Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

PaurPaur-Burger, Marie, geb. Burger, Bürger

* 1862 in Gengenbach (Baden), † 27. April 1899 in New York, Pianistin. Detaillierte Informationen über die frühe musikalische Laufbahn Marie Paurs fehlen. Unterrichtet wurde sie Ende der 1870er Jahre von Sigmund Lebert (1821–1884) und Dionys Pruckner (1834–1896) am Stuttgarter Konservatorium für Musik und setzte ihre Ausbildung in Wien als Schülerin Theodor Leschetitzkys (1830–1915) und dessen Frau Anna Essipoff fort.

Am 29. Jan. 1882 heiratete Marie Burger den Pianisten, Violinisten, Komponisten und Dirigenten Emil Paur (1855–1932), den sie in Mannheim kennengelernt hatte und mit dem sie in den folgenden Jahren vielfach gemeinsam öffentlich musiziert hat. Die beiden hatten zwei Söhne, Hans und Kurt. Letzterer wurde später ebenfalls als Pianist bekannt.

Marie Paurs erster bekannter öffentlicher Auftritt fand im Jahr 1883 in Mannheim im Rahmen eines Benefizkonzerts statt. Gemeinsam mit ihrem Mann trug die Pianistin das Concerto pathétique Searle 258 für zwei Klaviere von Liszt sowie den ersten Aufzug des Wagner’schen Parsifal in einer Bearbeitung für zwei Flügel und ein Harmonium (gespielt vom Kgl. Musikdirektor Albrecht Hänlein) vor. In den nächsten Jahren blieb die Pianistin in Mannheim aktiv und wirkte bei mehreren Veranstaltungen, beispielsweise bei Musikalischen Abenden der Hofopernsängerin Helene Seubert-Hausen im Jahr 1886 mit. Dort begleitete Paur die Sängerin bei verschiedenen Liedern und spielte einige Solo-Stücke von Beethoven, Schumann, Schubert und Chopin. Beim 6. Akademiekonzert am 23. Febr. 1888 begleitete sie die Sängerin Höck bei einer Mozartarie sowie verschiedenen Schumann- und Brahms-Liedern. Im gleichen Jahr spielte das Ehepaar Paur bei einer Matinee eine Violinsonate von Robert Kahn.

1889 zog Marie Paur zusammen mit ihrem Mann nach Leipzig, wo Emil Paur eine Stellung als Kapellmeister am Neuen Theater angenommen hatte. Gegen Ende des Jahres unternahm das Ehepaar eine Konzertreise nach Berlin und Königsberg. Am 3. Nov. des Jahres 1891 traten Marie und Emil Paur mit dem Kammersänger Carl Perron in der Berliner Singakademie auf. Die Pianistin begleitete Perron bei einigen Liedern und spielte gemeinsam mit ihrem Mann das Concerto pathétique von Liszt. Über die Darbietung dieses Stückes schrieb die „Neue Berliner Musikzeitung“ wohlwollend: „Emil und Marie Paur […] zeigten sich als treffliche Musiker, denen man eingehendes Verständnis der vorgetragenen Werke und reifentwickelte Technik nachrühmen darf“ (Bock 1888, S. 406). Anfang Nov. 1891 folgte mindestens ein weiteres Konzert in Berlin, in dem Marie Paur mit ihrem Ehemann neben Liszts Concerto pathétique Schumanns Andante und Variationen B-Dur op. 46 für zwei Klaviere vortrug.

Mit demselben Programm trat das Ehepaar am 28. Jan. 1892 im Mannheimer Casinosaal auf. Nach der Rückkehr wirkte Marie Paur in einer Soiree des Leipziger Fröbel-Vereins mit, in der sie mit Mary Brammer und Julius Klengel Haydns Trio in G-Dur „in vorzüglicher Weise“ (NZfM 1892, S. 113) vortrug.

Mit einem Hauskonzert in der Leipziger Wohnung der Paurs am 8. Mai 1892 fand der letzte belegbare Auftritt der Pianistin in Deutschland statt. Im Jahr 1893 siedelten die Pianistin und ihr Mann nach Boston/MA über, wo Emil Paur während der nächsten fünf Jahre das Boston Symphony Orchestra leitete. In einem ausführlichen Interview im „Boston Journal“ vom 4. Okt. 1893 berichtet die Pianistin von ihrer Reise nach Amerika, ihrem Umzug in ein Haus im Stadtteil Jamaica Plain sowie der Musikalität ihrer beiden Söhne. Auf die Frage, ob öffentliche Auftritte von ihr zu erwarten seien, antwortet sie: „Perhaps, although I am not sure yet. I am not anxious for notoriety“ (Boston Journal 4. Okt. 1893). In einem späteren Interview mit Emil Paur übersetzte dessen Frau für ihn, und es wird deutlich, dass sie vielfach für ihren Mann als Dolmetscherin fungierte.

Auch in Boston wirkte Marie Paur bei verschiedenen Konzerten und in verschiedenen Formationen mit. Über ihren ersten bekannten öffentlichen Auftritt in der Stadt am 13. Nov. 1893 gemeinsam mit dem Kneisel Quartett, bei dem sie an der Aufführung von Schuberts Klaviertrio Nr. 2 Es-Dur op. 100 beteiligt war, schrieb ein Kritiker des „Boston Daily Advertisers“: „It is not too much to say that Mrs. Paur shines in her own right, that she will require no fictitious puffery or adventitious aid. She is the best musician that has yet come to Boston as a conductor’s spouse. She played the work earnestly, yet in a manner that showed that her reserve force had not been called upon; her limit had not been reached. The heights and depths of emotion were not scaled and sounded, but every phrase was honest, unaffected and sincere. In the first and second movements [sic] there was an occasional excess of power on the piano, but in the rest of the work the careful subordination of the instrument was remarkable, and the ensemble was perfect (Boston Daily Advertiser 14. Nov. 1893). Der „Musical Record and Review“ fand ähnlich lobende Worte: Mrs. Paur […] has the true musical temperament, and plays with a well-poised self-possession that leaves no room for uncertainty nor nervousness. Perfectly able to concentrate the results of thoughtful study upon her work, she interprets the composition in hand with zeal, conscientiousness, and ability. There is not a trace of a tendency to show off.  that bame of modern pianoforte playing, – but there is always present an apparent desire to realize the intention of the composer(Musical Record and Review 1893, S. 8).

Weitere Auftritte in den nächsten Monaten, u. a. mit ihrem Mann, dem Boston Symphony Orchestra sowie dem Männergesangsverein The Apollo Club und der Sängerin Lena Little wurden sowohl von der lokalen als auch von der deutschen Presse verfolgt und vielfach positiv bewertet, wie nach einem Konzert mit dem Boston Symphony Orchestra, in dem sie Schuberts Wanderer-Fantasie op. 15 in der Lisztschen Bearbeitung mit Orchester zum Besten gab: Paur „bewährte sich als eine technisch gebildete, musikalisch feinsinnige Pianistin“ (Signale 1893, S. 1083). Des Weiteren wird sie oft für ihre Programmauswahl gelobt, wie z. B. in der Vorankündigung für ihr Solokonzert am 7. Dez. 1894 in der Historical Hall in Brooklyn, New York: „She has judgment in the composition of her programmes“ (Brooklyn Eagle 2. Dez. 1894). Das Programm enthielt vor allem Werke von namhaften Komponisten der Klassik und Romantik sowie ein Intermezzo von Emil Paur. Die Darbietung der Pianistin wird wie folgt beschrieben: „Mrs. Paurs playing was marked by the same modesty and fine musical taste which governed the selection of her programme. The vexed question of technique was for once left to take care of itself. Mrs. Paur has technique, of course, but she was content to let the audience take it for granted, while she interpreted for them some of the most dainty and beautiful of the shorter works of Schubert, Mendelssohn, Schumann, Brahms, Chopin and Rubinstein. Her playing was marked by musical intelligence and sympathy rather than by force“ (Brooklyn Eagle 8. Dez. 1894).

Während über die Konzerttätigkeit Marie Paurs in den folgenden Jahren nichts bekannt ist, trat die Pianistin im Jahr 1897 wieder öffentlich in Erscheinung. Am 30. Nov. wirkte sie bei der Erstaufführung von vier Liedern Charles Martin Loefflers für Gesang, Bratsche und Klavier in der Steinert Hall in Boston mit, während  Lena Little den Gesangspart übernahm und Loeffler selbst die Bratsche spielte. In einer Rezension desselben Konzerts wurde insbesondere die Leistung Marie Paurs hervorgehoben: „Mrs. Paur made an entire success, both as accompanist and soloist. […] Mrs. Paurs poetry […] and […] brilliancy […] showed her to be a very versatile artist“ (Boston Daily Advertiser 1. Dez. 1897).

Nach einem zweiten Konzert mit der Sängerin Lena Little am 13. Dez. 1897, bei dem sie u. a. Stücke der russischen Komponisten Anton Arensky und Sergej Yuferow zu Gehör brachte, wird Marie Paurs Leistung vom „Boston Daily Advertiser“ besonders hervorgehoben: „Both as accompanist and as soloist Mrs. Paur was thoroughly artistic and her playing was at all times sympathetic as well as technically flawless“ (Boston Daily Advertiser 14. Dez.1897).

Die Pianistin starb am 27. Apr. 1899 in New York an den Folgen einer Krankheit.

 

Marie Paur, ca. 1892.

 

LITERATUR

Bock 1888, S. 394; 1891, S. 406

Boston Daily Advertiser 1893, 19. Okt., 14. , 23. Nov.; 1897, 13. Jan., 15. , 29. Nov., 1., 14. Dez.

Boston Morning Journal 1893, 4. , 16. Okt.; 1894, 2. Mai

Boston Symphony Orchestra, Programme 1897–1898, S. 124; 1901–1902, S. 104; 1902–1903, S. 30

Brooklyn Daily Eagle 1894, 30. Nov., 2. , 6. , 8. Dez.

FritzschMW 1899, S. 280

Harper’s Magazine 1900, S. 37

Musical Record and Review 1893, Dez., S. 8

The Music Review. Devoted to the Theory, Analysis, Review and Practice of Music 1894, S.

MusT 1894, S. 45

Neue Musik-Zeitung 1892, S. 229f.

NZfM 1883, S. 66; 1886, S. 204, 514; 1891, S. 447; 1892, S. 112f.; 1895, S. 43; 1899, S. 211

Signale 1888, S. 328; 1891, S. 967; 1892, S. 132, 217, 564, 1097; 1893, S. 1083, 1097; 1894, S. 585; 1895, S. 40; 1899, S. 539, 1038

Worcester Daily Spy 1893, 24., 26. Dez; 1894, 5. Okt.

Baltzell, Grove 1920, Pratt, Baker 1940

Henry Charles Lahee, Famous Pianists of To-Day and Yesterday, Boston 1901.

Richard Herndon, Men of Progress. One Thousand Biographical Sketches and Portraits of Leaders in Business and Professional Life in the Commonwealth of Massachusetts, Boston 1896.

Boston Musical Bureau (Hrsg.), Handbook of Musical Statistics, Boston 1902.

Dixie Hynes u. Harry Prescott Hanaford (Hrsg.), Who’s Who in Music and Drama. An Encyclopedia of Biography of Notable Men and Women in Music and the Drama, New York 1914.

Ellen Knight (Hrsg.), Selected Songs with Chamber Accompaniment, Madison 1988.

 

Bildnachweis

Neue Musik-Zeitung 1892, S. 229

 

Sarina Lal

 

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