 1893 (NA: Körborn 2013); Seks Concert-Etyder H. I u. II, op. 11, Christiania 1881; Trois morceaux: 1. Sérénade, 2. Au bal, 3. Humoresque, op. 15, Kopenhagen 1882; Fire Skizzer, op. 19, Christiania 1886; Suite: 1. Prélude, 2. Nocturne, 3. Gavotte, 4. Menuett, 5. Scherzo, op. 20, Christiania 1887; Trois etudes, op. 22, Christiania 1888; Six idylles pour piano, op. 24, Christiania 1888; Tre klaverstykker: 1. Novelette, 2. Gavotte, 3. Intermezzo, op. 25, Christiania 1890; Norske Folkeviser og Folkedandse for klaver, op. 30, Christiania 1891; Trois études de concert, op. 32, Kopenhagen 1895; Norske Folkeviser og Folkedandse ... for Klaver, op. 33, Christiania 1894; Tre Klaverstykker: 1. Allegro scherzando, 2. Albumblad, 3. Impromptu, op. 35, Christiania 1894; Fantasistykker: 1. Allegro scherzando, 2. Albumblad, 3. Impromptu, op. 36, Christiania 1895; Serenade i Fiss Dur, op. 37, Kopenhagen 1896; Tre ungarske Studier: 1. Humoreske, 2. Intermezzo, 3. Marche fantastique, op. 38, Christiania 1896; Fantasistykker 2. Samling: H. I (1. Souvenir, 2. Sommernat, 3. Svalernes Flugt, Rosernes Sang, I Baaden) u. H. II. (1 Springvand, 2. Fuglesang om Vinteren, 3. Laat, 4. Visnet, 5. Gammeldags), op. 39, Christiania 1896; I Blaafijellet Eventyrsuite: 1. Nat, 2. Trollhallen, 3. Stortrollet, 4. Huldrelok, 5. Den Bjergtagnes Kvad, 6. Trolldans, op. 44, Christiania 1897; Fantasistykker 3. Samling: 1. Ungdomssang, 2. Zephyr, 3. Sommervise, 4. Gyngende, 5. Vals, op. 45, Christiania 1897; Études de concert, op. 47, Kopenhagen; Tre Klaverstykker: 1. Serenade, 2. Albumblad, 3. Valse Caprice, op. 53, Christiania 1900; Små Fantasistykker 3. Samling: H. I (1. March, 2. Ungarsk No. 1, 3. Liden Vals, 4. Et Farvel, 5. Spansk, 6. Ländler) u. H. II (1. Bestemors Menuet, 2. Ungarsk No. 2, 3. Romance, 4. Barcarole, 5. Polska, 6. Springdans), op. 55, Christiania 1902;  Études de Concert, op. 57, Kopenhagen 1903; Concert-Études, op. 58, Kopenhagen 1903; Seks Klaverstykker: 1. Menuet, 2. Intermezzo, 3. Mandolinata, 4. Nocturne, 5. Albumblad, 6. Ved Vuggen, op. 59, Christiania 1903; Prélude, Grand Menuet, op. 61, Kopenhagen 1904; Lettere Fantasistykker: 1. Menuet, 2. Stermning, 3. Trist, 4. I Baaden, 5. Smaabolger, op. 63, Kopenhagen 1904; Danse burlesque, Valse Caprice, op. 64, Christiania: Hals 1904; Seks Fantasistykker - Barnlige Billeder: 1. Ride, ride Ranke, 2. Gjemme sig, 3. Lobe omkap, 4. Duettino, 5. Skumringen, 6. Godnat, op. 66, Christiania 1905; To Klaverstykker: 1. Taagedans, 2. Valse gracieuse, op. 68, Christiania 1907; Tre Klaverstykker: 1. Nocturne, 2. Humoreske, 3. Capriccio, op. 69, Christiania 1907

 

LITERATUR

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Lena Haselmann, Agathe Backer Grøndahl - von Norwegen nach Berlin. Professionelle Musikausbildung im 19. Jahrhundert, Münster 2018.

 

Bildnachweis

The Norvegian American 28. Juni 2021.

Claudia Schweitzer

 

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