Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Sewell, (Marie) Teresita, Teresa, Terese, Theresa

* 1854 in Valparaíso, Chile, † 1933 in Deutschland, Pianistin. Teresita Sewell war eine Tochter der Pianistin Marie Sewell geb. Becker (1829–1904), einer Schülerin Friedrich Wiecks, und deren Ehemann Henry Sewell (1828, Santiago de Chile–?). Sie hatte drei Brüder: John Ernest (1852–?), Henry (1856–1923) und Arthur Gana (1858–1929). Ihr Großvater mütterlicherseits, der Freiberger Bergschreiber Ernst Adolf Becker, war ein Freund der Familie Wieck.

 

 

1870 lassen sich erste Auftritte von Teresita Sewell nachvollziehen. Im Aug. des Jahres trat die Pianistin in einem Wohltätigkeitskonzert in Bodenbach auf. In den Jahren 1878/1879 studierte sie zwei Semester lang Klavier bei Clara Schumann am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt a. M. Der Jahresbericht für das entsprechende Studienjahr belegt ihre Mitwirkung bei den Übungsabenden des Konservatoriums, nicht aber die Teilnahme an den öffentlichen Prüfungen im Sommer 1879. Auch die Halbschwester Clara Schumanns, Marie Wieck, erteilte der Pianistin Unterricht. Wann und wo dieser stattfand, bleibt jedoch offen.

 

 

Teresita Sewell ließ sich nach dem Studium in Berlin nieder und arbeitete dort als Klavierlehrerin. Seit 1882 finden sich auch Belege für Auftritte der Pianistin in der Großstadt. Am 15. Nov. des Jahres wirkte sie in einem Konzert der Sängerin Aglaja Orgeni mit und spielte in diesem Rahmen zwei Nummern aus den Mädchenliedern op. 37 von Hermann Scholtz, den Faschingsschwank von Robert Schumann und eine Komposition von Chopin. Ein Mitarbeiter der „Signale für die musikalische Welt“ attestiert ihr „jugendliche Befangenheit“ und bemerkt außerdem: „der Faschingsschwank von Schumann war in der Wahl etwas zu hoch gegriffen“ (Signale 1882, S. 948). In den 1890er Jahren lebte Teresita Sewell in Dresden. 1896 debütierte sie in Leipzig. Mit dem ehemaligen Komillitonen Bertrand Roth, dem Geiger Karl Prill und dem Sänger Gustav Borchers trat sie im Apr. im Hôtel de Prusse auf. Für ihre solistischen Beiträge wählte die Pianistin ein Presto von Domenico Scarlatti, die Nummern 6 und 7 (Andante und Presto) aus Mendelssohns Charakterstücken op. 7, eine der Novelletten op. 21 von Robert Schumann sowie Chopins Tarantelle As-Dur op. 43. Außerdem begleitete sie die Violin- und Gesangssoli.

 

 

Das Presseecho fiel verhalten aus. Die Pianistin habe, so ein Redakteur der „Signale für die musikalische Welt“, „einen nicht üblen Eindruck gemacht. Ihre Claviertechnik ist, soweit man nach dieser einen Probeablegung beurtheilen kann, nicht grade imponirend, aber sie steht doch immerhin auf einer respectabeln Stufe der Entwicklung und nimmt durch Solidarität für sich ein. Ferner giebt sich die Vortragsweise des Fräulein Sewell als annehmbar, und wenn sie auch nicht eben hinreißt und tieferes Interesse erweckt, so ist sie doch von Unarten frei und von gutem musikalischen Geiste beseelt“ (Signale 1896, S. 452). Auch der Rezensent George Armin (d. i. Georg Herrmann) blieb in seinem Urteil reserviert. Es spiegeln sich darin zugleich zeittypische Vorurteile gegenüber Musikerinnen wider: „Frl. Teresa Sewell aus Dresden ist eine Pianistin, deren Ruf noch nicht die musikalische Welt erschüttert, auch wohl nie erschüttern wird. Denn ihr liebenswürdiges Talent ist nicht geschaffen, um grosse seelische Emotionen in unserer Seele zu verursachen und düstere Reflektionen in uns zu erwecken, sondern nur liebliche Gedanken zu erregen. Sie weiss mit ihren zarten Händen interessant zu unterhalten, erfreut durch natürliches Sichgeben und wird bei aller Bravour der Technik nicht langweilig. Die Dame muss die Grenzen ihrer Begabung selber sehr gut kennen – die meisten Künstlerinnen verkennen sie in ihrer Eitelkeit – die Wahl ihrer Stücke stand im vollsten Einklang mit ihrem Können“ (Die Redenden Künste 1895/1896, S. 925f.). Das „Musikalische Wochenblatt“ kritisiert zwar, dass „die Claviersoli […] den allergeringsten Theil des Programmes ausmachten und dazu so einfacher Natur waren“ (FritzschMW 1896, S. 227), bescheinigt der Pianistin daneben aber „tüchtige geistige Auffassung und Technik“ (ebd.). Auch der Korrespondent des „Monthly Musical Record“ sieht in Teresita Sewell „a solid pianist, but without any special charm“ (Monthly Musical Record 1896, S. 127). Im Herbst 1897 erfolgte der letzte belegbare Auftritt der Musikerin. Sie ließ sich in einem Konzert im thüringischen Altenburg hören. Die englische Zeitschrift „Musical News“ schreibt hierzu: „Fräulein Sewell […] seems to have created a favourable impression by her performance“ (Musical News 1897 II, S. 359).

 

LITERATUR

AmZ 1864, Sp. 127, 449f.

FritzschMW 1882, S. 587f.; 1896, S. 227, 244

Grazer Tagblatt 17. Mai 1896

Jahresbericht des Dr. Hoch’schen Conservatoriums für alle Zweige der Tonkunst zu Frankfurt am Main 1878/1879, S. 6, 11

Leipziger Zeitung 1850, 6. Okt.; 1851, 14. Apr.; 1857, 22. Aug.

Monthly Musical Record 1896, S. 127

Musical News 1897 II, S. 359

Die Redenden Künste. Zeitschrift für Musik und Literatur unter spezieller Berücksichtigung des Leipziger Kunstlebens 1895/1896, S. 861, 919, 925f.

Signale 1882, S. 948; 1896, S. 452

Svensk Musiktidning 14. Apr. 1897

Tetschner Anzeiger 1870, 27. Aug., 3. Sept.

Victor Joss, Der Musikpädagoge Friedrich Wieck und seine Familie. Mit besonderer Berücksichtigung seines Schwiegersohnes Robert Schumann, Dresden 1902.

Heinrich Hanau, Dr. Hoch’s Conservatorium zu Frankfurt am Main. Festschrift zur Feier seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens (18781903), Frankfurt a. M. 1903.

Marie Wieck, Aus dem Kreise Wieck-Schumann, Dresden [u. a.] 1912.

Claudia de Vries, Die Pianistin Clara Wieck-Schumann. Interpretation im Spannungsfeld von Tradition und Individualität (= Schumann-Forschungen 5), Mainz 1996.

Cathleen Köckritz, Friedrich Wieck. Studien zur Biographie und zur Klavierpädagogik (= Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 44), Hildesheim [u. a.] 2007.

 

Bildnachweis

Photographie, Richard Müller, Dresden, um 1868. Privatbesitz Judy Wright, mit freundlicher Genehmigung.

Die Redenden Künste 1895/1896, S. 861

Photographie Marie Teresa Sewell, Privatbesitz Judy Wright, https://www.wikitree.com/photo/jpg/Sewell-2446, Zugriff am 26. Apr. 2022.

 

Annkatrin Babbe

 

 

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