Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Brzowska, Brzowski, Brzowska-Méjean, Jadwiga, Hedwig, Hedwige, verh. Méjean, Pseudonym Jadwiga Jagiello

* 1830 in Warschau, † 1886 (Ort unbekannt), Pianistin, Klavierlehrerin und Komponistin. Ihr Vater Józef Brzowski (1805–1888) war Komponist, Musikschriftsteller und Klavierlehrer in Warschau und unterrichtete seine Tochter zunächst selbst. In späteren Jahren studierte sie bei ihm und bei ihrem Onkel Karol Kurpiński (1785–1857) auch Komposition.

Ab dem Alter von zehn Jahren trat Jadwiga Brzowska öffentlich auf, mit technisch anspruchsvoller Literatur wie dem Klavierkonzert e-Moll von Chopin, den Fantasien über La Donna del Lago (Rossini) und über La Somnambula (Bellini) von Sigismund Thalberg, Marsch und Cavatine aus Lucia di Lammermoor (Donizetti) und Réminiscences de Robert le Diable (Meyerbeer) von Liszt. Nach Auskunft von Sowinskis „Dictionnaire biographique“ machte sie um die Mitte der 1840er Jahre „connaissance avec l’illustre compositeur Spohr qui l’adressa au célèbre pianiste et compositeur Moschèles. Elle séjourna quelque temps à Leipzig et profita des conseils de ce maître“ („Bekanntschaft mit dem berühmten Komponisten Spohr, der sie an den renommierten Pianisten und Komponisten [Ignaz] Moscheles verwies. Sie hielt sich einige Zeit in Leipzig auf und konnte die Ratschläge dieses Meisters nutzen“, Sowinski). Im Nov. und Dez. 1851 absolvierte sie Konzerte in Berlin und ließ sich am 10. Dez. im Schloss Charlottenburg hören. Die „Neue Berliner Musikzeitung“ charakterisiert den ersten Auftritt als ein „für das Salon-Publikum mannigfaltig interessantes Concert“ (Bock 1851, S. 379). „Sie spielte allein nur einige kleinere Musikstücke, recht eigentlich für den Salon berechnet; correct, mit schönem Ton, gesangvoll und zart im Ausdruck. Mit ihrem berühmten Landsmann Hrn. [Anton] v. Kontski trug sie zwei grössere Compositionen für zwei Pianoforte’s vor, von denen Referent nur die letzte, welche von Hrn. v. Kontski selbst herrührte, hörte. Sie war ungemein brillant, und gab der Spielerin Gelegenheit, auch ihre grosse Fertigkeit zu zeigen“ (ebd.).

1852 sind Konzerte in Königsberg und Danzig nachgewiesen. Ein Danziger Korrespondent bescheinigte ihr „eine bei Damen seltene Kraft des Anschlages“ und „bedeutende Technik“ (Bock 1852, S. 119). Die „Neue Berliner Musikzeitung“ begleitete die weitere Karriere der Pianistin mit Wohlwollen, während andere Blätter kritische Töne anschlugen. In Wien, wo sich Hedwig Brzowska (so die Namensvariante im deutschsprachigen Raum) als Schülerin Chopins ankündigte, schrieb der Korrespondent der „Signale für die musikalische Welt“ nach einem Konzert am 13. Jan. 1855 im Saal der Musikfreunde: „Ihr Spiel ist zu wenig selbstständig und kränkelt an einer eigenthümlichen Unentschiedenheit und Kraftlosigkeit, obgleich sich gegen die Technik im Speciellen nichts einwenden läßt“ (Signale 1855, S. 52). Eduard Hanslick kommentierte in der „Presse“ dasselbe Konzert mit grundsätzlichen Einlassungen: „Ihr Vortrag repräsentirt den Typus des Frauenzimmerlichen […]: das Zerpflücken des musikalischen Zusammenhangs in kleine Theilchen, in deren jedes ein besonderes Gefühl gelegt wird, die Sucht zu retardiren und zu diminuiren, die vielen unnöthigen empfindungsvollen Accente auf einzelne Noten, die deren nicht bedürfen, endlich das Vorherrschen einer gewissen Geziertheit und Verschwommenheit“ (Presse 18. Jan. 1855). Auch die „Neue Zeitschrift für Musik“ nahm vermeintlich Geschlechtstypisches wahr: „Ihr Spiel ist ein wesentlich weibliches, fein und zart. Aber die Kunst läßt sich nur bedingungsweise auf die Trennung der Geschlechter ein. In einer Chopin’schen Mazurka gelang es ihr, dem glühend gewordenen Stahl recht blitzende Funken zu entlocken, doch ihr größtes Verdienst blieb, daß sie uns Schumann’s reizendes Andante mit Variationen (für zwei Pianoforte Op. 46) zu Gehör brachte (NZfM 1855 I, S. 92).

Im Leipziger Musikverein „Euterpe“ spielte Hedwig Brzowska am 30. Okt. 1855 den 2. und 3. Satz aus Chopins Klavierkonzert e-Moll und das Rondo capriccioso von Mendelssohn, wiederum mit überregionaler Presseresonanz und gemischten Urteilen: „Die junge Dame besitzt eine bedeutende Geläufigkeit und viel Delicatesse im Vortrage, wie namentlich das Andante des Concerts und Vieles im Mendelssohn’schen Stück bewiesen; mit der Correctheit und Kraft bei Stellen gewagterer und schwierigerer Art ist es hingegen nicht ganz so gut bestellt und es fehlt dabei die Sicherheit der letzten Vollendung“ (Deutsche Allgemeine Zeitung 1855, S. 2161). „Sie zeigte sich als eine fertige Clavierspielerin, ließ jedoch Feinheit des Spiel’s beruhend auf sorgfältig abgestuftem Anschlag, sowie geistige Belebung noch allzusehr vermissen“ (NZfM 1855 II, S. 216).

1855 fanden weitere Auftritte in Krakau statt, im folgenden Jahr konzertierte Jadwiga Brzowska in Ostende und Brüssel. Der „Dictionnaire biographique“ nennt weitere Tourneen in Norddeutschland, Litauen, Österreich und Sachsen. „Etant à Veimar, elle fit beaucoup de musique avec le célèbre pianiste Liszt, qui fut émerveillé de l’exécution de Mlle Brzowska“ („In Weimar musizierte sie häufig mit dem berühmten Pianisten Liszt, der voller Bewunderung für das Klavierspiel von Mademoiselle Brzowska war“, Sowinski). Um 1857 verlegte die Musikerin ihren Wohnsitz nach New Orleans, wo sie drei Jahre lang ein Musikinstitut leitete. 1860 heiratete sie den Grafen Méjean, den französischen Generalkonsul in New Orleans. Kurz darauf erfolgte die Scheidung. Nach ihrer Rückkehr ließ sich die Pianistin in Brüssel nieder und gab dort Wohltätigkeitskonzerte, bevor sie nach Paris übersiedelte und dort Klavierunterricht erteilte.

Kompositionen werden in den Lexika erwähnt, sind aber anscheinend nicht erhalten.

 

LITERATUR

Bock 1851, S. 284, 364, 379, 397, 403; 1852, S. 71, 119; 1854, S. 390, 407; 1855, S. 30; 1856, S. 334; 1860, S. 288

Deutsche Allgemeine Zeitung 1855, S. 2161

Monatschrift für Theater und Musik 1855, S. 231

NZfM 1855 I, S. 92; 1855 II, S. 216

Niederrheinische Musik-Zeitung 1856, S. 183

Die Presse [Wien] 18. Jan. 1855

Rheinische Musik-Zeitung 1852, S. 606

Signale 1850, S. 435; 1855, S. 52, 115

Süddeutsche Musik-Zeitung 1860, S. 152

Urania. Musik-Zeitschrift für Orgelbau, Orgel- und Harmoniumspiel 1856, S. 162f.

Albert Sowinski, Les musiciens polonais et slaves. Dictionnaire biographique, Paris 1857, Repr. New York 1971.

Albert Sowiński, Słownik muzyków polskich, Paris 1874.

Wielka encyklopedya powszechna ilustrowana, hrsg. von Jerzy Aleksandrowicz, 55 Bde., Bd. 10, Warschau 1893.

Polski słownik biograficzny, hrsg. von Jan Brožek u. Franciszek Chwalczewski, Bd. 3, Krakau 1937.

Słownik muzyków polskich, hrsg. von Jósef Chomiński, 2 Bde., Bd. 1, Krakau 1964.

Adrian Room, Dictionary of Pseudonyms. 13.000 Assumed Names and their Origins, Jefferson/NC 52010.

Eduard Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien, 2 Bde., Bd. 1, Wien 1869.

 

Freia Hoffmann

 

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