Jahresbericht 2019

Das vergangene Jahr hat uns einige Umstände beschert: einen komplizierten Leitungswasserschaden – bei einer Villa aus dem 19. Jahrhundert nicht überraschend – , der die in den alten Mauern verborgenen Machenschaften mehrerer Handwerker-Generationen aber in lästiger Weise verdeutlichte. Nach etwa acht Monaten waren die Lecks schließlich aufgefunden und repariert, die Kosten wunderbarerweise bis auf den letzten Cent von der Versicherung erstattet. Weniger kompliziert, aber dennoch nötig war die Renovierung der Fassade. Mit dem ansehnlichen Ergebnis können wir jetzt, bei schwacher Herbstbeleuchtung, nicht so recht renommieren. Das kleine Foto beweist aber immerhin, dass die Kletterrose, deren Entfernung der Gerüstbauer kategorisch verlangte, doch überlebt hat (wir haben den Gerüstbauer gewechselt und die Rose behalten). Im Oktober bis fast auf den Boden zurückgestutzt, hat sie rüh-renderweise im November wieder ein paar schüchterne Blüten hervorgebracht.

Von Ende 2018 ist nachzutragen, dass das Sophie Drinker Institut eine Online-Schriftenreihe eingerichtet hat, die von Volker Timmermann betreut und herausgegeben wird. Band 1: Der lange Weg von Musikerinnen in die Berufsorchester, 1807 – 2018 von Christian Ahrens wurde gleich zum medialen Paukenschlag.  Die These des Verfassers – deutsche Orchester sind im weltweiten Vergleich Schlusslichter, was den Frauenanteil in gehobenen Positionen und bestimmten Instrumentengruppen angeht – zog eine Reihe von Interviews und Sendungen im SWR, MDR und Deutschlandfunk sowie einen Artikel in der FAZ nach sich. Die Association Française des Orchestres hat inzwischen eine Charta beschlossen und der Öffentlichkeit vorgelegt, die möglichst rasch eine Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen des Musiklebens verlangt. Man kann sie über unsere Homepage aufrufen.

Unsere Arbeit am Handbuch „Deutschsprachige Konservatorien im 19. Jahrhundert“ geht allmählich der Vollendung entgegen. Bis Mitte des Jahres 2020 hoffen wir, die Formulierung der Texte abzuschließen. Enthalten ist nun auch eine etwa 130 Seiten lange Sammlung von zeitgenössischen Quellen zum Thema, die zahlreiche Fragen beleuchten, die die Gründer und die Fachöffentlichkeit im 19. Jahrhundert beschäftigten: Planung und Konzeption, Zielsetzung, Kommerzialisierung, Stoffauswahl, die Notwendigkeit musikwissenschaftlicher Bildung, Anschluss an Neuerungen der zeitgenössischen Kompositionspraxis, Ausbildung von Studentinnen, Fragen der Koedukation, Lehrqualifikation von Unterrichtenden, Klassen-Unterricht, Sinn und Aussagekraft öffentlicher Prüfungen, Verbindung bzw. Unterscheidung von Berufs- und Laienausbildung, Sprachkenntnisse ausländischer Studierender, Allgemeinbildung der Zöglinge und Disziplinfragen.

Zusätzlich werden wir digital Listen von Studierenden und Auszüge aus den Jahresberichten über den Lehrstoff in einzelnen Fächern bereitstellen. Ein Ergebnis unserer Arbeit bildet sich schon heraus: Das mehrbändige Handbuch wird nur der Anfang einer gründlicheren Beschäftigung mit der Thematik sein – viele Detailfragen müssen späterer Forschung vorbehalten bleiben.

Unsere Tagung „Konservatoriumsausbildung von 1795 bis 1945 / Musical Eduction at Conservatories from 1795 to 1945“ (15. bis 17. Februar 2019) war, neben bestehenden Kontakten mit WissenschaftlerInnen aus Bern und Paris, ein erster Schritt, unser Projekt mit KollegInnen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und der Schweiz zu vernetzen. Die Tagung wurde vorbereitet und organisiert von Annkatrin Babbe und Volker Timmermann, finanziell gefördert wurde sie von der Gerda Henkel Stiftung sowie der Stiftung Bremer Wertpapierbörse und fand bei den TeilnehmerInnen eine sehr positive Resonanz. Das Abendprogramm gestalteten Evelyn Förster (Gesang) und Ferdinand von Seebach (Klavier) mit einer Musik-Text-Bild-Collage unter dem Titel „Das Lied der Gesellschaft. SchlagerChansons von 1915 bis 1935“, eine amüsante und politisch lehrreiche Aufführung. „Eine äußerst gelungene und perfekt organisierte Tagung“, schrieb die Tonkunst – danke nochmal an alle, die mitgeholfen haben. Das Tagungsprogramm kann man auf unserer Homepage nachlesen, ein Tagungsbericht wird im kommenden Jahr erscheinen.

Die Veranstaltungen wurden am 8. März, dem Internationalen Frauentag, fortgesetzt durch eine Buchvorstellung von Monika Tibbe: Emanzipation der Tat“. Mary Wurm   ̶   Pianistin, Komponistin, Dirigentin, Musikschriftstellerin (Bd. 15 unserer Schriftenreihe). Zur Autorin gesellten sich Emilia Grotjahn, Violine, und Mitglieder des Bremer Chors „Osterchorsteinway“, die überwiegend ungedruckte Kompositionen von Mary Wurm vortrugen.

Am 28. Juni besuchte uns Lola Soulier, Oboistin und Musikwissenschaftlerin aus Köln/Paris und referierte über Pionierinnen der Oboe. Wir waren auf sie aufmerksam geworden durch ein Feature zum Thema, das Anfang Januar 2019 vom Deutschlandfunk gesendet worden war.

Lola Soulier hat sich mit den ersten namentlich bekannten Oboistinnen beschäftigt, sie hat Tonaufnahmen gefunden und Musikerinnen noch interviewen können - ein aufschlussreicher Blick in die Geschichte eines vorgeblich „männlichen“ Instruments.

Elke Schulze-Höckelmann, Solo-Hornistin der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, machte uns am 9. Oktober das Geschenk einer „Generalprobe“ für ein Kammerkonzert mit Claudia Schmidt-Heise (Violine) und Florian Wiek (Klavier). Wir hörten von Beethoven die Musik für ein Ritterballett WoO 1 (in einer Bearbeitung), Zwölf Variationen F-Dur WoO 40 für Violine und Klavier, die Sonate F-Dur op.17 für Horn und Klavier und von Brahms das Trio op. 40.

 

 

Unsere Vortragstätigkeiten lassen sich am besten chronologisch aufzählen:

 

25.1., Hochschule der Künste Bern

Annkatrin Babbe: Violinplaying between conservatory and the Vienna Philharmonic: The Hellmesberger School in Vienna / Geigenausbildung zwischen Konservatorium und Philharmonikern: Die Schule Hellmesberger in Wien. Internationale Arbeitstagung “European Music Training Institutions in the Long 19th Century (1789–1914): Pedagogical and Cultural Exchange”.

 

25.1., Hochschule der Künste Bern

Volker Timmermann: The History of Institutional Musical Education in German-Speaking Conservatories in 19th Century. Internationale Arbeitstagung “European Music Training Institutions in the Long 19th Century (1789–1914): Pedagogical and Cultural Exchange”.

 

16.2., Sophie Drinker Institut Bremen

Annkatrin Babbe: „Kein Musiker in Wien, der ihm nicht ein Stück seines Künstlerthums verdankt“. Joseph Hellmesberger d. Ä. und die Wiener Musikkultur, Tagung „Konservatoriumsausbildung von 1795 bis 1945“.

 

16.2., Sophie Drinker Institut Bremen

Volker Timmermann: Haus und Stadt. Konservatorien als Mittelpunkte urbanen Musiklebens im 19. Jahrhundert, Tagung Bremen. Tagung „Konservatoriumsausbildung von 1795 bis 1945“.

 

16.2., Sophie Drinker Institut Bremen

Freia Hoffmann: Soziale und geographische Herkunft von KonservatoriumsSchülerInnen am Beispiel von Sondershausen und Straßburg. Tagung „Konservatoriumsausbildung von 1795 bis 1945“.

 

11.5., Universität Oldenburg

Kadja Grönke: „Der Komponist als Bühnenfigur in Stefan Herheims Inszenierung von »Tschaikowsky: Pique Dame«. Oder: Ceci n’est pas Tchaïkovski“. Symposium „Musikgeschichte auf der Bühne“ an der Universität Oldenburg

 

12.5., Zwickau, Dresden, Leipzig

Annkatrin Babbe: She had tradition at her fingers’ ends“ – Die Clara Schumann-Schule. Internationale Konferenz „Die Herrlichste von allen“ – Clara Schumann zum 200sten Geburtstag.

 

21.5., Anton Bruckner Privatuniversität Linz

Freia Hoffmann: „Nähe und Distanz im Instrumental- und Gesangsunterricht“. Vortrag und Workshop an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz

 

24.5., Musikhochschule Hanns Eisler Berlin

Freia Hoffmann: „Vom schwierigen Umgang mit der Macht. Übergriffe in der künstlerischen Ausbildung“. Vortrag beim Aktionstag zum Umgang mit Nähe & Distanz

 

9.6., Sonderhausen

Freia Hoffmann: „‚Tonkunst als Herzens- und Gemüthssache‘. Die Hofkapelle und das Fürstliche Conservatorium der Musik“. Vortrag beim Liszt-Symposium

 

14.6. University of Oxford

Annkatrin Babbe: „Deconstructing the ‚Schumann Tradition’? Clara Schumann as Teacher in Frankfurt”. International Bicentenary Conference „Clara Schumann (née Wieck) and her World“

 

16.6., Bruchsal

Freia Hoffmann: „Klänge aus dem Jenseits. Die Glasharmonika als Instrument der Empfindsamkeit“. Vortrag bei der Feier zum 250. Geburtstag der Glasharmonika-Virtuosin Mariane Kirchgessner im Schloss Bruchsal.

 

28.6., Universität Köln

Annkatrin Babbe: Musical Competitions as Opportunities for Professionalization? Female Violinists at the Conservatory of the ‚Gesellschaft der Musikfreunde’ in Vienna / Preiskonkurse am Konservatorium als Chance zur Professionalisierung? Geigerinnen am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Internationale Konferenz „Competitions in Nineteenth-Century Music Culture“.

 

29.10. KUG Graz

Volker Timmermann: Regional – International. Instrumentalistinnen in der Steiermark am Beispiel der Cellistin Anna Kull. Internationale Konferenz Musikerinnen in der Region. Handlungsräume und ihre Akteurinnen in der Steiermark.

 

6.11., Hochschule für Bildende Künste Braunschweig

Freia Hoffmann: „Es passiert überall, aber nicht bei uns“. Workshop beim Aktionstag „‚Lets talk!‘ –  Über sexualisierte Diskriminierung, Belästigung und Gewalt“ an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig

 

15.11., Oldenburg

Kadja Grönke: „Mondfrauen, Nachtgestirne: Rusalka, Sonnambula und das Paradoxon der stummen Primadonna“ in der Reihe „Theaterwissen“ des Freundeskreises der Oldenburgischen Staatstheaters.

 

Kadja Grönke hat an der Universität Oldenburg zusätzlich zu ihrer regelmäßigen Lehrveranstaltung „Nachdenken über Musik“ folgende Lehraufträge wahrgenommen:

 

WS 2018/19:  

 

„In memoriam“: Musikgeschichtsschreibung in Erinnerungskompositionen vom Barock bis zur Gegenwart (MA)

 

SS 2019:

 

Konzert: Konzepte, Programme, Hintergründe, Vermittlungswege (BA)

 

WS 2019/20:

 

Das Melodram – eine Herausforderung im Spannungsfeld von Komposition, Literatur und Aufführung (MA)

 

 

Sonstiges

Im Juni nutzten der Cellist Dr. Sergei Istomin (Gent) und der Pianist Dr. Michael Tsalka (Valencia) das SDI, um sich auf zwei Konzerte im Rahmen der von Kadja Grönke organisierten Jahrestagung der Tschaikowsky-Gesellschaft e. V. am 22. und 23. Juni 2019 in Oldenburg vorzubereiten. Das von Kadja Grönke konzipierte und moderierte Festkonzert „Ein Abend für Tschaikowskys Mäzenin Nadeshda von Meck“ enthielt u. a. Kompositionen von Sofie Menter und Adele aus der Ohe.

 

Das Institut freut sich über eine Schenkung zum Thema „Frau und Musik“ von Dr. Hartmut Lück, die seit Juni in der Bibliothek des Instituts eingesehen und genutzt werden kann.

Es handelt sich um vielfältige Materialien, die Lück im Laufe der Jahre in Zusammenhang mit seiner wissenschaftlich-publizistischen Tätigkeit für Rundfunk und Musikzeitschriften sowie zur Vorbereitung weiterer Arbeitsprojekte gesammelt und abgelegt hat.

Das Konvolut besteht aus vier Ordnern mit Material zu Komponistinnen (und zwei Dirigentinnen) in mehreren Sprachen (vorwiegend Deutsch, Englisch, Russisch). Ein fünfter Ordner enthält zeitgeschichtlich aufschlussreiches Material (Briefe, Programme, Zeitungsartikel, Sendemanuskripte) zu frauen(musik)politischen Themen (Einweihung des Sophie Drinker Instituts; Arbeitskreis Frau und Musik und dessen Kongresse; Broschüren, Programme etc. zu Komponistinnen-Festivals; Sende- und Vortrags-Typoskripte). Entsprechend dem projektbezogenen Charakter der einzelnen Themen ist das Material heterogen und umfasst neben eigenen Notizen und (Sende-/Vortrags-)Typoskripten Lücks Drucksachen und Informationsmaterialien zu Biographien und Werken sowie Programmhefte und Zeitungsausschnitte (überwiegend Rezensionen). Von hohem zeitgeschichtlichem und persönlichem Interesse sind die Briefwechsel (Manuskripte, Typoskripte, Mails, Entwürfe), die Lück in der Schenkung belassen hat.

 

Anfragen an das Marbe-Archiv betrafen Serenata – Eine kleine Sonnenmusik (Violeta Dinescu; BBC Scottish Symphony Orchestra), Les musiques compatibles – Streichquartett Nr. 1 (Moritzburgfestival) sowie Sieben Lieder auf Texte von Federico García Lorca (Laura Tatulescu).

Serenata – Eine kleine Sonnenmusik wurde gemeinsam mit der Suite aus der Ballettmusik Le Chout („Das Märchen vom Schelm, der sieben Schelme übertölpelte“) von Sergei Prokofjew und Don Quixote von Richard Strauss am 14. November in der Glasgow City Hall durch Ilan Volkov und das BBC Scottish Symphony Orchestra aufgeführt und von BBC Radio 3 aufgezeichnet. Das Aufführungsmaterial stammt von der Homepage des SDI/Nachlass Myriam Marbe.

In der Vorankündigung zur Radioübertragung heißt es: „And there’s a chance to explore the music of a sadly neglected composer Myriam Marbe. A Romanian polymathic genius, a political dissident in times of turmoil, and a witty and elegant inventor of music which beguiles as it unsettles. Her 1974 piece for strings and percussion »Serenata – Eine kleine Sonnenmusik« fractures and distorts memories of Mozart’s music through effervescent layers of bird-calls and crackling lines of orchestra fizz.” (https://www.bbc.co.uk/programmes/m000b6hh)

Aus dem Nachlass des Pianisten Ernst Riemann (1882-1953), des Großneffen der Musikerin Eugenie Menter und ihrer Schwester, der als Pianistin ungleich bekannteren Sofie Menter, erschien im Februar auf https://www.tobias-broeker.de/rare-manuscripts/m-r/menter-eugenie/ die Partitur zu Eugenie Menters Komposition Just die Eine! op. 35 für Männerquartett als kostenloser Download. Der englischsprachige Begleittext nutzt ausführlichst (wenn auch leider ohne Nachweis) den Text aus unserem Instrumentalistinnen-Lexikon, der bislang die einzige im Internet greifbare detaillierte Information zu Eugenie Menter war.

Das Sophie Drinker Institut hat kürzlich eine Korrespondenz der englischen Geigerin Marie Motto erworben, die man zusammen mit ihrer Biographie (Instrumentalistinnen-Lexikon des Sophie Drinker Instituts) gelegentlich auswerten könnte. Marie Motto wirkte zwischen 1890 und 1930 im Londoner Musikleben als Solistin und vor allem als Primaria des Marie Motto Quartet. Bei der Korrespondenz handelt es sich um 18 Briefe und drei Karten aus dem Zeitraum 1920 bis 1937, adressiert an eine bisher nicht identifizierte Freundin ("dearest Louisette..."). Die Briefe enthalten Informationen zu Konzertorganisation, Reisen u. a.
Wir stellen die Briefe Interessierten gern zur Verfügung.

Schließlich ist noch zu berichten, dass unsere Mitarbeiterin Kadja Grönke im Juni 2019 von der Universität Oldenburg zur apl. Professorin ernannt worden ist. Herzlichen Glückwunsch!

Das wars für diesmal. Wir wünschen allen LeserInnen wohlige Feiertage und ein beschwingtes Jahr 2020, auch im Namen des Teams: Annkatrin Babbe, Christiane Barlag, Kadja Grönke und Luisa Klaus.

 

Ihre

und  

 

(Prof. Dr. Freia Hoffmann)                               (Dr. Volker Timmermann)

Leiterin und Geschäftsführerin                        Geschäftsführer

 

 

Sophie Drinker Institut, Außer der Schleifmühle 28, 28203 Bremen, www.sophie-drinker-institut.de