Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Olson, Olsen, Marie, Mary (Amelie)

* 1. März 1867 in Hull, † nach 1916, vermutlich in Kopenhagen, Pianistin. Marie Olson, Tochter schwedischer Eltern, ist im englischen Hull aufgewachsen. Ihr Vater war John Edward Olson, ihre Mutter Amelia Caroline Olson geb. Lund (1839 – nach 1921). Marie Olson war das älteste von sieben Kindern dieses Ehepaares; dazu gehörten John Edwin Mauritz (1868–1941), James Peter (1870–1889), Helena Caroline, später verh. Vyff (1871–1925), Albert Edward Andrew (1875–nach 1900), Walter Philip (1877 – nach 1901) und William Lars (1879–1959).

Nach anfänglichem Unterricht in Hull setzte Marie Olson ihre Ausbildung in London fort. Die „Musical Times“ bezeichnet sie 1886 als „a Licentiate of the Royal Academy of Music“ (MusT 1886, S. 416). Seit Herbst dieses Jahres war Marie Olson am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a. M. eingeschrieben. Im ersten Studienjahr besuchte sie hier die Klasse von Marie Schumann und wechselte 1887/1888 in die Klasse von Clara Schumann, die sie bis 1892 belegte, wobei die Lehrerin hier gelegentlich von den Kollegen Iwan Knorr und Bernhard Scholz vertreten wurde.

Am 15. Mai 1892 wirkte Marie Olson zum letzten Mal in einem Prüfungskonzert des Konservatoriums mit und spielte darin Saint-Saëns’ Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll op. 22. Während ihrer Studienzeit reiste die Pianistin nach Skandinavien. Aus Briefen ihrer Kommilitonin Minnie Wetzler an Eugenie Schumann geht hervor, dass sie mehrmals (einmal auch zusammen mit Hermann Wetzler, dem Bruder Minnie Wetzlers) ins schwedische Strömstad gereist ist, um ihre Tante zu besuchen. Ob sie dort auch konzertierte, lässt sich derzeit nicht eruieren.

Öffentliche Auftritte Marie Olsons sind seit 1886 belegt. Eines der ersten eigenen Konzerte fand im Mai bzw. Juni 1886 in den Collard’s Rooms in London statt. Die „Musical Times“ berichtet: „Miss Olson […] went through a programme sufficiently representative to test the powers of any aspiring pianist. The young lady, we are bound to say, stood the test remarkably well, more especially as regards brilliancy and readiness of attack, as instanced in three Toccatas, by Schumann, W.[alter Cecil] Macfarren, and [Arthur] O’Leary, and in Mendelssohn’s Fantasia in F sharp minor, but she has scarcely as yet grasped the spirit of Beethoven’s Sonata in C (Op. 53), which, apart from occasional errors of judgment as to tempi, lacked warmth and poetic feeling. These latter, however, are qualities which continued application to her art will doubtless bring to the surface, for that Miss Olson is not really wanting them was amply proved by her interpretation of two of Mendelssohn’s ‚Lieder ohne Worte.‘ We shall follow this young artist’s career with much interest“ (ebd.).

Im Herbst des Jahres 1886 schloss sich Marie Olson einer Reihe reisender MusikerInnen an (darunter die SängerInnen Antoinette Sterling, Orlando Harley und Signor Foli sowie der Violinist Guido Papini und der Kontrabassist Signor Bottesini [Letzterer wird in den Periodika nicht näher benannt; vermutlich handelt es sich um den berühmten Giovanni Bottesini]). Mit ihnen zusammen unternahm sie eine Konzertreise durch die englischen Provinzen und spielte u. a. in Birmingham (Sept. u. Nov. 1886), Exeter (Okt. 1886), Chichester, Manchester und Norwich (alle Nov. 1886). Am 12. Nov. 1886 traten die MusikerInnen außerdem in der nordirischen Hauptstadt Belfast auf. In den Konzertrezensionen findet die junge Pianistin kaum Beachtung. Ein Korrespondent der „Musical World“ erwähnt sie nur beiläufig: „Miss Olson’s style is refined and scholarly“ (MusW 1886, S. 782).

Mit der Sängerin Gina Oselio bereiste Marie Olson zwischen 1892 und 1893 verschiedene Städte in Nordeuropa. In den Jahren 1893, 1894 und 1896 ist die Mitwirkung der Pianistin in den Vorspielstunden von Clara Schumann in Frankfurt belegt. Möglicherweise besuchte sie nun privat den Klavierunterricht bei der ehemaligen Lehrerin. 1895 und 1896 trat Marie Olson wiederholt in den Frankfurter Museumskonzerten auf. Am 7. Jan. 1895 trug sie zusammen mit zwei Professoren des Hoch’schen Konservatoriums – dem Violinisten Hugo Heermann und dem Violoncellisten Hugo Becker – ein Trio von Christian Sinding vor. Ein Korrespondent des „Musical Standard“ schreibt: „Frl. Olson, who studied in Frankfort under Madame Schumann, is an excellent pianist and overcame the many difficulties in a masterly manner. Her touch is firm and technique exceedingly fine“ (Musical Standard 1895 I, S. 37). Ende 1896 spielte sie in einem weiteren Museumskonzert Saint-Saëns’ Klavierkonzert Nr. 2 g-Moll op. 22. Die Bewertung durch einen Rezensenten der „Musical News“ fällt vielversprechend aus: [T]his young pianist possesses talent, and an excellent technique, and with less reserve and more warmth of expression, should in time rank among the first“ (Musical News 1897 I, S. 86).

Seit 1895 trat Marie Olson häufig mit einem „Recital Trio“ (Oxford Magazine 1898, S. 83) auf, dem neben ihr die Violinistin Ethel Barns und der Sänger Charles Phillips angehörten. Die meisten der gemeinsamen Konzerte fanden in London statt, weitere Auftritte erfolgten u. a. in Birmingham, Exeter, Leeds, Oxford, Torquay und Dundee sowie auf Jersey und Guernsey.

Im Nov. 1896 ließ sich Marie Olson in Wien hören. Mit dem Violinisten Henri Petri und dem Violoncellisten Hugo Becker veranstaltete sie am 25. des Monats eine Trio-Soiree im Kleinen Musikvereinssaal.

1897 begleitete Marie Olson die Violinistin Anna Sophia Wolseley geb. Lang und deren Ehemann, den Sänger Edwyn Hulbert Wolseley, auf eine Konzertreise nach Dänemark und Schweden. „Their programmes included Grieg’s Sonata, Op. 13, for violin and piano, Romance in A flat by Bruch, Papini’s Saltarella, Sarasate’s Spanish Dances, &c. […]. At Marstrand, the King of Sweden commanded the three artists to appear at Court, and, after they had played and sung for an hour, he came on to the platform and shook hands with them, expressing his great satisfaction in a very cordial manner“ (Violin Times 1897, S. 6).

Zurück in England, schloss sich die Pianistin wieder Ethel Barns und Charles Phillips an. Bis 1900 ließen sich diese drei MusikerInnen zusammen hören. Weitere Belege für Konzerte Marie Olsons finden sich für das Jahr 1903. Zu dieser Zeit ist sie in Kopenhagen aufgetreten. 1907 konzertierte sie ebenfalls in Skandinavien – danach verliert sich ihre Spur.

Das Repertoire der Künstlerin umfasste vor allem Werke von Komponisten des 19. Jahrhunderts – u. a. von Chopin, Robert Schumann, Liszt, Brahms und Saint-Saëns.

Die Rezensionen lassen eine insgesamt beifällige Wahrnehmung der Pianistin seitens der Konzertkritiker erkennen. Ein Korrespondent des „Musical Standard“ bescheinigt ihr „fine touch and exact technique“ (Musical Standard 1896 I, S. 205). Ähnlich klingt ein Rezensent der Londoner „Times“, der in Marie Olson „a highly-accomplished pianist“ (The Times 19. März 1896) sieht, „whose playing […] revealed taste and sound musicianship, complete command of artistic resource, and amply sufficient technical equipment“ (ebd.). Im „Oxford Magazine“ heißt es: [S]he has ample technique, and what is more important, interprets in genuinely intellectual fashion. She has some limitations in the direction of grace and delicacy, […] but she is undoubtedly an artist of very considerable attainments, and is more than a mere soloist, as was shown in her admirable ensemble-playing“ (Oxford Magazine 1898, S. 83).

 

LITERATUR

Athenæum 1896 I, S. 389

Berichte des freien deutschen Hochstiftes zu Frankfurt a. M. 1892, S. 72

FritzschMW 1897, S. 417

Jahresbericht des Dr. Hoch’schen Conservatoriums für alle Zweige der Tonkunst zu Frankfurt am Main 1887/1888, S. 13, 24, 32; 1888/1889, S. 7, 16, 17; 1889/1890, S. 7, 20; 1890/1891, S. 7, 13, 22, 28; 1891/1892, S. 7, 16, 19, 20, 26, 27, 29

Die Lyra 15. Dez. 1896, S. 67

Manchester Guardian 20. Nov. 1886

Minim 1898, S. 259; 1899, S. 77; 1901, S. 78

Musical News 1896 I, S. 269; 1897 I, S. 86, 184; 1898 II, S. 504

Musical Opinion and Music Trade Review 1896, S. 447; 1897, S. 595

Musical Standard 1895 I, S. 37; 1896 I, S. 205; 1898 I, S. 299, 347

MusT 1886, S. 416, 603, 722, 731, 734, 742, 743; 1896, S. 264, 815; 1897, S. 262f., 698, 770; 1898, S. 393; 1899, S. 256; 1900, S. 42, 52, 827

MusW 1886, S. 622, 750, 782

La musique et les musiciens 1902, S. 303

Neue Freie Presse [Wien] 1896, 4., 11. Okt., 1., 24. Nov.

Neues Wiener Journal 25. Nov. 1896

Neues Wiener Tagblatt 11., 18. Okt., 25. Nov.

The Observer [London] 21. Febr. 1897

Orchestra Musical Review 1886, S. 5

Oxford Magazine 1898, S. 83

Signale 1895, S. 68; 1896, S. 1108; 1898, S. 197

The Times [London] 1896, 19. März; 1898, 7. Dez.; 1900, 14. Nov.

Violin Times 1897, S. 6; 1898, S. 224

Wermlands läns Tidning [Karlstad] 20. Juni 1874

Wiener Salonblatt 22. Nov. 1896

Wiener Zeitung 16. Dez. 1896

The Year’s Music 1898, S. 100

John Warriner u. Joseph Bennett, National Portrait Gallery of British Musicians, Lon­don 1896.

Tobias Norlind, Allmänt Musiklexikon, 2 Bde., Bd. 2, Stockholm 1916.

Annkatrin Babbe, Clara Schumann und ihre SchülerInnen am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a. M. (= Schriftenreihe des Sophie Drinker Instituts 11), Oldenburg 2015.

SchülerInnen, Einschreibungen und AbsolventInnen, Hoch’sches Konservatorium, Frankfurt a. M., Sophie Drinker Institut, https://www.sophie-drinker-institut.de/files/Sammel-Ordner/Listen%20der%20SchülerInnen/Frankfurt%20Hoch.pdf, Zugriff am 3. Juni 2022.

 

Annkatrin Babbe

 

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