Europäische Instrumentalistinnen
des 18. und 19. Jahrhunderts

 

Wandersleb, Luise, LouiseLulu, Luisa, verh. Patzig, Patzig-Wandersleben, Patzig-WanderslebWandersleb-Patzig

* 15. Okt. 1846 in Gotha, † 31. Jan. 1901 ebd., Violoncellistin, Violoncellolehrerin und evtl. Dirigentin. Sie war die Tochter der Christiana Dorothee Louise Wandersleb geb. Behm (1827−1846) und des Hofmusikdirektors, Klavierlehrers und Komponisten Adolf Wandersleb (1810−1884), von dem sie „auf das Violoncello hingeleitet“ wurde (Illustrirte Zeitung 1882 II, S. 8). Ihre professionelle Ausbildung auf diesem Instrument erfolgte vermutlich durch Friedrich Grützmacher (1832−1903). Das erste bislang nachweisbare Konzert fand 1866 in Mühlhausen statt: „Besonderes Interesse erregte das Auftreten der jugendlichen Cello-Virtuosin Frl. Wandersleb aus Gotha [...], welche namentlich in einem Concert von [Georg] Goltermann einen bedeutenden Grad technischer Fertigkeit entwickelte“ (Bock 1866, S. 70). Im Jahre 1871 spielte sie im 7. Abonnementkonzert in Kassel das Cellokonzert in e-Moll von August Lindner; außerdem wirkte sie in einem Streichquartett von Mozart mit. Durch ihr Auftreten in mehreren Leipziger Gewandhauskonzerten im Jahre 1875 erregte sie die „Aufmerksamkeit größerer deutscher Konzertvereine [...]. Von der Kunstkritik in Leipzig, Köln, Magdeburg, Stuttgart etc. als außerordentliche Erscheinung begrüßt, war sie im Begriff, in größere Bahnen einzulenken, als sie durch ein gefährliches Leiden der Kunst Jahre hindurch entzogen wurde“ (Wiener Signale, 1. Juli 1880).

 

Luise Wandersleb 1882.

 

Im März 1876 − es ist unklar, ob vor oder nach der Erkrankung − konzertierte sie in Basel in einem „Damenkonzert“ (Intelligenzblatt für die Stadt Bern, 24. März 1876) gemeinsam mit der Sängerin Podgorny und der Pianistin Leonie Größler-Heim. Der Baseler Korrespondent der Zeitung beurteilte ihr Spiel ausschließlich vor dem Hintergrund des Geschlechts: „Frl. Wandersleb, die Cellistin, ließ […] die Weihe des ‚Ewig-Weiblichen‘ durch ihr Spiel hindurch fühlen, wie ihre Kollegin auf dem Klavier. Nicht durch prunkvolle Zurschautragung einer schweißaustreibenden Technik, mit welcher heute die meisten Virtuosen dieses Instrument behandeln zu müssen glauben, sondern durch ein wahrhaft seelenvolles, tiefsinniges Spiel, das den wunderbar ergreifenden Gesangston des Cello zur vollsten Geltung brachte, suchte die Künstlerin zu brilliren. ‚Das Larghetto von Mozart von Frl. Wandersleb hören und dann sterben‘, würde ein Enthusiast sagen“ (ebd.).

Am 6. Juni 1878 heiratete Luise Wandersleb den Pianisten Alfred Patzig (1850−1927), der fortan auch ihr Kammermusikpartner wurde und sie sowohl auf dem Klavier als auch auf der Orgel begleitete. Im Winter 1879/1880 unternahm das Paar eine gemeinsame Konzertreise durch die Niederlande (Alfred Patzig war dort schon ein Jahrzehnt zuvor als Pianist gewesen) und spielte gemeinsam mit dem aus Utrecht stammenden Geiger Charles Venth: „Über die Violoncellvirtuosin Wandersleb und deren Gatten Pianist Patzig aus Gotha sprechen sich Berichte aus Holland höchst anerkennungsvoll aus. Im Verein mit Concertm. Benth [sic] aus Utrecht veranstalteten sie 16 Concerte in 12 Städten und erregte hauptsächlich Frau Patzig-Wandersleb durch meisterhaften Vortrag des Lindner’schen Vlcellconcerts [...] ungetheilte Bewunderung“ (NZfM 1880, S. 41). Wegen des großen Erfolgs dieser ersten Konzertreise plante das Künstlerpaar „schon im nächsten März eine neue Tournee, wiederum durch Holland“ (Bock 1880, S. 15). Für den Zeitraum von 1883 bis 1895 sind von Luise Patzig-Wandersleb ausschließlich Konzertauftritte in Gotha bekannt. Unklar ist, ob sich dort auch ihr Wohnort befand, da ihr Mann in der Zeit von 1874 bis 1909 als Direktor eines Konservatoriums in Essen tätig war (Altmann).

In den Konzerten in Gotha wirkte sie sowohl als Solistin als auch als Kammermusikerin. 1884 spielte sie unter der Leitung ihres Mannes im Orchesterverein, wobei sie als Hauptattraktion des Konzerts wahrgenommen wurde: „Neuerdings hat der Verein auch Solovorträge und Vocalquartette in sein Programm aufgenommen und gibt seine Concerte, deren interessanteste Nummern die rühmlich bekannte Cellistin Frau Patzig-Wandersleben bietet, (dieselbe wird sich demnächst auch als Dirigentin bethätigen) jetzt in einem kleineren Local“ (NZfM 1884, S. 26). Besonders intensiv widmete sie sich der Kammermusik und trat mit ihrem Mann und den Violinisten Eichhorn und Voigtländer häufig als Klaviertrio auf. Im Jahre 1894 veranstaltete sie u. a. einen Kammermusik-Zyklus mit mehreren Konzerten. Zu Luise Patzig-Wanderslebs solistischem und kammermusikalischem Repertoire gehörten Kompositionen von Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Raff, Rubinstein, Popper, Lindner, Goltermann und Nicodé. Die als ungewöhnlich empfundene Erscheinung einer Frau am Violoncello erregte bei der Musikkritik Aufsehen. „Man ist gewohnt, Damen, welche Violoncello spielen, ein nicht geringes Mißtrauen entgegenzubringen, das allerdings aus der Natur des Instrumentes entsprungen sein muß, vielleicht auch in den an Cello spielenden Damen gemachten Erfahrungen, begründet erscheint. Vermochten doch in der Tat nur ganz wenige der bisher aufgetauchten Cellistinnen, sich zu einer künstlerisch bedeutenden Höhe emporzuschwingen. Eine dieser Musizierenden [...] ist die in jüngster Zeit öfter genannte Violoncellistin Frau Wandersleb-Patzig“ (Wiener Signale, 1. Juli 1880). Ihr musikalisches Können wurde von der Musikkritik uneingeschränkt anerkannt: „Das Spiel der Frau Wandersleb-Patzig charakterisiert sich durch großen, vollen und kräftigen Ton bei eleganter Bogenführung, eine ungewöhnliche technische Fertigkeit, welche von der Künstlerin nie als Selbstzweck benützt wird, vielmehr nur der Lösung der Aufgaben gewidmet scheint. Endlich eine wunderbare Cantilene, in welcher das Violoncello in seiner köstlichen Eigentümlichkeit zu hinreißender Geltung gelangt“ (ebd.). Enthusiastisch äußerte sich auch die „Neue Zeitschrift für Musik“: „Es mag wohl Künstler geben, die Frau Patzig-Wandersleb in der Technik vielleicht noch übertreffen, aber an Seele des Tones wohl keiner. Das ‚Larghetto‘ von Mozart und ‚Largo‘ von Händel haben wir noch nie in so feinsinniger Weise gehört, wie es gestern Frau Wandersleb spielte“ (NZfM 1892, S. 31).

Das Ehepaar Patzig-Wandersleb bekam sechs Kinder, vier von ihnen wurden Musiker. Darunter war auch die Pianistin Marie Patzig (1880−1970), die 1895 in Gotha konzertierte und 1899 als Schülerin des Leipziger Konservatoriums genannt wird.

 

LITERATUR

Athenæum 1875 II, S. 719

Bock 1866, S. 70; 1880, S. 1541

FritzschMW 1875, S. 593f.; 1880, S. 33; 1884, S. 21, 40

Intelligenzblatt für die Stadt Bern 24. März 1876 (Beilage)

Leeuwarder Courant 3., 8., 10., 11., 12., 15. Dez. 1879

Leidsch Dagblad 12., 15., 16., 18. Dez. 1879

Leydse Courant, 11., 13., 16., 18. Dez. 1879

The Monthly Musical Record 1876, S. 7

Musikalisches Centralblatt 1882, S. 466

MusT 1907, S. 308

NZfM 1880, S. 41; 1883, S. 54, 257; 1884, S. 26; 1886, S. 203f.; 1887, S. 152; 1892, S. 31; 1894, S. 125, 573; 1895, S. 126; 1895, S. 541 (Marie Patzig); 1896, S. 32; 1899, S. 323 (Marie Patzig)

RGM 1875, S. 375

Signale 1871, S. 347

Wiener Signale Nr. 23, 1. Juli 1880 (Abschrift aus dem Feuilleton, Forschungsbibliothek Gotha, Chart. A 2384 Bl. 3r-v)

Altmann (15. Auflage, Art. Patzig, Alfred; Art. Wandersleb, Adolf)

B. V., „Virtuosinnen der Gegenwart“ , in: Illustrirte Zeitung  1882 II, S. 5f., 8.

Anon., Lady Violoncellists and one in Particular, in: MusT 1907, S. 307f.

Silke Wenzel, „Luise Wandersleb-Patzig“, in: Mugi. Musik und Gender im Internet, http://mugi.hfmt-hamburg.de/A_lexartikel/lexartikel.php?id=wand1846, Zugriff am 29. Apr. 2010.

 

Bildnachweis

Ausschnitt aus dem Bild zum Artikel Virtuosinnen der Gegenwart, in: Illustrirte Zeitung 1882 II, S. 8

Leidsch Dagblad, 15. Dez. 1879 (Konzertanzeige)

 

Hanna Bergmann/Volker Timmermann

 

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